„Querfront“ – Rosstäuscher am Werk

Alles gut verständlich erklärt…

Nein_zur_Nato_DDR1957Rebloggt von „Theorie und Praxis“

von Richard Corell

„Unsere Parolen sind in Unordnung. Ein Teil unserer Wörter
Hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit.“ (B. Brecht, An die Schwankenden).

Seit dem „Friedenswinter“ 2014/15 schlägt die Debatte um eine mögliche Unterwanderung von Volksbewegungen durch Rechte und Faschisten mal hohe mal noch höhere Wellen, wie mit dem Artikel „Formierte Gegenaufklärung“ [1]. An zentraler Stelle in den Auseinandersetzungen steht der Begriff „Querfront“.

„Der überholte Gegensatz von rechts und links ist Voraussetzung für eine Art Querfront-Strategie, die ich für aussichtsreich halte“, so ein gewisser Konrad Adam (Jgg. 1942), seines Zeichens Mitbegründer der AfD, langjähriger Feuilletonredakteur der FAZ, danach bis 2007 Chefkorrespondent der „Welt“ in Berlin. Hier kann man schon ahnen, dass der Begriff „Querfront“ selbst zur Irreführung beiträgt und von den ideologischen Nebelwerfern der Bourgeoisie bewusst genutzt wird, um von den eigentlichen Absichten abzulenken.

Abgelenkt wird zunächst von einem anderen Konzept zur Festigung der bürgerlichen Herrschaft. Mit Anwachsen einer von Marx und Engels geprägten Arbeiterbewegung – klassenbewusst, internationalistisch und revolutionär – sucht die Bourgeoisie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bereits nach Möglichkeiten, um dieser Gefahr Herr zu werden: Peitsche (Sozialistengesetz)/Zuckerbrot (Sozialversicherung) und schließlich Bestechung einer Arbeiteraristokratie, um mit Opportunismus und Reformismus der Arbeiterklasse den revolutionären Zahn zu ziehen – von innen, aus den eigenen Reihen. Diese Variante zur Klassenversöhnung und damit zur Herrschaftssicherung der Ausbeuterklasse wird heute auch als „Sozialpartnerschaft“ bezeichnet; sie erkennt aber – im Unterschied zur „Volksgemeinschaft“ (s.u.) – den Gegensatz von Arbeit und Kapital an.

Doch neben dieser Variante gab es auch schon im 19. Jahrhundert die Versuche von Teilen der Monopolbourgeoisie im Verbund mit den (adligen) Großgrundbesitzern, um mit reaktionären Teilen des Kleinbürgertums eine Massenbewegung zu formieren, die auch rückständige Teile der Arbeiterklasse mobilisiert für die imperialen Interessen der deutschen Finanzoligarchie – um die Arbeiterbewegung von außen zu infiltrieren und zu zerstören. Der „Alldeutsche Verband“ spielte dabei in Deutschland die Hauptrolle. Diese Art Kritik stützt sich anfangs auf reaktionäre protestantische und vor allem katholische Kapitalismuskritik (Stichwort „Goldenes Kalb“). Sie wird zunehmend durch sozialdarwinistische Rasselehren ergänzt und schließlich durch den „völkischen“ Wahn von der germanischen Herrenrasse verdrängt. Aus diesen Organisationen gehen direkte Verbindungen zur 1919 gegründeten NSDAP. In deren Namen kommt die bewusste Täuschung durch soziale Demagogie programmatisch zum Vorschein: „Nationaler Sozialismus“. Der deutsche Arbeiter, der Deutsche an sich steht über allen anderen, er hat sich nicht mit den Arbeitern in anderen Ländern zu verbrüdern, sondern sie zu beherrschen. Diese Drohung mündete 1933 in die Zerschlagung und Ausraubung der Arbeiterparteien KPD und – wohlgemerkt – SPD, der Gewerkschaften und der anderen zahlreichen Arbeitervereine. Die Drohung mit „nationalem Sozialismus“ wurde in der Deutschen Arbeitsfront eingelöst: „Betriebsführer“ und „Gefolgschaft“ Hand in Hand vor der Gulaschkanone; beim anschließenden Champagner mit Kaviar blieben die Herrschaften allerdings lieber unter sich. „Volksgemeinschaft“ nannten sie es im faschistischen Deutschland. Der sozialistisch verbrämte deutsche Herr und der nationalistisch uniformierte Knecht endlich inniglich unter dem Hakenkreuz verbunden und bereit, auf andere Völker und die „Volksschädlinge“ im eigenen Land loszugehen.

„Querfront“ bezeichnet die Strategie des deutschen Faschismus, um mit der Fiktion einer „Volksgemeinschaft“ den unversöhnlichen Gegensatz von Oben und Unten, von Ausbeutern und Ausgebeuteten, Kapitalisten und Lohnarbeitern wegzudefinieren und im Nebel von Nation und Rasse aufgehen zu lassen. „Querfront“ definiert dabei, wer in die künftige „Volksgemeinschaft“ einbezogen werden soll, wer nach ihren völkischen Kriterien Deutscher ist. Und kenntlich gemacht und gebrandmarkt werden die „Störenfriede“ der Eintracht von Wolf und Schaf: Die Kommunisten, die Juden, die Ausländer … . Der Begriff selbst stammt aus dem Arsenal der sozialen und nationalen Demagogie der deutschen Faschisten. Er dient dazu die Klasseninteressen zu verschleiern, weil sonst zu leicht erkennbar wäre, welch kleines Häuflein deutsche Finanzoligarchen Land und Leute gegen die Wand fahren – regelmäßig und mit Wucht.

Gegenüber der sozialen und nationalen Demagogie der Nazis und ihrer Geldgeber hatte die KPD bereits festgestellt: „Um das deutsche Volk zu befreien, genügt es nicht, die Macht des Auslandskapitals zu brechen, sondern die Herrschaft der eigenen Bourgeoisie im eigenen Lande muss gleichzeitig gestürzt werden“ [2]. Dies ist in der derzeitigen Debatte beachtenswert: Das Zerbrechen der „Macht des Auslandskapitals“ und der Macht der Bourgeoisie im eigenen Land wird als Voraussetzung für die Befreiung des deutschen Volks erkannt! Das ist auch heute die Scheidelinie zur sozialen Demagogie der Faschisten, hinter denen die aggressivsten Teile des deutschen Finanzkapitals stehen.

Zwischen Faschisten und „Antideutschen“

Wenn zum Thema Krieg, Kriegstreiber und -brandstifter nur die USA, „der Westen“, angegriffen wird, ohne den deutschen Imperialismus zu nennen, kann auch der Faschist noch mitgehen. Denn die verbreiten ja, dass Deutschland sich „national befreien“ müsse von der Vormacht der USA, sich mehr Souveränität erkämpfen müsse usw. Halten wir fest: Deutschland ist als Nation so frei, wie es Nationen unter der Herrschaft der Bourgeoisie nur sein können, und das heißt eben: Nach oben ducken und maulen, nach unten treten und foulen. Seit der Einigung von preußisch-oben 1871 hat sich daraus der aggressive deutsche Imperialismus entwickelt, der nach ganz oben will, um bei der Neuaufteilung der Welt entscheidend eingreifen zu können. Vor Deutschland steht nicht die Aufgabe einer nationalen Befreiung, sondern die Aufgabe, das eigene Volk und die anderen Völker der Welt vor einem dritten Anlauf des deutschen Imperialismus zur Weltmacht zu schützen. Damit doch einmal Verhältnisse hergestellt werden, wo Deutschland „nicht über und nicht unter andren Völkern“ sein wird. Dazu muss die Arbeiterklasse die Macht in Deutschland erringen, damit sie der deutschen Bourgeoisie das Handwerk legt.

Wenn der USA-Imperialismus und die NATO in Fragen von Krieg und Frieden gar nicht mehr genannt werden, kann man vermuten, dass die „Antideutschen“ nicht weit sind. So werden Kräfte bezeichnet, die sich aus der nach 1990 aufkommenden Bewegung „Nie wieder Deutschland!“ entwickelt haben. Aus „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ machen sie „Der Hauptfeind ist das eigene Land.“ Eine Unterscheidung von deutschem Imperialismus und deutschem Volk treffen sie nicht. Die deutsche Arbeiterklasse scheidet als emanzipatorische antifaschistische Kraft und Hoffnung aus. Deutschland kann nur von den anderen imperialistischen Mächten, bevorzugt den USA, in Schach gehalten werden. Sie sind auch Sprachrohr der „transatlantischen“ Fraktion im deutschen Finanzkapital, die die Neuaufteilung der Welt an der Seite der USA vorantreiben möchte [3]. Sie kommen mit der Argumentations(Schlagetot-)kette: USA schützt Israel, wer die USA angreift, greift Israel an, wer Israel angreift ist Antisemit und damit Faschist bzw. ist auf die Querfrontstrategie der Faschisten hereingefallen.

Folgt die Linke dieser „Logik“ macht sie sich selbst unglaubwürdig, weil sie die Augen vor dem überlebten, rückwärtsgewandten, räuberischen, verheerenden und verbrecherischen System des Imperialismus als Ganzes verschließt, in dem Israel die Rolle des Vorpostens gegen die arabischen Völker zugedacht ist. Und nicht zuletzt kann der Kampf gegen den deutschen Imperialismus nicht gewonnen werden, wenn er nicht gegen den Imperialismus als Ganzes mit seiner derzeitigen Führungsmacht USA geführt wird. Sie hat schließlich nach dem 2. Weltkrieg den deutschen Imperialismus wieder groß gezogen und ihn umfassend als Bollwerk gegen die Sowjetunion und die Volksdemokratien gestützt. Der US-Imperialismus rivalisiert zwar heute, aber er kollaboriert auch mit dem deutschen Imperialismus als „Ordnungsmacht“ im Osten gegen Russland und die Volksrepublik China – ganz abgesehen von den sonstigen engen ökonomischen, politischen und militärischen Verbindungen mit Deutschland.

Für oder gegen Russland?

Da sind wir beim nächsten Verbot, das uns die Antideutschen unter Hinweis auf die „Querfront“ auferlegen möchten. Es gibt deutsche und europäische Ultrarechte und Faschisten, die sich an Russland „anwanzen“. In der Tat werden Leute wie Marine Le Pen von regierungsnahen Kreisen in Russland als Kräfte hofiert, die gegenwärtig den russischen Interessen dienen können. Der hieraus abgeleitete Vorwurf lautet: Wer Solidarität mit Russland übt, verbündet sich mit Faschisten. Wer sich mit Faschisten verbündet ist selbst Faschist. Dass Russland sich nicht mit linken Kräften in Deutschland verbünden kann, liegt allerdings an den Linken selbst, an ihrer ideologischen Zerfahrenheit und Schwäche, die in Teilen so weit geht, dass sie die verheerende Russophobie in Deutschland bedient, die stets von den reaktionärsten Teilen des Finanzkapitals und von einem anderen Teil der Faschisten geschürt wurde und wird [4]. Die offenbare aggressive Expansion von NATO und deutsch-geführter EU gegen Russland, die Konterrevolutionen von der DDR bis Ukraine werden verharmlost und gerechtfertigt in Verbindung mit Anklagen gegen den derzeitigen russischen Präsidenten Putin. Wie man weiß, konnte sich auch die Sowjetunion ihre zeitweiligen Verbündeten trotz prinzipieller Gegnerschaft und tiefgreifender Differenzen nicht aussuchen (nicht 1939 und auch nicht 1941). Wie sollte das nun heute eine viel weniger zielklare und entschlossene Führung des nicht mehr sozialistischen und noch nicht richtig kapitalistischen Russland tun? Es sollte eher uns zu denken geben, dass wir, die deutschen Linken, Russland ein ums andere Mal im Stich gelassen haben gegen den neuerlichen deutschen Ostlandritt; dass wir uns mehr darum kümmern, wie die Führung eines anderen Landes in unser Weltbild passt, als der Führung unseres Landes auf die Pfoten zu geben bei der Schaffung von Feindbildern als Vorwand für die eigene Aggressivität. Latent wird dabei unterstellt, dass das heutige Deutschland eine fortschrittliche Rolle in der Welt spielen könne, dass es bei der Ablösung eines Despoten mit Hilfe Deutschlands zu einer Verbesserung der Lage für das Volk des betreffenden Landes kommen könne etc.

Fazit

Der Querfrontbegriff wird heute von der antideutschen Seite zur Stigmatisierung von Teilen der Linken verwendet. Weil auch Nazis und mit ihnen ein Teil der Monopolbourgeoisie (Alldeutsche heute „Europäer“) auf Anti-USA-Kurs sind, soll die Linke nicht mehr gegen den US-Imperialismus sein, weil Nazis Antisemiten sind, soll die Linke die Besetzung von Palästina für gerechtfertigt erklären, weil Nazis gegen das Eingreifen der NATO in verschiedenen Ländern sind, sollen die Linke nicht mehr gegen das imperialistische Kriegsbündnis NATO und seine ungerechten Kriege sein.

„Querfront“ ist ein Begriff, der die Klassen und ihre Interessen verschwinden lässt, mehr zu- als aufdeckt. Mit dem Querfrontgeheule in der Linken wird zudem verdeckt, dass dies nur eine Variante von Desorientierungsversuchen der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie, die Variante der sozialen Demagogie der Nazis und solcher politischer Geisterfahrer wie Elsässer und Co ist. Die andere Variante von rechten als „links“ getarnten Kräften gerät dabei völlig aus dem Blickfeld: die Reformisten aus dem Schoß der Arbeiteraristokratie, rechte Gewerkschaftsführer, die derzeitige SPD-Führung und die Kräfte aus der Linken, die vom „rot“-„rot“-grünen „Transform“-Projekt träumen und um salonfähig zu werden auf den Kurs orientieren: Für NATO, Bundeswehr und EU, gegen DDR und Sozialismus.

Quellen und Anmerkungen:

[1] junge Welt, 21./22.3.2015.
[2] Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, Proklamation des ZK der KPD, 24. August 1930.
[3] Ausführlich hierzu KAZ Nr. 317.
[4] Siehe hierzu auch „‚Äquidistanz’ zu Russland heißt Unterstützung des eigenen Imperialismus“, KAZ 349.

 

Zum 8.5.:Imitation und Indoktrination – Wie funktionierte die NS-Propaganda ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Und natürlich: wie ähnlich funktioniert NATO-Kriegspropaganda heute :

Wertvolles Gespräch in der Frankfurter Rundschau http://www.fr-online.de/wissenschaft/ns-propaganda–imitation-und-indoktrination-,1472788,30612608.html

Erziehungswissenschaftler der Universität Frankfurt untersuchen die Propaganda-Strategien der Nationalsozialisten.

Auszüge:

1.-Mai-Feier 1933 auf dem Frankfurter Römerberg. Foto: Hannah Reeck/Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Der 1. Mai wurde gleich 1933 von der nationalsozialistischen Regierung zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Sie haben sich mit deren Propaganda gegen die Arbeiterbewegung beschäftigt. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Katharina Rhein: Das war ein geschickter Schachzug der Nationalsozialisten, die sich nicht zufällig Arbeiterpartei nannten. Die alte Forderung der Arbeiterbewegung wurde realisiert – aber im Sinne der Nazis. Besonders erschreckend ist, dass der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, Vorläufer des DGB, damals dazu aufgerufen hat an den Mai-Demonstrationen der Nazi-Regierung teilzunehmen.
Am 2. Mai wurden dann die Gewerkschaftshäuser gestürmt und Tausende Gewerkschafter verhaftet. Die Indoktrination als Begleitung des Terrors war von Anfang an vorhanden.

Sie sprechen in der Studie von einer Doppelstrategie, von Imitation und Indoktrination. Woran machen Sie das fest?
Benjamin Ortmeyer: Es beginnt schon bei der roten Farbe der Hakenkreuzfahne. Die Imitation setzt sich aber bei Demonstrationen und teilweise auch bei Parolen der Arbeiterbewegung fort. Die Nazis haben von vornherein gesehen, dass sie die Arbeiterbewegung nur zerschlagen und Teile ihrer Anhängerschaft gewinnen können, wenn sie an diese Formen anknüpfen, um ihre rassistischen und nationalistischen Inhalte zu verbreiten.

Wie viel Indoktrination war nötig? Konnten die Nazis auch auf verbreitete Überzeugungen zurückgreifen?
Rhein: Es wurde nicht so sehr der Inhalt, sondern vor allem die Form übernommen. Sprachlich versuchte man, an den Jargon der Arbeiterbewegung anzuschließen.
Die antikapitalistischen Slogans wandten sich aber immer gegen das so genannte ,jüdische Finanzkapital‘, waren also immer mit Judenfeindschaft verbunden.
Gleichzeitig wurde betont, dass die Arbeiter durch angebliche ,jüdische Hetze‘ verführt worden seien – so wurde etwa Karl Liebknecht zum Juden erklärt.

Was waren die Kernpunkte der Propaganda gegen die Arbeiterbewegung?
Ortmeyer: Im Zentrum steht der Begriff der Volksgemeinschaft. Die rassisch definierte Volksgemeinschaft verband Nationalismus und die Leugnung von Gegensätzen in der Gesellschaft mit der Konstruktion einer arischen, großartigen, harmonischen Gemeinschaft aller Deutschen.

Haben Sie für Ihre Forschung vor allem Schriften aus der NS-Zeit ausgewertet?
Rhein: Ja, unsere Studie steht in Zusammenhang mit einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in dem verschiedene pädagogische Publikationen, aber auch Jugend-Zeitschriften analysiert werden.
In der NS-Schülerzeitschrift „Hilf mit!“ wird besonders deutlich, wie und auf welche Weise gegen die Arbeiterbewegung gehetzt wurde, denn dort bemühten sich die Nazis selbst um eine einfache Sprache.

Welche Methoden haben Sie noch identifiziert?
Ortmeyer: Die Nazis haben ununterbrochen gelobt: den deutschen Arbeiter, die deutsche Mutter, die deutsche Jugend. Das war eine sehr erfolgreiche Methode.
Sie knüpfte an die Arbeiterbewegung an, die dafür gekämpft hatte, das Arbeiter wertgeschätzt wurden und nicht als letzter Dreck galten

Zur Arbeitsvorstellung der Nazis gehörte aber nicht nur der Arbeitskult, sondern auch die „Vernichtung durch Arbeit“.
Ortmeyer: Ja, außer dem Lob des ,deutschen Arbeiters‘ wurde die Losung ,Arbeit macht frei‘ propagiert, die sich auch an den Toren Dachaus und Auschwitz fand. Eine alte Formulierung, die auch bei Hoffmann von Fallersleben in einem Gedicht schon auftauchte.
Die Grundidee der Nazis war: Die Juden wollen nicht arbeiten, das liegt in ihrer ,Rasse‘, während die Deutschen zur Arbeit geboren sind. Die Arbeit adelt sie und hebt sie über andere ,Rassen‘ empor.

Rhein: Hinter dieser Logik steckt, dass sich die Hetze auch gegen diejenigen richtete, die aus Sicht der Nazis nicht arbeiten wollten. Sie machten sich verdächtig, nicht richtig deutsch zu sein.

Warum ist die Propaganda der Nazis eigentlich ein Thema für die Erziehungswissenschaft und nicht nur für Historiker?
Ortmeyer : Es klingt vielleicht unwahrscheinlich, aber die Nazis waren im bösen Sinne des Wortes ausgezeichnete Pädagogiktechniker. Sie haben das Repertoire der Reformpädagogen übernommen, um ihre Propaganda nicht nur in Schulen, nicht nur in der Hitlerjugend, sondern in der ganzen Gesellschaft zu organisieren.
Und gerade für heutige Studierende des Lehrberufes ist es wichtig, die verbrecherische Seite solcher Techniken zu kennen, um im Gegensatz dann darüber nachzudenken, wie eine Pädagogik funktioniert, in der nicht manipuliert und nicht indoktriniert wird.

Rhein: Die Ergebnisse der Studie werden als Buch, aber auch als Materialien veröffentlicht, die sich für gewerkschaftliche Bildungsarbeit, die Lehre an Unis und den Schulunterricht eignen.

Werden die Techniken, die Sie beschreiben, auch heute noch von Neonazis eingesetzt?
Rhein : Nehmen wir die Imitation: Die Nazis von heute imitieren nicht nur die alte NS-Propaganda, sondern auch die Linke.
Die Nachahmung heutiger linker Symbole oder auch des Kleidungsstils ist verblüffend.

Ortmeyer: Wenn man eine Nazi-Demonstration beobachtet, sieht man das gut. Da kann man als Gegendemonstrant nicht vorsichtig genug sein ( lacht ).

Die Denkfiguren selbst, die Sie herausgearbeitet haben, sind aber auch in der Mitte der Gesellschaft anzutreffen. Man nehme etwa die Debatte um die „Heuschrecken-Hedgefonds“…
Ortmeyer: Es ist erschreckend, wie Denkfiguren der Ausgrenzung heute an alte Nazi-Denkfiguren erinnern. Sei es der antisemitische Diskurs, dass angeblich nur das ,Finanzkapital‘ oder die Banken an allem schuld seien – da schwingt das ,jüdisch‘ immer auch mit. Sei es die Haltung zu Flüchtlingen oder die merkwürdige Argumentation, warum in Betrieben angeblich alle mit den Chefs zusammenhalten müssen statt etwa zu streiken. Nicht zuletzt ist auch die Tradition des Antikommunismus zu nennen.

Interview: Martín Steinhagen

Benjamin Ortmeyer ist außerplanmäßiger Professor für Erziehungswissenschaft an der Frankfurter Universität. Er leitet die Forschungsstelle NS-Pädagogik.
Katharina Rhein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle NS-Pädagogik. Sie promoviert über den Einfluss erinnerungspolitischer Debatten auf die Pädagogik.
Beide haben gemeinsam das Buch „NS-Propaganda gegen die Arbeiterbewegung 1933–1945: Imitation und Indoktrination“ veröffentlicht (Beltz Juventa, 244 Seiten, 19,95 Euro).
Begleitend zur Studie sind Materialien für Unterricht, Lehre und Bildungsarbeit erschienen (drei Bände mit DVD, Protagoras Academicus, 59,80 Euro).

Jochen