Neue Normalität : Faschisten im politischen Raum

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Nach dem AfD-Parteitag mit dem beschlossenen Warmlaufen zur Koalition mit der CDU/CSU, nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit für den Bund der Antifaschisten, nach der versuchten Unterwanderung der Antifa durch Antideutsche machen einem die Feststellungen in der Jungen Welt wirkliches Gruseln:
https://www.jungewelt.de/artikel/367943.antifaschismus-neue-normalit%C3%A4t.html
Dabei muss ich dran denken, dass ALt-und Neonaziverbände innerhalb der Verfassungsorgane BND und Verfassungsschutz immer wieder versucht haben, unter den Augen von USA-Geheimdiensten Todesschwadronen in Deutschland zu etablieren, wie es schon Daniele Ganser mit der Organisation „Gladio“ nachweisen konnte.
Der zweite bekannte Versuch war die Wehrsportgruppe Hoffmann, der dritte offensichtlich der NSU, und der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch, wie man an der Gruppe „Nordkreuz“ sieht. Der Militaristenverein „Uniter“ ist übrigens noch gemeinnützig!
Diese Fehlschläge waren jeweils mit Terrorakten verbunden, in denen viele ermordet oder verletzt wurden, und die Justiz und Polizei waren nicht gerade um Aufklärung bemüht…
Auszüge:

In der Bundesrepublik haben Faschisten inzwischen einen gehörigen Teil des politischen Raums erobert

Von Jürgen Herold
Redaktionell bearbeiteter Auszug aus dem Referat, das am gestrigen Sonntag auf der Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke gehalten wurde. (jW)

Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat den Versuch eines Faschisten, ein Blutbad in der Synagoge in Halle anzurichten, ein Alarmsignal genannt. Das klingt, als würde vor etwas gewarnt, was noch nicht eingetreten ist.
Doch die Rechtsentwicklung vollzieht sich seit vielen Jahrzehnten. In der alten BRD war sie zu keinem Zeitpunkt völlig außer Kraft gesetzt.
Nunmehr, nicht zuletzt seit den NSU-Morden und dem Umgang damit, haben wir es allerdings mit einer neuen Qualität dieser nicht neuen Tendenz zu tun.
Worum es im Kern der Sache geht, finden wir in einem vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier verfassten Gutachten »Nachhaltigkeit als Verfassungsprinzip«. Es wurde im Auftrag der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) gefertigt und am 22. Mai 2019 öffentlich vorgestellt. Darin konstatiert der neoliberale Jurist einen »gewissen Reformbedarf« beim Grundgesetz.
Eines der zentralen Probleme sei, dass die »parlamentarische Demokratie jetzigen Zuschnitts fast zwangsläufig zu einer einseitigen Ausrichtung auf die Interessen und Bedürfnisse der Wählerschaft der Gegenwart führt«.
Ein zynisches Plädoyer für die Abschaffung der bürgerlichen Demokratie, bzw. der von ihr übrig gebliebenen Reste.

Jeden Tag lesen wir von Neonaziaktivitäten. So über eine vom Verwaltungsgericht Minden genehmigte Demonstration – angemeldet und durchgeführt am 9. November – von Dortmund nach Bielefeld, wo die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck inhaftiert ist. Die Demonstranten dürften sich von der Staatsanwaltschaft Hannover bestärkt fühlen, die das von der Stadt Bochum verhängte und vom OVG Münster bestätigte Verbot des EU-Wahlplakats der faschistischen Kleinpartei »Die Rechte« mit dem Slogan »Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück – Schluss damit« aufhob. Unter einem Bild von Haverbeck steht auf einem anderen Plakat: »Mit 90 Jahren: Für ihre Meinung inhaftiert«.
Im Eilbeschluss des OVG Münster war es auch um das Verbot eines anderen Plakats der Partei »Die Rechte« durch die Stadt Bochum gegangen: »Wir hängen nicht nur Plakate« und optisch im Hintergrund »Wir kleben auch Aufkleber«. Gehenkt haben sie bisher nicht. Geschossen schon. In ihrer Faschistendreistigkeit meldeten sie ausgerechnet in Kassel, wo am 2. Juni Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet worden war, eine Demonstration an.

Vorbereitung auf den »Tag X«

Am 9. November standen in Bielefeld den 230 Nazis, die da die Faschistin Haverbeck zu ehren zusammengekommen waren, 14.000 Gegendemonstranten gegenüber. Das ist erfreulich.
Zu verurteilen ist allerdings, dass deutsche Gerichte solche Demonstrationen zulassen. Manche meinen, Versammlungsfreiheit gehöre zur Demokratie und die sei stark genug, Nazis auszuhalten. Ist sie das wirklich?
Die Anhänger der »Bruderschaft Deutschland« aus Düsseldorf haben auf einer Demonstration in Richtung der Gegendemonstranten skandiert: »Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot!« Ist das wirklich noch auszuhalten?
Die Rechten belassen es nicht bei Aufmärschen und Hasskonzerten. Sie bereiten sich auf den »Tag X« vor. Ihre Finanziers gehen davon aus, dass die gegenwärtigen Funktionsmechanismen des bürgerlichen Systems kollabieren könnten und dass dann die extreme Rechte bereitstehen müsste, die notwendigen Schritte zu unternehmen.
Das hat es in der Geschichte nicht erst einmal gegeben und nicht nur in Deutschland oder Europa. In Lateinamerika stehen die sogenannten Todesschwadronen für eine solche Terrorpolitik. Und hierzulande?

Auf den Todeslisten der Nazigruppe »Nordkreuz« sind die Namen von 25.000 Frauen und Männern aufgeführt, die diese Gruppe am »Tag X« des Umsturzes beseitigen will. Auf den Listen sollen sich ausschließlich die Namen von Linken-Politikern sowie Mitgliedern von SPD und Grünen befinden. Unter den betroffenen Vereinen sind ausschließlich solche mit linkem Profil genannt.
Nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern begründe die »Nennung von Personen, Institutionen oder Organisationen in festgestellten Informationssammlungen« für sich genommen »keine Notwendigkeit zur aktiven Unterrichtung der Betroffenen«. Der Chef des Militärischen Abschirmdienstes Christof Gramm gab Ende Oktober zu Protokoll, derzeit »keine Hinweise« auf eine Schattenarmee ultrarechter Bundeswehr-Soldaten erkennen zu können. Zugleich wollte er allerdings »starke soziale Vernetzungsprozesse« von Personen mit rechtsextremen Tendenzen unterhalb dieser Schwelle nicht ausschließen.
Bei der Eliteeinheit »Kommando Spezialkräfte« KSK gebe es, so Gramm, »um die 20, im Moment sogar etwas über 20« Verdachtsfälle.

Niemand weiß bisher, wie weit rechte Netzwerke in den Staats- und Sicherheitsbehörden verankert sind. Informationen des Verfassungsschutzes besagen, »Nordkreuz«-Aktivisten hätten 200 Leichensäcke und Löschkalk bestellt.
Mitte Juni 2019 waren bei vier Polizisten und Expolizisten Tausende Schuss Munition gefunden worden. Bei einem der Polizisten fanden sich bereits im August 2017 Zehntausende Schuss Munition.
Hier agiert offenbar ein Teil eines bundesweiten Netzwerkes, dessen Administrator ehemals Soldat des KSK der Bundeswehr war. Dieser ist unter dem Namen »Hannibal« auch als Gründer des ebenfalls einen Umsturz planenden Vereins »Uniter« bekannt.
In diesem Kontext fragt Martina Renner, Bundestagsabgeordnete von Die Linke: »Wer im Hannibal-Netzwerk bzw. in der Gruppe ›Nordkreuz‹ ist eigentlich der Spitzel, zu dessen Schutz Ermittlungen gegen alle Mitglieder und Unterstützer verhindert werden?« Und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil verlangt eine lückenlose Aufklärung des »Nordkreuz«-Netzwerks und möglicher Verbindungen zur Polizei, zu Reservisten und zur AfD.

Alte Nazis in der BRD

Sie werden nichts lückenlos aufklären. Spätestens seit den NSU-Morden und den entsprechenden Prozessen kann das jeder wissen. So richtig und notwendig die Forderung an den Staat nach lückenloser Aufklärung ist, so wenig reicht es, Antifaschismus auf solche Forderungen und auf notwendige Antinazidemonstrationen und -aktionen zu reduzieren.
Wir müssen aufklären, wo die sozialen Ursachen für die Rechtsentwicklung liegen, zeigen, dass diese Entwicklungen Teil der Funktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft sind.
Das schließt – gerade auch in Vorbereitung des 30. Jahrestages des Beitritts der DDR zur BRD – auch ein, die Demagogie der Totalitarismusdoktrin zu entlarven.
Und dazu gehört, daran zu erinnern, dass in der alten Bundesrepublik mit den Verantwortlichen der Naziverbrechen nicht abgerechnet wurde. Nicht mit der Deutschen Bank, nicht mit all den gewaltigen Konzernen, nicht mit den Blutrichtern, Nazigenerälen und nicht mit den ungezählten subalternen Mördern.

Nur eines von etlichen Beispielen.¹ 1980 trat Dietrich Stein in Marne/Dithmarschen seine erste Pfarrstelle an. Zwei Jahre danach hörte er vom Friedhofswärter das erste Mal vom Mord an dem Kommunisten Adolf Bauer.
Der Mord fand in einer politisch eskalierten Situation statt. Bei der preußischen Landtagswahl im April 1932 hatten die Nazis im Landkreis Süderdithmarschen 58 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Überfälle auf Sozialdemokraten und Kommunisten häuften sich. Bauer lebte seit 1926 mit kurzen Unterbrechungen als Landarbeiter in Süderdithmarschen. Er war Instrukteur in der KPD und schrieb für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung. Auf Veranstaltungen, auch auf solchen der Nazis, vertrat er unerschrocken seinen Standpunkt.
Bauer war redegewandt, seinen Gegnern intellektuell überlegen. Am Abend des 9. Juli 1932 observierte der SS-Sturm 5 eine von Bauer geleitete KPD-Versammlung in einem Dorf bei Marne. Laut den Prozessakten haben vier Täter Bauer auf halber Strecke zu seinem Wohnort gestellt und dann quer über eine Weide, die bis heute »Mörderweide« heißt, in einen Graben gedrängt. Sie schlugen ihn und drückten ihn mit dem Gesicht in den Schlamm, bis er tot war. Zwei Täter haben sich mit den Füßen auf ihn gestellt und dabei geraucht.
Den Akten zufolge war der Leiter des SS-Sturms, Hans Wigger, von einem der Täter noch in der Nacht oder am frühen Morgen über den Mord informiert worden. Ohne Weisung dieses Hans Wigger hätte es die Jagd auf Bauer nicht gegeben. Wigger wurde 1937 in Marne Bürgermeister.

Nach dem Krieg waren die Täter zunächst vom Landgericht Itzehoe zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. In der Revision stellte das Oberlandesgericht Ende Dezember 1948 das Verfahren ein. Der zuständige Richter Günther Scheer war laut Personalakten im Landesarchiv im deutschnationalen »Stahlhelm«, später in der SA-Reserve. Die beiden Beisitzer waren seit 1933 bzw. 1937 Mitglieder der NsDAP gewesen.
Angesichts der »Verrohung des politischen Kampfes im Jahre 1932«, so urteilten sie, sei zu berücksichtigen, dass »hier auch der Verletzte durch Besitz und Gebrauch einer Schusswaffe seine Teilnahme an den radikalen Formen der damaligen Auseinandersetzungen kundgetan« habe. Da sei es »willkürlich«, eine »Verletzung der Menschlichkeit einseitig bei dem festzustellen, der – womöglich zufällig – bei der Auseinandersetzung obsiegt hatte«.

Im Marner Rathaus hing zumindest bis zuletzt Wiggers Bild in der Bürgermeistergalerie – unkommentiert. Schülerinnen und Schüler, die sich in ihrer Projektarbeit mit dem Mord an Bauer befasst hatten, fragten warum.
Die Stadt hat bislang keine Antwort gegeben. Der heutige CDU-Bürgermeister Klaus Braak ist der Meinung, derzeit gebe es »wichtigere und substantiellere Themen« als die Diskussion um das mörderische Engagement eines Amtsvorgängers in den 1930er Jahren.

Weiteres lässt sich als exemplarisch skizzieren: Der »Schlächter von Warschau«, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei Heinrich Reinefarth, lebte bis zu seinem Tod 1979 unbehelligt auf Sylt, wo er nach dem Krieg sogar Bürgermeister und Landtagsabgeordneter war.
In den ersten zwei Jahren nach Gründung der Bundeswehr 1955 waren 44 Generale und Admirale ernannt worden, die alle zuvor in der Wehrmacht gedient hatten. Unter 14.900 Berufsoffizieren fanden sich 1959 12.360 vormalige Wehrmachtsangehörige sowie 300 SS-Führer.
Ferdinand Piëch
schrieb in seiner Autobiographie über den Werksgründer und Wehrwirtschaftsführer Ferdinand Porsche: »Natürlich bin ich stolz auf meinen Großvater. Und als ich die eminente Rolle des Konstrukteurs begriff, hat mir die ganze Geschichte bloß imponiert und mich nicht eine Sekunde belastet, warum auch?«

Warum auch sollten ihn die von seinem Großvater bei der SS bestellten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter belasten, von denen nicht wenige zu Tode kamen?

Bürgerliche Kapitulation

In diesen Tagen wird allen Ernstes so getan, als seien die Neonazis ein Produkt der vergangenen Jahre. Oft genug soll dann auch die DDR – die »zweite deutsche Diktatur« – Schuld an dieser Entwicklung tragen.
»Im Osten«, so Exbundespräsident Joachim Gauck am 3. November im Tagesspiegel, »hat die Zeit der politischen Ohnmacht von 1933 bis 1989 gedauert«.
Diese Gleichsetzung des mörderischen Faschismus mit der DDR ist Ausdruck ideologischen Wahns.*)
Erinnert sei auch an die Worte des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der CDU: »Sozialismus hat nur für Leid gesorgt. Egal ob national oder real existierend.«
Real existierend – das zeigt das Beispiel Hans Wigger exemplarisch – ist vielmehr, dass es mit den Nazis im Westen nie aufgehört hat. Deren antikommunistische Kompetenz wurde gebraucht. Und auch die der furchtbaren Juristen.
Die Widerständler, besonders, wenn es sich um Kommunisten handelte, waren demgemäß selbst schuld. Die Faschisten waren Einzeltäter, die sich im Grunde genommen nur gewehrt hatten, und alte Nazirichter erteilten Freispruch.
Dazu passt übrigens die jüngste Entscheidung des Finanzamts für Körperschaften I des Landes Berlin, der Bundesvereinigung der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Auf diesem fetten Boden wird die Saat des Faschismus aufgehen können.

Wie so etwas in der Praxis funktioniert, lässt sich am Beispiel Schwarzenbruck bei Nürnberg studieren. Die ARD-Sendung »Monitor« berichtete darüber am 18. Juli 2019. Ein bekannter Unternehmer des Ortes mit seinen rund 8.400 Einwohnern ist Klaus Peter Weber. Der baut Wohnungen und spendet für karitative Zwecke. Zu seinem Geburtstag wollte er ein Benefizkonzert geben, die Gemeinde beteiligte sich an dessen Vorbereitung.
Doch Weber ist auch politisch umtriebig. Auf seiner Internetseite finden sich bekannte rechte Forderungen. Merkel müsse weg, ebenso die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die »kriminellen Ausländer« sowieso.
Weber wörtlich: »Ich halte diese Toleranz für krankhaft, wenn mich dann jemand als Rassist oder ausländerfeindlich bezeichnet, muss ich sagen, damit kann ich gut leben
Auch im Rathaus wurden seine Videobotschaften zum Thema. Der Gemeinderat beschloss am 4. Juni 2019, das Benefizkonzert nicht aktiv zu unterstützen und distanzierte sich einstimmig von den Inhalten der von Weber veröffentlichten Videos und der darin enthaltenen Äußerungen.
Der Unternehmer reagierte. Er sei kein Rechter, die Gesellschaft sei bloß nach links gerückt. Entweder es gebe eine Entschuldigung und eine vollständige Rehabilitation seiner Person, seines Rufes, seiner Firma oder: »Meine Fachanwälte sind eingeschaltet. Ich sag’ es ungern, aber: Die Möglichkeiten, die ich habe, die werden den Betroffenen wehtun.«

Diese Möglichkeiten nutzt er. Webers Anhänger im Netz: »Es wird Zeit, dass mal wieder Köpfe rollen
Bei Gemeinderäten finden sich Zettel an der Wohnungstür: »Ich würde in Zukunft durch den Türspion gucken, bevor ich die Tür öffne. Volksverräter. Du wirst nie wieder ruhig schlafen. Wir kriegen Dich.«
Ein Gemeindevertreter bekennt sich zu seiner verständlichen Angst um die Familie. Plötzlich möchten CSU und SPD nichts mehr von ihrem Beschluss vom 4. Juni wissen.
Schließlich entschuldigen sich die Fraktionssprecher beider Parteien bei Weber. Doch damit nicht genug. Der SPD-Bürgermeister nimmt mit Weber ein Video auf, das dieser auf seinem Kanal einstellt.
Der Bürgermeister sagt, in devoter Haltung neben Weber stehend: »Ich bedaure sehr, dass wir heute zu dieser Form der Erklärung greifen müssen, um Dinge richtigzustellen. In der Gemeinderatssitzung vom 4. Juni kam es leider zu einer Entscheidung, die ich bedaure, für die ich mich entschuldigen möchte.«

Wer so etwas vernimmt, mag Leo Fischer recht geben, der am 6. Juli im Kontext des Mordes an Lübcke in Neues Deutschland schrieb: »Überall handelt man schon so, als seien sie (die Nazis) schon an der Macht; überall geht man mit ihnen um, als könne man schon nicht mehr anders.
Man überreicht der nationalen Sektion«, die »dank einer cleveren Medienstrategie auf allen Ebenen die Kommentarspalten flutet, die Schlüssel zur Stadt. Nicht aus Hilflosigkeit und noch nicht aus Furcht: Man kann schon gar nicht mehr anders denken als sie. Es ist … schon ›normal‹.«

Parlamentarischer Arm

Diese Normalität verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass das AfD-Personal sich aus Oberstaatsanwälten, Obersten a. D., Richtern, Rechtsanwälten, Polizeikommissaren, Professoren und anderen zusammensetzt, die so gerne als Mitte der Gesellschaft bezeichnet werden. Und damit sich diese Vorstellung von »Normalität« weiter verfestigt, ist die AfD nach außen bemüht, das Bild einer ganz normalen Partei abzugeben.
Doch »gemäßigt« ist da nichts. Die letzten Gegner der völkisch-nationalistischen Strömung sind an den Rand gedrängt. Die Parteispitze verneigt sich vor Björn Höcke und seinen Anhängern, die Faschisten jubeln.
Die völkische und nationalistische AfD-Gruppierung »Der Flügel« greift innerhalb der Partei nach der Macht. In Nordrhein-Westfalen übernehmen seine Mitglieder den Landesvorstand.
Ähnliches läuft in Bayern. Die AfD ist eingebunden in ein breites Netzwerk verschiedener rechter und rechtsextremer Gruppen und Organisationen, etwa das »Institut für Staatspolitik«, ein extrem rechter Thinktank, der Studien verfasst, Seminare durchführt, einen eigenen Verlag hat und ebenso eine eigene Zeitschrift.
Dieses Institut hat fast 20 Jahre lang den intellektuellen Nachwuchs der völkisch-nationalistischen Bewegung geschult. Institutschef Götz Kubitschek soll die AfD-Programmatik entscheidend mitgeprägt haben und gilt als enger Vertrauter von Höcke.

Zwischen der AfD und der »Identitären Bewegung« (IB) bestehen rege Kontakte. Aktivisten der IB sind Bundestagsmitarbeiter und sogar Funktionäre der AfD. Rund um die AfD sind alte und neue Organisationen und Medien verschiedener rechter Strömungen gruppiert. So die Gruppen »Ein Prozent«, Pegida, NPD, die Zeitschriften bzw. Zeitung Blaue Narzisse, Compact, Junge Freiheit, die Blogs »Journalistenwatch« (JouWatch) und »Politically Incorrect« (PI-News).
Dieses gesamte rechte Milieu, auch in seiner Heterogenität, so schließt ein weiterer »Monitor«-Bericht der genannten Sendung, »hat in der AfD letztlich seine politische Heimat gefunden. Sie sind teilweise noch ganz woanders aktiv, aber sie wissen, wen sie zu wählen haben und sie wählen die gerne.«
Der Leiter des ARD-Magazins, Georg Restle, selbst mit Morddrohungen konfrontiert, wird in einem jW-Interview, veröffentlicht am 3. August, noch deutlicher: Wir wissen, »dass sich einige Rechte durch Radikalisierungen im politischen Raum geradezu berufen fühlen, zur Tat zu schreiten; offenbar weil sie sich als Vollstrecker eines imaginierten ›Volkswillens‹ verstehen«.
Und an anderer Stelle spricht Restle davon, dass die AfD »von einer sich immer weiter radikalisierenden rechtsextremen Szene als ihr parlamentarischer Arm begriffen wird«.

Den gleichen Zusammenhang beschreibt Axel Holz in der Zeitschrift Antifa (Juli/August 2019) so: »Rechtspopulistische Wahlerfolge und rechte Straßenmobilisierung münden zunehmend in autoritär strukturierte und teilweise gewaltaffine Formen rechter Selbstermächtigung.«
In der gleichen Zeitschrift zitiert Janka Kluge aus einem Rundbrief, den Philip Stein an Mitglieder der von ihm, Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer gegründeten Gruppe »Ein Prozent« im März 2018 versandt hatte: »Wie immer sind wir hinter den Kulissen schon zwei Schritte weiter und bereiten den nächsten Angriff auf die Macht des Establishments vor, Stück für Stück werden wir unser Land zurückholen – in den Parlamenten, auf der Straße, in den Betrieben, Schulen, Universitäten, an jedem Ort.«
Diese Strategie, schreibt Kluge, geht mehr und mehr auf. Sie zitiert dann noch einmal Kubitschek, der bereits 2008 in seiner Schrift »Provokationen« schrieb: »Wozu sich erklären? Wozu sich auf ein Gespräch einlassen und auf eine Beteiligung an einer Debatte? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern nur ein Schlag ins Gesicht.«

Und sie schlagen wieder zu, ja, sie haben begonnen zu morden. Und sie werden es weiter tun und in größerer Zahl, wenn ihnen nicht all diejenigen in den Arm fallen, die keinen neuen Faschismus wollen.

In den Arm fallen muss man auch denjenigen, die unter dem Mantel konservativer Bürgerlichkeit eine faschistoide Praxis einfordern, wie Hans-Georg Maaßen, der kürzlich hetzte: »Ich befürchte, dass uns die neue Migrationswelle bald erreichen wird. Wir brauchen in Deutschland Politiker, die auch unschöne Bilder ertragen können.«
Und Peter Sloterdijk sprach in solch einem Kontext von einer Politik der »wohltemperierten Grausamkeit«.

Als Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die Linke werden wir alles tun, dass der antifaschistische Kampf unserer Partei weiter den Stellenwert erhält, der ihm notwendigerweise zukommt.

Anmerkung

1 Ausführlich nachzulesen bei: Kurt Mohr: »Die Männer von der Mörderweide«, Interview mit Pastor Dietrich Stein, Neues Deutschland, 12.3.2019

*: Das ist kein Wahn, sondern eiskaltes Kalkül, das Eingang in die offiziellen Sprachregelungen gefunden hat.

Jochen

Der Oktoberfestanschlag in München 1980 – Vom irren Einzeltäter und Schutz des Staatswohles

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf Langeoog ist es schön, wechselndes Wetter, langsames Internet. 
Ein ergiebiges Thema der Psychotherapietage ist überigens der Hamburger Feuersturm von 1943 und welche traumatischen Auswirkungen im Seelenleben der Überlebenden und auch noch deren Nachkommen hinterlassen hat.
Seit 2005 hat eine Kooperation von Historikern und Psychoanalytikern hierzu gezielt geforscht und ein einmaliges Ergebnis erarbeitet:
Lamparter, Wieland-Grefe, Wierling(2013): Zeitzeugen des Hamburger Feuersturms und ihre Familien. Vandenhoeck&Ruprecht(2013)
Der_Rechtsstaat_im_UntergrundDarüber hinaus lassen mir einige Angelegenheiten keine Ruhe. Womöglich hat mit Unterstützung der CIA der deutsche Staat analog zu Südamerika, Spanien, Portugal, Italien (Gladio), in der Neonazi-Szene Todesschwadronen rekrutiert für den Fall einer linken Regierungsübernahme, die dann ein bisschen aus dem Ruder gelaufen sind.
Wolf Wetzel bleibt dran:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=33409
Auszüge:
Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 liegt heute über 35 Jahre zurück, aber die Art und Weise, wie dieser damals „aufgeklärt“ wurde, kann einiges erhellen, was heute im Kontext der NSU-Terror- und Mordserie noch im Dunkel verweilt.
Gerade hat der Mitteldeutsche Rundfunk eine „Pannenchronik“ zum NSU-Komplex veröffentlicht (Verfassungsschutz und NSU – eine Pannenchronik vom 12. 5.2016), die überwiegend als einmalig bis bedauerlich qualifiziert wird. Wenn man zum Vergleich dazu die „Pannenchronik“ zum Oktoberfestanschlag in München danebenlegt, wird man verblüffende Parallelen feststellen:
Akten, Asservate und Beweismittel verschwinden, V-Mann-Akten bleiben verschlossen, falsche Fährten werden gelegt, wichtige Spuren unterschlagen, die Aufklärungssabotage als Staatswohl ausgelobt. Von Wolf Wetzel [*]EyesWideShut

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München ereignete sich am 26. September 1980. Dreizehn Personen wurden ermordet, über 200 zum Teil schwer verletzt.
Kurz und doch lang genug wurde dieser Anschlag der Roten Armee Fraktion/RAF zugeschrieben. Dann wurde daraus ein schrecklicher Anschlag eines verwirrten und unpolitischen Einzeltäters. Daran hielt man sich – auch ohne Fakten, denn diese machten einen neonazistischen Anschlag, der von mehreren Personen geplant und ausgeführt wurde, viel wahrscheinlicher, als die ›Einzeltäterthese‹.
Auch mehrere Versuche, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen einzufordern, wurden abgewiesen. Die Weigerung, mehr als einen (toten) Täter finden zu wollen, dauerte über 30 Jahre.

Ende 2014 erklärte die Generalbundesanwaltschaft, dass sie das Ermittlungsverfahren wieder aufnehmen werde: »Es gebe nun Hinweise, die auf ›bislang unbekannte Mitwisser hindeuten könnten, sagte Generalbundesanwalt Range.« (DER SPIEGEL vom 11.12.2014)

Das ist vor allem der unermüdlichen Arbeit des Opferanwaltes Werner Dietrich zu verdanken. Genau das, was Aufgabe der Ermittlungsbehörden wäre, hat er getan: Hinweisen und Zeugenaussagen zu folgen, die bis heute ›unter den Tisch fielen‹, die der Einzeltäterthese vehement widersprechen.

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 1980 läuft auf Hochtouren. Die maßgeblichen Parteien, die um die Macht ringen, stimmen ihre WählerInnen auf eine tragödienhafte Schicksalsentscheidung ein, ganz vorneweg CSU/CDU.
Ihre Parole lautet nicht mehr und nicht weniger: ›Freiheit statt Sozialismus‹.

Das Gespenst des Kommunismus sollte wieder umgehen, ein Gespenst, mit dem man einen Weltkrieg begann und verlor. Ein Gespenst, das schon so verwirrt ist, dass es gar die SPD systemüberwindender Vorstellungen verdächtigte.
Nun galt es wieder einmal, zusammenstehen: die Christlichen, die Nationalen, die Deutschen, die Vaterländischen, die Konservativen. Eine Einladung nach ganz rechts. Mit mörderischen Folgen.

Am 26. September 1980 explodierte im Herzen Bayern, auf dem Oktoberfest in München, eine Bombe – dieses Mal mit militärischem Sprengstoff, am Zugang zur Wiesn in einem Mülleimer deponiert, mit dem klaren Kalkül, x-beliebige BesucherInnen zu töten.
Der Plan ging auf blutige Weise auf. Dreizehn Menschen wurden ermordet, über 200 zum Teil schwer verletzt.

Renate Martinez war Mitarbeiterin im Papierhandel. Sie hatte vor, auszuwandern und wollte mit einem Bummel über das Oktoberfest Abschied nehmen. Sie befand sich am Ausgang, »als mich die Druckwelle von hinten traf. Fast gleichzeitig konnte ich den Feuerschein sehen. (…) Ich bin geflogen, und noch im Fliegen habe ich gedacht: Das werden sie den Linken in die Schuhe schieben

(Es war ein Alptraum, SZ vom 12.12.2014)

Renate Martinez sollte Recht behalten.

Die Spuren waren noch nicht gesichert, geschweige denn ausgewertet, da ließ der Bundeskanzlerkandidat von CSU/CDU, Franz Josef Strauß, die nächste Bombe platzen. Er bezichtigte die RAF des Anschlages und bot sich sogleich als der Mann an, der mit diesem ›Terror von links‹ ein für alle Mal aufräumen würde.

Sowohl die Bombe als auch die Rettervision passten in die Schicksalsinszenierung. Nur einer der Toten nicht. Bereits einen Tag später stand fest, dass sich auch ein Attentäter unter den Opfern befand: Gundolf Köhler. Seine persönliche und politische Biografie war nicht zu übersehen. Er hatte ein Hitlerbild über seinem Bett hängen. Die RAF verschwand, das Hitlerbild auch.
Aus Gundolf Köhler wurde in den folgenden zwei Jahren ein junger verwirrter Mann, ein Einzeltäter, der alles hatte, nur kein politisches Motiv. Das war dann auch das Ermittlungsergebnis – bis heute.

Was macht also das Wiederaufnahmeverfahren so brisant, während gleichzeitig der NSU-Prozess in München läuft, der sich der lückenlosen Aufklärung der Mord- und Terrorserie des NSU verschrieben hat?

Es gibt drei Ebenen, die sich hier ineinanderschieben und sich auf verblüffende Weise überschneiden:

  1. ZeugInnen, Rechtsanwälte, Journalisten bezweifeln seit Jahren die Einzeltätertheorie und werfen den Ermittlungsbehörden vor, Spuren und Erkenntnissen nicht zu folgen, die einen neonazistischen Hintergrund belegen und die Beteiligung von mehreren Personen verifizieren.
  2. Während immer wieder unterschlagene Fakten und neue öffentlich werden, werden asservierte Beweise Zug um Zug vernichtet. Bereits ein knappes Jahr nach dem Oktoberfestanschlag werden 48 Zigarettenkippen aus Köhlers Auto entsorgt. Dann werden die sichergestellten Bombensplitter für eine spätere Beweiswürdigung vernichtet. Und als wären diese Straftaten im Amt nicht genug, verschwindet ein Arm auf unerklärliche Weise: »Die Bundesanwaltschaft bestätigte (…), dass keine Spuren des Attentats mehr vorhanden sind. ›Die Asservate wurden Ende des Jahres 1997 vernichtet, weil der Fall als aufgeklärt gilt und sämtliche Ermittlungen nach eventuellen Mittätern ergebnislos verlaufen sind‹, sagte Sprecher Frank Wallenta.« (SZ vom 17.5.2010) Begleitend und unterstützend verschwinden Akten bzw. werden unter Verschluss gehalten.
  3. Die Frage steht im Raum: Warum weigern sich staatliche Behörden so vehement dagegen, den neonazistischen Hintergrund dieses Anschlages aufzuklären? Gibt es etwas zu verteidigen, zu schützen, was weit über eine neonazistische Tat hinausreicht? Welches Motiv haben Politiker, Ermittler und Journalisten, die ›Einzeltäterthese‹ zu decken? Warum wird bis heute jeder Zusammenhang zur neonazistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ und anderen paramilitärisch organisierten Neonazis (wie den ›Deutschen Aktionsgruppen‹) geleugnet?

Was macht also diesen neonazistischen Mordanschlag in München 1980 so brisant und aktuell?

Der neonazistische Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 wirft lange Schatten – bis in die Gegenwart

Wer glaubt und hofft, vorsätzlich falsche Ermittlungen, Vernichtung von Beweisen, Falschaussagen im Amt, das (Ver-)Decken neonazistischer Strukturen und der politische und mediale Wille, all die zu schützen, beschreiben nur den NSU-VS-Komplex, der sollte sich in gutem Sinnen desillusionieren lassen.

Denn das, was (im besten Fall) als Ermittlungspannen (damals wie heute) ausgegeben wird, wird eben nicht durch ›bedauerliche Zufälle‹ zusammengehalten, sondern durch die Zusammenarbeit aller Behörden und aller politischen Institutionen, die an der (Nicht-)Aufklärung beteiligt waren und sind. Die Hoffnung auf etwas Einmaliges, auf eine Vielzahl von Zufällen dient vielleicht auch dem Schutz vor der Tatsache, dass dies eine lange, ungestörte Kontinuität hat.

Kaum eindringlicher lässt sich dies am Oktoberfestanschlag in München 1980 nachzeichnen.

Aber es gibt noch eine viel wichtigere Überschneidung. Im NSU-Kontext kann man an Details belegen, wo und wie staatliche Behörden den Aufbau eines neonazistischen Untergrundes ermöglicht bzw. nicht verhindert haben. Ob diese vielen Puzzles ein Bild ergeben, ob sie nur ›spontan‹ zusammenwirken oder eine Systematik abbilden, ist noch offen. Auch die Frage, ob und wann staatliches Handeln zentral veranlasst, koordiniert und gedeckt wurde (wie z.B. die Aktenvernichtungen in allen Behörden ab November 2011).

Die Linie zwischen aktiver Unterlassung und passiver Aktivierung eines neonazistischen Untergrundes, zwischen aktivem Gewährenlassen und direkter Unterstützung ist im NSU-Kontext schwer zu ziehen, vor allem im Hinblick auf den Gesamtkomplex.

Ganz anders sieht es hingegen mit dem neonazistischen Terror der 70er und 80er Jahre aus. Was auch damals als schriller Alarmismus und blanke Verschwörungstheorie abgetan wurde, trägt spätestens seit 2013 ein staatliches Hoheitssiegel: Seit über 40 Jahren wurden neonazistische Gruppierungen als legale und terroristische Variante gestärkt und gedeckt und in einen staatlichen Untergrund integriert. Dieser staatseigene Untergrund bekam den Namen ›stay behind‹. Bewaffnet, angeleitet und instruiert wurde er vom Bundesnachrichtendienst/BND.

Das hört sich auch heute noch ungeheuerlich an. Man fühlt sich gleichzeitig an die ›Banalität des Bösen‹ (Hannah Arendt) erinnert, wenn man dazu die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei DIE LINKE liest, die im Plenarprotokoll 17/236 dokumentiert ist. Auf die parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE), »welche eigenen Anstrengungen (…) die Bundesregierung in den letzten 20 Jahren unternommen (hat), um die Beteiligung ihrer Behörden an weiteren Tätigkeiten der besagten ›Gladio/Stay behind‹-Truppe der NATO auszuschließen oder zu bestätigen«, erklärte der Staatsminister Eckard von Klaeden:

»Infolge der weltpolitischen Veränderungen hat der Bundesnachrichtendienst in Abstimmung mit seinen alliierten Partnern zum Ende des 3. Quartals 1991 die Stay-behind-Organisation vollständig aufgelöst.« (Plenarprotokoll 17/236, Anlage Nr.15, S. 64 vom 24.4.2013)

Was hier in einem Satz ad acta gelegt wird, ist keine Verordnung für alte Glühbirnen, sondern die jahrzehntelange Zusammenarbeit von Neonazis und Geheimdienst, mit einer Blutspur, die sich durch ganz Europa zieht.

Ende der 50er Jahre wurde auf NATO-Ebene beschlossen, Faschisten in einem geheimen Programm zu bewaffnen und auszubilden, um sie als irreguläre Einheiten einzusetzen. Das Szenario, das die Wiederbewaffnung von Faschisten in Europa rechtfertigen sollte, ging von einem militärischen Überfall der Sowjetunion auf den friedliebenden Westen aus. Die Faschisten sollten darin die Aufgabe übernehmen, sich ›überrollen‹ zu lassen, um dann hinter den Linien den kommunistischen Feind zu bekämpfen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name dieses Programmes: stay behind. Dazu legte man über die ganze Bundesrepublik verteilt geheime Waffendepots an und unterrichtete die Neofaschisten in Techniken des Nachrichtenwesens und der Sabotage.

In den 70er Jahren passte man das Bedrohungsszenarium den veränderten Bedingungen an. Die ›Russen‹ kamen nicht – aber der Feind, der die ›rote Gefahr‹ ersetzen sollte, war schon da. Durch die zahlreichen Proteste und Bewegungen in Europa im Anschluss an die 68er-Revolten sah man Regierungen oder gar die kapitalistische Ordnung in Gefahr. Was mit legalen Mitteln nicht mehr unterdrückt werden konnte, sollte mithilfe dieser faschistischen Reserve bekämpft werden.
In Italien bekam diese Form des Staatsterrorismus den Namen ›Gladio‹. Faschisten sollten durch gezielte Angriffe auf AntifaschistInnen die Linke schwächen, und durch Anschläge auf linke Parlamentarier ein Klima schaffen, das der Regierung freie Hand dabei geben sollte, Schutzrechte außer Kraft zu setzen oder gar einen Militärputsch zu legitimieren (wie dies als Worst Case geplant war). Hunderte von Toten und Dutzende von Bombenanschlägen gehen auf das Konto dieser ›stay-behind-Operationen‹.

In einigen Ländern wurde die Geschichte dieses Staatsterrorismus politisch aufgearbeitet, zumindest in Angriff genommen, wie in Italien, der Schweiz und zuletzt in Luxemburg.

Und in Deutschland? Hat die lapidare Erklärung der Bundesregierung aus dem Jahre 2013 Entrüstung, Empörung ausgelöst? Wurde auch nur einmal im Parlament die Frage laut gestellt: Wer hat diesen Staatsterrorismus politisch befürwortet und gedeckt? Wer

ist bis heute politisch und strafrechtlich dafür verantwortlich? Welche Terroranschläge tragen die Handschrift von ›stay-behind‹?
Dabei geht es nicht nur um den Oktoberfestanschlag in München, sondern auch um das Attentat auf einen jüdischen Buchhändler in Nürnberg 1980 oder den Brandanschlag auf das jüdische Altersheim und Gästehaus in München 1970, bei dem sieben Menschen ermordet wurden. Anschläge, die bis heute ›unaufgeklärt‹ sind.

Auch wenn die Entscheidung der Bundesanwaltschaft guttut, die Ermittlungen im Fall des Oktoberfestanschlages 1980 wieder aufzunehmen, so wundert doch sehr, dass mit keinem einzigen Wort ein möglicher Zusammenhang zu besagten ›stay-behind‹- Terrorgruppen hergestellt wird.

Die Frage, wer hat diesen Staatsterrorismus ermöglicht und gedeckt, ist nicht nur im Hinblick auf diesen staatseigenen Untergrund von grundsätzlicher Bedeutung. Nicht minder wichtig ist es, öffentlich und vernehmbar die Frage zu beantworten: Warum wurde die Einzeltäterthese bis zuletzt – auf Teufel komm raus – verteidigt? Wohin kommt man, wenn man den zahlreichen Spuren zu weiteren Neonazis folgt?

Wenn heute unbestritten ist, dass (Neo-)Nazis vom deutschen Auslandsgeheimdienst BND in ›stay-behind‹-Operationsgruppen organisiert wurden, dann ist es Aufgabe dieses Geheimdienstes und dieser Bundesregierung, im Detail zu belegen, woran sich diese Terrorgruppen beteiligt haben, woran sie nicht beteiligt waren!

Kann es also sein, dass die Einzeltäterthese nicht von Fakten gedeckt wird, sondern einzig und allein von dem geballten Willen, den Weg zu Mittätern zu versperren, die in Verbindung zu ›stay-behind‹ stehen? Ja.

Gundolf Köhler war nur in den Augen der Ermittlungsbehörden ein Unpolitischer. Um diese Lüge nicht zu gefährden, war man bereit, selbst die Beweislage zu manipulieren: »In Gundolf Köhlers Zimmer in Donaueschingen fanden die Polizisten seinen Wikingjugend-Ausweis – und ließen ihn liegen.« (Vernichtete Spuren – Ermittlungsfehler mit Tradition, BR vom 31.1.2015)

Auch seine engen Verbindungen zur neonazistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann/WGH‹ waren den Ermittlern bekannt, was auch zahlreiche Zeugen zu Protokoll gegeben hatten. Diese Begeisterung ging so weit, dass er selbst eine ›Wehrsportgruppe‹ im Raum Donaueschingen gründen wollte (Bundestagsdrucksache 18/3117, S.17)

Er war nicht alleine am Tatort. Zeugen hatten mindestens zwei weitere Personen an jenem Mülleimer gesehen, in dem die Bombe platziert worden war. Eine Zeugenbeobachtung, die so präzise war, dass sie auch von einem Streit zwischen drei Personen berichten konnte.

Der ehemalige Beamte, der sich jetzt als Zeuge bei Rechtsanwalt Dietrich meldete, würde nicht nur die bisherigen Zeugenaussagen bestätigen. Er würde den Tatablauf um ein entscheidendes Puzzle ergänzen.
Der Beamte war am Tag des Oktoberfestanschlages mit fünf weiteren Arbeitskollegen auf dem Weg zur Wiesn. Kurz vor der Detonation standen sie zusammen vor dem Ausgang des Oktoberfestes. In dieser Zeit beobachtete er »einen jungen Mann, der zunächst zu einem schwarzen Auto gegangen sei, das am Bavariaring geparkt war. Darin sollen vorne zwei, hinten mindestens eine Person gesessen haben. Mit diesen habe er durch das heruntergekurbelte Fenster gesprochen. Dann sei der Mann, den er bis heute sicher für Gundolf Köhler hält, zu jenem Papierkorb gegangen, in dem dieser den Ermittlungen zufolge die Bombe zündete.« (SZ vom 8.12.2014)

Kurze Zeit später detonierte die Bombe. Dass der Beamte diesen Anschlag überlebt hatte, verdankte er einer Person, die vor ihm stand und durch die Wucht der Explosion auf ihn fiel – und wenig später an den schweren Verletzungen starb. Diesem tragischen Umstand verdankt er, dass ihn ›nur‹ einige Metallsplitter trafen, die er bis heute mit sich herumträgt.
Genauso lang trägt er den Ärger mit sich herum, dass seine damaligen Aussagen keinen Eingang in die Ermittlungen gefunden hatten – im Gegenteil: sie störten nur: »Doch jetzt will er sich mit dem Vergangenen auseinandersetzen – damit den 13 Toten und 211 Verletzten des Anschlags mit einer neuen Suche nach den Hintergründen der Tat Gerechtigkeit widerfahren kann.« (s.o.)

Lassen sich seine Aussagen verifizieren, dann müssten Polizei und Staatsanwalt die Frage beantworten, warum sie diesen Aussagen, die der Beamte bereits damals gegenüber der Polizei gemacht hatte, nicht nachgegangen sind. Außerdem müssten sie eine Erklärung dafür finden, warum sich nach Kenntnis des Rechtsanwaltes diese Aussagen nicht mehr in den Ermittlungsakten finden, was einer Manipulation von Ermittlungserkenntnissen gleichkäme.

Auch die Spezifika der Bombe könnten zu Mitwissern führen. Belegt ist, dass es sich um militärischen Sprengstoff handelte. Genau dieser Spur ging ein ›Frontal 21‹-Beitrag vom 25.3.2014 nach: »Am 27. September, einen Tag nach dem Anschlag in München, sagten zwei deutsche Rechtsextremisten bei der bayrischen Polizei aus. Sie wiesen auf einen Gleichgesinnten hin, auf Heinz Lembke, einen Förster aus Uelzen. Die Neonazis machten klare Angaben: ›Herr Lembke zeigte uns verschiedene Sprengstoffarten, Zünder, Lunten, Plastiksprengstoff und militärischen Sprengstoff … Er sagte uns, dass er mehrere Waffenverstecke im Wald habe.‹«

Obwohl die Ermittler sowohl von diesen Aussagen wussten als auch Kenntnis davon hatten, dass Heinz Lembke »enge Kontakte zur WSG Hoffmann« (taz vom 7.8.2009) und zu verschiedenen neonazistischen Organisationen hatte, unternahmen sie lange nichts.

Ein Jahr später, im Oktober 1981, wurde man – dank eines Waldarbeiters – rund um die Försterei Lembke fündig: Auf über 30 Erddepots verteilt wurden u.a. 156 Kilo militärischer Sprengstoff, 230 Kilo Sprengkörper, 256 Handgranaten, 50 Panzerfäuste entdeckt.
Heinz Lembke arbeitete anhand einer von ihm selbst erstellten Liste beim Auffinden dieser Waffenlager bereitwillig mit, bis auf ein Depot, das die Nummer 82 trug: »Er verweigerte die Lokalisierung eines als Depot 82 bezeichneten Verstecks, weil dessen Inhalt geeignet sei, andere Personen zu belasten. Dieses Versteck konnte nicht aufgefunden werden.« (Bundestagsdrucksache 18/3117, S.7)

Liest man die Antwort der Bundesregierung aufmerksam, müsste man doch die Frage stellen: Warum wurde das Depot Nr. 82 nicht gefunden? Denn selbst wenn Herr Lembke hier nicht mitgearbeitet haben soll, wäre es doch ein Leichtes, anhand der Liste und der dort verzeichneten Lokalisierungsdaten, das Depot zu finden.
Hatten der Neonazi Lembke und die Ermittler ein gemeinsames Interesse daran, genau jenes Depot nicht zu finden, das zu weiteren Beteiligten führen würde? Die Spekulation darüber könnte sehr schnell beendet werden, indem man die Liste öffentlich zugängig macht und dabei von unabhängigen Gutachtern überprüfen lässt, ob an diesem Originaldokument Manipulationen vorgenommen wurden.

Wer dermaßen kalkuliert kooperiert, hat nicht mit dem Leben abgeschlossen. Genau das soll aber passiert sein:

»Nach seiner Verhaftung kündigt Lembke an, seine Hintermänner zu nennen. Doch dann fand man ihn erhängt in seiner Zelle (s.o.)

Wenn man sich die Dimension dieser paramilitärischen Anlage vergegenwärtigt, dann deckt sich all das mit der Infrastruktur der stay-behind-Operationen, die für Sabotageaktionen klandestine Waffen- und Sprengstoffdepots angelegt hatten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Lembke nicht nur für Neonazis, sondern im Auftrag des BND diese Depots angelegt hatte, ist naheliegend. Dann war er auch Angestellter dieser staatlichen Terrorgruppen.

Aus diesem Grunde wurde in einer Kleinen Anfrage (Bundestagsdrucksache 18/3117) auch die Frage gestellt, welche Beziehungen Heinz Lembke zu stay-behind-Operationsgruppen unterhielt. Die Antwort darf man als vorsätzliche Lüge bezeichnen: »Zu dieser Frage (…) liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.« (S. 14)

Denn bei der nächsten Frage, ob Heinz Lembke als V-Mann oder auf eine ähnliche Weise für den Geheimdienst tätig war, schnellten die Schutzinteressen des Staates so dermaßen in die Höhe, dass die Rechte des Parlaments darunter begraben wurden. Dabei greift die gängigste und auch hier lang ausgeführte Schutzbehauptung, man habe ggf. die Unversehrtheit eines ›V-Mannes‹ zu schützen, nicht wirklich. Er ist bereits sehr lange tot. Was vielmehr – bis heute – gedeckt wird, sind staatsterroristische Strukturen.

Ob sich hier ein Kreis schließt, kann u.a. der BND bzw. das Bundeskanzleramt beantworten, indem sie alle Unterlagen zu stay-behind freigeben und endlich Aufklärung darüber betreiben, welche Neonazis und welche neonazistischen Organisationen in ihrem staatseigenen Untergrund integriert waren. Dazu zählt auch, die politische und juristische Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Bundesregierung bis heute keine Ahnung habe, was mit dem Waffenarsenal passierte, als man Ende 1991 ›stay-behind‹ für aufgelöst erklärte.

Wenn statt Sabotage der Ermittlungen Aufklärung betrieben werden würde, könnte anhand der ›stay behind‹ -Akten auch geklärt werden, ob die von Lembke angelegten und verwalteten Waffendepots zum Bestand dieser staatsterroristischen Struktur gehört haben.

Der Nebel, der über dem Oktoberfestanschlag liegt, ist kein Naturereignis

Die Bundesanwaltschaft hat vor über fünfzehn Monaten an das Bundeskanzleramt, den Bundesnachrichtendienst und den Inlandsgeheimdienst/VS eine lange Liste an Suchbegriffen geschickt –

„von Karlheinz Hoffmann, dem Anführer der paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann, mit der Gundolf Köhler trainierte, bis hin zum Neonazi Heinz Lembke, der im Verdacht stand, den Sprengstoff für das Attentat geliefert zu haben. Lembke erhängte sich in seiner Zelle, kurz bevor er vor einem Staatsanwalt aussagen sollte. In seinen Akten steht der Sperrvermerk ‚Nur zum Teil gerichtsverwertbar’, was auf eine V-Mann-Tätigkeit schließen lässt.“ (SZ vom 12.5.2016)

Die Bundesregierung hat bereits geantwortet und sich geweigert. Sie untersagt es, die Klarnamen der V-Leute zu nennen, die möglicherweise zur Tataufklärung beitragen könnten, „weil angeblich immer noch Leib und Leben der früheren V-Leute bedroht sein könnten“. (s.o.)

Dass „Leib und Leben“ von betagten V-Männern schützenswerter sind als die Aufklärung eines neonazistischen Terroranschlages, ist heute keine Aufregung mehr wert.
Auch der BND hat Medienberichten zufolge Akten geliefert, wobei das Wichtigste fehlt: die Namen der V-Leute. Sie sind geschwärzt worden.

Die abgestufte Aufklärungssabotage komplettiert der Inlandsgeheimdienst. Er sucht bis heute nach den angeforderten Akten. Das liegt wahrscheinlich am Nebel.

Weitere Quellen:

Mein Kommentar: Die Psychoanalyse lehrt, dass das Verdrängte, Verheimlichte wiederkehrt, in immer kränkerer Form, solange bis es aufgedeckt wird.

Jochen