Arbeiterfeind W.Clement gibt INSM-Ausbeutungsbibel heraus, SPD-Gabriel schwenkt das Weihrauchfass dazu

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Der bekennende Feind unnützer Esser, ehemals Superentsolidarisierungsminister der SPD, Wolfgang Clement, gibt mit massiver propagandistischer Unterstützung von Gabriel ein Märchenbuch der INSM heraus – Thema: „Was uns Kapitalisten stark und die Arbeiter schwach macht“.
Gabriel_Clement2001Wie immer wird nicht gefragt, was für wen gut ist. Jeder Arbeiter kann sich aber gerne über die aufgehende Schere zwischen Lohneinkommen und Unternehmergewinnen machen.
Kai van de Loo kommentiert hier:

„Das Deutschland-Prinzip“: Die merkwürdige wirtschaftspolitische Rezeptur der INSM

http://www.nachdenkseiten.de/?p=26718
Auszüge:

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die sich selbst als „überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ zur Werbung für die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet und von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, hat ein neues Buch mit dem Titel Das Deutschland-Prinzip. Was uns stark macht vorgestellt. Das Buch versteht sich laut INSM als „Impuls für die zentrale Debatte über die richtigen Weichenstellungen, die Deutschlands Erfolg und Wohlstand auch in Zukunft sichern sollen“ und will die „Prinzipien… der Erfolgsgeschichte“ der deutschen Volkswirtschaft hervorheben. Kai van de Loo unterzieht die wirtschaftspolitische Rezeptur des „Deutschland-Prinzips“ dieser PR-Organisation der Arbeitgeber einer kritischen Analyse.

Offizieller Herausgeber des Buches ist der gegenwärtige Kuratoriumsvorsitzende der INSM (und Ex-SPD-Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Ex-NRW-Ministerpräsident/Minister und heutige FDP-Wahlkämpfer als „Sozialdemokrat ohne Parteibuch“) Wolfgang Clement. Die öffentliche Vorstellung des Buches erfolgte am 3. Juli in Berlin im Beisein und mit einer persönlichen Begleitrede des aktuellen Bundeswirtschaftsministers, Vizekanzlers und SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel.
Clement und Gabriel zeigten dabei auf dem Podium ein großes Maß an Übereinstimmung und „spielten sich die Bälle zu“, so etwa berichtet es SPIEGEL online.
Herr Gabriel lobte sehr, dass „wir mal darüber reden, was gut ist in unserem Land“, und dass es sich beim „Deutschland-Prinzip“ um „ein wirklich gutes Buch“ über die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft handelt, das er, wäre er noch Politiklehrer, sogar „im Unterricht einsetzen“ würde. (Über die Buchpräsentation und Gabriels Auftritts wurde u.a. berichtet auf handelsblatt.com, und spiegel.de)

Dies sind aus Sicht eines kritischen, den Grundwerten der Sozialdemokratie grundsätzlich nahe stehenden Ökonomen, der Volkswirtschaftslehre auch unterrichtet, schon genügend Gründe, um sich das Buch und seine wirtschaftspolitische Rezeptur einmal näher anzuschauen.

Deutschland, eine Erfolgsgeschichte aus Prinzip (laut INSM)

Das Buch ist sehr dick (480 Seiten) und vom Stoff an sich recht vielseitig angelegt. Es enthält zahleiche Beiträge (Analysen, Kommentare, Interviews, Reportagen etc.) zu unterschiedlichen Themen eines illustren Autorenkreises, darunter u. a. je sechs deutsche Bundesminister und Ministerpräsidenten, EU-Kommissionspräsident Juncker, Bundesbankpräsident Weidmann, CDU-Generalsekretär Tauber, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag Hofreiter, , die Ökonomie-Professoren Hüther und Sinn, taz-Chefredakteurin Pohl und BILD-Chefredakteur Diekmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Marx, ferner diverse Unternehmer und Manager, Journalisten, Schauspieler und Sportler. Insgesamt sind 178 – laut INSM – „kluge Köpfe“ vertreten.
Die Beiträge sollten aus der jeweiligen Autorensicht beschreiben, „warum es Deutschland so gut geht und wie das so bleiben kann.“ Wie schon der Titel des Buchs ein recht selbstgefälliger Anspruch, denn dass es unserem Land so gut geht und ob Eliteweisheiten auch die ganzen Bevölkerung dienen, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. (Das ist jedoch keine Aussage über die Güte einzelner Beiträge.) Hier soll allerdings nicht auf die sehr unterschiedlichen Einzelbeiträge des Buches eingegangen werden, sondern aus volkswirtschaftlicher Perspektive auf die fünf wesentlichen Elemente bzw. „Erfolgsfaktoren“ des „Deutschlands-Prinzips“, die von der INSM gesondert herausgearbeitet worden sind und auch in einer gesonderten Broschüre dargestellt werden.

Um es vorwegzunehmen: Diese fünf Erfolgsfaktoren sind vom fachlichen Gehalt sehr dünn und im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Implikationen, zurückhaltend formuliert, sehr einseitig. Sie beinhalten ein wirtschafts- bzw. neoliberales Weltbild, das zudem sehr einfach gestrickt wird.
Eigentlich erkläre sich das „Deutschland-Prinzip“ von selbst und sei ganz einfach, so der Kuratoriumsvorsitzende Clement, in der INSM-Pressemitteilung: „Innovationen, Freiheit, offene Grenzen und Solidarität sind die Grundlagen unserer Wirtschaftskraft und damit unseres Wohlstands.“ Deutschland habe „nicht zufällig Erfolg, sondern aus Prinzip, dem Deutschland-Prinzip.“ Eben darauf gründe sich die „Wirtschaftskraft des Exportweltmeisters“.
Im Vorwort der Broschüre heißt es zur Erläuterung dieses Deutschland-Prinzips: „Ein guter Wirtschaftsstandort schafft gute Arbeit und die Voraussetzungen für soziale Gerechtigkeit. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist Deutschland gestärkt aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen.“ (Eine Aussage, die nahezu wörtlich zum Repertoire unserer Bundeskanzlerin gehört.)
Das „Deutschland-Prinzip“ bedeutet demnach, der Wirtschaftsstandort Deutschland ist prinzipiell richtig gepflegt worden, andere haben das wohl nicht so getan. Doch was an dieser Standortpflege nun deutschlandspezifisch ist oder wodurch Deutschland sich von anderen so prinzipiell unterscheidet, wird gar nicht erklärt. Inwiefern „Deutschland“ wirklich gestärkt aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen ist und woran das zu messen ist, auch nicht. Und ob es vielleicht einen direkten Zusammenhang gibt, weshalb es Deutschland volkswirtschaftlich derzeit in mancher Hinsicht besser geht und anderen europäischen Ländern schlechter, wird ebenfalls nicht untersucht.
Wohl aber wird verdeutlicht, wie die INSM die zuvor genannten Erfolgskriterien aus ihrer Anschauung heraus füllt und welche Botschaften sie verkünden will.

Bevor auf die Einzelheiten eingegangen wird, ist festzustellen, dass es etliche wichtige Aspekte gibt, über die man zwar in dem einen oder anderen Gastbeitrag des Buches etwas Gescheites findet, aber trotz der evident großen Bedeutung und teilweise enormen Aktualität schlicht nichts in den INSM-Ausführungen zum „Deutschland-Prinzip“ und der Erfolgsgeschichte des Wirtschaftstandortes Deutschland. Dazu gehören beispielsweise die Fragen der wirtschaftlichen Zukunft Europas und der Währungsunion, die Ursachen und Folgen der internationalen Finanzkrise, die Nachhaltigkeit unseres heutigen Wirtschaftsmodells, die große Exportlastigkeit des deutschen Wirtschaftswachstums und das dadurch enorme außenwirtschaftliche Ungleichgewicht, die hierzulande keineswegs bewältigte Massenarbeitslosigkeit und die Prekarisierungstendenzen am deutschen Arbeitsmarkt, der geringe volkswirtschaftliche Produktivitätsfortschritt, der langjährige Niedergang der Investitionsquote in Deutschland und die auch hier große und tendenziell zunehmende Schieflage in der Einkommens- und Vermögensverteilung … Aber es soll ja eben über die positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und die Stärken unserer Volkswirtschaft informiert werden.
Auch was die großen volkswirtschaftlichen Herausforderungen für die Zukunft angeht, benennen Herr Clement und die INSM keinen der vorgenannten Aspekte, sondern explizit nur diese drei: „Demografie“, „Vernetzung und Digitalisierung“ sowie den „Fachkräftemangel“ bzw. dessen Behebung durch Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Aktuell besondere Sorgen bereiten aus Sicht der INSM (bzw. der von ihr repräsentierten Teile der Wirtschaft) außerdem die Bürokratie, die Regulierung, die „Umverteilung“ oder die hohen Energiekosten.
Als Volkswirt könnte man es an dieser Stelle gleich so sagen: Viele echte volkswirtschaftliche Probleme interessieren die INSM anscheinend kaum oder sie will sie „prinzipiell“ nicht thematisieren, schon gar nicht makroökonomische Fragestellungen, Probleme und Zusammenhänge, die über übliche Unternehmerperspektiven hinausgehen.
Das „Deutschland-Prinzip“ beinhaltet also volkswirtschaftlich eine stark eingeschränkte Sichtweise.

Dafür werden als volkswirtschaftliches Erfolgsrezept die fünf sog. Erfolgsfaktoren des „Deutschland-Prinzips“ als miteinander verzahnte, vorgeblich tiefe ökonomische Grundeinsichten widerspiegelnde Leitgedanken der Sozialen Marktwirtschaft präsentiert, und zwar im Originalwortlaut wie folgt:

  • Wohlstand entsteht aus Wirtschaftskraft“
  • „Wirtschaftskraft entsteht durch Innovation“
  • „Innovation braucht Freiheit“
  • „Freiheit wächst mit Europa und der Welt“
  • „Die Soziale Marktwirtschaft macht unser Land gerecht“

Diese fünf Erfolgsfaktoren sollen nun unter die Lupe genommen und fachlich einmal genauer mit dem abgeglichen werden, was man in volkswirtschaftlichen Standardlehrbüchern dazu nachlesen kann. Dabei zeigt sich, wie wenig Substanz die wirtschaftspolitische Rezeptur der INSM besitzt.

Einzelbetrachtung der Erfolgsfaktoren

„Wohlstand entsteht aus Wirtschaftskraft“

Die INSM erläutert: „Nur mit einer wachsenden Wirtschaft verbessern sich die Lebensbedingungen für alle.“ Und danach heißt es: „Mit dem Bruttoinlandsprodukt steigt der Wohlstand: Die Haushalte haben nicht nur mehr Vermögen, sondern können sich auch von ihrer Arbeit mehr leisten.“

Eigentlich eine Binsenweisheit. Doch abgesehen davon dass Wohlstand i.S.v. Lebensqualität keineswegs nur vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) abhängt, da viele Wohlstandsfaktoren (wie Gesundheit, Freizeit, Autonomie, Zufriedenheit, Umwelt etc.) gar nicht unmittelbar im BIP erfasst werden, ist die vorgenannte Aussage auch nur dann so pauschal richtig, wenn das BIP und sein Zuwachs über steigende Arbeitseinkommen entsprechend breit verteilt werden und keine Arbeitslosigkeit herrscht.
Ob aus dem Einkommenszuwachs auch Vermögen gebildet werden kann (und von wem hauptsächlich), ist eine zweite Frage. Auf beide Fragen geht die INSM nicht ein.
Es ist ebenfalls zu eng, Wirtschaftskraft allein mit dem BIP gleichzusetzen, denn das BIP kann zumindest kurz- und mittelfristig auch aus Gründen steigen, die langfristig eine Schwächung der Wirtschaftskraft bedeuten (Unfallereignisse, Rüstungsproduktion, Umweltverschmutzungen, Finanzmarktblasen, Lohndumping etc.)
Gleichzeitig kann es eine Reihe von Faktoren der Wirtschaftskraft im Sinne des volkswirtschaftlichen Produktionspotenzials geben, die im aktuellen BIP nicht zum Tragen kommen, etwa aufgrund einer Konjunktur- oder Strukturkrise, durch die vorhandene Kapazitäten brach liegen.

An anderer Stelle wird der Zusammenhang von Wirtschaftskraft und Wohlstand von der INSM historisch zu belegen versucht: „Immer wieder war es die Wirtschaftkraft, die in Deutschland für mehr Wohlstand gesorgt hat: mehr Steuern, mehr Beschäftigung, mehr Spielraum für sozialen Ausgleich. Diese Formel der Sozialen Marktwirtschaft zeigte ihre Wirkung erstmals in der langen Aufbauphase nach dem Krieg, dann wieder nach der Wiedervereinigung und zuletzt in den Wirkungen der Agenda 2010.“

Ausgerechnet die Agenda 2010 in ihre Bedeutung und Tragweite mit dem ordnungspolitischen Grundkonzept der Sozialen Marktwirtschaft und der außerordentlichen wirtschaftlichen Wiederaufbauleistung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gleichzusetzen, mag eine Interpretation sein, die sich speziell Herr Clement als einer der Hauptprotagonisten wünscht; in der Fachwelt ist bisher niemand so weit gegangen, denn es lässt sich sachlich nicht begründen, unabhängig von den sehr kontroversen Einschätzungen der Wirkungen der Agenda 2010.
Außerdem hat gestiegene Wirtschaftskraft nicht nur in Deutschland auch schon lange vor 1945 und in allen Zeiten danach für mehr Wohlstand gesorgt. Nicht zuletzt in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren, die hier von der INSM ausgeblendet werden. (Obwohl die Broschüre auch mit Fotos der früheren Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt bestückt ist.)

Zustimmen kann man der INSM, dass das Wirtschaftswachstum und gestiegene Wirtschaftskraft i.d.R. mehr Steuern, mehr Beschäftigung und mehr Spielraum für sozialen Ausgleich bedeuten. Ob Letzterer genutzt wurde und wird, ist damit jedoch nicht gesagt.
Das Steueraufkommen hängt natürlich nicht nur von der Wirtschaftsentwicklung, sondern auch vom Steuersystem und den damit verfolgten wirtschafts- und finanzpolitischen Zielen ab. Und auf den Beschäftigungsstand wirken weitere Einflussfaktoren ein, insbesondere die jeweilige Arbeitsmarktpolitik.

Die INSM wartet ferner mit einigen Zahlen als Beleg für den Wohlstandseffekt der Sozialen Marktwirtschaft auf und präsentiert dazu das BIP sowie das Bruttovermögen privater Haushalte der Jahre 2013 und 1991. Beide Größen verzeichnen einen Zuwachs um den Faktor +/- 2 herum. Gewiss eindrucksvoll, aber keineswegs deutschlandspezifisch – ein ähnliches Wachstum dieser Größen gab in vielen Teilen der Welt. Bei den INSM-Angaben handelt es sich außerdem um eine Darstellung reiner Nominalwerte, also ohne Berücksichtigung der Inflationsrate, weshalb damit nicht das reale Wachstum ausgewiesen wird, das beträchtlich kleinere Werten aufzeigt.
Überdies findet weder ein längerfristiger historischer noch ein internationaler Vergleich statt, anhand dessen man diese Zahlen vernünftig einordnen kann.

Die INSM springt dafür abrupt in die Gegenwart, und um zu belegen, wie gut die Situation der deutschen Volkwirtschaft heute sei, und verweist auf die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 30,2 Millionen, die „so hoch wie nie zuvor“ ist, sowie auf den Anstieg der Reallöhne , die „seit 2012 um 3,1% gestiegen“ sind. Damit soll wohl – eine eigene, doch nahe liegende Interpretation, explizit wird das nicht gesagt – zum Ausdruck gebracht werden, dass die angesprochene Agenda 2010 die Beschäftigung in Deutschland wieder erhöht hat (übrigens wird die noch stärker gestiegene nicht-sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht erwähnt, wohl um die Aufmerksamkeit auf den Zuwachs „guter Arbeit“ zu lenken) und dass nun sogar kräftige reale Lohnzuwächse (jetzt wird auf einmal auch real gerechnet) erreicht werden können.
Warum und um wie viel die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland vorher geringer war, erfährt man nicht, auch nicht, wieso die Löhne erst seit wenigen Jahren wieder real steigen und weshalb in der ganzen Zeit seit Mitte der 1990er Jahre – in denen auch der Rahmen der Soziale Marktwirtschaft bestand – eine so lange Durststrecke der realen Lohneinkommen zustande gekommen ist.
Der Anstieg der Reallöhne hat überdies auch mit der niedrigen Inflation zu tun und weshalb die INSM den Anstieg ausgerechnet seit 2012, dh. für einen Dreijahreszeitraum (3,1% beträgt der reale Anstieg der Bruttolöhne im Zeitraum 2012 bis 2014 insgesamt) bleibt unerfindlich, es sei denn, es sollte für eilige Leser der Eindruck erweckt werden, es handele sich um eine jährlichen Reallohnzuwachs – dieser war seit 1992 niemals so hoch).
Kein Wort widmet die INSM der Prekarisierung am Arbeitsmarkt und dabei auch bei der von ihr herausgestellten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung etwa durch die Ausweitung von Zeit- und Werkverträgen. Sie äußert sich auch mit keinen Wort zu der zwar quantitativ verminderten, aber noch immer bestehenden Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bzw. der permanenten Verletzung des Ziels der Vollbeschäftigung in Deutschland.
Die Zahl der registrierten Arbeitslosen liegt bei 2,8 Millionen (davon 2,0 Millionen in Westdeutschland – hier ist die Arbeitslosenzahl 2015 immer noch höher als 1990 und auch 1980!) , die offizielle Zahl der „Unterbeschäftigten“ (d.s. die zusätzlich arbeitslos Gemeldeten in Arbeitsgelegenheiten, Qualifizierungsmaßnahmen, Krankheit etc.) liegt bei 3,7 Millionen und weitere rd. 3 Millionen Erwerbstätige würden nach der jüngsten Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes mehr arbeiten als sie es tun, überwiegend weil sie bislang nur Teilzeitarbeitsverhältnisse haben. Manche Regionen Deutschlands, nicht nur im Osten, haben auch heute noch zweistellige Arbeitslosenquoten, bundesweit ist diese seit mehr als 30 Jahren nicht unter 6 % gesunken. Offenbar schöpft Deutschland sein Arbeitskräftepotenzial bei weitem nicht aus.

Ebenso wenig sagt die INSM etwas zur heutigen Qualität der Arbeitsplätze und der Produktivität der Arbeitskräfte. Wie kommt es eigentlich, dass es in Deutschland schon seit einiger Zeit neue Rekorde der Beschäftigung und der Zahl der Erwerbstätigen gibt, aber das Arbeitsvolumen 2014 immer noch geringer war als 1992, dass trotz der größeren Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte das BIP nur so schwach wächst (1,6% in 2014, aber bloß 0,1% in 2013 und 0,4% in 2012, seit dem Inkrafttreten der Agenda 2010 im Jahr 2005 waren es im Durchschnitt knapp 1,3% p.a.) und dass die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen in den letzten Jahren teilweise sogar rückläufig war?
Stimmt hier vielleicht etwas nicht mit der so gepriesenen deutschen Wirtschaftskraft?

„Wirtschaftskraft entsteht durch Innovation“

Gerade technologische Innovationen hätten Deutschlands Wirtschaft stark gemacht (was keineswegs falsch ist, aber sicherlich nicht für alle Bereich gilt, denn auch in Deutschland wurde und wird technologisch kopiert und adaptiert), und seine Wirtschaftskraft begründet.
Die INSM präsentiert dazu ein Länderranking der „Innovationskraft“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (hier eine unparteiische Quelle?), wonach Deutschland international 2012 auf dem sechsten Rang lag, und vergleicht das deutlich höhere Pro-Kopf-BIP der innovationsstärksten Länder in diesem Ranking mit dem der Innovationsschwächsten. Was die vor Deutschland liegenden Länder (Finnland, Schweiz, Südkorea …) in der Innovationspolitik ohne „Deutschland-Prinzip“ besser gemacht haben, wird jedoch nicht erläutert.

Doch der INSM geht es vor allem um die Zukunft. Damit sich unsere Lebensbedingungen in Deutschland weiter „so positiv“ entwickeln können, „müssen die Voraussetzungen für wirtschaftliche Wertschöpfung durch Innovation und Produktion stimmen“, fordert sie und sieht zugleich im „Fortschritt Deutschlands wichtigsten Rohstoff“, denn unser Land habe „kaum Bodenschätze“ (was so nicht stimmt, denn rd. drei Viertel der mineralischen Rohstoffe werden aus heimischen Lagerstätten gewonnen – importiert werden müssen hauptsächlich Erdöl und Metallerze).
Gemäß den Berechnungen des Sachverständigenrates Wirtschaft würden rd. 60% des Wachstums der kommenden Jahre vom technologischen Fortschritt getragen.
Unklar bleibt bei der INSM, wie hier technologischer Fortschritt genau definiert ist, ob er mit den vorher thematisierten Innovationen, also eigenen Marktneuheiten der deutschen Wirtschaft bei Produkten, Verfahren oder Organisationsformen gleichzusetzen ist und welche Prämissen die Prognose des Sachverständigenrats sonst noch gemacht hat; klar ist dagegen, dass das Wachstum in Deutschland voraussichtlich nicht durch starken Zuwachs an Realkapital mittels Sachinvestitionen, Bevölkerungswachstum oder Erschließung neuer Territorien und Rohstoffvorkommen kommen wird, womit der technologische und technisch-organisatorische Fortschritt als fundamental einzige Möglichkeit bleibt.

Die INSM sieht diese „Grundlage“ indessen als „in Deutschland gefährdet“ an, weil andere Länder technologisch aufgeholt haben und Innovationen nicht die nötige Unterstützung in Deutschland finden. Beleg sei, dass die Patentanmeldungen 2013 in allen patentstarken Ländern außer Deutschland gestiegen sind.
Nun sind technologische Vorsprünge gewiss ein Vorteil für die Gewinnerzielung, aber nicht Voraussetzung für volkswirtschaftlichen Wohlstand insgesamt. Wenn andere Länder technologisch aufholen, bedeutet das zugleich doch auch wachsende Märkte und Absatzmöglichkeiten für deutsche Technologieprodukte. Und es bedeutet einen intensivierten Wettbewerb, der den Fortschrittsprozess weiter antreibt. Demgegenüber sind die Patentanmeldungen in einem Einzeljahr wenig aussagekräftig und kein Nachweis, dass Innovationen (die patentgeschützten und anderen Erfindungen nachlaufen) nicht die „nötige Unterstützung“ (von der Politik oder der Gesellschaft?) finden. Was die nötige Unterstützung wäre, bliebe ohnehin zu klären.

„Innovation braucht Freiheit“

Die INSM erläutert im Anschluss an die Ausführungen zur Bedeutung von Innovationen dann, dass neue Ideen nur wirtschaftliche Realität werden können, wenn der Staat nicht „überreguliert“ und dass „weniger Bürokratie mehr Neuentwicklungen“ bedeuten würde.
Vor allem Unternehmen forschungsstarker Branchen würden staatliche Überregulierung als Hindernis für neue Produkte betrachten. Gleichzeitig würden sich besonders kleine Unternehmen, die oft Marktneulinge und damit besonders innovativ sind, durch bürokratische Vorgaben eingeschränkt sehen. Ein Silicon Valley sei schon deshalb „in Deutschland nicht vorstellbar, weil die berühmten Garagen wegen angeblicher Mängel beim Brandschutz und der Beleuchtung geschlossen würden.“

Das einzige konkrete Beispiel, das die INSM hier anführt, ist ebenso polemisch wie hypothetisch. Bei allen andern Aussagen fehlen klare Beispiele oder Kriterien.
Zweifellos gibt es lästige und manchmal überflüssige Bürokratie sowie Erscheinungsformen einer Überregulierung, die auch sinnvolle wirtschaftliche Aktivitäten einengen. Doch es gibt es ebenso einleuchtende und volkswirtschaftlich gut begründbare bürokratische Anforderungen sowie fatale Erfahrungen mit Unterregulierungen (vom Pharma- bis zum Finanzsektor).

Die Nachhaltigkeit von Innovationen setzt mitunter voraus, dass sie nicht beliebige Entfaltungsmöglichkeiten haben, sondern bestimmte Hürden übersprungen und Rahmenbedingungen eingehalten werden. Der zuvor von der INSM angeführte Patentschutz, das Erfindermonopol, beinhaltet z.B., dass die Freiheit von Nachahmern jedenfalls befristet eingeschränkt wird. Die INSM lässt die sachlich nötige Differenzierung vermissen.

Es ist ja keineswegs falsch, dass Innovationen Freiheitsspielräume brauchen. Doch den großen Begriff der „Freiheit“ auf die möglichst freie Entfaltung wirtschaftlicher Neuerungsaktivitäten zu verengen, ist schon allein unter ökonomischen Gesichtspunkten unhaltbar.
Außerdem brauchen Innovationen nicht nur Freiheit von staatlichen Beschränkungen, sondern u. a. auch offene, nicht-vermachtete und nachfrageseitig aufnahmefähige Märkte, günstige Bedingungen für die Finanzierung und vielfach staatliche Grundlagenforschung und FuE-Förderung.

Hemmnisse für Innovationen durch Formen der Bürokratie und Dirigismus gibt es übrigens nicht nur durch den Staat, sondern auch auf privater Ebene, gerade in manchem Großunternehmen. Auch die deutsche Metall- und Elektroindustrie dürfte da kaum eine Ausnahme sein.

„Freiheit wächst mit Europa und der Welt“

Hier heißt es zunächst, die Globalisierung und der Freihandel machten Deutschland stärker und ohne Zugang zu internationalen Märkten wäre unser reales Pro-Kopf-Einkommen um 50% geringer. Wie das abgeschätzt worden ist, wird nicht erklärt.
Ökonomen wissen seit Ricardo um die möglichen Vorteile des internationalen Freihandels und auch um dessen Beschränkungen. Diese gelten für alle Länder.
Für den internationalen Handel gibt es diverse bi- und multilaterale institutionelle Regelungen, wie etwa die WTO, auf europäischer Ebene die Binnenmarktregelungen.
Ein spezifisches „Deutschland-Prinzip“ erschließt sich daraus gerade nicht. Richtig ist, dass die deutsche Volkswirtschaft inzwischen eine Exportquote von über 50% aufweist, und Autarkie eine total unrealistische, hypothetische Annahme wäre. Unter welchen Bedingungen der internationale Handel

Die INSM setzt allerdings im nächsten Gedankenschritt den Freihandel mit Freiheit gleich, die mit der Globalisierung immer weiter wachse (jetzt nicht als Freiheit zur Innovation, sondern als Freiheit zum Exportieren und Importieren und grenzüberschreitenden Investieren), und sie schiebt an dieser Stelle sofort ein Plädoyer für das zwischen der EU und den USA geplante Freihandelsabkommen TTIP hinterher, wodurch „die Exporte in die USA langfristig um ein Drittel steigen“ könnten (diesmal ohne eine Quelle für diese Schätzung anzugeben). Erneut wird der Freiheitsbegriff unzulässig verengt.
Auf die Streitpunkte und Probleme bei TTIP wird überhaupt nicht eingegangen. Die Absicht dahinter ist leicht zu erraten und verstimmt.

Die INSM schneidet in diesem Kontext noch einen weiteren grundlegenden und aktuellen Gesichtspunkt an. Sie spricht sich ausdrücklich für mehr Zuwanderung aus, allerdings jetzt nicht aus Gründen der Freiheit, sondern wegen der wirtschaftlichen Nützlichkeit: Zuwanderer sorgten für Wachstum, sicherten gemeinsam „mit uns“ (den alteingesessenen Einwohnern) den Wohlstand in Deutschland und stärkten unser „Wirtschaftssystem“ (hier hätte die INSM allerdings zutreffend sagen müssen: „unsere „Wirtschaftskraft“, zumal sie das System ja eben unverändert lassen will).
Und warum ist da so optimistisch? „Produzieren für die Weltmärkte braucht … Menschen mit internationalen Wurzeln.“ Hier habe Deutschland „Potenzial“, denn es sei „unter Zuwanderern so beliebt wie nur noch die USA“ und der Anteil derjenigen Ausgebildeten mit Hochschulabschluss sei bei den Zuwanderern (mit 29%) größer als bei den Deutschen („nur“ 19%). Woran das liegen mag, wird von der INSM nicht erörtert.

„Die Soziale Marktwirtschaft macht unser Land gerecht“

Laut INSM hat in Deutschland „jeder … die gleichen Chancen“, nämlich „die Möglichkeit, zum Wohlstand beizutragen und an ihm teilzuhaben“.
Über die Unterschiede im Umfang dieser Beitrags- und Teilhabemöglichkeiten sowie in deren Relationen sagt die INSM indes nichts, sprich: Verteilungsfragen werden beim Thema Gerechtigkeit von ihr gar nicht thematisiert.

Dagegen behauptet die INSM ausdrücklich, die Soziale Marktwirtschaft ermögliche „jedem … zugleich ein Leben in Würde“ und führt dazu an: „Während das Einkommen im EU-Schnitt bei fast jedem dritten Haushalt nicht ausreicht, kommen in Deutschland 91% gut zurecht.“
(Als Quelle für diese Aussage wird eine Eurostat-Umfrage für das Jahr 2013 angegeben, die auf eigenen Einschätzungen privater Haushalte bezüglich der Frage, ob sie „schlecht mit ihrem Einkommen auskommen“ beruht; als Beleg ist das methodisch zumindest angreifbar.)
Was ein „Leben in Würde“ bedeutet, ist sicherlich Interpretationssache. Folgt man hier der INSM, können es aber 30% (!) der Haushalte in der EU nicht führen. Ein großer Teil Europas wäre demnach keine Erfolgsgeschichte!

Im Weiteren wird von der INSM noch einmal herausgestellt, dass die Soziale Marktwirtschaft es „jedem ermöglicht, seine Potenziale zu entfalten“. Die dafür im Einzelnen nötigen formalen und materialen Freiheitsrechte und deren Realsierung werden aber nicht erörtert.
Stattdessen wird an dieser Stelle betont, dass Deutschland „fast 30% seines BIP für Soziales aus(gibt) – so viel, wie kaum ein anderes Land für Rentner, Arbeitslose, Kranke und andere Empfänger zahlt.“ Diese Argumentationslinie verwundert, denn der Sozialstaat hat zwar viel mit sozialer Sicherheit, aber eher wenig mit Potenzialentfaltung zu tun. Er schützt mehr vor Potenzialzerstörung.
Und die als so hoch gepriesene Quote der Sozialleistungen in Deutschland liegt mit fast 30% tatsächlich nur genau im Durchschnitt der EU-28 und unter derjenigen der skandinavischen Länder, Frankreichs, der BENELUX-Staaten, Österreichs und bis vor kurzem auch noch Griechenlands (als Sonderfall mit einem viel tieferen absoluten Niveau und wie bekannt einer ganz besonderen Problematik).

Auf Basis dieser dürren Angaben zieht die INSM gleichwohl den weit reichenden Schluss, die Soziale Marktwirtschaft habe Deutschland „zu einem der gerechtesten Länder der Welt gemacht.“
Das ist die eigene Beurteilung der INSM, die man nicht teilen muss, aber auch nicht widerlegen kann, denn Gerechtigkeit ist eine Werturteilsfrage und Vergleiche hängen vom Maßstab ab. Doch so weit es dafür objektivierbare Kriterien gibt wie etwa den Gini-Koeffizienten der Einkommenskonzentration, gibt es allein in der EU eine Reihe von Ländern mit erheblich größerer Gerechtigkeit.
Und wie passt zum „Deutschland-Prinzip“ die Zunahme der Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung in längerfristigen Vergleichen, wie sie beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt hat?

Damit befasst sich die INSM jedoch nicht. Sie blickt demgegenüber nach vorn und ist der Auffassung, dass es „noch gerechter geht“. Wer nun glaubt, sie spricht wenigstens in diesem Zusammenhang auch einmal Verteilungsgesichtspunkte an, irrt. „Noch gerechter“ ginge es, so dass Credo der INSM , „wenn wir stärker in Bildung investieren, Energiekosten wie Bürokratieaufwand senken und die ausufernden Subventionszahlungen abbauen.“ Speziell „die Kosten der Energiewende wachsen immer weiter – seit 2000 flossen bereist 101,2 Milliarden Euro an Subventionen.“ (Gemeint sind hier wohl die Differenzkosten zum Strompreis im Aufkommen der EEG-Umlage.) Verteilungsdiskussionen werden einfach zurückgewiesen. Statt sich auf wohlstandsfördernde Rahmenbedingungen zu konzentrieren, so die INSM, sei die aktuelle Politik „oft bestimmt durch Regulierung, Bürokratie, Anspruchsdenken und Umverteilungsplänen … Statt um Verteilung muss es in der Politik wieder um die Frage gehen, wie der Wohlstand erwirtschaftet wird.“

Dass das Erwirtschaften und Verteilen des Wohlstands in einer Marktwirtschaft, zumal in der Sozialen Marktwirtschaft, zusammengehören, dass mehr Verteilungsgleichheit bei Chancen wie Ergebnissen (die zugleich die nächsten Chancen formen) unter Umständen mehr Effizienz bedeuten kann und dass „Anspruchsdenken“ und „Umverteilungspläne“ ihre Ursache auch darin haben können, dass es eine Umverteilung zu Lasten größerer Bevölkerungsgruppen von unten und auch der Mitte nach oben zur Bevorteilung der reichsten Schichten gegeben hat, wird von der INSM nicht angesprochen, geschweige denn erwogen.
Es bleibt ihr Geheimnis, wie sie mit der von ihr praktizierten Tabuisierung der Verteilungsfrage eine glaubwürdige Aussage über „mehr Gerechtigkeit“ erreichen will.
Für die Forderung der INSM nach mehr Investitionen in die Bildung gibt es stichhaltige volkswirtschaftliche Gründe, auch verteilungspolitische. Diese müssten jedoch benannt, erörtert und ausgeleuchtet werden – denn mehr Bildung führt nicht automatisch zu mehr Gerechtigkeit -, und sie müssten mit nachvollziehbaren Finanzierungsvorschlägen unterlegt werden, damit man sie ernst nehmen kann.

Was die INSM schließlich zur Energiewende bemerkt, ist ein durchaus ernsthaftes Argument. Denn der Subventionsanteil für die Erzeugung von Strom aus erneuerbarer Energien ist in den letzten Jahren sehr stark gestiegen. Diese Subventionen fließen aber nicht aus dem Staatshaushalt, sondern müssen von allen Stromverbrauchern ohne Rücksicht auf ihre jeweilige soziale Lage über die EEG-Umlage auf den Strompreis getragen werden, während wohlhabende Haushalte von den Vergütungen für Solaranlagen auf ihren Hausdächern oder von den Erträgen aus Investmentbeteiligung beispielsweise an Windkraftprojekten mit staatlich gesicherter Rendite profitieren.
Die Bundesregierung hat mit der letzten EEG-Novelle diese Entwicklung begrenzt, aber keineswegs zurückgedreht. Eindeutig gerechter im Sinne einer ausgeglicheneren Lastenverteilung als die Umlage- wäre eine Steuerfinanzierung, aber davon spricht auch die INSM nicht. Überdies müssen aus volkswirtschaftlicher Sicht bezüglich der Gesamtkostenbelastung der Energiewende verschiedene weitere Strompreisfaktoren berücksichtigt werden.
Daher schlägt die Expertenkommission zum Monitoring der Energiewende als maßgeblichen Indikator die sog. „Letztverbraucherausgaben für Elektrizität“ im Verhältnis zum BIP vor. Gemäß ihrer letzten Stellungnahme zum Fortschrittsbericht Energiewende der Bundesregierung vom Dezember 2014 hat diese Belastung zuletzt (2013 gegenüber 2012) etwas zugenommen (Anstieg von 2,5 % auf 2,6 %), erscheint aber weiter verkraftbar. Allerdings empfehlen die Experten eine nach Branchen und Endverbrauchergruppen differenzierte Betrachtung der Energiekostenbelastung anstatt so pauschaler Aussagen, wie sie auch die INSM hier macht.

Was die INSM gerade in diesem Kontext erstaunlicherweise nicht thematisiert: Die deutsche Energiewende mit ihren planwirtschaftlichen Zielsetzungen und den vielen lenkenden Maßnahmen für den Energiebereich steht an sich in einem prinzipiellen Konflikt zu den Grundsätzen einer Marktwirtschaft.
Solange der Verbindlichkeitscharakter der politischen Zielvorgaben der Energiewende aber nicht in Frage gestellt wird, was fast niemand tut, auch die INSM hier nicht, und die Energiewende mit dem ihr zugrunde gelegten Energiekonzept als gesamtstaatliches Investitionsprojekt verstanden und gesellschaftlich akzeptiert wird, ergeben sich zwingend zusätzliche „Energiekosten“ im Sinne von Finanzierungslasten, die von der Volkswirtschaft zu tragen sind, und zwar solange bis die Ziele erreicht sind und die davon erwarteten ökonomischen und ökologischen Früchte geerntet werden können. Wann das sein wird und welche Nebenwirkungen das hat, ist eine offene Frage.
Da die deutsche Energiewende international bislang einzigartig ist und mit ihr gewollt eine Vorreiterrolle eingenommen wird, stellt sie gewissermaßen ein Deutschland-Prinzip eigener Art dar. Über dieses wäre eine intensive Auseinandersetzung sinnvoller, so die Meinung des Autors dieser Zeilen, als über die Schmalspur-Ökonomie des Deutschland-Prinzips der INSM.

Jochen

Crash 2.0: Europa vor der nächsten Krise – Merkel gefährdet Europa

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Zur Zeit läuft eine Medienaktion in Deutschland, um Draghi, den Präsidenten der EZB wegen seiner Abkehr vom Knausern zu diskreditieren.

Auf die Weise soll die Austeritätspolitik von J.Weidmann und der kanzlerin Merkel durchgesetzt werden, der sich immer mehr Europäische Staatschefs entziehen, damit ihnen nicht die innenpolitischen Konflikte ausser Kontrolle geraten.
Siehe dazu auch die die Blockupy-Aktionen vor der EZB, die von der deutschen Presse totgeschwiegen werden.
Hier auszugsweise:
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/november/crash-2.0-europa-vor-der-naechsten-krise
von Klaus Busch

Sechs Jahre sind seit der Lehman-Pleite inzwischen vergangen und die Börsen haben sich scheinbar längst beruhigt. Genauer gesagt: Sie feiern wieder fröhliche Aktienrekorde.
Doch dabei handelt es sich möglicherweise nur um die Ruhe vor dem Sturm. Denn die Realwirtschaft ist, national wie europäisch, von Einbußen betroffen.
Zugleich weisen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in letzter Zeit verstärkt darauf hin, dass sich an den internationalen Finanzmärkten neue Ungleichgewichte aufgebaut haben und die Gefahr eines neuen Crashs droht.
[1]

Vier Punkte sind dafür von zentraler Bedeutung.
Erstens: Die globale Ungleichheit der Vermögensverteilung ist aufgrund der Finanzkrise 2008/2009 nicht geringer, sondern größer geworden. Wenige Prozent der Privathaushalte verfügen über mehr als 90 Prozent der Vermögen. Diese Vermögen sollen nach dem Willen der Kapitalbesitzer möglichst hohe Renditen abwerfen. Insbesondere in einer Phase der realwirtschaftlichen Wachstumsschwäche, wie seit 2010 in der Eurozone, und in einer Phase höheren Wachstums in den Schwellenländern wird ein großer Teil dieser Vermögen an den internationalen Aktien- und Anleihemärkten angelegt.

Zweitens: Obwohl die Industrieländer nach der großen Finanzkrise versprochen haben, jeden Markt, jeden Akteur und jedes Produkt auf den Finanzmärkten einer Kontrolle zu unterwerfen, ist die Bankenregulierung immer noch völlig unzureichend. Auch die Frage der Konzentration im Bankensektor (too big to fail) ist nicht gelöst, ja, aufgrund der Konzentrationsprozesse während der Krise sind die führenden Banken sogar noch größer geworden.

Mit der Regulierung des Bankensektors nimmt darüber hinaus der Bereich der bislang nur schwach regulierten Schattenbanken immer größere Ausmaße an.[2]
In Reaktion auf die „Volcker-Regel“ haben US-Großbanken ihre Investmentabteilungen aufgelöst und sich verstärkt an Hedgefonds beteiligt.
Private Equity Fonds, Hedgefonds und Geldmarktfonds kontrollieren heute bereits ein Vermögen, das einen Wert von 50 Prozent des von den regulierten Banken verwalteten Vermögens erreicht.
Der Derivatemarkt hat heute ein Volumen von rund 650 Billionen Dollar und ist größer als vor der Krise, er ist neunmal größer als das BIP der Welt. 70 Prozent der Aktivitäten des Bankensektors sind reine Interbankengeschäfte. Schon diese Zahlen dokumentieren, dass heute auf den internationalen Finanzmärkten im selben Stile spekuliert wird wie vor der Krise.

Drittens: Das Verhalten der Akteure speziell auf den Finanzmärkten unterliegt weiterhin – und nicht weniger als zuvor – den animal spirits,[3]
sprich: Es ist geleitet von Gier und Herdeninstinkt.
Steigen die Kurse wie derzeit an den Aktien- und Anleihemärkten und die Preise an den Immobilienmärkten, verlieren viele Akteure das Gefühl für die Risiken der Investments, denn es scheint ja immer nur nach oben zu gehen. Jeder will teilhaben am Reichtum, den auch andere scheinbar mühelos erwerben können.
Diese Verhaltensdispositionen der Marktteilnehmer verlangen scharfe Kontrollen und strikte Einschränkungen der Produkte, mit denen „gewettet“ werden kann, um Exzesse an den Märkten zu verhindern – doch diese fehlen nach wie vor.

Viertens: Um die verschiedenen Krisen zu überwinden, betreiben die Zentralbanken der USA, der Eurozone, Großbritanniens, Japans und der VR China seit dem Crash von 2008/2009 aus reiner Not eine ultralockere Geldpolitik. Die kurz- und langfristigen Zinsen sind global sehr stark gesunken.
Da jedoch die realwirtschaftlichen Wachstumsbedingungen selbst 2014, sechs Jahre nach Beginn der großen Krise, immer noch schlechter sind als vor 2008, stehen den Finanzmärkten immer größere Volumina an Mitteln für Spekulationen zu günstigsten Konditionen zur Verfügung.

Trügerische Ruhe

Wie instabil die Lage bereits wieder ist, zeigte sich im Sommer 2013 und Anfang 2014, als die US-Notenbank Federal Reserve (FED) ankündigte, eine Änderung der Zinspolitik zu erwägen. Ohne auch nur einen Schritt in diese Richtung getan zu haben, löste allein die Erwartung eines Politikwechsels erhebliche Turbulenzen auf den Devisen-, Aktien- und Anleihemärkten vieler Schwellenländer aus.
Denn speziell in die florierenden Schwellenländer, die hohe Zuwachsraten ihres BIP aufwiesen, waren zuvor angesichts der höheren Dividenden und Renditen sehr viele Anlagemittel aus den Industrieländern geflossen und hatten dort die Wechselkurse, die Aktien und die Anleihen nach oben getrieben und den Boom in diesen Ländern befördert.

Doch die Erwägung der FED, ihre Anleihekäufe zu reduzieren, führte in etlichen Schwellenländern zu einer Umkehr der Kapitalströme. Deren Währungen werteten plötzlich stark ab, die Aktienmärkte wiesen Kurseinbrüche auf und an den Anleihemärkten kam es zu einem markanten Renditeanstieg.
Manche Schwellenländer reagierten mit Zinsanhebungen, um die Abwertung ihrer Währungen zu bremsen. Die Turbulenzen bewirkten, dass sich deren Aktienmärkte jetzt volatiler bewegen als diejenigen der Industrieländer und der Wachstumsprozess in einigen Ländern abgeschwächt wurde, beispielsweise in Brasilien.
Diese Ereignisse führten noch einmal vor Augen, wie schnell die Realwirtschaft von Turbulenzen auf den Finanzmärkten betroffen ist.

Immerhin hat die BIZ inzwischen Frühwarnindikatoren für Bankenkrisen entwickelt. Dazu zählen neben den Schuldendienstquoten eine sogenannte Kreditquotenlücke und eine Preislücke bei Immobilien.
Die Kreditquotenlücke misst das Verhältnis von Kreditvolumen zum BIP. Diese Lücke wird dann als Vorbote einer Bankenkrise betrachtet, wenn ihr Wert im Vergleich zu historischen Langzeitgrößen um mehr als 10 Prozent nach oben abweicht. In einer bedrohlichen Lage befinden sich diesbezüglich die asiatischen Staaten China, Hongkong, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand sowie darüber hinaus Brasilien, die Türkei und die Schweiz.
Der Preisindikator bei den Immobilien misst die reale Entwicklung der Preise von Wohnimmobilien. Auch hier wird eine Abweichung vom historischen Langzeitwert von mehr als 10 Prozent als Anzeichen für eine mögliche Bankenkrise gewertet. Hierbei drohen laut BIZ ebenfalls in den genannten Staaten Asiens – ohne China – sowie in der Schweiz besondere Risiken.

Fasst man die Entwicklung dieser Ungleichgewichte auf den Aktien-, Anleihe-, Kredit- und Immobilienmärkten zusammen, ist die Gefahr eines neuen Crashs an den Märkten, also der Eintritt eines „Minski-Moments“,[4] beträchtlich.
Während in der Zeit der weitgehend strikten Regulierung der internationalen Kapitalströme, von den 50er bis in die 80er Jahre, das Phänomen der internationalen Finanzmarktkrisen unbekannt war, tritt es seit Beginn der Deregulierung der Märkte und der Liberalisierung der internationalen Kapitalbeziehungen in den 90er Jahren gehäuft auf, teilweise in Form von regionalen Krisen (Asien, Lateinamerika, Russland) und schließlich in Form der großen Krise von 2008/2009.

Es handelt sich hier keineswegs um einen sogenannten Black Swan, der unvorhersehbar und singulär ist.
Die Ursachen dieser Instabilitäten (ungleiche Vermögensverteilung, mangelhafte Regulierung, ultraleichte Geldpolitik und animal spirits) sind identifizierbar, und Indikatoren für die Ungleichgewichte auf den verschiedenen Märkten können bestimmt und gemessen werden – auch wenn der genaue Zeitpunkt des Crashs nicht vorhergesagt werden kann.

Der im Übrigen hervorragende BIZ-Jahresbericht macht vor allem die ultralockere Geldpolitik für die Zunahme des Crashrisikos verantwortlich.
Tatsächlich sind jedoch die sogenannten animal spirits und deren mangelhafte Einhegung durch den Staat als die primären Ursachen der Finanzkrise zu betrachten. Wären die Versprechen der G 8, jeden Markt, jedes Produkt und jeden Akteur auf den globalen Märkten zu kontrollieren, eingehalten worden, hätte die Geldpolitik ihre unorthodoxen Maßnahmen ins Spiel bringen können, ohne das Risiko eines neuen Crashs an den Finanzmärkten zu verstärken.

Stagnationskrise in Europa

Die EU ist auf einen Crash, der die Realwirtschaft in einen Abschwung treiben wird, alles andere als gut vorbereitet.
Fünf Jahre nach der großen Krise 2008/2009 ist die Eurozone immer noch nicht wieder auf Wachstumskurs, im Gegenteil: Nach den beiden Rezessionsjahren 2012 und 2013 befindet sie sich in einer Stagnationsphase, mit Tendenz nach unten.
Gleichzeitig schlummern in den Bilanzen der europäischen Banken weiterhin faule Kredite in Milliardenhöhe.

Dagegen befinden sich Produktion und Beschäftigung der USA seit 2010 in einer deutlichen Erholungsphase. Wo aber liegen die zentralen Unterschiede?
Einerseits zögert der europäische Bankensektor, neue Kredite zu gewähren, obwohl die Refinanzierung durch die Zentralbank sehr günstig ist.
Der Privatsektor versucht dagegen, seine Schulden zu reduzieren, konsumiert weniger und spart mehr, was sich ebenfalls negativ auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auswirkt.

Die Voraussetzung einer wirtschaftlichen Erholung Europas wäre deshalb zum einen die Sanierung des Bankensektors, und zwar durch Kapitalvernichtung (Pleiten) und/oder die Zufuhr frischen Kapitals, also eine Verbesserung der Eigenkapitalquote, zum anderen aber mittelfristig die deutliche Reduktion der privaten Schulden.
Erst auf dieser Grundlage können staatliche Konjunkturprogramme und eine lockere Geldpolitik der Zentralbank dauerhafte wirtschaftliche Erfolge erzielen.

Doch während in den USA seit der Krise mehr als 500 Banken abgewickelt wurden, waren es in der Eurozone gerade einmal eine Handvoll. Die Eigenkapitalquote im Bankensektor hat sich auch deshalb in den USA erheblich stärker verbessert als in Europa.
Die Reingewinne des Bankensektors stagnieren in der Eurozone, während sie in den USA seit der Krise wieder deutlich angestiegen sind.
Darüber hinaus ist auch die Entschuldung des Privatsektors in den USA deutlich stärker vorangekommen als in Europa.

Zu den finanzökonomischen Differenzen kommt ein weiterer entscheidender Faktor hinzu, die . Die unter der Führung Deutschlands intonierte Sparpolitik erzeugte in der Eurozone 2012 und 2013 erneut eine Rezession, und auch die für 2014 erwartete ökonomische Erholung ist bereits wieder ins Stottern geraten.
Dagegen bekämpften die USA die Krise auch mit einer expansiven Fiskalpolitik.
Das Ergebnis: Während in den USA die Kredite für Investitionen der Unternehmen seit 2010 kontinuierlich ansteigen, sinken sie in Fiskalpolitikder Eurozone Jahr für Jahr.

Draghis Drahtseilakt

Angesichts ihrer ökonomischen Stagnation und der mangelnden Sanierung ihres Finanzsektors würde die EU von einem erneuten Crash besonders hart getroffen werden.
Geraten Banken in Schieflagen, wird auch die Bankenunion keine große Entlastung bieten: Der Restrukturierungsfonds ist mit 55 Mrd. Euro viel zu schwach ausgelegt (und er erreicht dieses Volumen ohnehin erst im Jahre 2025).[5]
Damit kämen wieder die nationalen Staatshaushalte als Bankenretter ins Spiel, womit eine Neuauflage der Eurokrise wahrscheinlich würde.

EZB-Chef Mario Draghi ist sich der aktuellen Risiken ausgesprochen bewusst. Er fordert daher drei Maßnahmen, um der Probleme Herr zu werden:
erstens, ein Fiskalpaket zur Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (bei der insbesondere die deutsche Regierung aufgefordert wird, fiskalische Impulse zu setzen);
zweitens, ein großvolumiges Aufkaufprogramm für Wertpapiere durch die EZB, um das langfristige Zinsniveau niedrig zu halten; und
drittens, ein Kreditverbriefungsprogramm, in dessen Rahmen die EZB sogar bereit ist, von den Banken die Seniortranchen ihrer gefährlichen Asset Backed Securities (ABS) zu kaufen.

Doch obwohl der Chor derjenigen, die einen öffentlich stimulierten Investitionsschub fordern, immer größer wird (IWF, USA, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Herbstgutachten der Forschungsinstitute), sträubt Deutschland sich nach wie vor.
Auch die Bereitschaft, die Schuldenbremsen endlich zu lockern, scheint noch nicht gegeben zu sein.

Ob die beiden Maßnahmen zur Entlastung der Bankbilanzen fruchten werden, bleibt abzuwarten. Der noch in diesem Jahr durchzuführende Stresstest für die Banken der Eurozone wird zeigen müssen, bei welchen Banken und in welchen Ländern die 940 Mrd. Euro fauler Kredite schlummern.
Die Übertragung dieser Kredite vom Privatsektor auf die EZB mittels des Kaufs der ABS ist auch politisch hochbrisant, übernimmt doch damit der Steuerzahler letztlich die Risiken.

Hier zeigt sich, dass es sich bei Draghis Maßnahmen ökonomisch wie politisch um einen Drahtseilakt handelt, und das offenbart die ganze Dramatik der aktuellen Lage.

Fest steht, dass ein weiterer größerer Crash an den Finanzmärkten die Eurozone, welche die alte Krise noch immer nicht verdaut hat, in eine Zerreißprobe treiben würde – zumal die Betroffenheit zwischen den Eurostaaten sehr unterschiedlich wäre, etwa zwischen Deutschland einerseits und Italien sowie Spanien andererseits. All das könnte zur Auflösung des gemeinsamen Währungsgebiets führen, Renationalisierung wäre die Folge. Die Gewinner dürften daher heute schon feststehen: nämlich dieRechtspopulisten.

[1] Vgl. International Monetary Fund, Global Financial Stability Report, Washington, D.C. 2014 und IWF, World Economic Outlook, Washington, D.C. 2014; Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 84. Jahresbericht, Basel 2014.

[2] Vgl. Axel Troost, Nicola Liebert und Rainald Ötsch, Der graue Markt der Schattenbanken, in: „Blätter“, 6/2012, S. 83-90.

[3] Vgl. George A. Akerlof und Robert J. Shiller, Animal Spirits: Wie Wirtschaft wirklich funktioniert, Frankfurt a. M. 2009.

[4] Vgl. Hyman P. Minski, Instabilität und Kapitalismus, hg. von Joseph Vogl, Zürich 2011.

[5] Vgl. Frank Bsirske und Klaus Busch, Die Große Koalition und die Eurokrise, in: „Blätter“, 3/2014, S. 95-102.

(aus: »Blätter« 11/2014, Seite 17-20)

Dazu ein aktueller Komentar von Michael Schlecht:

Merkel gefährdet Europa

Fünf Jahr nach dem Ausbruch der Eurokrise: Die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern Europas verharrt auf Rekordständen. Die Eurozone befindet sich in einem wirtschaftlich höchst gefährlichen Preisverfall. Ohne einen Kurswechsel droht ein verlorenes Jahrzehnt. Möglicherweise noch Schlimmeres.

Viele hofften, dass in diesem Jahre die Eurozone aus der Krise heraus käme. Weit gefehlt. Die wirtschaftliche Entwicklung kommt nicht aus dem Keller. Und die soziale Katastrophe geht weiter: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien und Griechenland bei mehr als 50 Prozent! Die Armut wächst in einem Ausmaß, den man in der Eurozone überwunden glaubte. Die Menschen in den südeuropäischen Ländern schwanken zwischen verzweifeltem Widerstand und Resignation. Deutschland schien bislang von all dem Unheil weitgehend abgekoppelt.

Das Lahmen der Wirtschaft in Deutschland im Laufe des Jahre 2014 kam für viele in Politik, Medien und Wissenschaft scheinbar unvorbereitet. Warum eigentlich? Dachte wirklich jemand, Deutschland werde bei schwacher Entwicklung der Binnennachfrage und wegbrechenden Exporten in die Eurozone dauerhaft schadlos bleiben? Immerhin gehen immer noch knapp 40 Prozent der Exporte in die Eurozone. Die von Merkel und Co. aufgeherrschten Kürzungsprogramme für die Eurozone mussten auf Deutschland zurückwirken.
 
„Die Eurokrise ist vor allem eine Staatsschuldenkrise“, so Kanzlerin Merkel. Ihr Rezept: Kürzen auf Teufel komm raus.
 
Die deutsche Regierung setzte durch, dass die Ausgaben der Staatshaushalte in den Krisenländern zusammengestrichen wurden. Betroffen sind vor allem soziale Leistungen, Rentnerinnen und Rentner sowie die Bezahlung und die Verringerung der Staatsbeschäftigten.
 
Zum anderen wurden die Arbeitsbedingungen für Beschäftige auch der privaten Wirtschaft verschlechtert. Zu dem Arsenal der Maßnahmen gehören: Leiharbeit und Werkverträge sowie Befristungen ausweiten, Gewerkschafts- und Tarifrecht einschränken. Mindestlöhne reduzieren und Kündigungsschutz verschlechtern. Das Resultat: Die Löhne, gerade auch in der Privatwirtschaft wurden abgesenkt.
 
Hierdurch wurde die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder gesteigert. Dies führte zwar zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition, sodass die Exporte stiegen.
 
Gleichzeitig wurde mit den Lohn-, aber auch Sozialkürzungen die Nachfrage, die Kaufkraft massiv beschnitten und damit auch die Importe, auch aus Deutschland. Massiver Rückgang der zahlungsfähigen Nachfrage in ohnehin geschwächten Ökonomien lässt diese weiter abrutschen. So hinken oder sinken Steuereinnahmen, trotz Erhöhung der Steuersätze, und Sozialkosten steigen, trotz beständiger Kürzung der Sozialleistungen. Die Neuverschuldung blieb bis 2013 hoch. Auch das von Merkel und Co. ausgegebene Ziel die Staatsverschuldung zu senken, konnte so nicht erreicht werden.
 
Dazu kommt, dass die fehlende Nachfrage auf die Preise drückt. Die Eurozone nähert sich gefährlich der Deflation, also einem Preisverfall. Einige Länder, wie Griechenland und Italien, sind bereits in der Deflation.
 
Die extreme Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, mit der sie sich gegen die Deflation stemmt, ist das Spiegelbild der anhaltenden Eurokrise, die von der herrschenden Politik nicht gelöst wurde. Mittlerweile ist auch die europäische Zentralbank mit ihrem Latein am Ende. Die für die Zentralbank ungewöhnlichen Appelle zu höheren Löhnen und mehr öffentlichen Investitionen sind nur Ausdruck dessen.
 
Die brutale, krisenverschärfende Kürzungspolitik muss beendet werden. Einen sofortigen Stopp der Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen sowie der Massenentlassungen ist dringend nötig.
Die von Deutschland ausgehenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte sind die zentrale Ursache der Krise. Ohne ihre Überwindung können die Probleme der europäischen Wirtschaft nicht grundlegend gelöst werden.
 
Zentrale Richtschnur muss die Stärkung der Binnenwirtschaft in Deutschland sein. Dies beinhaltet vor allem deutlich höhere Lohnsteigerungen und öffentliche Investitionen.

 Der Kommentar ist eine Zusammenfassung zum aktualisierten Positionspapier „Merkel gefährdet Europa“, das auf www.michael-schlecht-mdb.de runtergeladen werden kann.