Die Hungermacher – Warnungen der UNO, die westliche Sanktionspolitik führe zu Düngermangel

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Berlin ignoriert Warnungen der UNO, die westliche Sanktionspolitik führe zu Düngermangel und, zeitlich etwas verzögert, zur dramatischen Zuspitzung der globalen Ernährungskrise.

22.Sep.2022

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BERLIN/NEW YORK (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung ignoriert Warnungen der Vereinten Nationen, die westliche Sanktionspolitik könne zu krassem Düngermangel führen und die globale Ernährungskrise schon bald eskalieren lassen.

Ursache ist zum einen, dass die Sanktionen etwa gegen den russischen Finanz- und den Transportsektor den Düngerexport nach wie vor massiv behindern. Russland und Belarus stellten vor dem Krieg rund 20 Prozent aller Düngemittel weltweit her.
Hinzu kommt, dass die wegen der Embargopolitik dramatisch in die Höhe geschossenen Erdgaspreise die Düngemittelproduktion weltweit gravierend verteuern; die Zahl der Fabriken, die daher die Produktion einstellen müssen, nimmt auch in Europa zu. Während europäische Landwirte sich auf eskalierende Kosten einstellen müssen, ihren Bedarf aber notfalls durch teure Zukäufe im Ausland decken können, fehlt diese Option in ärmeren Staaten etwa in Afrika.
Dort könnte die Produktion von Nahrungsmitteln alleine wegen Düngermangels um mehr als ein Fünftel kollabieren.
UN-Generalsekretär António Guterres hat am Dienstag zum wiederholten Mal vor den Konsequenzen gewarnt. Berlin stört sich nicht daran und hält an den Sanktionen fest.

Blockierte Exporte

Den Hintergrund der anschwellenden Düngemittelkrise hat kürzlich in prägnanter Form die Weltbank beschrieben. Demnach wurden bis zum vergangenen Jahr rund 20 Prozent aller Düngemittel weltweit in Russland und Belarus hergestellt.[1]
Bei einzelnen Grundstoffen – etwa bei Potassium (:= Kalium) – kamen die beiden Länder gar auf einen Weltmarktanteil von gut 40 Prozent. Bereits im vergangenen Jahr verschärfte sich die Lage, als die Vereinigten Staaten und die EU Sanktionen gegen belarussische Düngemittelhersteller verhängten.[2]
Allerdings wies das Sanktionsregime der EU – vermutlich beabsichtigt – zunächst noch Lücken auf, die dazu führten, dass die Versorgung von Drittstaaten mit belarussischen Düngemitteln nicht kollabierte.[3]
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine kommen jetzt freilich noch die Russland-Sanktionen hinzu. Zwar beteuert die EU, sie trage inzwischen penibel dafür Sorge, dass der Export von Düngemitteln wie auch derjenige von Getreide von den Sanktionen ausgenommen sei.
Dies trifft formal zu, ist aber praktisch beinahe bedeutungslos: Weil die Sanktionen unverändert die russische Finanzbranche, den Transportsektor und anderes treffen, werden nach wie vor Düngemittellieferungen in erheblichem Umfang blockiert; sie fehlen daher auf dem Weltmarkt.

Verzögert spürbar

Hinzu kommen weitere sanktionsbedingte Faktoren. Von den Zwangsmaßnahmen sind der Weltbank zufolge auch die Lieferketten der Düngemittelproduktion in Russland und Belarus betroffen.[4]
Dies schränkt die Herstellung ein. Auch deshalb hat Moskau begonnen, seine Düngemittelexporte gewissen Restriktionen zu unterwerfen, um sicherzustellen, dass die eigene Landwirtschaft auch unter noch weiter verschärften Bedingungen stets ihren Bedarf decken kann.
Darüber hinaus werden in der Düngemittelproduktion große Mengen an Erdgas verwendet, was die Kosten wegen des in die Höhe geschnellten Gaspreises massiv nach oben treibt. Dies wiederum schlägt sich auch auf Düngemittelhersteller außerhalb Russlands und Belarus‘ nieder.
Bei alledem muss berücksichtigt werden, dass Probleme der Versorgung mit Düngemitteln für eine gewisse Zeit für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind. Wie die Weltbank konstatiert, wurden Nahrungsmittel, die heute konsumiert werden, oft vor sechs Monaten produziert – mit Hilfe von Dünger, der vor einem Jahr gekauft wurde.
Hohe Preise für Düngemittel schlagen sich deshalb mit gut einem Jahr Verzögerung, vielleicht gar noch mehr, in den Lebensmittelpreisen nieder.
Die Folgen der Russland-Sanktionen, die seit Ende Februar verhängt wurden, werden also, was die Düngemittel betrifft, erst nächstes Jahr in vollem Umfang spürbar sein.

„Schuss in den eigenen Fuß“

Gravierende Schwierigkeiten drohen dabei auch Europa. Als eine der Hauptursachen gilt der aufgrund der Embargopolitik in die Höhe geschnellte Erdgaspreis, der in der Herstellung von Düngemitteln bis zu 70 Prozent der Kosten ausmacht. Schon im März kündigten die ersten europäischen Hersteller an, sie begännen aufgrund der astronomischen Erdgaspreise ihre Düngemittelproduktion zu reduzieren; Dünger kostete damals bereits viermal so viel wie im Jahr zuvor.[5]
Im August war SKW Piesteritz, einer der größten deutschen Düngerhersteller, gezwungen, die Produktion stillzulegen.[6] Aktuell soll sie wieder hochgefahren werden; doch ist völlig unklar, ob sie auf Dauer gesichert werden kann.
Auch in anderen EU-Staaten, etwa in Polen, musste die Düngemittelherstellung teilweise dramatisch heruntergefahren werden. Zuletzt wurde am Dienstag bekannt, dass der norwegische Düngemittelgigant Yara International in diesen Tagen ein Werk in Belgien stilllegen wird. Das könnte nach Angaben aus Branchenkreisen in Frankreich das Angebot von Ammoniumnitrat, das als Düngemittel genutzt wird, um 10 Prozent senken.[7]
Das US-Magazin Forbes wies darauf hin, dass Düngemittel nur 0,1 Prozent zum russischen Staatsetat beitragen; ihren Import unmöglich zu machen, während die eigene Produktion kollabiere, sei „ein Schuss in den eigenen Fuß“.[8]

Minus 20 Prozent

Kaum absehbar sind die Folgen für ärmere Länder, so etwa für die Staaten Afrikas. Bereits Anfang August fehlten auf dem Kontinent laut Angaben der African Development Bank gut zwei Millionen Tonnen Düngemittel – eine Katastrophe für die Landwirtschaft, zumal sie über Jahrzehnte hin von westlichen Konzernen in die Abhängigkeit von Agrochemikalien jeglicher Art getrieben wurde.[9]
Der Düngermangel könne zu einem Einbruch der Agrarproduktion in Afrika um gut 20 Prozent oder sogar mehr führen, warnen Experten.[10]
In Westafrika, wo vor Kriegsbeginn zum Beispiel 70 Prozent des Potassiums :=Kaliums aus Russland und Belarus eingeführt wurden, haben sich die Düngemittelpreise bereits jetzt verdoppelt, in einigen Regionen sogar verdreifacht. Besonders schwer wiegt dies im Sahel, der ohnehin dramatisch vom Klimawandel betroffen ist, im Sommer unter der krassesten Dürre seit mehr als zehn Jahren litt und zudem Einbußen durch marodierende Jihadisten verzeichnet.[11]
Dabei leben etwa in Burkina Faso mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ganz oder teilweise von der Landwirtschaft. Verantwortet wird die heraufziehende Katastrophe nicht von den Regierungen der betroffenen afrikanischen Staaten, sondern vom Westen, dessen Sanktionspolitik der Hauptauslöser des Düngemittelmangels ist.

UN-Initiativen

Die Vereinten Nationen suchen seit Monaten gegenzusteuern. UN-Generalsekretär António Guterres bemüht sich schon seit dem Frühjahr, parallel zu den Getreideexporten aus der Ukraine auch Düngemittellieferungen aus Russland im gewohnten Umfang zu ermöglichen. Der im Juli geschlossene Deal zwischen den Vereinten Nationen und Moskau bzw. Kiew sieht vor, beides gleichzeitig hochzufahren.
Moskau beklagt seit geraumer Zeit, das erweise sich bei den Düngemittellieferungen wegen der unveränderten westlichen Sanktionspolitik als unmöglich. Guterres hat seine traditionelle Rede zur Eröffnung der diesjährigen UN-Generalversammlung genutzt, um zum wiederholten Mal auf die dramatische Lage hinzuweisen. Es sei „notwendig“, endlich „die letzten Hindernisse für den Export russischer Düngemittel und ihrer Bestandteile, insbesondere Ammoniak, zu beseitigen“, erklärte Guterres; andernfalls könne es schon sehr rasch zu einem gravierenden Lebensmittelmangel kommen.[12] Schnelles Handeln sei dringend angesagt.

Machtkampf hat Vorrang

Der Westen freilich streitet, das einhellige Urteil von Experten wie auch alle Appelle des UN-Generalsekretärs offen ignorierend, jegliche Verantwortung ab. „Unsere Sanktionen erlauben Russland ausdrücklich, Lebensmittel und Düngemittel zu exportieren“, behauptete US-Präsident Joe Biden gestern vor der UN-Generalversammlung, bewusst verschweigend, dass Finanz-, Transport- und andere Sanktionen die Ausfuhr aufs Schwerste behindern.[13]
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wurde mit der Falschaussage zitiert, „die Ursache der globalen Ernährungskrise“ liege „nicht in den [im Westen] beschlossenen Sanktionen“.[14]
Jegliche Bereitschaft, der Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung Vorrang vor dem Machtkampf gegen Russland einzuräumen, fehlt.

Mehr zum Thema: Nach uns die Sintflut, Nach uns die Sintflut (II) und Nach uns die Sintflut (III).

[1] Fertilizer volatility and the food crisis. worldbank.org 22.07.2022.

[2] S. dazu In der Sanktionsspirale.

[3] Most Belarus potash exports not affected by EU sanctions – analysts. financialpost.com 25.06.2021.

[4] Fertilizer volatility and the food crisis. worldbank.org 22.07.2022.

[5] Bert Fröndhoff, Maike Telgheder, Katrin Terpitz: Düngerhersteller drosseln Produktion: Weltweit drohen Einbußen bei Ernten. handelsblatt.com 11.03.2022.

[6] Johanna Michel: Gaspreise: Stickstoffdünger-Fabriken fahren Produktion herunter. agrarheute.com 24.08.2022.

[7] Olaf Zinke: Yara schließt Düngerwerke – steht Europa bald ohne Dünger da? agrarheute.com 21.09.2022.

[8] Kenneth Rapoza: Europe’s Other Crisis: Fertilizer Shortage For Farming. forbes.com 19.09.2022.

[9], [10] Eddy Wax, Bartosz Brzezinski: ‘Enormous‘ fertilizer shortage spells disaster for global food crisis. politico.eu 09.08.2022.

[11] Fertilizer shortages in conflict-torn Burkina Faso threaten crops and food security. northafricapost.com 26.08.2022.

[12] Secretary-General’s address to the General Assembly. un.org 20.09.2022.

[13] Biden: Russland will Ukraine auslöschen. zdf.de 21.09.2022.

[14] Bundeskanzler Scholz trifft den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. bundesregierung.de 20.09.2022.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Ebola – die Katastrophe hinter der Katastrophe und der erbärmliche Zynismus Deutschlands

Aus den NachDenkSeiten von jens berger:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=23600

Die Nachrichten aus den drei von Ebola am stärksten heimgesuchten westafrikanischen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone könnten kaum schlechter sein – seit Ausbruch der Epidemie hat die Weltgesundheitsorganisation nun bereits mehr als 8.900 bestätigte Ebola-Fälle registriert. Für Dezember geht man nun von bis zu 10.000 neuen Fällen aus – pro Woche, wohlgemerkt! Bis Ende Januar 2015 kalkulieren die Experten mit 200.000 bis 250.000 Erkrankungen. Das ist für die drei bitterarmen Länder, von denen zwei sich gerade eben langsam von einem langwährenden Bürgerkrieg erholen, eine echte Katastrophe. Mindestens genau so schlimm wie die direkten sind jedoch die indirekten Folgen der Epidemie. Allen drei Staaten droht kurz- bis mittelfristig eine humanitäre Katastrophe mit Hungersnöten und mittel- bis langfristig eine tiefe Wirtschaftskrise, die die gesamte Region destabilisieren könnte. Aus Deutschland ist leider keine Hilfe zu erwarten.

Wir Deutsche betreiben gerne Nabelschau und sehen die Welt aus deutscher Perspektive. Und da ist es nun einmal „wichtiger“, dass in Leipzig ein aus Westafrika ausgeflogener Uno-Mitarbeiter an den Folgen von Ebola verstorben ist, als auf die Folgen der Seuche in einer ohnehin vergessenen Ecke der Welt aufmerksam zu machen.

Mega-Katastrophe mit Ansage

Um wenigstens ein wenig Interesse und Empathie zu wecken, sollte man sich folgende Zahlen vor Augen halten: Wenn man das Worst-Case-Szenario der US-Regierungsorganisation CDC auf das bevölkerungsreiche Deutschland übertragen würde, dann hieße dies, das bis Ende Januar nächsten Jahres in Deutschland mehr als 11 Millionen Menschen an der Seuche sterben würden. In Sierra Leone sind zwei komplette Regionen unter Quarantäne gestellt und komplett von der Außenwelt abgeriegelt – diese beiden Regionen haben gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele Einwohner wie Baden-Württemberg gemessen an der deutschen Bevölkerung. Und wenn man den von der Weltbank prognostizierten wirtschaftlichen Schaden für die drei Länder, deren kombiniertes Bruttoinlandsprodukt drei mal so klein wie das des Saarlandes ist, auf den Wirtschaftsriesen Deutschland übertragen würde, käme man auf die schwindelerregende Summe von 6.762 Mrd. Euro. Keine Frage, Ebola ist bereits jetzt eine Katastrophe und könnte sogar zu einer „Mega-Katastrophe“ für Westafrika werden.

Während Bilder von sterbenden Menschen halbwegs regelmäßig in den hiesigen Nachrichten auftauchen, erfährt man hierzulande relativ wenig über die indirekten Folgen der Seuche. Die drei am stärksten betroffenen Staaten verfügen nicht nur über ein krisengeplagtes Gesundheitssystem auf niedrigstem Niveau, sondern auch über ein Wirtschaftssystem, das in der Breite eher an vorindustrielle Zeiten erinnert. Auf dem Lande dominieren Kleinbauern das wirtschaftliche Leben, die zum großen Teil Subsistenzwirtschaft betreiben und ihre Überschüsse samt einiger weniger „Marktfrüchte“ (z.B. Kaffee, Kakao) persönlich an den lokalen Märkten verkaufen. Dieses Wirtschaftssystem ist durch Ebola in einigen Regionen bereits faktisch zum Erliegen gekommen. Die Menschen haben Angst vor der Seuche und verlassen kaum mehr ihre Häuser. Die regionalen Ausgangssperren tun ihr übriges. Selbst die großen internationalen Finanzkonzerne, die das Land durch „Land Grabbing“ ausbeuten, können in Zeiten der Ebola nur eingeschränkt arbeiten, da die billigen Saisonarbeitskräfte die Plantagen nicht erreichen.

Siehe dazu auch: Jens Berger – Land Grabbing in Sierra Leone – Widerstand gegen den Neokolonialismus

Aus einer Wirtschaftskrise wird eine humanitäre Krise

Viele Familien können ihr kleines Stück Land nicht bestellen – die Saat bleibt aus, die Ernte kann nicht eingefahren werden. Und selbst dort, wo die Ernte planmäßig erfolgt, ist oft der Weg zu den lokalen Märkten durch die Ausgangssperre verbaut. Viele Märkte auf dem Lande wurden aufgrund des Infektionsrisikos bereits komplett geschlossen. Dadurch wird den Kleinbauern nicht nur die Möglichkeit verbaut, Teile ihrer Ernte zu verkaufen, sondern auch dringend notwendige Güter (z.B. Milchpulver, Medikamente) zu kaufen.


Typischer Markt in der Region Kenema, die heute unter Quarantäne steht
© Jens Berger

Mindestens genau so tragisch ist die Situation in den städtischen Gebieten. Der Umsatz im Einzelhandel ist in Sierra Leone seit Beginn der Epidemie um 50 bis 75% gefallen. Kaum wer besucht mehr öffentliche Plätze; Restaurant, Bars und der Tourismus sind von der Ebola-Krise besonders betroffen. In allen drei Krisenländern befindet sich der Dienstleistungssektor im freien Fall. Hinzu kommt, dass eine weitere wichtige Geldquelle versiegt ist – ein Großteil der Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen hat bereits das Land verlassen und auch viele ausländische Mitarbeiter der wenigen vor Ort befindlichen internationalen Konzerne sind aus Angst sich anzustecken ausgereist. Dies lähmt zum einen die Wirtschaft vor Ort und bedeutet zum anderen auch einen massiven Exodus von Kaufkraft – besonders im Gast- und Dienstleistungsgewerbe.

Auch der industrielle Sektor und der Bergbau leiden unter der Epidemie. So geht beispielsweise die Gewinnung von Eisenerz aufgrund der ausgereisten Spezialisten aus dem Ausland und der fernbleibenden Arbeiter kontinuierlich zurück. China Union, der zweitgrößte Minenkonzern in Liberia, hat beispielsweise im August seinen Betrieb in der Region komplett eingestellt, während der größte Minenkonzern im der Region, der europäische Stahlgigant ArcelorMittal, zwar noch eingeschränkt produziert, geplante Investitionen jedoch auf weiteres verschoben hat.

Ebola sorgt somit für eine Wirtschaftskrise, die sämtliche Wirtschaftsbereiche erfasst. Fatal ist aus humanitärer Sicht dabei vor allem, dass durch die Krise die Löhne stark rückläufig sind und viele Menschen mit prekärer Arbeit gar kein Geld mehr verdienen können – dazu gehören ebenso die Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft, wie die Arbeiter in den Minen und vor allem die zahlreichen Beschäftigten im Dienstleistungssektor. In einem Land, in dem sozialstaatliche Errungenschaften wie Arbeitslosen- oder Krankengeld unbekannt sind, schlägt eine derartige Krise sofort durch.

Verschärft wird die humanitäre Lage durch indirekte ökonomische Effekte. An allererster Stelle ist hier die massive Preissteigerung für Lebensmittel zu nennen. Während die einheimische Produktion zurückgeht, sorgen Quarantäne und Abriegelung dafür, dass die Güterströme zwischen den Regionen und den Zentren ins Stocken kommen – und dies betrifft sowohl den Transport der Ernte vom Landesinneren in die Städte als auch den Transport von importierten Nahrungsmitteln aus den Überseehäfen ins Landesinnere.

Es kommt, wie es kommen muss – durch die massive Verknappung des Angebots steigen die Preise. Wie die Deutsche Welthungerhilfe festgestellt hat, sind bereits heute die lokalen Marktpreise für Reis, der in Sierra Leone das wichtigste Grundnahrungsmittel darstellt, im Schnitt um 30% gestiegen. Studien der amerikanischen Hilfsorganisation USAID berichten [PDF – 1.8 MB] auch in Liberia von massiven Preissteigerungen bei den Grundnahrungsmitteln Reis und Kassava. Vor allem betroffen sind hier offenbar die Grenzregionen, die durch die Schließung der Grenzübergänge (bis auf die Grenze zwischen Mali und Guinea sind sämtlich Außen- und Innengrenzen der drei betroffenen Staaten geschlossen) von ihren Märkten getrennt wurden. In einem Land wie Sierra Leone, dessen Bevölkerung im Schnitt 80% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben muss, sind diese Preissteigerungen bereits eine Vorstufe zu einer kommenden Hungersnot.


Kakaoernte in der Region Kenema
© Jens Berger

Eine Befragung [PDF – 552 KB] der Deutschen Welthungerhilfe ergab, dass 97% aller Haushalte Sierra Leones einen Rückgang des Einkommens erleiden mussten und 80% der Kleinbauern mit einem Rückgang ihrer Ernte rechnen. Eine ähnlich angelegte Befragung der UN-Organisation „World Food Programme“ ergab, dass in den besonders hart betroffenen Regionen Sierra Leones mehr als 80% der Menschen auf preiswertere Nahrungsmittel umsteigen mussten und 75% es bereits heute nicht mehr schaffen, sich genügend Lebensmittel zu leisten, um sich ausreichend zu ernähren. Diese Zahlen beziehen sich wohlgemerkt nicht auf Haushalte, bei denen Mitglieder an Ebola erkrankt oder bereits verstorben sind. Hier sieht die Lage noch desolater aus. Und es geht hierbei auch „nur“ um den Status Quo mit weniger als 9.000 Ebola-Infizierten in der Region. Wie sehr sich die Situation verschärfen wird, wenn die Zahl der Erkrankungen tatsächlich bis Ende Januar auf 250.000 steigt, ist schwer zu sagen. Man kann jedoch vom Schlimmsten ausgehen.

Das Versagen der Staatengemeinschaft

Die Bekämpfung von Ebola ist das primäre Ziel der nationalen und internationalen Organisationen. Selbst wenn dieser Kampf optimal verläuft (wovon leider nicht auszugehen ist) wird der wirtschaftliche Schaden in der Krisenregion enorm sein und es wird Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die Folgen überwunden wurden. Sollte die Eindämmung der Seuche jedoch nicht gelingen, steht die Region vor einer massiven ökonomischen und humanitären Katastrophe, die ihres Gleichen sucht. Die gerade erst wiedergewonnene brüchige Stabilität in diesen durch jahrzehntelangen Bürgerkrieg zerrütteten Ländern wäre dann schon bald Makulatur. Es wäre dann auch naiv zu denken, dass die Seuche an den Grenzen halt macht. Und dabei geht es nicht um Europa oder Nordamerika, die aufgrund ihres fortschrittlichen Gesundheitssystems kaum betroffen wären. Aber was passiert, wenn die Seuche in den nächsten Monaten eine der dicht besiedelten und vollkommen chaotischen Metropolen wie beispielsweise das nigerianische Lagos mit seinen konservativ geschätzten zehn Millionen Einwohnern erreicht?

Die Dramatik der Lage scheint in den reichen Regionen des Nordens jedoch nicht angekommen zu sein. Zu wenig, zu spät – so lässt sich die Hilfe der so genannten Staatengemeinschaft zusammenfassen. Die Welternährungsorganisation FAO ist immer noch auf der Suche nach 30 Mio. US$, um ein Programm zu starten, mit dem die Lebensmittelversorgung in der Krisenregion stabilisiert werden soll. Das WFP der Vereinten Nationen benötigt nach eigenen Angaben 179,6 Mio. US$ für unmittelbare Hilfsprogramme in der Region – davon wurden bislang lediglich 48 Mio. US$ freigegeben. Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen und die Deutsche Welthungerhilfe arbeiten in der Region zwar bereits meist über ihrer Kapazitäts- und Belastungsgrenze, sind jedoch spendenfinanziert und haben daher gar nicht die Mittel, die Seuche und ihre Folgen ausreichend zu bekämpfen.

Geradezu erbärmlich ist vor allem die kaum vorhandene Hilfe der deutschen Regierung.

17 Mio. Euro, 50 Feldbetten und jede Menge heißer Luft – mehr hat Afrika aus dem reichen Deutschland offenbar nicht zu erwarten.

Was soll das ganze dumme Gerede von einem Deutschland, das „nicht abseits stehen darf“ und „internationale Verantwortung tragen muss“? Offenbar versteht die politische Elite unter „internationaler Verantwortung“ lediglich das Führen von Kriegen und den Export von Waffen.

Afrika ist weit weg. Wenn dort hunderttausende Menschen sterben und die gesamte Region destabilisiert wird, interessiert dies im politischen Berlin – verzeihen Sie mir bitte die derbe Ausdrucksweise – keine Sau.

Das ist erbärmlich, das ist schäbig, das ist im höchsten Maße zynisch. Manchmal muss man sich wirklich schämen, ein Deutscher zu sein.