Maaßen wird Staats-Sicherheits-Sekretär – Hat die Speerspitze des Tiefen Staates ins Auge der Bundesregierung getroffen ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Mit einer aktuellen satirischen Ergänzung aus dem POSTILLON

Herr Maaßen hatte vor seinem Fall nach oben in der Öffentlichkeit behauptet:
„Wenn ich falle, fällt auch Seehofer !“
Was wusste der, das Seehofer in Verlegenheit hätte bringen können ?
Ist das mögliche, vom Steuerzahler aufzubringende Schweigegeld für die nächsten Jahrzehnte gut angelegt ?
Die Akten jedenfalls dürfen 12o Jahre lang weggesperrt werden

Es klingt nach Verschwörungstheorie, aber wenn ich vor der Enttarnung des NSU behauptet hätte, dass ein Trio junger Neonazis mindestens 9 feige Morde begeht und dabei jahrelang unter Beobachtung des BND und des Verfassungsschutzes steht und erst dann enttarnt wird, wenn eine Polizistin das Opfer wird, hätte mich Wikipedia garantiert unter diese Rubrik abgespeichert.
Aber es war so, und die Vertuschungsaktionen, während denen 3 aussagefähige Zeugen unter nicht aufklärbaren Bedingungen zu Tode kamen, machten alles noch schlimmer.
Eine Täterin hatte man noch zum Vorzeigen, obwohl ihr bei keiner der Morde die Anwesenheit nachgewiesen werden konnte.
In der JVA fühlt sie sich mittlerweile nach dem obigen Geschehen vermutlich sicherer als draußen. Sie hatte brav die zugewiesene Rolle gespielt.

Wolf Wetzel hat jahrelang recherchiert und auf den NachDenkSeiten kommentiert, dankeschön. Er hat auch untersucht, was aus den staatlichen Vertuschern wurde, u.a. einem Tatzeugen im staatlichen Dienst, für den sich schon die Reinemachefrau vom NDR eingesetzt hatte.
Weiter unten führe ich seinen Beitrag an und kann an den Parallelen zum Fall des Maaßen nicht vorbei schauen trotz meiner 64 Jahre alten Augen.
Siehe hier den sehr ausführlichen Beitrag vom 19. März 2018: https://www.nachdenkseiten.de/?p=43045
002 maassen bfv

Das „massive Behördenversagen“ in Sachen „NSU“ macht Karriere


der amtierende Chef des Inlandgeheimdienstes/BfV, Hans-Georg Maaßen, ließ 2015 die Öffentlichkeit wissen:

„Ich weise diese Kritik zurück; viele Vorwürfe sind unsachlich oder zu pauschal. Klar ist: Mein Amt war nicht zuständig für die Fahndung nach dem Trio. Das war Aufgabe der Polizei und der Staatsanwaltschaften. Damals sind schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzurechnen.“ (taz vom 11.2.2015)

Ein mehr als durchsichtiger Versuch, einen nicht gemachten Vorwurf mit Verve zurückzuweisen. Denn niemand erwartete vom BfV, dass es die Fahndung nach untergetauchten Neonazis selbst in die Hand nimmt, was ihm untersagt ist. Vielmehr lautet der vielfach belegte Vorwurf, den eigenen Vorgaben massiv zuwider gehandelt zu haben:
Informationen und Kenntnisse über die untergetauchten Neonazis an die zuständigen Polizeibehörden weiterzugeben, um schwere Straftaten zu verhindern bzw. an der Aufklärung einer begangenen Straftat mitzuwirken.
Genau dies ist nachweislich in unzähligen Fällen nicht passiert! Zahlreiche Festnahmemöglichkeiten wurden durch Interventionen von seiten des Verfassungsschutzes, dem sich das Innenministerium anschloss, verhindert:

„Vergangene Woche war in einer vertraulichen Sitzung des Thüringer Justizausschusses bekannt geworden, dass ein halbes Dutzend Aktennotizen aus der Zeit zwischen 2000 und 2002 existieren, laut denen das Innenministerium Festnahmeversuche verhindert hatte.“ (Frankfurter Rundschau vom 8.12.2011)

Dennoch erntete der neue Geheimdienst-Chef für diese Irreführung und Selbstamnestierung keine erbosten Gegenstimmen, keine Entrüstung aus dem parlamentarischen Raum.
Schon gar nicht antwortete man ihm mit Entlassung.

Bleiben wir einmal bei dieser Art der „Aufklärung“. Wenn zumindest viele „Einzelne“ gegen Strafgesetze und Dienstvorschriften verstoßen haben, dann müssten doch all jene „Einzeltäter“ mit straf- bzw. dienstrechtlichen Mitteln belangt worden sein. Das Ergebnis ist mehr als niederschmetternd.

Ich möchte dies an einigen herausragenden Personen nachzeichnen, die in exponierter Position dieses „massive Behördenversagen“ ermöglicht haben.

Andreas Temme, V-Mann-Führer im Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen

Andreas Temme war beim Mord an Halit Yozgat in einem Internetcafé in Kassel 2006 am Tatort gewesen. Er hatte sich dort unter falschem Namen eingeloggt und war der einzige Zeuge, der sich nicht gemeldet hatte.
Die Polizei ermittelte seine wahre Identität und führte ihn längere Zeit als Tatverdächtigen.
Nachdem alle ihm vorgesetzten Dienststellen das polizeiliche Ermittlungsverfahren torpedierten, wurde das Verfahren im Januar 2007 gegen ihn eingestellt.

Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen häuften sich disziplinarrechtliche „Vergehen“:

  • Er machte während seiner Einlassungen Falschaussagen.
  • Bei ihm wurden zahlreiche Waffen und Munition gefunden.
  • Er konsumierte faschistisches Propagandamaterial und Cannabis.

Man leitete ein Disziplinarverfahren ein – ohne jemals tatsächlich zu ermitteln. Ein Phantom-Verfahren oder eine „Farce“, wie es die SPD-Obfrau Nancy Faeser qualifizierte.

Der damit beauftragte Regierungsdirektor am Regierungspräsidium Darmstadt, Wolfgang V., erklärte im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags am 30.9.2016, dass er nicht einmal Temmes Namen erfahren habe „und keine konkreten Vorwürfe“. (FR vom 4.10.2016). Am 26.2.2007 stellte er etwas ein, was nur dem Anschein dienen sollte.

Temme hat heute einen geruhsamen Job in der Rentenabteilung des hessischen Innenministeriums.

Michael Menzel, Einsatzleiter in Eisenach 2011, später Chef der SOKO „Capron“ und zugleich Leiter der Polizeidirektion in Gotha

Am 4. November 2011 soll die Polizei durch Zeugen auf einen Campingwagen in Eisenach aufmerksam gemacht worden sein, in den sich mutmaßliche Bankräuber geflüchtet haben sollen.
Man will zwei Schüsse gehört haben. Die Schüsse wurden nicht auf Beamte abgefeuert.
Laut Ermittlungsergebnis tötete Uwe Mundlos mit einer Pumpgun zuerst Uwe Böhnhardt mit einem Schuss in den Kopf.
Dann setzte er den Campingwagen in Brand, lud das ca. 80 Zentimeter lange Repetiergewehr nach, richtet den Lauf von unten gegen den eigenen Kopf und tötet sich selbst.
Wenig später war die Feuerwehr vor Ort, löschte den Brand und machte zu Dokumentationszwecken Fotos – auch vom Innenraum.

Entgegen dieser bis heute gültigen Version erzählte Michael Menzel, damaliger Leiter der für Eisenach zuständigen Polizeidirektion Gotha (später Chef der SOKO „Capron“), der BILD-Zeitung etwas ganz Anderes:
„Wir wussten, dass sie scharfe Waffen hatten. … “, sagte Menzel. (Bild.de vom 26.11.2011).

Wenn die bis heute gültige Version die richtige ist, dann hat der Leiter der Polizeidirektion Gotha eine Falschaussage gemacht!

Tatsächlich traf Michael Menzel knapp 30 Minuten nach Auffinden des Campingwagens am Tatort ein. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die Kamera des Feuerwehrmanns zu beschlagnahmen.
Eine Amtsanmaßung, eine Straftat im Amt, denn es gab keinen einzigen dienstlichen Grund, die Fotos, die zu Dokumentationszwecken erstellt werden, zu kassieren.
Obwohl es zum Einmaleins der Ermittlungsarbeit gehört, bestimmte weder ein Notarzt vor Ort den Todeszeitpunkt, noch konnte die Gerichtsmedizin ihrer Arbeit nachgehen, anhand von Blutmusterbildern zu überprüfen, ob diese mit dem angenommenen Geschehensablauf übereinstimmen. Die Gerichtsmediziner wurden einfach weggeschickt.

Wenig später ordnete Michael Menzel an, den ausbrannten Campingwagen über eine 20 bis 30 Grad geneigte Rampe abzuschleppen, wodurch der mögliche Tatort im Polizeijargon „kontaminiert“, also für eine Spurenauswertung unbrauchbar gemacht, wurde. Eine Spurensicherung vor Ort wurde also unterlassen.

Damit wurden gängige und im Schlaf eingeübte Ermittlungsmethoden komplett ausgeschaltet, was zur Folge hat, dass alle „Ermittlungsergebnisse“, die später präsentiert wurden, wertlos sind, also einem Verwertungsverbot unterliegen müssten.

Eine Serie von „Pannen“ also, die auf systematische Weise die Rekonstruktion der tödlichen Ereignisse verhindert hatte. All dies ist unter Leitung und auf Anweisung des späteren Chefs der SOKO „Capron“ passiert. Hat man ihn wenigstens wegen der „Pannen“ gerügt oder sanktioniert?

Menzel ist derzeit im Thüringer Innenministerium Referatsleiter Verbrechensbekämpfung.“ (thueringer-allgemeine.de vom 18.11.2015)

Viel höher kann man nicht „fallen“. (mein Kommentar: doch, er könnte noch Nachfolger von Maaßen werden !)

Gordian Meyer-Plath | Verfassungsschutz in Brandenburg

Gordian Meyer-Plath war zeitweilig V-Mann-Führer des angeworbenen Neonazis Carsten Szczepanski mit Deckname „Piatto“:
„Von Januar 1997 bis Oktober 1998 war er VM-Führer von Piatto, zusammen mit einem zweiten VM-Führer, der bisher nicht eindeutig identifiziert ist. Meyer-Plath traf sich 37-mal mit Piatto, der bis zu 300 DM pro Treff als Honorar bekam, insgesamt 50.000 DM, zuzüglich Extraprämien für besonders wertvolle Informationen und Spesen.“ (Thomas Moser)

Der Neonazi und V-Mann Carsten Szczepanski ist zweifelsohne eine Schlüsselfigur im NSU-VS-Komplex:
„Der Mann war 1995 wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer (Steve Erenhi, d.V.) zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Er wurde damals im Gefängnis zu einem Informanten der Behörde und lieferte auch Hinweise auf die Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle.
Meyer-Plath hatte lange in der Verfassungsschutzabteilung des Brandenburger Innenministeriums gearbeitet und gehörte in den 90er Jahren zu den Führern des V-Mannes. Meyer-Plath betonte, ihm sei bekannt gewesen, dass der Mann ein führender und gefährlicher Rechtsextremist gewesen sei. Seine Vorgesetzten hätten sich aber aus strategischen Gründen für die Kooperation entschieden.
‚Ich habe die Früchte geerntet und das nicht hinterfragt‘, sagte er. (…) Der V-Mann lieferte 1998 auch Hinweise auf das gerade abgetauchte rechtsextreme Terrortrio NSU.“ (spiegel.de vom 15.4.2013)

Was 2013 noch nebulös als Hinweise umschrieben wurde, steht nun mehr als quellensicher fest. Der zweite V-Mann-Führer von „Piatto“ bestätigte am 2.3.2016 vor dem OLG in München genau das, was Recherchen bereits ans Licht gebracht hatten: Bereits 1998 habe ihm „Piatto“ erzählt, „die Unterstützer wollten Waffen für die drei besorgen und aus Konzerterlösen bezahlen. ‚Piatto’ habe ihm als Info-Quelle zwei Anführer der „Blood & Honour“-Gruppe genannt. Das war 1998 einer der wenigen Hinweise bundesweit auf den NSU.“ (pnn.de vom 3.3.2016)

Bei den „drei“ handelte es sich um die abgetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Nach seiner Haftentlassung 1999 machte er sich als Neonazi und V-Mann an den Aufbau von Wehrsportgruppen und beteiligte sich aktiv daran, einen Ableger von „combat 18“ aufzubauen.
Nach vollbrachter staatlich geförderter Neonazitätigkeit wurde er ins Zeugenschutzprogramm genommen und vor rechtstaatlichen Ermittlungen abgeschirmt: Der Verfassungsschutz Brandenburg verhindert durch eine sogenannte Sperrerklärung, dass der Neonazi und V-Mann in Münchner NSU-Prozess umfänglich aussagt.

Ganz auf der Linie des Justiz- und Innenministeriums agierte auch Gordian Meyer-Plath. Am 22. April 2015 wurde er als Zeuge im NSU-Prozess in München gehört.
Sein Erinnerungsvermögen glich dem der Neonazis, die als Zeugen gehört wurden. In den allermeisten Fällen, vor allem dann, wenn es konkret wurde, konnte er sich nicht erinnern. Manchmal verwies er auch auf seine Aussagebeschränkung.

Was auch hier bestenfalls als „Panne“ bedauert wird, ist der Aufbau eines neonazistischen Untergrundes, seine Co-Finanzierung und die gezielte Unterlassung von Möglichkeiten, neonazistische Straftaten zu verhindern.

All das hat Gordian Meyer-Plath nicht geschadet: Er ist seit 2013 Präsident des Verfassungsschutzes in Sachsen.

Referatsleiter Axel M. | Deckname Lothar Lingen | Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV in Köln

Der Referatsleiter im BfV, mit dem Decknamen Lothar Lingen, „über Jahre verantwortlich für das Anwerben und Führen rechtsradikaler Spitzel, hat am Vortag (am 10.11.2011) um 10.25 Uhr per Mail den Auftrag erteilt, Dokumente zu sechs V-Männern aus Thüringen und einem aus Niedersachsen zu vernichten.
Die Akten zu den Fällen Tobago, Tusche, Treppe, Tonfarbe, Tacho, Tinte, Tarif würden ‚nicht mehr gebraucht‘.
Die Spitzel führte das Amt von 1999 bis 2003 – im Rahmen der ‚Operation Rennsteig‘.“ (Operation Konfetti, stern.de vom 16.10.2012)

Das Magazin Der Stern zeichnete die „Operation Konfetti“ wie folgt nach: „Am 4. November 2011 erschießen sich in einem Wohnmobil zwei Männer. In Zwickau explodiert ein Haus. Eine Mordserie endet. Seit Jahren bleiben Fragen unbeantwortet. (…) Köln, Bundesamt für Verfassungsschutz, 10. November 2011. Frau N., Sachbearbeiterin, gewissenhaft, fragt sicherheitshalber noch einmal nach.

“Was soll hier vernichtet werden?”
“Sechs Akten”, sagt der Referatsleiter M.
“Sind das denn V-Mann-Akten, oder sind das Werbungsakten?”
“Es sind V-Mann-Akten.”
“Die werden doch nicht vernichtet. Wieso sollen die vernichtet werden?”
“Tun Sie das, was ich sage.”
“Nein, das tue ich nicht. Geben Sie mir das schriftlich.”
Referatsleiter M. schickt eine E-Mail.

Einen Tag später, zwischen zehn und elf Uhr, schiebt Frau N., gewissenhaft und zusammen mit einem Kollegen, sechs Akten in den Schlund des gewaltigen Reißwolfs im Keller des Bundesamts.
Sechs Akten, auf die der Referatsleiter stieß, als er hektisch nach drei Namen suchte: Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt. (…)
Drei Namen, die den Verfassungsschützern seit einer Woche Sorgen machen, seit Maskierte eine Bank in Eisenach überfielen und ein Haus in Zwickau explodierte.
Namen, die schon bald mit einer Mordserie verbunden, zu Synonymen einer Staatsaffäre werden.“ (Stern vom 26.11.2014)

Nachdem dieser Vorgang nicht mehr als ganz normaler Vorgang im Rahmen gesetzlicher Löschfristen frisiert werden konnte, galt es einen hierarchiefreien Einzelgänger zu finden.
Genau dies tat der damalige Vize-Präsident Klaus-Dieter Fritsche in seiner Erklärung am 18.12.2012 vor dem PUA in Berlin wie folgt:

„Hiervon getrennt zu sehen ist der Sachverhalt der außerordentlichen Aktenvernichtung im BfV noch nach Bekanntwerden des NSU, über den ich erstmalig am 27.06.2012 Kenntnis erlangt habe und der mich fassungslos gemacht hat. Ich habe den damaligen Präsidenten des Bundesamtes unmittelbar aufgefordert, den Sachverhalt umfassend zu erheben und habe mir gleichzeitig disziplinarrechtliche Maßnahmen vorbehalten. (…) Ich möchte seinem heutigen Abschlussbericht in diesem Ausschuss nicht vorgreifen. Aber das offensichtlich bewusste, individuelle Fehlverhalten eines Referatsleiters hat dazu geführt, eine ganze Behörde in Verruf zu bringen.

Gehen wir auch hier davon aus, dass wieder einmal ein hochrangiger Beamter ganz eigensinnig und seiner inneren Stimme folgend, genau jene Beweismittel vernichtet hatte, die zuvor angefordert wurden.
Glauben wir weiterhin, dass ein solcher Beamter „eine ganze Behörde in Verruf“ gebracht hat, dann müsste es ihm in der Folge ganz schlimm ergangen sein!

Vor allem dann, wenn spätestens seit dem 24. Oktober 2014 mit seiner Vernehmung durch BKA-Beamte aktenkundig ist, dass weder Löschfristen, noch ein Versehen für die Vernichtung von V-Mann-Akten verantwortlich sind, sondern eine gezielte Vertuschung der Tatsache, dass der Verfassungsschutz zahlreiche V-Leute im Nahbereich des NSU hatte:

„Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt, also die Anzahl unserer Quellen (…) in Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht mehr auftaucht“, sagte Lingen laut BKA-Protokoll. (FR vom 5.10.2016)

Der Referatsleiter des Inlandgeheimdienstes hat also nicht nur wichtige Beweismittel vernichtet, die den Staatsanteil im NSU-Komplex qualifizieren könnten.
Er hat darüber hinaus diese Straftat mit vorgetäuschten Amtshandlungen verdeckt. Welche Folgen hatte dieses „offensichtlich bewusste, individuelle Fehlverhalten eines Referatsleiters“?

Er wurde ins Bundesverwaltungsamt in Köln versetzt, „wo er unter anderem Personenvorschläge für Auszeichnungen durch den Bundespräsidenten erarbeitet“ (FR vom 5.10.2016), unter seinem echten Namen: Axel Minrath.

Alexander Eisvogel | Direktor im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)

Alexander Eisvogel hatte von 2004 bis 2006 als Direktor beim Verfassungsschutz die damals neu gegründete Abteilung “Islamischer Extremismus und islamistischer Terrorismus” geleitet. Von seinem Amtskollegen im hessischen Verfassungsschutz bekam er die Anfrage, ein Gutachten anzufertigen, das den Schutz von V-Leuten unterstreichen sollte. Hintergrund dieses Ansinnens war, dass die ermittelnde Polizei im Mordfall Kassel 2006 den hessischen Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme als möglichen Tatverdächtigen führte. Dieser war zur Tatzeit anwesend und „führte“ u.a. den Neonazi Benjamin Gärtner, der zum NSU-Netzwerk gehörte, als V-Mann.
Da er am Tattag telefonischen Kontakt zu besagtem Neonazi und V-Mann hatte, wollten die Ermittler diesen Neonazi als Zeugen befragen.

Das beauftragte Gutachten kam zu dem Schluss, dass der Schutz von V-Leuten „unabdingbar“ sei und dies auch die „Sicherheitslage“ verlange.
Dank dieses Gutachtens wies der damalige Innenminister Volker Bouffier den Antrag auf Vernehmung dieses V-Mannes zurück.

Weniger als zwei Monate nach der Erstattung des Gutachtens wurde Eisvogel von Bouffier zum Präsidenten des hessischen Verfassungsschutzes ernannt.“ (FR vom 10./11.9.2016)

Auch das sollte noch nicht alles sein:

„Nach seiner Rückkehr zum BfV als dessen Vizepräsident leitete er zuletzt das Projekt zur Reform des Verfassungsschutzes.“ (n24. de vom 15.9.2013)

Klaus-Dieter Fritsche | Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Klaus-Dieter Fritsche war von Oktober 1996 bis November 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Im September 2003 verfasste er in dieser Funktion einen als geheim eingestuften Bericht, der die Frage nach einer „braunen RAF“, also nach terroristischen Strukturen und Verbindungen innerhalb der Neonaziszene, beantworten sollte.
Laut dem Magazin Stern kam der Bericht zu folgendem Ergebnis:

„Fritsche erinnerte die These von der braunen RAF an Berichte über ‚drei Bombenbauer aus Thüringen, die seit mehreren Jahren abgetaucht‘ seien. Dabei seien ‚diese Personen auf der Flucht‘ und hätten ‚seither keine Gewalttaten begangen‘. Ihre Unterstützung sei ‚nicht zu vergleichen mit der für einen bewaffneten Kampf aus der Illegalität‘. Zudem seien ‚Absichten für einen solchen Kampf in der rechtsextremistischen Szene nicht erkennbar‘, ein ‚potenzielles Unterstützerumfeld‘ gebe es ‚nicht‘.“ (Operation Konfetti, stern.de vom 16.10.2012)

Von Dezember 2005 bis Dezember 2009 arbeitete Fritsche als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Er hatte also leitende Funktionen inne, als das Totalversagen seinen Lauf nahm.
Und spätestens seit 2006 wusste er nicht nur, was im Bundesamt für Verfassungsschutz gemacht bzw. unterlassen wurde, sondern auch, was der Militärische Abschirmdienst/MAD dazu beigetragen hat.

Nachdem die Existenz des NSU nicht mehr zu verheimlichen war, versprach die Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Opfer des NSU-Terrors lückenlose Aufklärung.
Wie das gemeint war, bewies das Bundesamt für Verfassungsschutz zeitnah: Es wurde eine umfangreiche Vernichtung von V-Mann-Akten angeordnet, die im Nahbereich des NSU operiert hatten:

„Berlin, 14. November 2011, Bundesinnenministerium.
Ein Sachbearbeiter ist es, zuständig für Geheimschutz im Referat ‘S III 3‘, der einen vertraulichen ‚Vernichtungserlass‘ ans BfV abschickt. Es ist eine Weisung: Akten zu Abhörmaßnahmen müssten vernichtet werden, weil Löschungsfristen abgelaufen seien. Die ‚Sammelanordnung‘ betrifft auch sechs Ordner mit Abhörprotokollen von Rechtsextremisten.
Der Auftrag zum Schreddern kommt direkt aus dem Ministerium – aus einer Abteilung aus dem Bereich des Sicherheits-Staatssekretärs Fritsche.“
(Operation Konfetti, stern.de vom 16.10.2012)

Um zu klären, wie „versehentlich“ wichtige Akten von V-Leuten im Nahbereich des NSU vernichtet werden konnten, wurde Klaus-Dieter Fritsche am 18.10.2012 als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss in Berlin befragt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Bediensteten dieser Behörde gab er sich mit Bedauern und Erinnerungslücken nicht ab.
Er machte klar und deutlich, warum es hier geht, warum seine Behörde so gehandelt hat, warum alles richtig war und ist:

Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ‚Kenntnis nur wenn nötig‘. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive.
Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.“

Damit war die Frage beantwortet, warum über 300 Akten vernichtet worden sind, warum zahlreiche V-Mann-Akten nur geschwärzt einsehbar sind, warum der Tatanteil von V-Männern am Zustandekommen des NSU bis heute gedeckt wird. Die offene und unmissverständliche Ankündigung und Rechtfertigung, die juristische und politische Aufklärung zu sabotieren, hat auch diesem Mann nicht geschadet. Im Gegenteil: Er wurde dafür fürstlich belohnt.

Seit Dezember 2013 ist er Staatssekretär für die Belange der Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt. Dieser Posten wurde von der Bundeskanzlerin Angela Merkel neu geschaffen.

Freispruch am laufenden Meter

Man muss den Ausgang im NSU-Prozess in München nicht abwarten, um mit dieser Art der „Aufklärung“ abzuschließen.
Denn lange bevor das Urteil in München gesprochen wird, wurden die an dem „massiven Behördenversagen“ Beteiligten mit diesen Belobigungen „gefeiert“.

Und es lässt sich ein mehr als düsteres Fazit ziehen:
Wenn all jene nichts zu befürchten haben, die den NSU ausgestattet haben, Festnahmemöglichkeiten verhindert hatten, V-Leute als Neonazis gewähren ließen, Akten vernichtet haben, die dies belegen würden – wenn diese vielmehr gedeckt, beschützt, belohnt und befördert werden, dann haben sie nichts falsch, sondern alles richtig gemacht.

Quelle: Eine sehr gute Zusammenfassung zur „Operation Konfetti“ findet sich hier (stern.de vom 16.10.2012)

Wolf WetzelDer NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2015/3. Auflage

https://www.der-postillon.com/2018/09/nahles-maassen-spd.html?m=1

Nahles verteidigt Maaßen-Deal: „Versager zu befördern hat eine lange Tradition in der SPD“

NahlesBerlin (dpo) – Nach scharfer Kritik durch Medien und Parteikollegen hat SPD-Chefin Andrea Nahles heute den Kompromiss der Großen Koalition zur Personalie Maaßen mit klaren Worten verteidigt.
„Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Versager zu befördern hat doch eine lange Tradition in der SPD“, so Nahles in einer Pressekonferenz. „Seit Jahrzehnten befördern wir Wahlverlierer und jene, die mit ihrer Politik für den Absturz unserer Partei verantwortlich sind, in immer höhere Positionen.“
So sei etwa Peer Steinbrück zur Belohnung für seine Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zum Finanzminister und später gar zum Kanzlerkandidaten befördert worden. Heiko Maas wurde nach seiner Niederlage im Saarland mit dem Posten als Justizminister belohnt. Frank-Walter Steinmeier, der die Bundestagswahl 2005 in den Sand gesetzt hat, sei inzwischen Bundespräsident. Selbst Kanzlerkandidat Martin Schulz sollte nach seiner krachenden Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 mit dem prestigeträchtigen Amt des Bundesaußenministers belohnt werden.
„Da ist es doch völlig klar, dass wir einen Mann wie Maaßen, der gegen Journalisten wegen Landesverrats ermitteln ließ, zweifelhafte AfD-Kontakte pflegte, Snowden als russischen Agenten bezeichnete, über V-Leute im Umfeld des Terroristen Amri log und zuletzt Äußerungen zu Chemnitz tätigte, die er nicht belegen konnte, nicht einfach rausschmeißen, sondern in einen höheren Posten heben“, so Nahles.
„Auch ich wäre ohne dieses Prinzip nie Parteivorsitzende geworden. Ich meine, schauen Sie mich doch mal an! Aber nicht zu lange, sonst gibt’s auf die Fresse.“ Sie schaut kurz ernst und bricht dann in schallendes Gelächter aus.

Distanzierung von allen fremden Inhalten
Laut Urteil vom 12. Mai 1998 – 312 O 85/98 – hat das Landgericht (LG) Hamburg entschieden, dass man durch die Erstellung eines Links, die Inhalte der gelinkten Seite ggf. mit zu verantworten hat. Nur durch ausdrückliche Distanzierung von diesen Inhalten ist dies zu vermeiden.
Wir erklären deshalb an dieser Stelle ausdrücklich, dass wir uns von den Inhalten aller Internetseiten, auf die per Hyperlink verwiesen wird (einschließlich der dort verankerten Links zu Dritten) voll umfänglich distanzieren.
Die redaktionelle Verantwortung für den Inhalt dieser Seiten trägt in jeder Hinsicht der jeweilige Anbieter allein.

Jochen

Der V-Mann Führer Andreas Temme und die politische/juristische Aufklärung in Form eines Bestattungsunternehmens

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aus Spanien, trotz erschwerter Internet-Bedingungen.
Vielleicht erregt sich ja ein mutiger Hesse so, dass er den Bouffier wegen Strafvereitelung im Amt anzeigt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch nochmals auf Wolfgang Schorlaus sehr guten Politkrimi „Die schützende Hand“ hinweisen, wo das ganze unter dem Schutz der Fiktion, aber sehr nahe der bisher dokumentierten Realität beschrieben wurde. 5268281700001nWir wollen auch nicht vergessen, dass die Panorama-Chefredakteuse kurz nach dem Auffliegen von Temme einen Reinwaschungsbeitrag in ihre Sendung „Panorama“ einbrachte.
Hier im Volltext der NachDenkSeiten: http://www.nachdenkseiten.de/?p=34749

Das Oberlandesgericht in München hat kurz vor der Sommerpause die Akte Temme geschlossen.
Der V-Mann-Führer des hessischen Geheimdienstes Andreas Temme hatte sich zur Tatzeit in dem Internetcafé in Kassel aufgehalten, in dem Halit Yozgat am 6. April 2006 durch zwei Schüsse in den Kopf ermordet wurde. Die Frage, welche Rolle der V-Mann-Führer spielte, der seine Anwesenheit leugnete und vor allem durch Falschaussagen auffiel, sollte auch im Prozess in München geklärt werden. Nun ist der Fall „geklärt“: Das OLG hält Andreas Temme für glaubwürdig und unschuldig, die „Wahrheitssuche“ für abgeschlossen und weitere Beweisanträge der Nebenkläger für überflüssig. Von Wolf Wetzel[*].

Stellen Sie sich einmal vor, sie bekämen folgendes Drehbuchskript zur Begutachtung:

Als junger Mann trägt der Protagonist aufgrund seiner neonazistischen Gesinnung den Spitzname ‚Klein Adolf’. Dann wird er Geheimdienstmitarbeiter beim hessischen Verfassungsschutz. Er ‚führt’ seine Neonazis als V-Leute. Er und seine als V-Leute geführten Neonazis sollen Straftaten vor ihrer Begehung verhindern. Seine Vorgesetzten bezeichnen ihn als ausgezeichneten Mitarbeiter. Dieser Mann hat einen ‚siebten Sinn’. Als NSU-Mitglieder in Kassel 2006 den Internetbesitzer Halit Yozgat mit zwei Schüssen in den Kopf hinrichten, sitzt er mittendrin. Kurz nach dem Mord verlässt er seinen Internetplatz und legt ein Geldstück auf den Tisch, der mit Blutspritzern bedeckt ist. Der Besitzer liegt tot hinter dem Schreibtisch.
Wenig später wird er sich an nichts erinnern: Weder will er das Internetcafe gekannt, noch Schüsse gehört haben, geschweige denn den schwer verletzten Halit Yozgat hinter seinem Schreibtisch gesehen haben.

In den zahlreichen Vernehmungen, erst als Tatverdächtiger, dann als Zeuge bleiben mehr Falschaussagen zurück, als glaubwürdige Einlassungen. Seine Vorgesetzten halten eisern zu ihm, treffen sich mit ihm auf einer Raststätte, machen ihm Mut und erinnern ihn unentwegt an die ‚Kasseler Problematik,’ in der er auch ein bisschen drinstecke.

Das Verfahren gegen ihn wird eingestellt. Heute hat er einen ruhigen Job in der Rentenabteilung des hessischen Innenministeriums.

Sie würden ein solches Skript als haarsträubend konstruiert in den Papierkorb werfen. Tatsächlich hat der V-Mann-Führer Andreas Temme bis heute „einen Stein im Brett“ – nicht nur bei seinen Vorgesetzten.

Das Oberlandesgericht/OLG – ein teures Bestattungsunternehmen

Das OLG hält für glaubwürdig, dass Andreas Temme, der im Nebenraum des Internetcafés saß, keine Schüsse gehört habe – ein Mann, der zum Spaß seine Freizeit im Schützenverein verbringt und im Besitz zahlreicher Waffen ist.

Es sei nachvollziehbar, dass der ca. 1,90 Meter große Andreas Temme dreimal an dem Sterbenden vorbeigegangen war, ohne den hinter seinem 80 Zentimeter hohen Tisch Liegenden gesehen zu haben.

Es hält für glaubwürdig, dass der V-Mann-Führer Andreas Temme weder den dahinter liegenden Halit Yozgat gesehen habe, noch die Blutspritzer auf dem Tisch, auf den er ein Geldstück legte.

Das OLG hält es für plausibel, dass Andreas Temme, als gegen ihn als möglichen Tatbeteiligten ermittelt wurde, erst glaubhaft bestritt, dass er das Café überhaupt kenne, dann glaubhaft leugnete, dass er an diesem Tag dort war und schließlich glaubhaft einräumte, dass er vermeiden wollte, dass seine schwangere Ehefrau davon erfährt, dass er in besagtem Internetcafé in einem „Flirtportal“ surfen gegangen ist.

Und noch plausibler hält das OLG die eigene Entscheidung, die Schmauchspuren an Handschuhen, die in seinem Zimmer (bei seinen Eltern) gefunden wurden, nicht daraufhin zu untersuchen zu lassen, ob sie identisch sind mit der verwendeten Munition der Tatwaffe.
Sachlich, nachvollziehbar und plausibel“ finden das deutsche Richter summa summarum und üben schon einmal für das Urteil, das bald über eine neonazistische Terrorgruppe namens NSU gefällt werden wird, die – mindestens genauso sachlich, nachvollziehbar und plausibel – aus drei Mitgliedern bestanden habe. Im Namen des deutschen Volkes.

So kafkaesk diese Wahrheitssuche auch ist, sie deckt nur mühsam zu, was der Fall Temme wie kein anderer Stolperstein in der NSU-Aufklärung belegen hilft.
Er kann dazu beitragen, bestimmte, vage Ausdeutungen aus dem Weg zu räumen.

Dazu gehört das von vielen geteilte Urteil, der Schlüssel für das „Komplettversagen“ sei schlampige Ermittlungstätigkeit der Polizei und ein institutioneller Rassismus, der die Ermittlungsrichtung leite.

Der Fall Temme in Kassel belegt eindrucksvoll, dass dieser Vorwurf einiges erklären kann, aber auch einiges zudecken und verbergen hilft, wenn es um die Gründe für Ermittlungssabotage, für den Schutz möglicher Mittäter oder Personen geht, die Täterwissen haben.

Die polizeilichen Ermittlungen waren in Kassel – im Gegensatz zu anderen NSU-Tatorten – durchaus konsequent, geradezu vorschriftsmäßig: Man ermittelte tatsächlich in alle Richtungen und stieß somit sehr schnell auf den hessischen Geheimdienstmitarbeiter Andreas Temme. Aufgrund der Beweismittel wurde er als Tatverdächtiger geführt und aufgrund seiner fortgesetzten Unglaubwürdigkeit abgehört – wochenlang und äußerst ergiebig. Dass die Polizei den Verfassungsschutz abgehört hatte, ist sicherlich keine Alltäglichkeit, umso aufschlussreicher sind die Protokolle, nachdem eine von Anwälten entdeckte Manipulation rückgängig gemacht werden konnte. Sie belegen aufs Eindringlichste, wie sich sein Vorgesetzter, LfV-Direktor Lutz Irrgang, wie sich der Geheimschutzbeauftragte des LfV, Gerald-Hasso Hess, bis hin zum hessischen Innenministerium darum bemühten, die polizeilichen Ermittlungen zu sabotieren und Andreas Temme dergestalt zu coachen, dass die in Telefonaten immer wieder erwähnte „Kasseler Problematik“ unter dem Teppich bleibt.

Dass dies kein zufälliges Zusammenspiel überirdischer Kräfte ist, hat bereits im Juni 2012 Gerhard Hoffmann, leitender Kriminaldirektor des Polizeipräsidiums Nordhessen und damaliger Leiter der SOKO Café, gegenüber den Mitgliedern des NSU-Ausschusses in Berlin ausgesagt. Aus dem Gedächtnis gibt Mely Kiyak folgenden Dialog zwischen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses (UA) und dem SOKO-Chef Gerhard Hoffmann (GH) wieder:

»GH: Innenminister Bouffier hat damals entschieden: Die Quellen von Herrn T. können nicht vernommen werden. Als Minister war er für den Verfassungsschutz verantwortlich.
UA: Er war doch auch Ihr Minister! Ist Ihnen das nicht komisch vorgekommen? Jedes Mal, wenn gegen V-Männer ermittelt wurde, kam einer vom Landesamt für Verfassungsschutz vorbei, stoppt die Ermittlung mit der Begründung, der Schutz des Landes Hessen ist in Gefahr. Aus den Akten geht eine Bemerkung hervor, die meint, dass man erst eine Leiche neben einem Verfassungsschützer finden müsse, damit man Auskunft bekommt. Richtig?
GH: Selbst dann nicht …
UA: Bitte?
GH: Es heißt, selbst wenn man eine Leiche neben einem Verfassungsschützer findet, bekommt man keine Auskunft.«
(FR vom 30.6.2012)

Eigentlich hatte der Leiter der ›SOKO Café‹ bereits sehr früh alles Nötige gesagt, wie die ‚Aufklärung’ vonstatten zu gehen hat. Er hat die ‚rote Linie’ gezogen – und alle haben sich daran gehalten. Bis heute.

Dass das Gericht in München diese ‚rote Linie’ ohne tödliche Gefahr überschreiten könnte, dass diese auch die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Berlin und Wiesbaden übertreten könnten und müssten, wäre ihre Aufgabe, ihre Pflicht.

Dass sie es dennoch nicht tun, liegt ganz sicher nicht an mangelndem Wissen, schon gar nicht an fehlenden Möglichkeiten.

Ermittlungsmethoden

Wer sich mit polizeilichen Ermittlungstätigungen und -methoden beschäftigt, wird schnell erfahren, dass dort ›der Zufall‹ – also die Lehre vom Unwahrscheinlichen – als Erkenntnismethode nicht vorkommt. Zu Recht. Denn polizeiliche Ermittlungsmethoden gehen vom Gegenteil aus: von der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufes. Denn weder die Polizei noch ein Staatsanwalt noch ein Richter kennen die Wahrheit. Sie könnten im besten Fall nur ein Geschehen rekonstruieren – mithilfe von Indizien, Zeugen und Spuren. Ausgangspunkt ist folglich nicht ein Geschehen, ein bestimmtes, sondern verschiedene Geschehensabläufe, die sich aus den ›Beweismitteln‹ ergeben. Das bekommt – in der Theorie – den Namen: Ermittlungen ialle Richtungen.

Am Ende dieses Ermittlungsprozesses bleibt ein Geschehensablauf, der aufgrund der vorhandenen Beweismittel in sich konsistent ist, am plausibelsten rekonstruiert werden kann.

Nimmt man alle uns vorliegenden Beweismittel im Fall Kassel zur Grundlage und handelt nach diesen polizeilichen Prämissen, dann kommt man zu einem recht eindeutigen Ergebnis:

Für den Geschehensablauf, den Polizei und Gericht für die Ereignisse in Kassel für plausibel halten, spricht so gut wie nichts: Es gibt keine einzige Zeugenaussage, die die NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt als unmittelbare Tatbeteiligte nahelegen.

Einzig und allein die Tatwaffe (eine Česká 83), die im Brandschutt des Hauses gefunden wurde, in dem auch die NSU-Mitglieder wohnten, lässt eine Täterschaft des NSU infrage kommen. Mehr nicht.

Das ist ein schwacher, um nicht zu sagen, hauchdünner Beweis. Denn damit ist weder geklärt noch bewiesen, dass die beiden NSU-Mitglieder auch die Täter waren – selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die Waffe tatsächlich im Besitz der uns bekannten NSU-Mitglieder befand.

Gegen den Geheimdienstmitarbeiter Andreas Temme sprechen zahlreiche Indizien und Sachbeweise:

  1. Ein neonazistischer Hintergrund
  2. Ein Duz-Verhältnis zu dem V-Mann und Neonazi Benjamin Gärtner, der zum NSU-Netzwerk zählt
  3. Die Anwesenheit zur Tat- und Mordzeit
  4. Das Mitführen einer Plastiktüte, in der sich laut Zeugenberichten die Tatwaffe befunden haben könnte. Von dieser berichtete auch seine Ehefrau, in einem abgehörten Telefonat: »willst du nicht mal auf mich hören? Ich sage noch, ne, nimm keine Plastiktüte mit!« (tagesspiegel.de vom 8.6.2015)
  5. Das Auffinden von Handschuhen, an denen sich Schmauchspuren befinden, die identisch mit denen sind, die die Tatwaffe hinterlässt
  6. Die Verweigerung einer Zeugenschaft
  7. Zahlreiche Falschaussagen in Verbindung mit Absprachen von Falschaussagen
  8. Die Verhinderung der Aufklärung angeblicher ›privater‹ Umstände durch seine Vorgesetzten

Vergleicht man – ohne Ansehen der Person – die Indizien und Sachbeweise, die für eine Täterschaft der drei stets genannten NSU-Mitglieder und/oder für die (Mit-)Täterschaft von Andreas Temme sprechen, dann braucht man für dieses Ergebnis keine kriminalistische Ausbildung.

Geht man – gemäß der vorliegenden Beweismittel – von einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit einer Täterschaft der uns bekannten NSU-Mitglieder aus, so belasten die restlichen 80 Prozent den hessischen Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme wegen möglicher Mittäterschaft bzw. Beihilfe zu Mord.

Fänden die polizeilichen Ermittlungsgrundsätze tatsächlich Anwendung, würde das Ermittlungsergebnis im Mordfall Kassel geradezu zwingend zu einer Anklage gegen Andreas Temme führen.

Dass dies bis heute nicht passiert ist, hat auch nichts mit Zufall zu tun.

Anders formuliert: Wenn die genannten „Beweismittel“ hinreichend die Täterschaft der beiden NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt belegen, dann müsste Andreas Temme zehn Mal lebenslänglich erhalten.

Jochen

Für deutsche Gewerkschaften gilt: Französisch lernen!

Dazu unten auch ein beitrag aus den NachDenkSeiten. Was die Rieser Nachrichten bzw. die Augsburger Allgemeine dazu schrieben, folgt dem Tenor: die sollen sich mal nicht so anstellen. Aber hier zunächst auszugsweise das Neue Deutschland:

Über die 
Solidarität mit den kämpfenden Nachbarn

Demo_Marseille2016

Marseille, März2016: Nationaler Demonstrationstag gegen das Arbeitsgesetz; Foto:dpa/Guillaume Horcajuelo

Dass im westlichen Nachbarland Frankreich seit Monaten ein Abwehrkampf gegen einen Generalangriff auf die Arbeiterbewegung läuft, scheint für deutschen Gewerkschaften kein großes Thema zu sein.

Von offiziellen Solidaritätserklärungen an die französischen Brudergewerkschaften und anderen Formen der Unterstützung ist an den Gewerkschaftsspitzen kaum die Rede. Dabei kann eigentlich jeder Betriebsrat und jeder Gewerkschafter hierzulande ein Lied davon singen, was mit der Agenda 2010 angerichtet wurde. Zudem geht es nicht nur um ein Nachholen der Hartz-Gesetze, sondern um schwerwiegende Angriffe auf die Rechte von Kernbelegschaften, die sich europaweit auswirken würden; und um den Versuch, mit Notstandsvollmachten die Gewerkschaften zu zähmen und die Demokratie außer Kraft zu setzen.

 An mangelnden Sprachkenntnissen dürfte es kaum liegen, dass sich viele Gewerkschafter schwer tun, direkte Kontakte zu protestierenden und streikenden Kollegen westlich von Rhein und Saar zu knüpfen. Dabei sind viele Streikzentren etwa bei der Staatsbahn SNCF von Stuttgart, Saarbrücken, Frankfurt oder Köln nur wenige Autostunden entfernt. Ein Besuch stärkt nicht nur den Streikenden den Rücken, die in diesen Tagen ganz ohne gewerkschaftliche Streikgelder große Opfer bringen. Er zeigt auch, wie sonst gegeneinander konkurrierende Richtungsgewerkschaften an einem Strang ziehen können. Und er wirft erneut die Frage auf, warum die deutschen Gewerkschaftsvorstände seinerzeit so sang- und klanglos hinnahmen, was mit den Namen Riester und Hartz bezeichnet wird, den Namen zweier namhafter IG Metall- und SPD-Mitglieder, die durch das deutsche Mitbestimmungsmodell Karriere machten.

Den Versuch einer ideologischen Rechtfertigung anhaltender Passivität lieferte im Herbst 2010 der damalige IG Metall-Chef Berthold Huber: Er distanzierte sich von »französischen Verhältnissen«, gab die Parole »nachhaltig statt französisch« aus und verkündete einen »langen Atem und das Bohren dicker Bretter«. Nachhaltig sind seither die zunehmende Prekarisierung, Hungerlöhne und Altersarmut in einem der reichsten Länder der Erde.

Doch während viele auf ein Aushungern der französischen Streikbewegung und die beginnende Fußball-EM als Ablenkung setzen, haben etliche gewerkschaftliche Untergliederungen Kontakte geknüpft, Infoveranstaltungen anberaumt, praktische Hilfe in die Wege geleitet. Die GEW Nordhessen ruft zur Spendensammlung für die Streikenden in Frankreich auf. In Hamburg wird am 20. Juni ein französischer Eisenbahner der Gewerkschaft SUD Rail bei ver.di über die aktuelle Lage berichten. In Dortmund trat am 1. Mai ein Vertreter der CGT als Hauptredner auf und berichtete über die Hintergründe der Protestbewegung.

Solche Ansätze sind wichtig und richtig und verdienen massenhafte Nachahmung.

Dazu heute die NachDenkSeiten auch zu einem der abgefeimtesten Beiträge, der im Kulturmagazin ttt der ARD gesendet wurde:

Die stille Nacht deutscher Qualitätsmedien und nuit debout in Frankreich – kurz vor Eröffnung der Fußball-EM.

Sicherlich wissen fast alle, dass nun die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich beginnt und heute Abend das Eröffnungsspiel in Paris stattfinden wird. Das wissen Sie, weil Sie Fußball mögen oder gar nicht an der fast täglichen Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten herumkommen. Wissen Sie auch, dass seit Ende März Zehntausende in Frankreich in über 200 Städten öffentliche Plätze besetzt hatten und besetzt halten, um gegen den anhaltenden Ausnahmezustand (état d’urgence) und die „Arbeitsmarktreform“ der französischen Regierung, die sich als sozialistisch ausgibt, zu demonstrieren?

Wissen Sie, dass diese Bewegungen mit massiven Protesten der Gewerkschaften einhergehen, mit Streiks und Blockaden der Lkw-Fahrer, der Angestellten beim staatlichen Bahnkonzern SNCF, mit einem Streik der Piloten der Fluggesellschaft Air France? Von Wolf Wetzel [*]

Und haben Sie die deutschen Qualitätsmedien darüber informiert, dass kurz nach dem Eröffnungsspiel, am 14. Juni eine internationale Demonstration in Paris stattfinden wird, zu der Gewerkschaften und die Bewegung ‚nuit debout’ (wache Nacht) aufrufen, unter dem gemeinsamen Motto: Rücknahme des Ausnahmezustandes und der Arbeitsmarktreform?
Eine Demonstration, die sehr wahrscheinlich mindestens so viele Menschen auf die Straße bringen wird, wie nach dem Anschlag in Paris 2015.

Als die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien 2014 stattfand, gab es zumindest in einigen Medien kritische Berichte über das Land, über die Regierung, über Korruption in Politik und Wirtschaft, über die ‚Säuberungen’ von ganzen Stadtteilen, über die Millionen von Menschen im Land, die sich das WM-Spektakel nicht leisten können. Wo bleibt diese kritische Vorberichterstattung zu Frankreich?

Auf der Suche nach einer solchen stieß ich am 6.6.2016 auf einen verheißungsvollen Bericht in 3sat: „Frankreich – Wild und schön“. Doch dieser führte nicht auf die besetzten Plätze in ganz Frankreich, zu den fast täglichen Demonstrationen, sondern in die Natur, in die Berge. „Ein Landschaftsbild“, so die Ankündigung des Senders. Man kann sich orwellscher Gedanken nicht erwehren.

Nuit debout – Das (Wieder-)Erwachen einer Bewegung

Am 12. Mai dieses Jahres hat die französische Regierung unter Hollande die Arbeitsmarktreform verabschiedet, deren Affinität zur deutschen Wirtschaftspolitik nicht zu übersehen ist. Denn was französische Regierungen zum wiederholten Mal durchzusetzen versuchen (zuletzt mit einer ‚Rentenreform’ unter Nicolas Sarkozy), ist hier sang- und klanglos über die Bühne gegangen: Die Agenda 2010 unter der damaligen rot-grünen Regierung: Ein großes Festival des Kapitals – eine einzige Niederlage der Gewerkschaften und der (außerparlamentarischen) Linken.

Doch nicht alles ist ein verspäteter, nacheilender Kniefall vor den Interessen des Kapitals. In Deutschland fand die ‚Agenda 2010’ eine ausreichende, satte parlamentarische Mehrheit. In Frankreich reicht es nicht einmal dazu. Selbst Mitglieder der Regierungspartei drohten mit einem ‚Nein’. Daraufhin entschied sich die Regierung dazu, das Parlament einfach zu entmachten, indem sie das Gesetz per Dekret in Kraft setzte.

Mit diesem Schritt macht sich die Regierung nicht nur zum Diener französischer Unternehmer. Sie liefert der neofaschistischen Partei Front National genau das, was diese für ihren Wahlkampf braucht: einen Beweis mehr, dass der Parlamentarismus eine teure und überflüssige Schaubühne darstellt.

All das zusammen hat das Fass zum Überlaufen gebracht und die Bewegung ‚nuit debout’ hervorgebracht – das Gegenteil von Stiller Nacht(duce nuit). Innerhalb weniger Tage und Wochen verbreitete sie sich wie Flugsand über die ganze Grande Nation. Man verbringt die Nacht nicht im Bett oder vor dem Fernseher, sondern auf der Straße. Man „kommuniziert“ nicht über Facebook, sondern direkt, hautnah. Man findet sich nicht ab, sondern unterbricht den Lauf der Dinge. Man wirft das diversifizierte und vereinzelte Private in den öffentlichen Raum, schafft also Raum für ein kollektives Miteinander. Dieses Wagnis findet seit Wochen statt, in großen und kleinen Städten Frankreichs, mit dem Ziel, auf unterschiedlichen Wegen die politischen und sozialen „gated communities“ zu verlassen: Ob SchülerInnen oder StudentInnen, ob Junge oder Alte, GewerkschaftlerInnen oder RentnerInnnen, AnarchistInnen oder KommunistInnen.

Die Stille Nacht der deutschen Qualitätsmedien

Als im Januar 2015 ein Trauermarsch mit fast einer Million TeilnehmerInnen auf die Terroranschläge vom 7. Januar 2015 reagierte, berichteten die deutschen Medien stündlich und stundenlang, direkt vor Ort, mit zig Reportern und Kameraeinstellungen. Man berichtete selbst über Ereignisse, die gar nicht stattfanden, die aber genau so stattfinden sollten, um sich auf diese Weise ins Gedächtnis einzubrennen. Als am 11. Januar 2015 in Paris Hunderttausende, unter dem Motto: On n’a pas peur! (Wir haben keine Angst!) auf die Straße gingen, konnte man in allen deutschen Medien live miterleben, wie sich der Zug in Bewegung setzte. An der Spitze, untergehakt und vereint, das versammelte politische Establishment: von Premier David Cameron bis zur Kanzlerin Angela Merkel, vom ukrainischen Oligarchen und Regierungschef Petro Poroschenko bis zum türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu. Ganz vorne, in der Mitte: François Hollande.

Ein bewegendes Bild … eine Fälschung erster Klasse. Noch in derselben Nacht hatten Anwohner einer Seitenstraße Bilder ins Netz gestellt, die zeigen, wie sich die „Staatsoberhäupter“ samt Sicherheitspersonal in einer abgeriegelten Nebenstraße versammelt hatten, um dort eine Demonstration zu simulieren, ungefähr eine halbe Stunde vor Beginn der eigentlichen Großdemonstration. Zu diesem „Dreh“ waren ausgewählte Journalisten und Fernsehanstalten eingeladen. Sie drehten die Szene ab, schossen ihre Fotos und achteten vor allem auf die Perspektive, um zu verhindern, dass man sehen konnte, was eigentlich nicht zu übersehen war: Diese ca. 50 ‚Staatsoberhäupter’ waren ganz alleine – niemand folgte ihnen. In fast allen Berichten wurde dieser Dreh mit den Staatsoberhäuptern der wenig später beginnenden Demonstration vorangestellt. Es sollte, es musste der Eindruck entstehen, unsere Staatenlenker stünden in der ersten Reihe, wenn es darum geht, keine Angst zu haben, die Demokratie zu verteidigen.
Als diese Fälschung öffentlich wurde und nicht mehr zu unterdrücken war, erlaubte sich die Süddeutsche Zeitung, die in diese Inszenierung eingebettet war, eine äußerst interessante Begründung:

„Stimmen die Bilder? Standen die Politiker wirklich an der Spitze des Protestzuges in Paris? Über das Bild von den untergehakten Politikern ist jedenfalls eine heftige Zankerei im Internet entbrannt, so wie über vieles im Netz gern gezankt wird.(…) Also alles gefälscht und inszeniert? Nein. Schon die Vorstellung, dass ein einziger Staatschef wenige Tage nach dem schlimmsten Terroranschlag der vergangenen Jahre in Europa durch Paris schlendert, würde jedem Personenwächter schlaflose Nächste bereiten. Die Gefahr ist hoch. (…) So stehen die Politiker vor einem unauflösbaren Dilemma: Sie stehen an der Spitze – aber eben nicht an der Spitze einer Massendemonstration. Wer das als Inszenierung abtut, der hat das Problem nicht verstanden.« (SZ vom 14.1.2015)

All das handelte dem embedded Journalismus den Vorwurf der Manipulation ein, worauf die meisten daran Beteiligten mit Schweigen antworteten, während die Süddeutsche Zeitung ihren Beitrag zur Manipulation der Öffentlichkeit dem Staatswohl andiente.
Derselbe Journalismus empört sich seit Wochen darüber, dass man ihn als „Systempresse“ oder „Lügenpresse“ bezeichnet.

Zumindest den Vorwurf der Lüge oder Manipulation kann man den deutschen Medien mit Blick auf die angesprochenen Ereignisse in Frankreich nicht machen. Denn Lügen sind sicherlich die ungeschickteste Form der Desinformation. Sie hinterlassen Spuren. Das Schweigen hingegen nicht! Also konzentriert man sich in den Medien vor allem aufs Schweigen.

Dennoch möchten gerade die sich als kritisch verstehenden Medien nicht ganz verstummen. Ohne die Protagonisten vor Ort zu Wort kommen zu lassen, wissen diese Medienmacher, was man über die Ereignisse in Frankreich wissen und sagen muss. Das, was man immer weiß. So kamen im Kulturmagazin ttt am 29.5.2016 um 23.22 Uhr zwei „Experten“ zu Wort. Der eine heißt Franz-Olivier Giesbert, ist französischer Publizist und lässt uns wissen:

„Auch wenn es anders aussieht: Wir haben es hier nicht wie 1968 mit einer allgemeinen Bewegung zu tun. Wir haben es mit etwas marginalen, aber sehr gewalttätigen, sehr extremistischen zu tun – denn es handelt sich um Extremisten, die beschlossen haben, eine Machtprobe mit der sozialdemokratischen Regierung abzuhalten.“)

Wer die Bilder sieht, die man im deutschen Fernsehen nicht sieht, wird hoffentlich stolz auf diese gewalttätigen Extremisten sein und sich fragen dürfen, wer in diesem Konflikt „marginal“ ist!

Der andere „Experte“ ist der Schriftsteller Guillaume Paoli. Er ist in seiner Einschätzung vorsichtiger:

„Das ist eine allgemeine Situation, die sich für Europa stellt, wo man das Gefühl hat, dass ein ancien Regime untergeht, aber was die neuen Kräfte sind, ist schwer zu bestimmen. Aber 1788 war es auch schwer zu bestimmen.“

Doch dann beruhigt uns der Sprecher dieses sechsminütigen Beitrags sogleich mit diesem Schlusswort:

„Das ist Frankreich. Die Revolution steht hier immer gleich vor der Tür. Manchmal auch nur die Revolutionsromantik. Bei den Nuit Debouts, den Aufrechten der Nacht.“

Wer dennoch aus der Ruhe gebracht werden will, dem seien diese beiden Videoberichte über die Ereignisse in Frankreich ans Herz gelegt:

Loi Travail. Manifestation et violences / Paris – France 19 mai 2016:

Loi Travail. Très violente manifestation / Paris – France 26 mai 2016:

Das mediale Schweigen ist so laut, dass selbst Lügen verstummen.

Die Fairness gebietet es, doch noch einen Bericht über Frankreich, jenseits der wilden und schönen Landschaften, zu erwähnen. Er erschien zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel, in der Süddeutschen Zeitung. Kein eigener Bericht, eine einspaltige Wiedergabe der Reuters-Agentur:

„In Frankreich schwindet wenige Tage vor Beginn der Fußballeuropameisterschaft die Zustimmung der Bevölkerung zu den landesweiten Streiks. 54 Prozent der Franzosen lehnen die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen der Regierung inzwischen ab (…) Die neue Umfrage bedeutet den Forschern zufolge aber nicht, dass die Reformpläne nun auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stießen. Nur 29 Prozent der Befragten stünden auf Seite der Regierung.“ (SZ vom 7.6.2016)

Es wird also in den nächsten Tagen und Wochen spannend werden – nicht nur auf dem Rasen.

Der Oktoberfestanschlag in München 1980 – Vom irren Einzeltäter und Schutz des Staatswohles

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf Langeoog ist es schön, wechselndes Wetter, langsames Internet. 
Ein ergiebiges Thema der Psychotherapietage ist überigens der Hamburger Feuersturm von 1943 und welche traumatischen Auswirkungen im Seelenleben der Überlebenden und auch noch deren Nachkommen hinterlassen hat.
Seit 2005 hat eine Kooperation von Historikern und Psychoanalytikern hierzu gezielt geforscht und ein einmaliges Ergebnis erarbeitet:
Lamparter, Wieland-Grefe, Wierling(2013): Zeitzeugen des Hamburger Feuersturms und ihre Familien. Vandenhoeck&Ruprecht(2013)
Der_Rechtsstaat_im_UntergrundDarüber hinaus lassen mir einige Angelegenheiten keine Ruhe. Womöglich hat mit Unterstützung der CIA der deutsche Staat analog zu Südamerika, Spanien, Portugal, Italien (Gladio), in der Neonazi-Szene Todesschwadronen rekrutiert für den Fall einer linken Regierungsübernahme, die dann ein bisschen aus dem Ruder gelaufen sind.
Wolf Wetzel bleibt dran:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=33409
Auszüge:
Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 liegt heute über 35 Jahre zurück, aber die Art und Weise, wie dieser damals „aufgeklärt“ wurde, kann einiges erhellen, was heute im Kontext der NSU-Terror- und Mordserie noch im Dunkel verweilt.
Gerade hat der Mitteldeutsche Rundfunk eine „Pannenchronik“ zum NSU-Komplex veröffentlicht (Verfassungsschutz und NSU – eine Pannenchronik vom 12. 5.2016), die überwiegend als einmalig bis bedauerlich qualifiziert wird. Wenn man zum Vergleich dazu die „Pannenchronik“ zum Oktoberfestanschlag in München danebenlegt, wird man verblüffende Parallelen feststellen:
Akten, Asservate und Beweismittel verschwinden, V-Mann-Akten bleiben verschlossen, falsche Fährten werden gelegt, wichtige Spuren unterschlagen, die Aufklärungssabotage als Staatswohl ausgelobt. Von Wolf Wetzel [*]EyesWideShut

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München ereignete sich am 26. September 1980. Dreizehn Personen wurden ermordet, über 200 zum Teil schwer verletzt.
Kurz und doch lang genug wurde dieser Anschlag der Roten Armee Fraktion/RAF zugeschrieben. Dann wurde daraus ein schrecklicher Anschlag eines verwirrten und unpolitischen Einzeltäters. Daran hielt man sich – auch ohne Fakten, denn diese machten einen neonazistischen Anschlag, der von mehreren Personen geplant und ausgeführt wurde, viel wahrscheinlicher, als die ›Einzeltäterthese‹.
Auch mehrere Versuche, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen einzufordern, wurden abgewiesen. Die Weigerung, mehr als einen (toten) Täter finden zu wollen, dauerte über 30 Jahre.

Ende 2014 erklärte die Generalbundesanwaltschaft, dass sie das Ermittlungsverfahren wieder aufnehmen werde: »Es gebe nun Hinweise, die auf ›bislang unbekannte Mitwisser hindeuten könnten, sagte Generalbundesanwalt Range.« (DER SPIEGEL vom 11.12.2014)

Das ist vor allem der unermüdlichen Arbeit des Opferanwaltes Werner Dietrich zu verdanken. Genau das, was Aufgabe der Ermittlungsbehörden wäre, hat er getan: Hinweisen und Zeugenaussagen zu folgen, die bis heute ›unter den Tisch fielen‹, die der Einzeltäterthese vehement widersprechen.

Der Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 1980 läuft auf Hochtouren. Die maßgeblichen Parteien, die um die Macht ringen, stimmen ihre WählerInnen auf eine tragödienhafte Schicksalsentscheidung ein, ganz vorneweg CSU/CDU.
Ihre Parole lautet nicht mehr und nicht weniger: ›Freiheit statt Sozialismus‹.

Das Gespenst des Kommunismus sollte wieder umgehen, ein Gespenst, mit dem man einen Weltkrieg begann und verlor. Ein Gespenst, das schon so verwirrt ist, dass es gar die SPD systemüberwindender Vorstellungen verdächtigte.
Nun galt es wieder einmal, zusammenstehen: die Christlichen, die Nationalen, die Deutschen, die Vaterländischen, die Konservativen. Eine Einladung nach ganz rechts. Mit mörderischen Folgen.

Am 26. September 1980 explodierte im Herzen Bayern, auf dem Oktoberfest in München, eine Bombe – dieses Mal mit militärischem Sprengstoff, am Zugang zur Wiesn in einem Mülleimer deponiert, mit dem klaren Kalkül, x-beliebige BesucherInnen zu töten.
Der Plan ging auf blutige Weise auf. Dreizehn Menschen wurden ermordet, über 200 zum Teil schwer verletzt.

Renate Martinez war Mitarbeiterin im Papierhandel. Sie hatte vor, auszuwandern und wollte mit einem Bummel über das Oktoberfest Abschied nehmen. Sie befand sich am Ausgang, »als mich die Druckwelle von hinten traf. Fast gleichzeitig konnte ich den Feuerschein sehen. (…) Ich bin geflogen, und noch im Fliegen habe ich gedacht: Das werden sie den Linken in die Schuhe schieben

(Es war ein Alptraum, SZ vom 12.12.2014)

Renate Martinez sollte Recht behalten.

Die Spuren waren noch nicht gesichert, geschweige denn ausgewertet, da ließ der Bundeskanzlerkandidat von CSU/CDU, Franz Josef Strauß, die nächste Bombe platzen. Er bezichtigte die RAF des Anschlages und bot sich sogleich als der Mann an, der mit diesem ›Terror von links‹ ein für alle Mal aufräumen würde.

Sowohl die Bombe als auch die Rettervision passten in die Schicksalsinszenierung. Nur einer der Toten nicht. Bereits einen Tag später stand fest, dass sich auch ein Attentäter unter den Opfern befand: Gundolf Köhler. Seine persönliche und politische Biografie war nicht zu übersehen. Er hatte ein Hitlerbild über seinem Bett hängen. Die RAF verschwand, das Hitlerbild auch.
Aus Gundolf Köhler wurde in den folgenden zwei Jahren ein junger verwirrter Mann, ein Einzeltäter, der alles hatte, nur kein politisches Motiv. Das war dann auch das Ermittlungsergebnis – bis heute.

Was macht also das Wiederaufnahmeverfahren so brisant, während gleichzeitig der NSU-Prozess in München läuft, der sich der lückenlosen Aufklärung der Mord- und Terrorserie des NSU verschrieben hat?

Es gibt drei Ebenen, die sich hier ineinanderschieben und sich auf verblüffende Weise überschneiden:

  1. ZeugInnen, Rechtsanwälte, Journalisten bezweifeln seit Jahren die Einzeltätertheorie und werfen den Ermittlungsbehörden vor, Spuren und Erkenntnissen nicht zu folgen, die einen neonazistischen Hintergrund belegen und die Beteiligung von mehreren Personen verifizieren.
  2. Während immer wieder unterschlagene Fakten und neue öffentlich werden, werden asservierte Beweise Zug um Zug vernichtet. Bereits ein knappes Jahr nach dem Oktoberfestanschlag werden 48 Zigarettenkippen aus Köhlers Auto entsorgt. Dann werden die sichergestellten Bombensplitter für eine spätere Beweiswürdigung vernichtet. Und als wären diese Straftaten im Amt nicht genug, verschwindet ein Arm auf unerklärliche Weise: »Die Bundesanwaltschaft bestätigte (…), dass keine Spuren des Attentats mehr vorhanden sind. ›Die Asservate wurden Ende des Jahres 1997 vernichtet, weil der Fall als aufgeklärt gilt und sämtliche Ermittlungen nach eventuellen Mittätern ergebnislos verlaufen sind‹, sagte Sprecher Frank Wallenta.« (SZ vom 17.5.2010) Begleitend und unterstützend verschwinden Akten bzw. werden unter Verschluss gehalten.
  3. Die Frage steht im Raum: Warum weigern sich staatliche Behörden so vehement dagegen, den neonazistischen Hintergrund dieses Anschlages aufzuklären? Gibt es etwas zu verteidigen, zu schützen, was weit über eine neonazistische Tat hinausreicht? Welches Motiv haben Politiker, Ermittler und Journalisten, die ›Einzeltäterthese‹ zu decken? Warum wird bis heute jeder Zusammenhang zur neonazistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ und anderen paramilitärisch organisierten Neonazis (wie den ›Deutschen Aktionsgruppen‹) geleugnet?

Was macht also diesen neonazistischen Mordanschlag in München 1980 so brisant und aktuell?

Der neonazistische Terroranschlag auf das Oktoberfest in München 1980 wirft lange Schatten – bis in die Gegenwart

Wer glaubt und hofft, vorsätzlich falsche Ermittlungen, Vernichtung von Beweisen, Falschaussagen im Amt, das (Ver-)Decken neonazistischer Strukturen und der politische und mediale Wille, all die zu schützen, beschreiben nur den NSU-VS-Komplex, der sollte sich in gutem Sinnen desillusionieren lassen.

Denn das, was (im besten Fall) als Ermittlungspannen (damals wie heute) ausgegeben wird, wird eben nicht durch ›bedauerliche Zufälle‹ zusammengehalten, sondern durch die Zusammenarbeit aller Behörden und aller politischen Institutionen, die an der (Nicht-)Aufklärung beteiligt waren und sind. Die Hoffnung auf etwas Einmaliges, auf eine Vielzahl von Zufällen dient vielleicht auch dem Schutz vor der Tatsache, dass dies eine lange, ungestörte Kontinuität hat.

Kaum eindringlicher lässt sich dies am Oktoberfestanschlag in München 1980 nachzeichnen.

Aber es gibt noch eine viel wichtigere Überschneidung. Im NSU-Kontext kann man an Details belegen, wo und wie staatliche Behörden den Aufbau eines neonazistischen Untergrundes ermöglicht bzw. nicht verhindert haben. Ob diese vielen Puzzles ein Bild ergeben, ob sie nur ›spontan‹ zusammenwirken oder eine Systematik abbilden, ist noch offen. Auch die Frage, ob und wann staatliches Handeln zentral veranlasst, koordiniert und gedeckt wurde (wie z.B. die Aktenvernichtungen in allen Behörden ab November 2011).

Die Linie zwischen aktiver Unterlassung und passiver Aktivierung eines neonazistischen Untergrundes, zwischen aktivem Gewährenlassen und direkter Unterstützung ist im NSU-Kontext schwer zu ziehen, vor allem im Hinblick auf den Gesamtkomplex.

Ganz anders sieht es hingegen mit dem neonazistischen Terror der 70er und 80er Jahre aus. Was auch damals als schriller Alarmismus und blanke Verschwörungstheorie abgetan wurde, trägt spätestens seit 2013 ein staatliches Hoheitssiegel: Seit über 40 Jahren wurden neonazistische Gruppierungen als legale und terroristische Variante gestärkt und gedeckt und in einen staatlichen Untergrund integriert. Dieser staatseigene Untergrund bekam den Namen ›stay behind‹. Bewaffnet, angeleitet und instruiert wurde er vom Bundesnachrichtendienst/BND.

Das hört sich auch heute noch ungeheuerlich an. Man fühlt sich gleichzeitig an die ›Banalität des Bösen‹ (Hannah Arendt) erinnert, wenn man dazu die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei DIE LINKE liest, die im Plenarprotokoll 17/236 dokumentiert ist. Auf die parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE), »welche eigenen Anstrengungen (…) die Bundesregierung in den letzten 20 Jahren unternommen (hat), um die Beteiligung ihrer Behörden an weiteren Tätigkeiten der besagten ›Gladio/Stay behind‹-Truppe der NATO auszuschließen oder zu bestätigen«, erklärte der Staatsminister Eckard von Klaeden:

»Infolge der weltpolitischen Veränderungen hat der Bundesnachrichtendienst in Abstimmung mit seinen alliierten Partnern zum Ende des 3. Quartals 1991 die Stay-behind-Organisation vollständig aufgelöst.« (Plenarprotokoll 17/236, Anlage Nr.15, S. 64 vom 24.4.2013)

Was hier in einem Satz ad acta gelegt wird, ist keine Verordnung für alte Glühbirnen, sondern die jahrzehntelange Zusammenarbeit von Neonazis und Geheimdienst, mit einer Blutspur, die sich durch ganz Europa zieht.

Ende der 50er Jahre wurde auf NATO-Ebene beschlossen, Faschisten in einem geheimen Programm zu bewaffnen und auszubilden, um sie als irreguläre Einheiten einzusetzen. Das Szenario, das die Wiederbewaffnung von Faschisten in Europa rechtfertigen sollte, ging von einem militärischen Überfall der Sowjetunion auf den friedliebenden Westen aus. Die Faschisten sollten darin die Aufgabe übernehmen, sich ›überrollen‹ zu lassen, um dann hinter den Linien den kommunistischen Feind zu bekämpfen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name dieses Programmes: stay behind. Dazu legte man über die ganze Bundesrepublik verteilt geheime Waffendepots an und unterrichtete die Neofaschisten in Techniken des Nachrichtenwesens und der Sabotage.

In den 70er Jahren passte man das Bedrohungsszenarium den veränderten Bedingungen an. Die ›Russen‹ kamen nicht – aber der Feind, der die ›rote Gefahr‹ ersetzen sollte, war schon da. Durch die zahlreichen Proteste und Bewegungen in Europa im Anschluss an die 68er-Revolten sah man Regierungen oder gar die kapitalistische Ordnung in Gefahr. Was mit legalen Mitteln nicht mehr unterdrückt werden konnte, sollte mithilfe dieser faschistischen Reserve bekämpft werden.
In Italien bekam diese Form des Staatsterrorismus den Namen ›Gladio‹. Faschisten sollten durch gezielte Angriffe auf AntifaschistInnen die Linke schwächen, und durch Anschläge auf linke Parlamentarier ein Klima schaffen, das der Regierung freie Hand dabei geben sollte, Schutzrechte außer Kraft zu setzen oder gar einen Militärputsch zu legitimieren (wie dies als Worst Case geplant war). Hunderte von Toten und Dutzende von Bombenanschlägen gehen auf das Konto dieser ›stay-behind-Operationen‹.

In einigen Ländern wurde die Geschichte dieses Staatsterrorismus politisch aufgearbeitet, zumindest in Angriff genommen, wie in Italien, der Schweiz und zuletzt in Luxemburg.

Und in Deutschland? Hat die lapidare Erklärung der Bundesregierung aus dem Jahre 2013 Entrüstung, Empörung ausgelöst? Wurde auch nur einmal im Parlament die Frage laut gestellt: Wer hat diesen Staatsterrorismus politisch befürwortet und gedeckt? Wer

ist bis heute politisch und strafrechtlich dafür verantwortlich? Welche Terroranschläge tragen die Handschrift von ›stay-behind‹?
Dabei geht es nicht nur um den Oktoberfestanschlag in München, sondern auch um das Attentat auf einen jüdischen Buchhändler in Nürnberg 1980 oder den Brandanschlag auf das jüdische Altersheim und Gästehaus in München 1970, bei dem sieben Menschen ermordet wurden. Anschläge, die bis heute ›unaufgeklärt‹ sind.

Auch wenn die Entscheidung der Bundesanwaltschaft guttut, die Ermittlungen im Fall des Oktoberfestanschlages 1980 wieder aufzunehmen, so wundert doch sehr, dass mit keinem einzigen Wort ein möglicher Zusammenhang zu besagten ›stay-behind‹- Terrorgruppen hergestellt wird.

Die Frage, wer hat diesen Staatsterrorismus ermöglicht und gedeckt, ist nicht nur im Hinblick auf diesen staatseigenen Untergrund von grundsätzlicher Bedeutung. Nicht minder wichtig ist es, öffentlich und vernehmbar die Frage zu beantworten: Warum wurde die Einzeltäterthese bis zuletzt – auf Teufel komm raus – verteidigt? Wohin kommt man, wenn man den zahlreichen Spuren zu weiteren Neonazis folgt?

Wenn heute unbestritten ist, dass (Neo-)Nazis vom deutschen Auslandsgeheimdienst BND in ›stay-behind‹-Operationsgruppen organisiert wurden, dann ist es Aufgabe dieses Geheimdienstes und dieser Bundesregierung, im Detail zu belegen, woran sich diese Terrorgruppen beteiligt haben, woran sie nicht beteiligt waren!

Kann es also sein, dass die Einzeltäterthese nicht von Fakten gedeckt wird, sondern einzig und allein von dem geballten Willen, den Weg zu Mittätern zu versperren, die in Verbindung zu ›stay-behind‹ stehen? Ja.

Gundolf Köhler war nur in den Augen der Ermittlungsbehörden ein Unpolitischer. Um diese Lüge nicht zu gefährden, war man bereit, selbst die Beweislage zu manipulieren: »In Gundolf Köhlers Zimmer in Donaueschingen fanden die Polizisten seinen Wikingjugend-Ausweis – und ließen ihn liegen.« (Vernichtete Spuren – Ermittlungsfehler mit Tradition, BR vom 31.1.2015)

Auch seine engen Verbindungen zur neonazistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann/WGH‹ waren den Ermittlern bekannt, was auch zahlreiche Zeugen zu Protokoll gegeben hatten. Diese Begeisterung ging so weit, dass er selbst eine ›Wehrsportgruppe‹ im Raum Donaueschingen gründen wollte (Bundestagsdrucksache 18/3117, S.17)

Er war nicht alleine am Tatort. Zeugen hatten mindestens zwei weitere Personen an jenem Mülleimer gesehen, in dem die Bombe platziert worden war. Eine Zeugenbeobachtung, die so präzise war, dass sie auch von einem Streit zwischen drei Personen berichten konnte.

Der ehemalige Beamte, der sich jetzt als Zeuge bei Rechtsanwalt Dietrich meldete, würde nicht nur die bisherigen Zeugenaussagen bestätigen. Er würde den Tatablauf um ein entscheidendes Puzzle ergänzen.
Der Beamte war am Tag des Oktoberfestanschlages mit fünf weiteren Arbeitskollegen auf dem Weg zur Wiesn. Kurz vor der Detonation standen sie zusammen vor dem Ausgang des Oktoberfestes. In dieser Zeit beobachtete er »einen jungen Mann, der zunächst zu einem schwarzen Auto gegangen sei, das am Bavariaring geparkt war. Darin sollen vorne zwei, hinten mindestens eine Person gesessen haben. Mit diesen habe er durch das heruntergekurbelte Fenster gesprochen. Dann sei der Mann, den er bis heute sicher für Gundolf Köhler hält, zu jenem Papierkorb gegangen, in dem dieser den Ermittlungen zufolge die Bombe zündete.« (SZ vom 8.12.2014)

Kurze Zeit später detonierte die Bombe. Dass der Beamte diesen Anschlag überlebt hatte, verdankte er einer Person, die vor ihm stand und durch die Wucht der Explosion auf ihn fiel – und wenig später an den schweren Verletzungen starb. Diesem tragischen Umstand verdankt er, dass ihn ›nur‹ einige Metallsplitter trafen, die er bis heute mit sich herumträgt.
Genauso lang trägt er den Ärger mit sich herum, dass seine damaligen Aussagen keinen Eingang in die Ermittlungen gefunden hatten – im Gegenteil: sie störten nur: »Doch jetzt will er sich mit dem Vergangenen auseinandersetzen – damit den 13 Toten und 211 Verletzten des Anschlags mit einer neuen Suche nach den Hintergründen der Tat Gerechtigkeit widerfahren kann.« (s.o.)

Lassen sich seine Aussagen verifizieren, dann müssten Polizei und Staatsanwalt die Frage beantworten, warum sie diesen Aussagen, die der Beamte bereits damals gegenüber der Polizei gemacht hatte, nicht nachgegangen sind. Außerdem müssten sie eine Erklärung dafür finden, warum sich nach Kenntnis des Rechtsanwaltes diese Aussagen nicht mehr in den Ermittlungsakten finden, was einer Manipulation von Ermittlungserkenntnissen gleichkäme.

Auch die Spezifika der Bombe könnten zu Mitwissern führen. Belegt ist, dass es sich um militärischen Sprengstoff handelte. Genau dieser Spur ging ein ›Frontal 21‹-Beitrag vom 25.3.2014 nach: »Am 27. September, einen Tag nach dem Anschlag in München, sagten zwei deutsche Rechtsextremisten bei der bayrischen Polizei aus. Sie wiesen auf einen Gleichgesinnten hin, auf Heinz Lembke, einen Förster aus Uelzen. Die Neonazis machten klare Angaben: ›Herr Lembke zeigte uns verschiedene Sprengstoffarten, Zünder, Lunten, Plastiksprengstoff und militärischen Sprengstoff … Er sagte uns, dass er mehrere Waffenverstecke im Wald habe.‹«

Obwohl die Ermittler sowohl von diesen Aussagen wussten als auch Kenntnis davon hatten, dass Heinz Lembke »enge Kontakte zur WSG Hoffmann« (taz vom 7.8.2009) und zu verschiedenen neonazistischen Organisationen hatte, unternahmen sie lange nichts.

Ein Jahr später, im Oktober 1981, wurde man – dank eines Waldarbeiters – rund um die Försterei Lembke fündig: Auf über 30 Erddepots verteilt wurden u.a. 156 Kilo militärischer Sprengstoff, 230 Kilo Sprengkörper, 256 Handgranaten, 50 Panzerfäuste entdeckt.
Heinz Lembke arbeitete anhand einer von ihm selbst erstellten Liste beim Auffinden dieser Waffenlager bereitwillig mit, bis auf ein Depot, das die Nummer 82 trug: »Er verweigerte die Lokalisierung eines als Depot 82 bezeichneten Verstecks, weil dessen Inhalt geeignet sei, andere Personen zu belasten. Dieses Versteck konnte nicht aufgefunden werden.« (Bundestagsdrucksache 18/3117, S.7)

Liest man die Antwort der Bundesregierung aufmerksam, müsste man doch die Frage stellen: Warum wurde das Depot Nr. 82 nicht gefunden? Denn selbst wenn Herr Lembke hier nicht mitgearbeitet haben soll, wäre es doch ein Leichtes, anhand der Liste und der dort verzeichneten Lokalisierungsdaten, das Depot zu finden.
Hatten der Neonazi Lembke und die Ermittler ein gemeinsames Interesse daran, genau jenes Depot nicht zu finden, das zu weiteren Beteiligten führen würde? Die Spekulation darüber könnte sehr schnell beendet werden, indem man die Liste öffentlich zugängig macht und dabei von unabhängigen Gutachtern überprüfen lässt, ob an diesem Originaldokument Manipulationen vorgenommen wurden.

Wer dermaßen kalkuliert kooperiert, hat nicht mit dem Leben abgeschlossen. Genau das soll aber passiert sein:

»Nach seiner Verhaftung kündigt Lembke an, seine Hintermänner zu nennen. Doch dann fand man ihn erhängt in seiner Zelle (s.o.)

Wenn man sich die Dimension dieser paramilitärischen Anlage vergegenwärtigt, dann deckt sich all das mit der Infrastruktur der stay-behind-Operationen, die für Sabotageaktionen klandestine Waffen- und Sprengstoffdepots angelegt hatten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Lembke nicht nur für Neonazis, sondern im Auftrag des BND diese Depots angelegt hatte, ist naheliegend. Dann war er auch Angestellter dieser staatlichen Terrorgruppen.

Aus diesem Grunde wurde in einer Kleinen Anfrage (Bundestagsdrucksache 18/3117) auch die Frage gestellt, welche Beziehungen Heinz Lembke zu stay-behind-Operationsgruppen unterhielt. Die Antwort darf man als vorsätzliche Lüge bezeichnen: »Zu dieser Frage (…) liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.« (S. 14)

Denn bei der nächsten Frage, ob Heinz Lembke als V-Mann oder auf eine ähnliche Weise für den Geheimdienst tätig war, schnellten die Schutzinteressen des Staates so dermaßen in die Höhe, dass die Rechte des Parlaments darunter begraben wurden. Dabei greift die gängigste und auch hier lang ausgeführte Schutzbehauptung, man habe ggf. die Unversehrtheit eines ›V-Mannes‹ zu schützen, nicht wirklich. Er ist bereits sehr lange tot. Was vielmehr – bis heute – gedeckt wird, sind staatsterroristische Strukturen.

Ob sich hier ein Kreis schließt, kann u.a. der BND bzw. das Bundeskanzleramt beantworten, indem sie alle Unterlagen zu stay-behind freigeben und endlich Aufklärung darüber betreiben, welche Neonazis und welche neonazistischen Organisationen in ihrem staatseigenen Untergrund integriert waren. Dazu zählt auch, die politische und juristische Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Bundesregierung bis heute keine Ahnung habe, was mit dem Waffenarsenal passierte, als man Ende 1991 ›stay-behind‹ für aufgelöst erklärte.

Wenn statt Sabotage der Ermittlungen Aufklärung betrieben werden würde, könnte anhand der ›stay behind‹ -Akten auch geklärt werden, ob die von Lembke angelegten und verwalteten Waffendepots zum Bestand dieser staatsterroristischen Struktur gehört haben.

Der Nebel, der über dem Oktoberfestanschlag liegt, ist kein Naturereignis

Die Bundesanwaltschaft hat vor über fünfzehn Monaten an das Bundeskanzleramt, den Bundesnachrichtendienst und den Inlandsgeheimdienst/VS eine lange Liste an Suchbegriffen geschickt –

„von Karlheinz Hoffmann, dem Anführer der paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann, mit der Gundolf Köhler trainierte, bis hin zum Neonazi Heinz Lembke, der im Verdacht stand, den Sprengstoff für das Attentat geliefert zu haben. Lembke erhängte sich in seiner Zelle, kurz bevor er vor einem Staatsanwalt aussagen sollte. In seinen Akten steht der Sperrvermerk ‚Nur zum Teil gerichtsverwertbar’, was auf eine V-Mann-Tätigkeit schließen lässt.“ (SZ vom 12.5.2016)

Die Bundesregierung hat bereits geantwortet und sich geweigert. Sie untersagt es, die Klarnamen der V-Leute zu nennen, die möglicherweise zur Tataufklärung beitragen könnten, „weil angeblich immer noch Leib und Leben der früheren V-Leute bedroht sein könnten“. (s.o.)

Dass „Leib und Leben“ von betagten V-Männern schützenswerter sind als die Aufklärung eines neonazistischen Terroranschlages, ist heute keine Aufregung mehr wert.
Auch der BND hat Medienberichten zufolge Akten geliefert, wobei das Wichtigste fehlt: die Namen der V-Leute. Sie sind geschwärzt worden.

Die abgestufte Aufklärungssabotage komplettiert der Inlandsgeheimdienst. Er sucht bis heute nach den angeforderten Akten. Das liegt wahrscheinlich am Nebel.

Weitere Quellen:

Mein Kommentar: Die Psychoanalyse lehrt, dass das Verdrängte, Verheimlichte wiederkehrt, in immer kränkerer Form, solange bis es aufgedeckt wird.

Jochen

Der Schornsteinfeger und der Meister der Verschwörungstheorie

Habe gerade den sehr empfehlenswerten, gut recherchierten Krimi von Schorlau: Die schützende Hand zu diesem Thema  gelesen!

Dazu passt Wolf Wetzel: Und wenn man nicht esoterisch wird, sondern faktenorientiert bleibt, dann sind die Gründe nicht dort zu suchen, wo der Zufall sein Zuhause hat, sondern dort, wo institutionelle und politische Macht zusammenkommen, Ermittlungsgrundsätze außer Kraft zu setzen, damit man nicht auf Täter stößt, die man bis heute schützen will.

 

Eyes Wide Shut

Der Schornsteinfeger und der Meister der Verschwörungstheorie

Dreizehn Jahre lang wollen die bestens ausgerüsteten Geheimdienste (BfV/BND/MAD) von der Existenz eines neonazistischen Untergrundes namens ›NSU‹ nichts gewusst haben. Auch über 40 namentlich bekannte V-Leute im Nahbereich des ›NSU‹ sollen nach dem Willen der Geheimdienste nichts gewusst haben, selbst dann nicht, als der V-Mann des BfV Thomas Richter mit Deckname ›Corelli‹ im Jahr 2002 ein Grußwort an den NSU  veröffentlicht hatte: »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter …«

All das wurde von den marktbeherrschenden Medien ohne einen Zweifel hingenommen, ohne kritische Nachfragen übernommen, bis hin zur rassistischen Klassifizierung der Mordserie als ›Dönermorde‹.

Maaßen-BfV-ab-2012

Es gab nicht viele, die dieser Version widersprochen hatten. Zu den wenigen zählte die AufruferInnen zur Demonstration 2006 in Kassel, nachdem der Internetbesitzer Halit Yozgat ermordet wurde. Auf ihren Banner schrieben sie: »Kein 10. Opfer«.
Man ignorierte, man verschwieg freiheitlich und…

Ursprünglichen Post anzeigen 2.171 weitere Wörter

Blockupy – erfolgreich gescheitert?

Schon über 3 Jahre her, aber eine wichtige, illusionslose Erinnerung, die die künftigen Strategiedebatten anregen soll. Dazu auch mein Hinweis zur EZB-Geburtstagsdemo am 18.3.2015 auf https://josopon.wordpress.com/2015/05/15/die-randalierer-bei-den-ezb-protesten-in-frankfurt-am-main-waren-moglicherweise-bestellt/

Schwarzer_Block_Uniform_EZB2012Die Stadt Frankfurt und das Land Hessen haben anscheinend in den letzten 3 Jahren dazugelernt, stellen eine noch größere Übermacht dar und erledigen das Zündeln vor eingeladenem Publikum auch schon mal selber.

Wolf Wetzel stellte 2012 die Fragen, die bis heute nicht beantwortet sind:

  1. Warum ist in aller Regel nach jeder Kampagne die Luft raus, wenn es darauf ankommt, die politischen Konsequenzen und Ausdeutungen nicht der Gegenseite zu überlassen?
  2. Wie kann es gelingen, dass die Orgie von Rechtsbrüchen (von Verbotsverfügungen über Aufenthaltsverbote, Verschleppungen bis hin zu willkürlichen Festnahmen und vorsätzlichen Polizeiprovokationen) nicht als Ohnmachtserfahrung der Betroffenen zurückbleibt, sondern der schwarz-gelben hessischen Landesregierung und der schwarz-grünen Stadtregierung den Kopf kosten?
  3. Welche Strukturen brauchen wir für diese Schritte, wenn wir uns eingestehen, dass eine Mehrheit aus Individuen und Vereinzelten einer kleiner (völlig überforderten) Minderheit von Organisierten gegenübersteht?

Eyes Wide Shut

Auf dem Weg nach Baku (über Frankfurt)

Vom 16. – 19. Mai 2012 fanden in Frankfurt die Blockupy-Tage statt. Was Blockupy nicht gelang, übernahm die Polizei: Sie legte das gesamte Banken- und Geschäftsviertel lahm, einschließlich zahlreicher Grundrechte.

Die Stadt Frankfurt hob »im Rahmen einer präventiven Notstandsverordnung das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für weite Teile des Stadtgebiets« (FAS vom 20.5.2012) auf, um es vor jenen zu schützen, die es während der Blockupy-Tage vom 16. – 19. Mai 2012 in Anspruch nehmen wollten.

Ursprünglichen Post anzeigen 2.694 weitere Wörter

Beate Tschäpes Katzenjammer

Zur gestrigen Einlassung der mutmaßlichen Terroristin: Haben die Berater der Staatssicherheitsbehörden lange genug Zeit gehabt, die Legende so zu stricken, dass man das Verfahren ohne jede Aufhellung abschließen kann, und lässt sich nicht nur die Bundesstaatsanwaltschaft, sondern auch der Richter darauf ein ?

Katzenjammer»Ich trank täglich drei bis vier Flaschen Sekt. Ich vernachlässigte unsere ­Katzen.« (Beate Zschäpes Aussage im NSU-Prozess vom Mittwoch) Foto: Jan Stockmann http://www.jastomedia.de / pixelio.de

Dazu 2 kritische Beiträge –

A. NSU-Prozess: Hauptangeklagte inszeniert sich als Opfer emotionaler Erpressung, ­entlastet alle lebenden Verdächtigen aus Neonaziszene und Geheimdienst

https://www.jungewelt.de/2015/12-10/002.php

Beate Zschäpe will knapp elf Jahre lang gewusst haben, dass sie mit Mördern zusammenlebte – sie habe aber deren Taten zutiefst abgelehnt und sich aus Liebe und Freundschaft nicht gestellt. Eine Erklärung mit diesem Inhalt ließ die Hauptangeklagte im Prozess um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) am Mittwoch durch ihren Anwalt Mathias Grasel vor dem Oberlandesgericht München verlesen. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen sie 1998 in Jena untergetaucht war, hätten ihr mit Selbstmord gedroht, falls sie sich stelle und sie selbst dadurch auffliegen sollten. Für Mundlos habe sie enge freundschaftliche Gefühle habt, Böhnhardt habe sie geliebt.

Rund drei Monate nach dem Mord an dem Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg hätten sie ihr davon erzählt – um die Adventszeit im Jahr 2000. Nach ihrer Schilderung zeigte sie sich damals empört darüber, dass sie einen Menschen getötet hatten. »Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt«, verlas Grasel in ihrem Namen. Die Stimmung nach diesem Gespräch könne sie nur als »eisig« beschreiben. Das sei auch an Weihnachten und an ihrem Geburtstag im Januar 2001 so geblieben. Nach Medienberichten über den Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse, bei dem die 19jährige Mashia M. schwer verletzt wurde, habe sie Mundlos und Böhnhardt gefragt, ob sie etwas damit zu tun hätten. Obwohl sie selbst vom Bau eines Sprengsatzes angeblich nichts mitbekommen hatte. Auch will sie zwischen den Mordanschlägen immer wieder gehofft haben, ihre Lebensgefährten würden keine weiteren begehen. Dabei sollen sie den auf Mashia damit begründet haben, sie hätten »Bock drauf« gehabt. Daraufhin will Zschäpe erstmals ihre Gefühle hinterfragt, aber »nicht die Kraft gehabt« haben, sich von ihnen zu trennen. Auch habe sie Angst vor einer langen Haftstrafe gehabt und sei von dem Geld abhängig gewesen, dass die beiden Männer bei Raubüberfällen erbeuteten. »Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie«, widersprach sie dem Anklagevorwurf, sie sei für die bürgerliche Fassade des Trios wichtig gewesen. Urlaubsfotos zeigen es in Harmonie. Eine innere Zerrissenheit merkten ihr auch die Campingbekanntschaften nicht an.

Nach dem Bombenanschlag auf die Kölner Keupstraße im Sommer 2004 habe sie damit gerechnet, dass Mundlos und Böhnhardt als Täter identifiziert würden, so Zschäpe. Von den letzten vier der neun Morde an Kleingewerbetreibenden türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sollen die »beiden Uwes« ihr im Nachhinein berichtet haben: Sie hätten »vier weitere Ausländer umgelegt«. Sie sei sehr »enttäuscht« gewesen, weil sie wieder getötet hätten. Heute fühle sie sich »moralisch schuldig«, weil sie es nicht habe verhindern können. Den Inhalt des Bekennervideos, das sie nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt im November 2011 verschickte, will sie nicht gekannt haben.

Auffällig ist auch, dass Zschäpe nur die beiden toten Neonazis belastet. Von der Lieferung der Schusswaffen durch Mitangeklagte oder andere Personen in einem Umfeld voller Geheimdienst-V-Leute bekam Zschäpe angeblich nichts mit. Sie bestätigt die Anklageschrift aber in fragwürdigen Punkten. Täter waren laut angeblicher Selbstbezichtigung gegenüber Zschäpe auch beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn 2007 nur Mundlos und Böhnhardt – sie hätten die Waffen der Opfer gewollt, da ihre eigenen teils Ladehemmungen gehabt hätten. »Völlig unplausibel« fand das der Anwalt von Kiesewetters verletztem Kollegen Martin A., Walter Martinek. »Nach dieser Aussage weiß ich genau, dass es nicht stimmt«, sagte er gegenüber junge Welt. Auch der Vater des ermordeten Halit Yozgat, Ismail Yozgat und weitere Opferangehörige bezeichneten Zschäpes Aussage insgesamt als »überhaupt nicht glaubwürdig«.

B. Erpresst Beate Zschäpe den „Verfassungsschutz“?

Nach über zweijähriger Verweigerung brach die Angeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe heute ihr Schweigen. Warum? Welche Strategie verfolgt sie mit ihrer Aussage und warum hat Zschäpe bis jetzt geschwiegen? Steht die Aussage in einem Zusammenhang zum NSU-Verfassungsschutz-Komplex? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke im Vorfeld des heutigen Prozesstages exklusiv für RT Deutsch mit dem NSU-Experten Wolf Wetzel.

Jens Wernicke: Herr Wetzel, vor einiger Zeit erklärte Beate Zschäpe, nun doch im NSU-Prozess aussagen zu wollen. Vielerlei Dinge sorgten seitdem dazu, dass es zu dieser Aussage bis heute nicht kam. Wie bewerten Sie als Beobachter diese Entwicklung? Und was wird von Zschäpes angekündigter Aussage zu erwarten sein?

Wolf Wetzel: Mit Sicherheit hat es die Anklagevertretung in helle Aufregung versetzt – und dieser hat man daraufhin viel Zeit gegeben, sich darauf vorzubereiten. Dass Zschäpe sich vom Schweigen bislang etwas erhofft hatte, das offenbar nicht eintraf, weswegen sie nun das Schweigen brechen will, ist offensichtlich. Auch klar ist, dass sie nicht „alles“ und auch nicht zu „allen Anklagepunkten“ etwas sagen wird, wie das bisher in den Medien behauptet wird. Vielmehr wird sie ihrer neonazistischen Gesinnung treu bleiben und weitere „Kameraden“ nicht verraten.

Aber sie könnte die bereits baufälligen Säulen der Anklage gänzlich zum Einsturz bringen, wodurch Ihre Drohung, jetzt auszusagen, auch soviel Gewicht erlangt. Dazu reichte es etwa aus, glaubwürdig zu sagen, was sie über den Tod der beiden NSU-Mitglieder weiß, welche Pläne sie hatten und ob sie – wie die Anklage ja behauptet – wirklich ihre Wohnung angesteckt hat. Von besonderem Sprengstoff wäre, wenn sie auch Auskunft darüber geben würde, mit welchen V-Leuten sie in der Zeit des Untergrundes Kontakt hatte. Und das wäre dann auch schon mehr als genug.

Jens Wernicke: Sie gehen also sicher davon aus, dass der Verfassungsschutz in den NSU-Terror verstrickt ist, und Zschäpe jetzt sozusagen in verdeckte Urteilsverhandlungen mit diesem eingestiegen ist? Ihre Aussage-Ankündigung ist eine „Drohung“ an den Dienst oder die Dienste im Hintergrund?

Wolf Wetzel: Dass der Geheimdienst mit über 40 V-Leuten im Nahbereich des NSU und seines Netzwerkes agierte, ist inzwischen Gemeingut geworden. Dass diese V-Leute diesen Untergrund maßgeblich mit ausgerüstet haben, ist ebenfalls in Hülle und Fülle belegt. Wie weit dieser Einfluss, das Gewährenlassen, aber reicht, wäre Ermittlungsaufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die allerdings nur mit den Achseln zucken und diesen Bereich des NSU-Netzwerkes damit unter Straffreiheit stellen.

Vielleicht wird uns Zschäpe mit ihrer Aussage Antwort darauf geben, warum das so ist. Warum hat sie etwa nicht die Flucht ins Ausland gewählt, nachdem sie vom Tod ihrer „Kameraden“ erfahren hatte? Stattdessen fuhr sie vier Tage durch die Bundesrepublik, um sich dann am vierten Tag im Beisein eines Rechtsanwalts in einem Polizeirevier „freiwillig“ zu stellen. Hielt sie, um ganz konkret zu werden, eine Flucht womöglich für aussichtlos? Dem schlösse sich die Frage an, wer in diesem Land es vermag, eine Flucht aussichtslos zu machen.

Jens Wernicke: Sie schreiben in Ihren Büchern und argumentieren auch in Ihren Vorträgen, die offizielle Version der Geschehnisse um den NSU sei von allen belegbaren die unglaubwürdigste. Wo genau wittern Sie denn Manipulation durch wen?

Wolf Wetzel: Ich würde nicht von Wittern sprechen, sondern von der Evidenz der zahlreichen Belege, Indizien und Zeugenaussagen, die eine Manipulation zahlreicher Ermittlungsergebnisse belegen. Sonst gäbe es auch keinen zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene, und keinen zweiten in Thüringen. In beiden werden zwei zentrale Thesen angezweifelt: Jene von den drei angeblichen NSU-„Einzeltätern“ und jene vom Selbstmord der beiden NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. In letzteren Fall wurde der Tatort Eisenach, wo die Genannten einvernehmlichen Selbstmord begangen haben sollen, so massiv „kontaminiert“, also manipuliert, dass jedes sich darauf gründende Ermittlungsergebnisse eine Farce sein muss.

Quelle: Confederate till Death CC BY-SA 3.0

Sie fragen aber, wem dienen diese Manipulationen? Nun, wenn alle noch vorhandenen Indizien, einen Selbstmord zum unwahrscheinlichsten Geschehensablauf machen, ein Fremdeinwirken, also einen Mord hingegen für zum wahrscheinlichsten, dann will man hier offenbar Täter decken bzw. nicht verfolgen.

Es gibt einen Mann, der Ihre Frage nach Interesse und Motiv dieser Manipulationen und Ermittlungssabotage auf ganz unfreiwillige Art und Weise bereits wunderbar beantwortet hat. Er heißt Klaus-Dieter Fritsche und war, als der NSU noch im Untergrund weilte, Vize-Chef des Verfassungsschutzes in Köln. Dieser Mann wurde 2012 als Zeuge vor den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin geladen, um zu erklären, wie es zu den Vernichtungen von V-Mann-Akten in seiner Bundesbehörde kam, nachdem die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen hatte. Dort klärte er folgendermaßen auf:

»Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. (…) Es gilt der Grundsatz ›Kenntnis nur wenn nötig‹. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.«

Klarer und kompetenter kann man nicht sagen, dass der NSU nicht nur eine neonazistische Organisation ist, sondern zugleich eine Staatsangelegenheit. Denn nur im letzteren Fall kann man daraus ein „Staatsgeheimnis“ machen.

Jens Wernicke: Wie darf ich das verstehen? Ist der NSU eine staatliche Terrororganisation? Oder meinen Sie, der Verfassungsschutz handele hier gegen Regierung und Staat?

Wolf Wetzel: Ein Amalgam, würde ich ganz knapp antworten. Klar und unbestritten ist hoffentlich, dass es für Neonazismus und Neofaschismus keine staatlichen Geburtshelferdienste bedarf. Den Nährboden hat die nicht begonnene politische und gesellschaftliche Entnazifizierung geschaffen, aber auch das skrupellos optionale Verhältnisse der politischen Klasse zu neofaschistischen Ideologien und Praxen. Sie waren und sind ihnen willkommen, wenn es um Antikommunismus ging und geht, den sich beide verbissen teilen. Und sie sind sich einig darin, dass die gesellschaftliche Linke ihr gemeinsamer Feind ist. Verneinen würde ich für Deutschland, in der jetzigen „Führungsposition“ mit Blick auf die Europäische Union, dass man den Neofaschismus als eine Art politische Notreserve, also letzte Machtoption hält.

Wenn man diese knapp gezeichneten Verbindungslinien vor Augen hat, dann erschließt sich auch das Verhältnis zwischen neonazistischem Terror – hier in Gestalt des NSU – und staatlichen Behörden und Diensten. Für den NSU kann ich sehr engmaschig nachzeichnen, dass das Abtauchen und Gründen eines neonazistischen Untergrundes ohne das Zusehen und Gewährenlassen von Geheimdiensten nicht möglich gewesen wäre. Das reicht bis hin zur aktiven Unterbindung von Festnahmemöglichkeiten, was ebenfalls belegt ist. Doch, es ist eben mehr als das gern verwendete Bild vom „verselbstständigten“ Geheimdienst. Denn in all diesen Fällen, wo verschiedene Interessen – zum Beispiel zwischen Polizei und Geheimdienst – aufeinandertrafen, haben keine James Bond-Gestalten, mit Griff zur ultimativen Waffe entschieden …. sondern das jeweilige Innenministerium. Ein ordentlicher und geordneter Weg, den ich an vielen Tatorten nachzeichnen kann. Also weder einer verselbstständigter Geheimdienst, noch das behauptete „Behördenwirrwarr“.

Das heißt also, dass der Geheimdienst, der sogenannte Verfassungsschutz an keinem entscheidenden Punkt gegen übergeordnete Interessen verstoßen hat, schon gar nicht, dass er mit eigener „Agenda“ gegen die Regierung agiert hat.

Ich hatte zuvor bereits den ehemaligen Vizechef des Inlandgeheimdienstes „Verfassungsschutz“ Klaus-Dieter Fritsche zitiert. Wenn er den NSU zum „Staatsgeheimnis“ hochstuft, das bei Offenlegung Regierungshandeln unterminieren könnte, dann belegt er doch sehr eindrucksvoll, dass es eben keinen Dissens zwischen Geheimdiensten auf der einen und Regierung plus regierungswilliger Opposition auf der anderen Seite gibt.

Dass er diese doch klare Ansage zur Nichtaufklärung der NSU-Morde, zur fortgesetzten Ermittlungssabotage nicht gegen seine politisch Vorgesetzten gemacht hat, sondern in ihrem Namen, ist ganz einfach zu belegen: Im Dezember 2013 katapultierte ihn die Bundeskanzlerin Angela Merkel ins höchste Amt, das es auf diesem Terrain zu vergeben gibt: Staatssekretär für die Belange der Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt. Dieser Posten wurde von der Bundeskanzlerin extra neu geschaffen.

Jens Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.

Wolf Wetzel war Autor der ehemaligen autonomen L.U.P.U.S.- Gruppe, die sehr stark von der Häuserkampfbewegung der 80er Jahre, der Startbahnbewegung 1980-1991, der Anti-Golfkriegskampagne 1991 und der Bundestagsblockade gegen die Abschaffung des Asylrechts 1993 geprägt war. Er ist Autor mehrerer Bücher, das letzte trägt den Titel: „Der Rechtsstaat im Untergrund: Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität“, PapyRossa-Verlag 2015. Seit 2011 Vorstandsmitglied von Business Crime Controll Frankfurt.

Bei dieser Gelegenheit noch 3 Verweise auf hier veröffentlichte Beiträge:

Staatsaffäre NSU: Unerwünschter Zeuge vor Aussage verschieden

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Eine Merkwürdigkeit nach der anderen in dieser Affäre kommt ans Licht:
https://www.jungewelt.de/2015/03-09/020.php
Auszüge:

Aussage eines Fahrlehrers stärkt Zweifel an Suizid des Neonaziaussteigers Florian Heilig, der zum Polizistenmord in Heilbronn aussagen wollte

Von Wolf Wetzel

Kriminaltechniker untersuchen den ausgebrannten Wagen Florian Heiligs am Canstadter Wasen in Stuttgart (16. September 2015) (Andreas Rosar/dpa-Bildfunk)

Kriminaltechniker untersuchen den ausgebrannten Wagen Florian Heiligs am Canstadter Wasen in Stuttgart (16. September 2015)
Foto: Andreas Rosar/dpa-Bildfunk

Zum zehnten Mal tagt an diesem Montag im Stuttgarter Landtag der Untersuchungsausschuss »Rechtsterrorismus/NSU BW«.
Die Parlamentarier sollen die Kontakte und Aktivitäten der rechten Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) in Baden-Württemberg und die Todesumstände der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter aufklären, die 2007 in Heilbronn erschossen wurde.
Sie gilt als zehntes und letztes Opfer des NSU – doch die Beobachtungen eines Fahrlehrers, der sich als Zeuge der Polizei angeboten hatte, werfen erhebliche Zweifel an der bisherigen Darstellung der Ereignisse auf.
Diese beziehen sich auf den angeblichen Selbstmord von Florian Heilig, der am 16. September 2013 im Auto verbrannt ist, kurz bevor ihn Beamte des Landeskriminalamtes zum Fall Kiesewetter befragen wollten.

Der Zeuge ist der Redaktion bekannt. Was der Mann, der in den Ermittlungsakten mit keinem Wort erwähnt wird, am Todestag von Florian Heilig gesehen hat, schilderte er gegenüber junge Welt.
Der Fahrlehrer Jürgen M. hatte sich demnach am 16. September 2013 um acht Uhr morgens auf dem Canstatter Wasen in Stuttgart mit einem Schüler getroffen, um ihn auf eine Motorradprüfung vorzubereiten. Für Unterrichtsstunden auf diesem Gelände hat die Fahrschule eine Sondergenehmigung.
Da bereits mit Aufbauten für das dort stattfindende Volksfest begonnen worden war, verlegte M. den Fahrunterricht in den hinteren, südlichen Bereich. Gegen 8.30 Uhr fiel ihm ein allein stehender Peugeot auf, der ungewöhnlich abgestellt war. Auf der Fahrerseite sah er eine Person sitzen. Hinter dem geparkten Auto bemerkte er einen kräftig gebauten Mann, der eine Zigarette rauchte. Dessen Alter schätzt er grob auf 30 bis 50 Jahre.
Zu Beginn seiner zweiten Fahrstunde an diesem Tag kam er wieder an derselben Stelle vorbei. Er erschrak, denn nun sah er dasselbe Auto – ausgebrannt. Die Feuerwehr hatte den Brand bereits gelöscht. Als sich M. dem Auto näherte, konnte er darin grob die Person in derselben Position wie bei seiner ersten Vorbeifahrt wiedererkennen. Es war der 21jährige Florian Heilig – tot.

Der Fahrlehrer ging zur Absperrung und teilte zuerst einem Polizisten, dann einer Polizistin mit, dass er vor dem Brand einen rauchenden Mann in unmittelbarer Nähe des geparkten Wagens gesehen hat. Die Beamtin notierte seinen Namen und seine Telefonnummer, M. nahm seine Arbeit wieder auf. Da wenig später von einem tragischen Selbstmord die Rede war, schien für ihn die Angelegenheit erledigt – bis in seinem Bekanntenkreis Medienberichte über die Ungereimtheiten des angeblichen Selbstmordes Aufmerksamkeit erregten.

Weder im ausgebrannten Wagen noch in der Umgebung gefunden: Wo i

Weder im ausgebrannten Wagen noch in der Umgebung gefunden: Wo ist der Fahrzeugschlüssel Florian Heiligs? Foto: privat

Zwar muss es keinen Zusammenhang zwischen dem rauchenden Mann und dem wenig später brennenden Auto geben. Da aber die Polizei grundsätzlich in alle Richtungen ermitteln müsste, wäre es äußerst wichtig herauszubekommen, wer dieser ist und ob es einen Zusammenhang zu dem geparkten Wagen und dem Insassen gibt.
Der Fahrlehrer wurde jedoch nie befragt. Die Ermittlungsakten suggerieren sogar das Gegenteil: In einer Strafanzeige des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 10. Februar 2014 gegen den Toten (!) wegen Brandstiftung findet sich der Satz: »Ein Hinweis auf eine weitere Person liegt hingegen nicht vor.«

Es gibt noch weitere Hinweise dafür, dass die Selbstmordthese unwahrscheinlich ist. Denn ein weiterer unterschlagener Umstand spricht dafür, dass Florian Heilig auf dem Cannstatter Wasen vor seinem Tod nicht alleine war: Um ein Auto zu fahren und abzustellen, braucht man einen Autoschlüssel. Die Ermittler stellten jedoch keinen Autoschlüssel sicher. Weder befand er sich im Zündschloss, im Wageninneren, noch in der Nähe des Tatortes.
Auch vom Schlüsselbund Heiligs fehlt jede Spur. Was die Polizei an Gegenständen sichergestellt hatte, findet sich in der Empfangsbescheinigung aufgelistet, ausgestellt auf den 24. September 2013: »Geldbörse, 36,07 Euro, 5 Visitenkarten, Scool-Card, 3 Gesundheits-/Versicherungskarten, Führerschein, 9 Quittungen, Arztbericht, Schreiben LRA Heilbronn, BPA, je ein Paar Turnschuhe/Socken.«

Wenn Zeugen, die die These vom Suizid gefährden könnten, nicht gehört werden, wenn Hinweisen, die gegen diese Theorie sprechen, nicht nachgegangen wird, dann ist die Annahme berechtigt, dass das, was der Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses festgestellt hat, auch für Baden-Württemberg gilt: »freiwillige Erkenntisisolation«, das heißt, man stellte sich absichtlich blind.
Auch vom Verdacht gezielter Sabotage war in dem Bericht die Rede.

Offiziell nicht ausgewertet: Warum tauchen Laptop und Handy des

Offiziell nicht ausgewertet: Warum tauchen Laptop und Handy des toten Florian Heilig in der Liste nicht auf? – Foto: privat

Man kann davon ausgehen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft nicht willkürlich Ermittlungen einseitig führen. Sie wussten sehr schnell, welche politische Brisanz der Tod eines Zeugen hat, der seine Aussagen zu dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter wiederholen wollte.
In Sachen Mord zu ermitteln, würde aber die Tür zu folgenden Fragen aufstoßen: Wer wusste von der bevorstehenden Vernehmung des Neonaziaussteigers? Mit wem hatte er bis in die Morgenstunden hinein telefonischen Kontakt?
Wie kamen Neonazis in den Besitz der ständig wechselnden Telefonnummern von Florian Heilig?
Warum wurde nie (offiziell) eine Auswertung der Telefon- und Verbindungsdaten vorgenommen? (Siehe jW vom 4. März 2015)

Die Eltern und die Schwester von Florian Heilig sind sich sicher, dass er sich nicht selbst umgebracht hat. Dieser war bis 2011 in der Neonaziszene aktiv. In dieser Zeit hatte er u. a. auch die untergetauchte NSU-Terroristin Beate Zschäpe getroffen.
Mitte 2011 machte er Aussagen zu dem Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007 und nannte dabei Namen, gegen die bisher nicht ermittelt wurde. Er kam ins BIG Rex genannte Aussteigerprogramm des LKA Stuttgart.

Jochen