GLAUBENSMEDIZIN – Gefahren der Globulisierung

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Erfrischender Hinweis in der jungen Welt: http://www.jungewelt.de/2017/01-27/072.php
Man könnte es auch Verdummungsmedizin nennen.
Auszüge:

Immer mehr Menschen misstrauen der konventionellen Medizin und setzen auf alternative Heilmethoden, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist. Der Grund für die Ausbreitung der Glaubensmedizin liegt nicht zuletzt im neoliberalen Gesundheitssystem

Von Christoph Lammers
Im Bereich der Medizin existiert ein unübersichtlicher Markt, auf dem unzählige Anwendungen und Produkte angeboten werden. Das trifft vor allem auf die sogenannte Alternativmedizin zu, die man besser als Glaubens- bzw. Paramedizin bezeichnet. Für diese Richtung gibt es zahlreiche Namen: alternative Heilmethoden, sanfte Medizin, ganzheitliche Medizin oder auch Erfahrungsheilkunde. Die Begriffe klingen gut und erwecken den Eindruck, es gäbe jenseits der konventionellen Medizin einen großen Erfahrungsschatz an alternativen Methoden, die einer stärkeren Berücksichtigung bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten bedürften. Akupunktur *), anthroposophische Medizin, Bach-Blütentherapie, Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), Schüßler-Salze oder Homöopathie zählen zu den bekanntesten Angeboten auf diesem Markt.

In allen gesellschaftlichen Schichten ist der Wunsch nach sanften und ganzheitlichen Behandlungen groß, weshalb diese aus den Apotheken und Arztpraxen nicht mehr wegzudenken sind und im zunehmendem Umfang auch von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Der Erfolg beruht jedoch nicht auf etwaigen Heilungserfolgen, vielmehr sind es gute Öffentlichkeitsarbeit, Heilungsversprechen und der Rückhalt in der Politik, die den (ökonomischen) Erfolg sichern. Eine außerordentliche Rolle spielt auch die Anekdotenevidenz, d. h. Berichte und Erlebnisse von Einzelpersonen, die ihre vermeintlich guten Erfahrungen mit paramedizinischen Produkten im Alltag teilen und so den Eindruck erwecken, dass die Präparate einen erheblichen Einfluss auf die Genesung haben. An zwei Beispielen, der Homöopathie und dem Beruf des Heilpraktikers, sollen die Gefahren der »Globulisierung« dargestellt werden.

Homöopathie und Verschüttelung

Die Homöopathie ist in Deutschland die mit Abstand beliebteste und bekannteste paramedizinische Disziplin. Sie geht auf Eingebungen des Arztes Samuel Hahnemann zurück.
In seinem 1796 veröffentlichten Aufsatz »Versuch über ein neues Princip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneysubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen« legte Hahnemann den Grundstein der »Globulisierung«: Similia similibus curentur (lat.: Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt; daher auch die Bezeichnung Homöopathie, griech.: gleiches bzw. ähnliches Leiden). Diese Annahme ist wissenschaftlich längst widerlegt.

Grundlegend für die Homöopathie ist die Behauptung, dass sich die pharmakologische Wirkung eines Stoffes durch ritualisierte Verdünnung in dem Lösungsmittel Wasser außerordentlich erhöhen ließe. Begründet wird die vermeintliche Verstärkung der Wirkung mit geheimnisvollen strukturellen Veränderungen im Lösungsmittel, die durch eine bestimmte Schütteltechnik dauerhaft in der Flüssigkeit fixiert würden. Hahnemann selbst brauchte bis 1843, bis er die »optimale« Variante fand: Die Verschüttelung erfolgt demnach bei Einzelanfertigungen in Zehn-Mililiter-Fläschchen, die von Frauen in sitzender Position auf ein mit Leder bezogenes Moosgummikissen geschlagen werden.
Wie weit die Phantasie der Homöopathen reicht, zeigt die Tatsache, dass heutzutage Produkte angeboten werden, die bis zu 5.000mal nacheinander jeweils im Verhältnis 1 zu 100 verdünnt und bei jedem Schritt geschüttelt wurden.
Ein Beispiel verdeutlicht die Absurdität: Ein homöopathisches Präparat mit der Potenz C30 entspricht der Lösung von einem Gramm Kochsalz in einem Lösungsmittelvolumen einer Kugel mit dem Umfang der Umlaufbahn der Venus. Wissenschaftlich gesehen ist dies grober Unfug, finanziell gesehen allerdings ein gutes Geschäft.

Wasser als Lösungsmittel kommt eine besondere Bedeutung bei der Verschüttelung zu. Ihm wird ein Gedächtnis zugeschrieben, welches die Informationen speichert, die im Wirkstoff vorhanden sein sollen. Interessant in diesem Zusammenhang ist der folgende Aspekt: Weder anschließende Bewegungen des fertigen Präparats, z. B. beim Transport oder bei der Einnahme des Produkts, noch die Resorption durch die Darmwand und der Transport im Blut sollen der Struktur des Heilmittels etwas anhaben können.

Von der Kritik an diesem esoterischen Firlefanz unbeeindruckt zeigt sich die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne), die als Verfechterin der Paramedizin gilt. In einem Interview mit dem Magazin Stern im Jahr 2012 erklärte sie: »Ich mache mich als Ministerin dafür stark, dass in unserem Gesundheitssystem und damit in der Schulmedizin auch Alternativmedizin wie die Homöopathie integriert wird. Ich denke, das ist wichtig, damit nicht nur einzelne Symptome behandelt werden, sondern der Mensch als Ganzes. Zum Glück gibt es schon viele Ärztinnen und Ärzte (…), bei denen auch Arnica C30 längst fester Bestandteil der Praxis ist.«
Dass die Gesundheitsministerin über keinerlei medizinische Ausbildung bzw. Fachkenntnis verfügt, spricht für sich.

Der Griff zu den Globuli ist heute so selbstverständlich wie der zu Aspirin oder Ibuprofen – ebenso die Sorglosigkeit im Umgang damit. Doch was steckt in den Globuli?

Von Amselherz bis Zement

Viele Patientinnen und Patienten glauben bis heute, die Homöopathie wie auch die anthroposophische Medizin seien Teil der Naturheilkunde. Tatsächlich aber umfasst letztere eine begrenzte Zahl an Verfahren. Zu ihnen zählen die Phytotherapie, Hydrotherapie und Balneotherapie, die Bewegungstherapie, die Diätetik sowie die Ordnungstherapie. Diese sind nicht nur »natürlich«, sie sind darüber hinaus nachweislich medizinisch wirksam.

Etwa 1.700 Rohmaterialien bilden die Grundlage für die über 20.000 homöopathischen Präparate und Kombipräparate. Hierzu zählen u. a. Fledermausblut, Hundekot, Urin vom Leopard, Eisbärenfell, Meißner Porzellan, Zementbestandteile der Berliner Mauer, aber auch sogenannte Nosoden, d. h. Präparate, welche aus krankhaft verändertem Körpermaterial oder Krankheitserregern bestehen. Daneben gibt es noch Präparate aus menschlichen Körperteilen, Organen und Körperflüssigkeiten wie Käseschmiere, Menstruationsblut und Plazenta. Dass auch pflanzliche Materialien Verwendung finden, kann nicht als Rechtfertigung herangezogen werden, um die Homöopathie als naturheilkundliches Heilmittel zu legitimieren.

Viele Erwachsene sind so sehr von der Wirksamkeit der Globuli überzeugt, dass sie selbst Säuglinge, Kinder und auch Haustiere damit versorgen.
Der Wunsch nach paramedizinischen Produkten ist in Deutschland mittlerweile so stark gewachsen, dass es hierzulande immer mehr Apotheken gibt, in denen – vermutlich vor dem Hintergrund ökonomischer Überlegungen – Produkte wie Globuli, Schüßler-Salze oder Präparate aus der anthroposophischen Medizin zu kaufen sind. Gut plaziert in den Schaufenstern und mit Werbeprospekten voller Heilsversprechen ausgestattet, sind die homöopathischen Produkte längst zum Kassenschlager geworden.
Der Glaube an die Paramedizin wird nicht zuletzt durch gezielte Werbung der Hersteller vor allem in Frauenzeitschriften verstärkt. Mit Fake News wie »Heilt Millionen Deutsche«, »Die Heilkraft der Homöopathie« oder »Alles wird gut« suggerieren die Hersteller medizinische Erfolge. Gerne wird in dem Zusammenhang auf Begriffe wie »natürlich«, »sanft« oder »ganzheitlich« zurückgegriffen.

Alternativmedizinische Verfahren und Produkte werden nicht nur von Ärztinnen und Ärzten, sondern vor allem von den zur Zeit in Deutschland etwa 43.000 Heilpraktikern eingesetzt. Sie dürfen keine verschreibungspflichtigen Medikamente verordnen. Dies ist zu Recht den Ärzten vorbehalten.
Ein bedeutendes Problem beim Berufsstand des Heilpraktikers besteht darin, dass es keine nennenswerten Qualitätskontrollen gibt. Den Beruf dürfen alle ausüben, die eine Prüfung beim Gesundheitsamt bestanden haben, die lediglich dem Nachweis dient, keine Gefahr für die allgemeine Gesundheit darzustellen. Naturwissenschaftliches Hintergrundwissen und Verständnis werden nicht verlangt. Trotz des mangelhaften Mindeststandards vertraut fast die Hälfte der Deutschen den Heilpraktikern in Gesundheitsfragen.
Wie sehr dieser Bereich einer stärkeren Aufsicht durch die Behörden bedarf, zeigen nicht zuletzt die Todesfälle im Biologischen Krebszentrum im Brüggener Stadtteil Bracht vom vergangenen Juli. In der in der Nähe von Viersen gelegenen Stadt wurde Krebspatienten eine Injektion eines in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassenen Präparates (mutmaßlich 3-Bromopyruvat) verabreicht. Verantwortlich dafür war Klaus Ross. Er ist Heilpraktiker mit 20jähriger Berufserfahrung als Produktmanager für Krankenhauseinrichtungen. Über eine Ausbildung auf medizinischem Gebiet, insbesondere der Onkologie, verfügt er offenbar nicht. Die Staatsanwaltschaft Krefeld ermittelt in drei Todesfällen sowie etwa 70 weiteren Todesfällen früherer Patienten.

Einträgliches Geschäft

Der ökonomische Erfolg der Paramedizin spricht für sich. Der Umsatz rezeptfreier Medikamente lag 2014 deutschlandweit bei rund sechs Milliarden Euro. Davon machen die homöopathischen Produkte etwa ein Zehntel aus. Rund neun Milliarden Euro werden in Deutschland pro Jahr für paramedizinische Produkte und Verfahren ausgegeben. Davon bezahlen die Patientinnen und Patienten mehr als die Hälfte, etwa fünf Milliarden Euro. Vier Milliarden Euro werden von rund 100 Krankenkassen erstattet.
Der Wunsch nach alternativen Produkten hat dazu geführt, dass sich die Krankenkassen mit Angeboten gegenseitig zu überbieten versuchen. Die Kosten, die dadurch für das Gesundheitssystem bzw. die Allgemeinheit entstehen, werden verschwiegen, ebenso der tatsächliche Nutzen, denn der liegt wissenschaftlich gesehen bei null.

In den USA hat man mittlerweile auf die fehlenden Belege zur Wirksamkeit der Homöopathie reagiert. Die US-Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde Federal Trade Commission hat Ende 2016 angekündigt, homöopathische Arzneien stärker kontrollieren zu wollen. Wenn die Wirkung eines Mittels nicht wissenschaftlich belegt ist, müsse das Produkt in Zukunft einen entsprechenden Hinweis tragen. Zu lesen sein müsse entweder »Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass dieses Produkt wirkt« oder: »Die Wirkungsbehauptungen des Produkts basieren einzig auf homöopathischen Theorien aus dem 18. Jahrhundert, die von den meisten modernen Medizinexperten nicht anerkannt werden.«

In Deutschland hat die Kritik an der Paramedizin in den letzten Monaten ebenfalls zugenommen, nicht zuletzt wegen der Vorfälle in Brüggen. Immer wieder berichten die Medien von Fällen, in denen hilfesuchenden Patienten medizinisch notwendige Versorgung vorenthalten bzw. ihnen falsche Versprechen gemacht wurden. Vertreter verschiedener Einrichtungen und Organisationen des Gesundheitswesens reagierten auf die sich häufenden Berichte. So sagte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), des höchsten Gremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, Josef Hecken im August 2016, es sei für ihn »unverständlich, warum ein Patient ein Nasenspray selbst bezahlen müsse, dessen therapeutischer Nutzen empirisch belegt sei, seine Kasse aber Arzneimittel bezahle, deren Wirksamkeit völlig unklar sei«.

Es stellt sich daher die Frage, worin der Erfolg von Produkten und Anwendungen liegt, für deren Wirksamkeit es keinen Beweis gibt und deren Entstehungsgeschichte mehr als zweifelhaft ist. Drei Gründe sollen an dieser Stelle kurz skizziert werden.

Medizinisches Klassensystem

Einer der Gründe für den Erfolg der Paramedizin beruht auf der Tatsache, dass das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik zu keiner Zeit allen Menschen gleichberechtigten Zugang zu Prävention und Therapie geboten hat. Die medizinische Grundversorgung wurde in der Vergangenheit stetig heruntergefahren und auf wenige Behandlungen begrenzt.
Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist zu einer Geschäftsbeziehung zwischen sehr ungleichen »Partnern« verkommen. Heilung und Prävention sind der Erstattung von Kosten bzw. dem Gewinn untergeordnet. Acht Minuten, so steht es in einem 2010 von der Barmer-GEK veröffentlichten Arztreport, hat der ambulant tätige Arzt im Durchschnitt Zeit, um eine Untersuchung vorzunehmen, eine Diagnose zu stellen sowie einen Behandlungsplan auszuarbeiten. Zum Vergleich, ein Erstgespräch bei einem Homöopathen dauert in der Regel über 60 Minuten. Dieser Unterschied schlägt sich auch in der Abrechnung nieder. Die Paramedizin ist längst zu einem ertragreichen Geschäft geworden, auch wenn viele das nicht sehen wollen. Pharmaunternehmen wie auch Ärzte und Krankenkassen haben diesen Markt schon vor Jahren entdeckt und ernten nun die Früchte eines durchkapitalisierten Gesundheitssystems. Dieses treibt die Menschen weg von der konventionellen hin zur Paramedizin.
Dabei zeigen Studien sehr deutlich, was die Patientinnen und Patienten in die Praxen homöopathischer Ärzte und zu den Heilpraktikern führt: Diese nehmen sich Zeit, hören aufmerksam zu und geben so dem Ratsuchenden das Gefühl, ernst genommen zu werden. Wenn den Patienten dann noch Tropfen bzw. Pillen in der richtigen Farbe und Größe verschrieben werden, ist der Heilungsprozess bei kleineren Wehwehchen schon erfolgreich. Das hat weder etwas mit Homöopathie noch mit der Fähigkeit des Homöopathen zu tun, sondern lässt sich allein auf den Placebo-Effekt zurückführen.

Ein weiterer Grund für den Erfolg der Paramedizin liegt in der Verantwortung des Gesetzgebers. Er gesteht zwei paramedizinischen Therapierichtungen eine Sonderrolle zu, die davon im erheblichen Maße profitieren. Es handelt sich um die Homöopathie und die anthroposophische Medizin. Sie werden im Sozialgesetzbuch als besondere Therapierichtungen bezeichnet und auch explizit im Arzneimittelgesetz erwähnt. Die in diesen Richtungen zum Therapieren und Diagnostizieren verwendeten Stoffe bzw. Verfahren sind vom strengen Nachweis der Wirksamkeit befreit.
Das Sozialgesetzbuch V ermöglicht die Kostenübernahme durch Krankenkassen bei »(…) Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit (…) nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung« (Paragraph 135 Absatz 1). Dieser als Binnenkonsens bezeichnete Aspekt bedeutet, dass z. B. Homöopathen ohne wissenschaftliche Prüfung selbst festlegen können, ob ein Stoff therapeutisch wirksam oder ein Diagnoseverfahren sinnvoll ist. Übertragen auf den Bildungsbereich würde das bedeuten, dass sich ein Schüler ohne Überprüfung das Abiturzeugnis selbst ausstellen kann, wenn er von sich selbst den Eindruck gewonnen hat, er hätte genügend Kompetenzen erworben.
Was für den Bildungsbereich undenkbar wäre, ist in der Medizin Realität. Während es durchschnittlich 14,2 Jahre dauert, bis ein konventionelles medizinisches Produkt auf dem Markt verkauft werden darf, reicht bei der Mehrzahl der Produkte der »besonderen Therapierichtungen« der Eintrag ins Register der zuständigen Bundesbehörde, des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Offensive an den Hochschulen

Im Zuge der Liberalisierung und Privatisierung im Bildungsbereich haben sich auch Vertreter der Paramedizin an den deutschen Hochschulen eingekauft und sichern sich so den Zugang zu Forschung und Lehre. Es gibt zahlreiche von Privatstiftungen finanzierte Lehrstühle, u. a. an der Berliner Charité, an der TU München und an der Universität Freiburg. Aufmerksamkeit erregte das 2007 an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) gegründete Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften. Dort wurde z. B. eine Masterarbeit eingereicht, die sich mit der Frage beschäftigte, ob ein spezieller Aluminiumspiegel den Kontakt zu Außerirdischen ermöglichen könne. Diverse Esoteriker und Paramediziner hatten Gastprofessuren inne. 2012 empfahl die Brandenburgische Hochschulstrukturkommission die Abwicklung des Instituts, was von der Universität jedoch nicht umgesetzt wurde.

Einen weiteren Vorstoß, die Homöopathie auf Hochschulebene zu etablieren, fand 2013 im oberbayerischen Traunstein statt. Dort plante ein Verband namens European Union of Homeopathy eine private Hochschule in Deutschland. Neben einer Heilpraktikerprüfungsbescheinigung sollten staatlich anerkannte Bachelor- und Master-Abschlüsse in Homöopathie vergeben werden können. »Klassische Homöopathie auf Hochschulniveau«, so die Heilpraktikerin und designierte Leiterin der Einrichtung, Anja Wilhelm.
Der Freistaat Bayern stellte zunächst eine Million Euro an Fördergeldern in Aussicht. Das Projekt wurde schließlich nicht verwirklicht, da die öffentliche Kritik zu groß war.
Es ist jedoch zu befürchten, dass dies nur eine Frage der Zeit ist, wenn man sich noch einmal das Beispiel der nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin vor Augen führt. Auch andere Politiker stehen der Etablierung der Glaubensmedizin wohlwollend gegenüber. Im Mai 2016 fand die 165. Jahrestagung des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte in Bremen statt. In ihrem Grußwort erklärte die Senatorin für Gesundheit, Eva Quante-Brandt (SPD): »Eine qualifizierte Würdigung auch unkonventioneller Methoden halte ich für unabdingbar. Die kontinuierliche medizinische Weiterentwicklung ist ohne die Schulmedizin wie auch alternative Ansätze nicht vorstellbar.«

Die Mehrzahl der Homöopathen scheint mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass Homöopathie allein nicht ausreicht. Deshalb beschwören sie das Miteinander von Schul- und Alternativmedizin, die so genannte Komplementärmedizin. Damit wird suggeriert, dass die Ansätze der Paramedizin als sinnvolle Ergänzung zur konventionellen Berücksichtigung finden sollten. Unter Bezugnahme auf die Aussagen von Forschungsstudien, die einen positiven Effekt (Placebo) anerkennen, sowie auf die positiven Erfahrungen von einzelnen Patienten (Stichwort Anekdoten-Evidenz), soll den Kritikern der Wind aus den Segeln genommen werden.
Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Homöopathie, wie auch alle anderen paramedizinischen Produkte und Anwendungen, im besten Fall einen Placebo-Effekt aufweisen – im schlimmsten Fall aber auch zum Tod von Patientinnen und Patienten führen können.

Quacksalberei

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, bei vergleichsweise harmlosen Wehwehchen auf Globuli oder andere paramedizinische Mittel zurückzugreifen. Entscheidend ist, dass sich der Arzt seiner Verantwortung als »Heilhandwerker« bewusst ist und gemeinsam mit dem Patienten die medizinisch notwendigen Schritte zur Heilung einleitet.

Existiert der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit einer therapeutischen Maßnahme, die über den Placebo-Effekt hinausgeht, sollte man konsequent von Medizin sprechen.
Da die Paramedizin keine der Qualitätskriterien erfüllt, statt dessen vom Glauben der Patienten lebt – etwa an die heilsame Wirkung von Globuli (Homöopathie) oder Mistelprodukten (anthroposophische Medizin) –, sollte man von Glaubensmedizin sprechen. Das wäre insoweit konsequent, da hinter den Therapiemaßnahmen geschlossene Welt- und Menschenbilder stecken, die einer stärkeren Thematisierung und kritischen Hinterfragung bedürften.
Die real vorhandenen aktuellen Probleme im Gesundheitswesen dürfen unter keinen Umständen als Argument für eine glaubensmedizinische Ausrichtung therapeutischer Maßnahmen herangezogen werden. Die Aufgabe wissenschaftlicher Standards in der Medizin käme einem Rückschritt in die Zeit vor der Aufklärung gleich, wo Quacksalberei weit verbreitet war.

Um einen solchen Rückschritt zu vermeiden, wäre es zu begrüßen, würde im Schulunterricht das Thema Wissenschaftstheorie verankert und die gute Begleitung und Beratung von Patienten in der Ausbildung angehender Ärzte zum Standard erhoben. Um zu verhindern, dass sich Patientinnen und Patienten bei ernsthaften Erkrankungen ausschließlich in die Hände von Glaubensmedizinern begeben, aus der Hoffnung heraus, ihnen könne geholfen werden, muss die Politik die richtigen Konsequenzen ziehen und Ärzte, Apotheken, Krankenkassen und Hochschulen stärker in die Verantwortung nehmen. Am Ende muss klar sein, dass die Antwort auf ein schlechtes Gesundheitssystem nur ein gutes Gesundheitssystem sein kann und nicht die »Globulisierung« unserer Gesellschaft.

*: Die Akupunktur möchte ich hier ausdrücklich ausgenommen wissen. Sie hat eine naturwissenschaftlich zu untersuchende Basis in nachweisbaren Verschaltungen von Neuronen und Astrocyten in mehreren unterscheidbaren Regionen des zentralen Nervensystems. Die Effekte lassen sich erzeugen und belegen, auch ohne dass man eine „Meridian-Energie“, „5 Wandlungsphasen“ u.s.w. als Hypothese einführen muss. Leider hat die Gesundheitsindustrie zur geneauen Erforschung, z.B. mit teuren hochauflösenden PET- und SPECT-Geräten, bisher noch keine Mittel zur Verfügung gestellt, und seriöse Wissenschaftler haben Angst, sich bei einem Antrag auf Grundlagenforschung  für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zu blamieren.

Mein Kommentar: Ds herrschende System profitiert sehr von der verbreiteten Dummheit. Wissenschaftstheorie wäre den Interessen der 1% abträglich, in der Medizinindustrie genau so wie in der Wirtschaftswissenschaft.
Hinter der „Alternativmedizin“ versteckt sich auch der Neid der Laien auf die Erfolge, die sich die rationale Medizin und deren Träger, ÄRZTE, mühsam und über Jahre erarbeitet haben.

Jochen