Europas Zukunft: Zehn Varianten des Abstiegs

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

dagmar henn

Ein intelligenter Kommentar von Dagmar Henn:
https://freeassange.rtde.live/meinung/168623-europas-zukunft-zehn-varianten-abstiegs/
Auszüge:

Es wird getan, als ginge es um die Ukraine; in Wirklichkeit geht es um eine Welt ohne Kolonialismus. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Europa könnte damit gut leben. Aber es fehlt die politische Kraft, um an die Stelle verbissener Verteidigung der alten Ordnung die neue zu setzen.

Überlegungen, wie die ganze gegenwärtige Krise – nicht nur in Bezug auf die ukrainische Front, sondern auf die globale Veränderung – für Europa enden könnte, beginnt man vielleicht am besten mit dem wünschenswerten Ergebnis. Für die weit überwiegende Mehrheit der europäischen Bevölkerungen wäre das eine Eingliederung in eine künftige Weltordnung souveräner Staaten mit gleichen Rechten.

In einer solchen Ordnung würden zwar die enormen Geldflüsse entfallen, die augenblicklich das Ergebnis der westlichen Macht sind, aber von diesen Geldflüssen profitiert nur eine verschwindende Minderheit. Für die allermeisten bieten die enormen, in wenigen Händen konzentrierten Geldbeträge nur Nachteile – um für all dieses Geld eine Verzinsung zu ermöglichen, steigen die Mieten und werden alle möglichen Lebensbereiche, wie das Gesundheitswesen, künstlich kommerzialisiert.

Nur als Beispiel dafür: In Deutschland besitzt gerade ein Prozent der Einwohner Wohnungen, in denen sie nicht selber leben. Darunter sind aber noch ein Menge Menschen, die etwa als Altersvorsorge genau eine Wohnung besitzen, die sie vermieten.
Nur dieses eine Prozent profitiert von den stetig steigenden Mieten. 99 Prozent haben davon einen Nachteil, denn selbst für die Eigentümer von selbstgenutztem Wohnraum wird der mögliche Vorteil eines steigenden Werts durch größere Probleme, dieses Eigentum überhaupt zu bilden, ausgeglichen.

Ein Verschwinden dieser Geldflüsse – was mit einem Bedeutungsverlust von Kolonialstrukturen wie IWF und Weltbank einhergeht – würde die Struktur des internationalen Handels verändern, der in vielen Bereichen heute von der Peripherie ins Zentrum fließt. An die Stelle des Abschöpfens müsste wieder ein Austausch von Gütern treten.
Dabei würde sich natürlich auch die Verteilung der Produktion ändern, weil eine Befreiung von kolonialen Lasten vielerorts eine nachholende Industrialisierung ermöglichen würde. Das heißt, die Rolle der jeweiligen Binnenmärkte würde in allen Ländern zunehmen.

Das klingt für deutsche Ohren, denen jahrzehntelang der Exportweltmeister als Ideal vorgesungen wurde, erst einmal irritierend, aber eine auf den Binnenmarkt konzentrierte Ökonomie ist für abhängig Beschäftigte ein Vorteil, weil die Löhne es ermöglichen müssen, die produzierten Waren auch zu erwerben.

Das wäre alles natürlich noch weit ausführlicher darzustellen; aber nehmen wir es einmal als gegeben an, dass eine Eingliederung auch der europäischen Länder in eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung möglich wäre.
Dennoch sind die politischen Machtverhältnisse augenblicklich derart von den Interessen maximal des obersten Promilles dominiert, das sich mit allen Kräften einer Veränderung der globalen Ordnung widersetzt. Um diese Zustände zu erhalten, wurden die demokratischen Mechanismen weitgehend außer Kraft gesetzt (die EU war dabei ein entscheidendes Mittel) und die öffentliche Meinung einer nie dagewesenen Kontrolle unterworfen. Wie also soll ein Weg von Zustand A in Zustand B möglich sein? Augenblicklich sind – trotz der massiven Proteste wie gerade in Frankreich – keine politischen Kräfte sichtbar, die im Stande wären, an den Machtverhältnissen im Innern des Westens etwas zu ändern.

Aber schließen wir die Möglichkeit nicht völlig aus; eine weitere Zuspitzung mag noch für Überraschungen sorgen.
Doch es gibt noch eine andere Variante, die aus einer westlichen Niederlage resultieren könnte, einen massiven wirtschaftlichen Zusammenbruch. Tatsächlich wäre dieser die zwangsläufige Konsequenz, wenn die erforderliche politische Anpassung an die geänderten globalen Verhältnisse nicht möglich ist.

Dabei sind folgende Punkte wichtig: Wirtschaftskrisen vom Kaliber 2008 oder 1929 sind chaotische Prozesse, und es hat zwar ab 2008 die Möglichkeit gegeben, die Folgen der Krise durch massive Geldschöpfung zu vertagen, aber weder war es möglich, ihre Entstehung zu verhindern, noch wurden die auslösenden Probleme auch nur ansatzweise gelöst.
Das heißt, wenn sich die verschiedenen Faktoren wie extreme Staatsverschuldung (insbesondere in den USA), massive Überbewertungen beispielsweise bei Immobilien und schwindender Einfluss des US-Dollars durch welchen Anstoß auch immer in eine große ökonomische Krise umsetzen, hat keine Regierung der Welt die Möglichkeit, das aufzuhalten.
Allerdings gibt es zwei Faktoren, die es möglich erscheinen lassen, dass diese Krise weitgehend auf den Westen beschränkt bleibt – je geringer der Einfluss des US-Dollars und je stärker die Abkopplung der ökonomischen Zonen, die der Westen mit seinen Sanktionen stetig weiter vorantreibt, desto besser die Chancen für den nichtwestlichen Teil der Welt, von dieser Krise nicht oder nur begrenzt betroffen zu werden.

Der ökonomische Zusammenbruch (denn darum würde es sich für den Westen handeln) ist gewissermaßen der Joker im Spiel, der zumindest partiell unabhängig von den militärischen und politischen Entwicklungen jederzeit auftauchen kann; einzig die Wahrscheinlichkeit des Eintritts steigt im Zeitverlauf beständig.
Dabei ist die wahrscheinlichste Variante eine Mischung aus der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. und der deutschen Inflation 1923, also 2008 auf Steroiden mit einer Hyperinflation als Dreingabe. Falls, oder eher, wenn diese ökonomische Krise zuschlägt, dann ist der globale Westen handlungsunfähig, außer in einem einzigen Punkt, der leider ein Problem bleiben wird, solange in den USA die Neocons das Sagen haben – er befindet sich immer noch im Besitz nuklearer Waffen.
Diesen Punkt zu diskutieren, ist allerdings unnütz, das Ergebnis steht fest.

Diese ökonomische Erschütterung wird zwangsläufig, über kurz oder lang, auch das politische Gefüge erschüttern; schlicht deshalb, weil innerhalb des Bestehenden kein Ausweg möglich ist. Das Vertagen der Krisenfolgen wie nach 2008 funktioniert nicht mehr; sollten zu diesem Zeitpunkt noch größere Reste der alten Position des US-Dollars übrig sein, dürften sie sich nach Einsetzen dieser Krise in unvorstellbarer Geschwindigkeit verflüchtigen, schon allein, weil jeder Staat außerhalb des westlichen Kerns bemüht sein wird, in diese Entwicklung nicht mit hineingezogen zu werden.

Wie tief der Absturz wird, und wie lange es zu einer Erholung brauchen wird, hängt nicht nur in diesem rein ökonomischen Szenario davon ab, ob sich ausreichend politische Kräfte finden, die eine Rekonstituierung demokratischer Prozesse tragen und eine ökonomische Anpassung im Interesse der Bevölkerung vorzunehmen im Stande und willens sind.
Die gegenwärtige politische Elite in den europäischen Ländern dürfte dafür vollständig untauglich sein. Wobei die ganzen gegenwärtigen Bemühungen, einen Dissens und die Bildung politischer Gegenkräfte mit allen Mitteln zu verhindern, letztlich absurd sind – weder die globale Veränderung noch die ökonomische Krise werden dadurch verhindert, was bedeutet, dass letztlich dadurch auch die Macht der gegenwärtigen Eliten nicht gesichert werden kann; aber die Entwicklung eines Europas, das der Welt nicht mehr als Kolonialherr gegenübertritt, und damit die Möglichkeit eines Auswegs aus der Krise werden sabotiert.

Legen wir den Joker beiseite und betrachten, welche Entwicklungen auf der politischen Ebene möglich sind – ohne zu vergessen, dass in den meisten Versionen der Joker früher oder später dennoch ins Spiel kommt.

Die erste Version wäre eine lineare Verlängerung der Gegenwart. Die gesamte EU bleibt den USA völlig hörig, die USA selbst setzen ihr „Solange es nötig ist“ auf stetig weiter schrumpfendem Gebiet fort und eröffnen zusätzlich eine zweite Front gegen China, in die sich die EU ebenfalls ziehen lässt. Wenn man die Aussagen beispielsweise des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell liest, ist diese Version durchaus möglich.
Während die Kämpfe in der oder vielmehr um die Ukraine aufrechterhalten werden und langsam Richtung polnischer Grenze geschoben werden, könnte eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China sehr schnell eskalieren, schlicht deshalb, weil in einem weitgehend maritimen Konflikt für China gar keine andere Möglichkeit bestünde, als die Flugzeugträgergruppen der USA anzugreifen. Freundliche Hilfe Russlands in der einen oder anderen Art, um auch mit den US-U-Booten umgehen zu können, kann man voraussetzen. Eine schnelle Eskalation hieße eine schnelle Niederlage der USA. Eine derart sichtbare, unverkennbare Niederlage, dass die ökonomische Krise vermutlich auf dem Fuß folgen würde.
Welche Folgen das in den gegenwärtig politisch tief gespaltenen USA hätte, ist schwer vorherzusagen, aber das wirksamste Mittel gegen ein Umschlagen in einen Bürgerkrieg könnte dann der Mangel an Munition sein.
Auf jeden Fall wäre das Resultat ein völliger Glaubwürdigkeitsverlust der einen Seite, und politische Instabilität. In vermindertem Maß gilt das auch für Europa, das zu diesem Zeitpunkt dank der mit Sicherheit eingeführten Sanktionen gegen China in einer Rezession steckt, selbst ohne Aktivierung der großen Krise. Das wäre dann ein langsamerer Abstieg, der aber, gerade weil langsamer, die Kontrolle durch die bestehende Macht verlängert und damit die Bildung politischer Gegenkräfte weiter verzögert.

Version zwei wäre ein mehr oder weniger schneller Rückzug der USA von der ukrainischen Front, um „die Hände frei“ für China zu haben, wie das jüngst der CDU-Verteidigungspolitiker in geradezu freudiger Erwartung formulierte, weil er eine „deutsche Führungsrolle“ in der Ukraine erhoffte. Das sind Untervarianten A und B –
A wäre eine Übernahme der Führung in der EU in Bezug auf die Ukraine durch Deutschland, was eine Verlangsamung zur Folge hätte (Russland hat es nicht eilig, und das deutsche Militär will sich auf keinen Fall in der Ukraine wiederfinden) und womöglich zu Versuchen von EU-Seite führt, das Ganze einschlafen zu lassen; eine realistischere Option, wenn die Grünen nicht länger Teil der Regierung wären. Es ist aber, dank der gründlichen Vorarbeit von Angela Merkel bei Minsk, nicht allzu wahrscheinlich, dass sich Russland auf deutsche Verhandlungspartner einlässt.
Schon der Versuch würde allerdings zu Problemen zumindest mit Polen und den Balten führen, die, gäbe es eine deutsche Regierung mit einem Ansatz von Rückgrat, durch Verweis auf die EU-Subventionen beherrschbar wären; allerdings auch nur, solange die EU als Rahmen existiert. Wenn allerdings die Mittel knapp werden, weil die EU in der Rezession versinkt, fehlt das Mittel, Polen zu kontrollieren, und ein abrupter Wechsel hin zu Untervariante B mit Billigung der USA ist nicht auszuschließen.
B: Das wäre die Eskalation durch den Einsatz polnischen Militärs, um den Krieg selbst dann fortzusetzen, wenn Kiew personell dazu nicht länger im Stande ist. Die bei weitem unberechenbarste Version, zum einen wegen der innigen Nähe der jetzigen polnischen Regierung zu den US-Neocons, zum anderen, weil die Reaktion der Bundesregierung auf polnische Reparationsforderungen, der nicht einmal ein Verweis auf Oberschlesien über die Lippen kam, fürchten lässt, dass sie in diesem Fall zwar zumindest eine Zeit lang das Mitmarschieren verweigern würde, aber nicht im Stande wäre, daraufhin auf Abstand zu gehen. In welchem Fall das Auftauchen des Jokers geradezu einer Erlösung aus einem langen Elend gleichkommen könnte. Außer, es fänden sich noch andere EU-Staaten, die das polnische Spiel nicht mitmachen wollten.

Vermutlich ebenfalls in Richtung der polnischen Variante dürfte es gehen, sollten in der Ukraine Armee und Staat plötzlich zusammenbrechen. Dann würde das Ganze wahrscheinlich mit einer humanitären Erzählung bekränzt, was dafür sorgt, dass Deutschland und Frankreich diesem Marsch in den Sumpf wenig entgegensetzen. Die EU-Spitze wäre ohnehin mit wehenden Fahnen mit dabei. Das Ergebnis wäre eine partielle Umkehrung der ersten polnischen Variante – erst die polnische Intervention, gefolgt vom Rückzug der USA, die sich dann darauf verlassen könnten, den Rest der EU in der Falle zu haben.
Das wäre der langsamste und schmerzhafteste Niedergang, enthielte aber bei einer entsprechenden russischen Reaktion und einem Durchmarsch bis weit in den Westen zumindest die Hoffnung, dass sich das Problem der gegenwärtigen politischen Eliten erledigt hat.

Das größte Risiko für das Bestehen der EU ist die Entwicklung in Frankreich. Dort dürften die Proteste zunehmen, wenn sich die wirtschaftliche Lage in der EU verschlechtert; aber für einen Sturz Macrons und ein Entrinnen aus der Umklammerung durch die EU dürften friedliche Proteste nicht genügen, auch dann nicht, wenn sie mit Generalstreiks kombiniert werden. Das haben die Auseinandersetzungen in der Euro-Krise in Griechenland und Portugal bewiesen. Nicht einmal 12 Prozent der Bevölkerung auf der Straße genügten 2013 in Portugal, auch nur die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.
Ein Ende der EU, das die Voraussetzung für eine Rückkehr zu demokratischen Zuständen wäre, würde erfordern, dass mindestens Frankreich oder Deutschland aussteigt; ein Austritt Ungarns würde nicht genügen. Dass der ökonomische Angriff der USA auf Europa Deutschland als erstes Ziel hatte, hat die Binnenverhältnisse sogar stabilisiert, weil die deutsche Dominanz in den letzten beiden Jahrzehnten die Hauptquelle für Unmut war.
Die jetzigen europäischen Politiker dürften eher an diesem Rahmen festhalten, um damit die Möglichkeit ihres Sturzes zu verringern, selbst wenn das ganze Staatenbündnis bis zum Hals im Wasser steht.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die polnische Variante fast vorteilhaft, weil sie die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zwangsrahmen zerbricht, etwas erhöht.

Gesetzt den Fall, der Krieg in der Ukraine schleppt sich ohne Ausweitung auf China hin bis zu den US-Wahlen, gäbe es noch die Variante, dass ein neu gewählter US-Präsident Donald Trump in Kiew anruft und trocken mitteilt, jetzt gäbe es nichts mehr, was das Problem Ukraine per Zusammenbruch lösen würde.
Die EU-Führung würde vermutlich einige Wochen brauchen, um sich von der Schockstarre zu erholen, aber eine kleinere Version des polnischen Szenarios ist dennoch nicht ausgeschlossen. Allerdings sind die US-Wahlen erst Ende 2024.

Gänzlich unwahrscheinlich ist leider die Version, dass die Führung der EU sich eines Besseren besinnt und sich von den USA abkoppelt. Das würde im Prinzip die weichste Landung ermöglichen – ein Ende der Unterstützung der Ukraine, eine geordnete Auflösung der EU und eine, wenn auch mühsame, Neuorientierung hin auf die multipolare Welt. Der beste Zeitpunkt dafür wäre der Moment, wenn die USA ihren Fokus auf China verschieben. Aber ein Blick auf das Brüsseler Personal genügt, um diese Version ins Reich der Märchen zu verweisen.

Eine wirklich optimistische Variante, nach der in ein, zwei, drei europäischen Ländern die vorhandenen Regierungen entmachtet und die NATO aus dem Land gekegelt wird, um anschließend unter zumindest möglicher Umgehung einer tiefen ökonomischen, politischen und sozialen Krise die Anpassung an die neuen Verhältnisse zu beginnen, ist derzeit nicht sichtbar.

Das ist die wirkliche Tragik der Entwicklung. Denn die europäische Geschichte ist nicht nur eine des jahrhundertelangen Raubes rund um die Welt, der von oben orchestriert wurde; sie ist auch eine Geschichte eines jahrhundertelangen Kampfes von unten um politische Rechte und die politische Macht; ein Kampf, ohne den weder die Idee von Menschenrechten noch von Demokratie noch die des Völkerrechts je geboren worden wäre.
Aber die Erinnerung an diesen Teil der Geschichte, mit seinen Siegen und Niederlagen, seinen Errungenschaften und Widersprüchen, wurde erfolgreich ausgelöscht.

Selbst die Franzosen scheinen vergessen zu haben, wie man die Bastille stürmt.

Mein Kommentar: Irgendwie habe ich hier nicht mitbekomen, wo die eine Version aufhört und die nächste anfängt. Nur den Schluss kann ich vollumfänglich teilen.
Über Eure Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Verteufelter Feind: Die klassischen Prinzipien der Kriegspropaganda in den westlichen Narrativen gegen Russland und China. Von Anne Morelli

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Dieser Artikel aus der jungen Welt passt so gut zu meinem Hauptthema, dass ich ihn hier in ganzer Länge wiedergebe – mit einer Auswahl an Leserbriefen.
Dazu kommt aktuell am 12. 1.2022 ein Interview in der jungen Welt, weiter unten.
Die 10 Prizipien der Kriegspropaganda habe ich auch schon hier beschrieben: https://josopon.wordpress.com/2022/07/08/von-syrien-bis-zur-ukraine-dieselben-10-regeln-der-kriegspropaganda-von-lord-posonby/
und deren aktuelle Auswirkungen hier: https://josopon.wordpress.com/2016/09/27/salven-aus-den-verlagshausern-der-anteil-der-medien-an-den-kriegen-des-westens/
und vor dem Beginn der „Sonderoperation“ hier: https://josopon.wordpress.com/2022/02/17/die-vor-kriegspropaganda-und-die-strategische-kommunikation-der-nato/

Verteufelter Feind

Die klassischen Prinzipien der Kriegspropaganda finden sich auch im westlichen Vorgehen gegen Russland und China

Von Anne Morelli

https://www.jungewelt.de/artikel/441874.kriegspropaganda-verteufelter-feind.html

Alle militärischen Konflikte werden von Propaganda begleitet. Die erste durch schriftliche und visuelle Quellen überlieferte Schlacht der Antike bildete da keine Ausnahme. Nachdem 1274 v. u. Z. die Ägypter gegen die Hethiter bei Kadesch im heutigen Syrien gestritten hatten, ließ Ramses II. einen »Sieg« für die Nachwelt festhalten – obwohl er ein großes Gebiet verloren hatte. Es war schon damals wichtig, die Untertanen glauben zu lassen, dass für das eigene Lager alles gut und für die Gegner alles schlecht laufe.
Der römische Prokonsul Julius Cäsar stellte seine siegreichen Feldzüge gegen die Gallier 58 bis 51 v. u. Z. als »Defensivkrieg« dar. Angeblich waren es die Gallier, die angriffen, und er habe diese Offensive vorausgesehen und müsse ihr zuvorkommen. In dem Bericht, den er dem römischen Senat vorlegte, beschrieb er die Täuschungsmanöver seiner Feinde, übertrieb deren Stärke und versicherte, dass ihre Verluste extrem hoch seien. Und warum hatte er diesen Krieg geführt? Wenn man ihm glauben will, dann natürlich, um Gallien zu »befrieden«.
Zweifellos haben die englischen Karikaturen, die Napoleon als Unhold zeigten, die öffentliche Meinung zur Allianz der konservativen Mächte gegen Frankreich beeinflusst. Die Grundsätze der Kriegspropaganda wurden also zu allen Zeiten angewandt, aber nicht von Agenturen, die in großem Maßstab mit spezialisiertem Personal arbeiten. Erst im Ersten Weltkrieg wurden sie zum Gegenstand systematischer und »professioneller« Kampagnen.

In diesem Konflikt standen sich hauptsächlich Frankreich, Großbritannien und Russland, die Triple Entente, auf der einen Seite und Deutschland und Öster­reich-Ungarn auf der anderen Seite gegenüber. Auf beiden Seiten wurde das ganze Potential an Vorstellungskraft ausgeschöpft, um die Kriegspropaganda zu nähren. Dank des 1928 erschienenen Buchs »Falsehood in Wartime« von Lord Arthur Ponsonby (1871–1946), der daran beteiligt und – als Pazifist – ange­widert war von dem, was er gesehen hatte, sind wir heute besonders gut über die Organisation der offiziellen britischen Propaganda informiert.
Ponsonby hat eine Reihe der von ihr erfundenen Kriegslügen entlarvt. Die britische Propaganda­abteilung wurde von Alfred Harmsworth (1865–1922) geleitet, einem bekannten Journalisten und Verleger, der 1918 wegen seiner Verdienste als Propagandadirektor zum Viscount geadelt worden war. Lord Northcliffe, so sein neuer Name, kannte keine Skrupel, wenn es darum ging, den Hass des Volkes zu schüren und dafür zu sorgen, dass genügend Freiwillige rekrutiert wurden, um den Krieg der Triple Entente fortzusetzen. Arthur Ponsonby beschrieb die wesentlichen Mechanismen der Kriegspropaganda. Ich habe sie in zehn »Geboten« beziehungsweise elementaren Grundsätzen systematisiert. Wir werden anhand der westlichen Narrative über Russland und China prüfen, ob sie ein Jahrhundert später immer noch wirksam sind.

Wir wollen keinen Krieg

Um einen Krieg populär zu machen, muss die Öffentlichkeit davon überzeugt werden, dass wir uns in Notwehr befinden und der »andere« angefangen hat. Der »andere« ist von expansionistischen Visionen getrieben. Es ist also Russland, das als alleiniger Verantwortlicher für den Krieg in der Ukraine betrachtet wird.
Doch schon Machiavelli warnte davor, immer nur denjenigen, der als erster sein Schwert zieht, als Verantwortlichen für einen Konflikt anzusehen. Denn der Angreifer kann in eine Situation geraten sein, in der es für ihn keine andere Möglichkeit mehr gab, als in einen offenen Krieg einzutreten.

Heute spricht der Westen von einem »russischen Angriff« auf die Ukraine im Februar 2022, ohne zu berücksichtigen, dass das Vordringen der NATO nach Osten aus der Sicht Moskaus eine konkrete Bedrohung des eigenen Territoriums darstellt, auf die man – in die Enge getrieben – irgendwann »reagieren« muss.

In den vergangenen acht Jahren musste Russland verschiedene westliche »Offensiven« über sich ergehen lassen: die (organisierte) Dürre auf der Krim, seitdem Kiew die Halbinsel von der Wasserversorgung aus dem Dnepr abgeschnitten hat, das Massaker in Odessa vom 2. Mai 2014, den regelmäßigen Beschuss des mehrheitlich von russischsprachigen Menschen bewohnten Donbass durch die vom Westen aufgerüstete ukrainische Armee.
Während NATO und EU seit 2014 behaupten, »auf die russische Herausforderung zu reagieren«, spricht der Kreml von »präventiver Verteidigung«, um seinen Kriegseintritt zu rechtfertigen. Der Westen seinerseits versichert, dass seine Vorstöße in den Osten dazu dienen, sich selbst zu »schützen«.

Die westliche Propaganda unterstellt Russland und China imperialistische Interessen. Dabei haben diese viel weniger Militärstützpunkte im Ausland als die USA, die mehr als 725 Basen außerhalb ihres Staatsgebiets unterhalten und deren Budget für Militärausgaben mit 2.187 Dollar pro Kopf viel höher liegt als bei ihren Gegnern. Aber es ist wichtig, die Öffentlichkeit glauben zu machen, dass wir von einem bedrohlichen Feind in die Enge getrieben werden.

Dämonisierung des Gegners

Wenn die öffentliche Meinung nicht für den Kriegseintritt ist, dann muss man den Anführer des Gegners als teuflischen Verrückten darstellen, den zu beseitigen unsere Pflicht ist.
Im Ersten Weltkrieg wurde Kaiser Wilhelm II. von der Propaganda der Triple Entente als blutrünstiger Wahnsinniger beschrieben, der persönlich den Befehl gegeben habe, die Kathedrale von Reims und die Bibliothek der Universität Leuven in Belgien niederzubrennen. In späteren Konflikten kam derselbe Mechanismus zur Anwendung.
Die NATO-Offensive gegen Jugoslawien war demnach notwendig, um den Staatspräsidenten Slobodan Milosevic gefangenzunehmen, der Krieg gegen den Irak wurde angeblich gegen Saddam Hussein geführt, der Angriff Frankreichs auf Libyen, der von den USA unterstützt wurde, erfolgte, so die westliche Propaganda, um das Land von Muammar Al-Ghaddafi zu befreien – obwohl der libysche Staatschef noch kurz zuvor im Élysée-Palast als wertvoller Verbündeter begrüßt worden war.

Auch in den gegenwärtigen westlichen Erzählungen findet sich dieses einfache Prinzip: Wir führen keinen Krieg gegen Russland, sondern gegen Putin, der an Paranoia leidet.
Die Tageszeitung La Libre Belgique beschreibt den russischen Präsidenten als sowjetischen Zaren. Der Publizist Bernard-Henri Lévy bescheinigt ihm »mörderische Unzurechnungsfähigkeit«, nennt ihn »Iwan den Schrecklichen« und »Eierabreißer«.
In dem in Brüssel erscheinenden Nachrichtenmagazin Le Vif fand sich bereits 2014 ein Artikel mit der Überschrift »Wie man Putin stoppen kann«, in dem dessen »Bösartigkeit« angeprangert wurde. Der Sender TV5 Monde titelte »Wladimir Putin: Russland als Eroberer« – obwohl das Land seit 1990 einen Großteil seiner Einflussgebiete verloren hat. Wladimir Putin sei ein »Killer«, sagte der US-amerikanische Präsident Joseph Biden im März 2021. Diese Bezeichnung wurde von der europäischen Presse einfach übernommen, obwohl sich die beiden Männer drei Monate später in Genf treffen sollten.

Da Xi Jinping der Führer des anderen großen Feindes der westlichen Welt ist, gibt es auch für ihn wenig lobende Worte: Der »neue Mao« soll seine Rivalen vertrieben haben, um dem Personenkult um sich selbst mehr Raum zu geben. Er wird als »Kaiser« tituliert, der auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas seine »Krönung« gefeiert habe.

Natürlich sind es immer die Regimes der anderen Seite, die aus gefährlichen Verrückten bestehen. »Unsere« Führer sind alle gesund und menschlich.

Als Sigmund Freud 1930 den Wahnsinn des 28. US-amerikanischen Präsidenten Thomas Woodrow Wilson beschrieb, der eine entscheidende Rolle im Ersten Weltkrieg gespielt hatte, wurde dessen Psychoanalyse zurückgehalten und durfte erst 1967 veröffentlicht werden.

Es war wohl zu beunruhigend für die Amerikaner zu erfahren, dass es auf »unserer« Seite einen Führer gab (Wilson war unter anderem davon überzeugt, eine besondere persönliche Beziehung zu Gott zu haben), der in Wirklichkeit unfähig war, sein Land zu regieren und die Zukunft Europas zu gestalten.

Edle Motive des eigenen Lagers

Um die öffentliche Meinung für den Krieg zu mobilisieren, muss man die Bevölkerung überzeugen, dass »wir« ihn nur für gute Zwecke führen. Wir sprechen also nicht über unsere Expansionspläne oder die wirtschaftlichen Gründe für unsere kriegerischen Unternehmungen. Die kriegstreiberische Einigkeit lässt kein Wort über das US-amerikanische Schiefergas zu, das zu hohen Preisen das russische Gas ersetzen soll.
Natürlich auch nicht über das europäische Projekt, das eine in die NATO und EU integrierte Ukraine von morgen als gute Gelegenheit für »Standortverlagerungen in der Nähe« sieht: Weniger weit entfernt als Asien und Afrika, könnten dort mit geringeren Transportkosten vom Westen benötigte Produkte hergestellt werden. Da die einheimischen Arbeitskräfte in der Ukraine immer noch zu teuer und vor allem durch ein aus der Sowjetzeit stammendes Arbeitsgesetz geschützt sind, müssen diese Barrieren beseitigt und die Arbeitsbedingungen beispielsweise durch eine Erhöhung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden und leichter mögliche Entlassungen »liberalisiert« werden.
Es müssen also Maßnahmen ergriffen werden, wie sie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij mit der Bekämpfung der Gewerkschaften des Landes bereits eingeleitet hat.

Die westlichen Medien dagegen berichten nur von »unseren« edlen Neigungen, dem Feind unserer Feinde zur Hilfe zu eilen. Und so ist auch »unsere« Unterstützung für Taiwan und Tibet nur als ein Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker zur verstehen (nicht etwa aus der Hoffnung geboren, China zu schwächen). Wir verteidigen das Recht des Kosovos, sich von Jugoslawien abzuspalten, aber nicht der Krim und der Oblast Donezk, sich von der Ukraine zu lösen. Putin versichert, dass Russland Krieg gegen den wiederauflebenden Faschismus führt. Die NATO behauptet, für die Demokratie zu kämpfen.
Viele Länder, die von der NATO gestützt werden, sind keine Vorbilder für Demokratie. Bereits im Ersten Weltkrieg trat die Triple Entente angeblich für die Demokratie ein – gemeinsam mit dem russischen Zaren!

Der Kampf gegen die russischen »Oligarchen« ist scheinbar auch ein edles Motiv. Die Definition des Wortes »Oligarch« ist klar: Es handelt sich um einflussreiche Personen, die die Wirtschafts- und ebenso weitgehend die Medienmacht an sich gerissen haben. Das trifft zweifellos auch auf einige Personen in Frankreich zu, etwa Arnaud Lagardère, Bernard Arnoult, François Pinault, die Dassault-Familie etc. Aber diese Kaste – die insbesondere das Medienmonopol in ihren Händen hat – anzugreifen würde eine Revolution bedeuten.

Die Frage der Menschenrechte, insbesondere der Religionsfreiheit, ist ein häufig angeführter Grund für Konflikte mit China, nicht von Interesse sind aber die Rechte der Palästinenser oder der Frauen in den muslimischen Ländern, die mit den USA verbündet sind. Beispielsweise betreibt die französische Regierung im eigenen Land eine rigide Antisektenpolitik, in China hingegen fördert sie mit Falun Gong eine neugegründete taoistische Bewegung.
Am 24. April 1999 waren 10.000 Falun-Gong-Anhänger in das Gebäude der chinesischen Regierung eingedrungen. Es ist unwahrscheinlich, dass die französische Regierung es hinnähme, wenn eine vom Ausland unterstützte Sekte versuchte, den Élysée-Palast zu besetzen.

Die Greueltaten der Feinde

Leider gibt es keinen Krieg ohne Gewalt. Aber die Propaganda will uns das Gegenteil glauben machen. Im Krieg zwischen der NATO und Russland um die Ukraine wird nur über die Verbrechen der Truppen des Kremls berichtet.

Wenn Human Rights Watch und Amnesty International sich über Folterungen und Hinrichtungen, die von Ukrainern an Russen, insbesondere an Gefangenen, begangen werden, besorgt äußern, dann ist das Echo bei uns gering, und Meldungen darüber schaffen es nicht auf die Titelseiten der Zeitungen.
Empathie soll nur für die Opfer des Feindes und nicht für die Opfer des NATO-Aspiranten aufgebracht werden. Die Tragödie von Flüchtlingen ist nur dann rührend, und diese sind nur dann der Solidarität würdig, wenn sie als Zeugen der feindlichen Barbarei auftreten.
Der Krieg in der Ukraine hat auch Teile der im Osten des Landes lebenden russischen Bevölkerung gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen – aber wen interessiert das schon?

Ähnlich die antichinesische Propaganda. Die westlichen Medien sind voll von Berichten über die Schrecken, die Uiguren erlitten: Zwangsassimilation, Unterricht auf chinesisch, Bekämpfung des Separatismus etc.
Die beschriebenen Maßnahmen spiegeln die Unterdrückungsmethoden, die die europäischen Kolonialherren gegen die indigenen Völker angewandt haben.
Bis vor kurzem wurden in Kanada noch die Kinder der Ureinwohner in einer Fremdsprache, Englisch, unterrichtet und gezwungen, mit dem Christentum eine Religion auszuüben, die nichts mit ihrem angestammten Glauben zu tun hat. Da sie zudem Experimenten und vielen Entbehrungen ausgesetzt waren, starben Tausende von ihnen.
Hört man häufiger vom tödlichen Schicksal der Ureinwohner Kanadas oder von den Uiguren, über die die meisten Nachrichten von dem alles andere als objektiven Radio Free Asia stammen?

Die illegalen Waffen des Feindes

Laut der binären Sichtweise, die die Kriegspropaganda vermittelt, muss der Feind hinterlistig sein und unerlaubte Strategien und Waffen einsetzen. So beschuldigt Moskau die Ukraine, ein geheimes biologisches Waffenprogramm zu entwickeln, das von den USA gefördert werde. Dazu muss man allerdings sagen, dass die WHO im März 2022 der Ukraine nachdrücklich empfohlen hat, »die in ihren Labors aufbewahrten hochgefährlichen Krankheitserreger zu vernichten«.
Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, dass nur der andere Clustermunition verwende. Tatsächlich wurde sie erst von Kiew im Donbass und später von Moskau eingesetzt. Phosphorbomben werden von westlichen Medien als besonders »unmenschlich« bezeichnet; nicht erwähnt wird, dass sie von Briten und US-Amerikanern bereits im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abgeworfen worden waren.

Terrorismus scheint die perfideste Waffe zu sein, und jeder wirft dem anderen vor, sich seiner Methoden zu bedienen, selbst wenn es sich um Cyberangriffe des Gegners handelt. Aber wenn unser Verbündeter ein Flugzeug zur Landung zwingt, um eines politischen Feindes habhaft zu werden – wie es 2016 mit dem Anti-Maidan-Reporter Armen Martirosjan in Kiew geschehen ist –, dann ist das natürlich absolut kein Akt der Piraterie.
Dem Gegner wird vorgeworfen, keine regulären Truppen, sondern geldgierige Söldner und sogar Killerroboter einzusetzen. »Wir« hingegen schicken nur »Freiwillige« an die Front, die von der Richtigkeit »unserer« Sache verzaubert sind und uneigennützig handeln.
Auch im Propagandakrieg gegen China ließ der Westen es sich nicht nehmen, Beijing des Einsatzes »illegaler Waffen« zu bezichtigen. US-Präsident Donald Trump war nicht der einzige, der Covid zur B-Waffe erklärte. Bereits im Mai 2020 überschwemmte die Falun-Gong-Sekte Belgien mit der Nachricht, dass die Kommunistische Partei Chinas für Corona verantwortlich sei.
Außerdem wird China beschuldigt, seine Konfuzius-Institute im Ausland hinterlistig für die Verbreitung seiner Propaganda zu nutzen – obwohl alle vergleichbaren Institute europäischer Länder, Goethe, Cervantes, Institut français usw., sowie der USA ebenfalls als kulturelle Schaufenster für politische Zwecke dienen.

Zu den elementaren Grundsätzen der Kriegspropaganda gehört es, gleich zu Beginn des Konflikts zu verkünden, dass »wir« bereits die Sieger sind und die Niederlage unseres Feindes besiegelt ist. Nur bei ihm häufen sich Fälle von Fahnenflucht. Es wird unentwegt betont, dass »wir« viele Gefangene machen und beim Gegner die Deserteure Legion sind. Im November 2022 widmete die Illustrierte Paris Match einem russischen Deserteur ein Titelbild.

Dagegen werden die Desertionen im eigenen Lager konsequent verschwiegen. Die Caritas berichtete von ukrainischen Deserteuren, die Grenzbeamte bestechen und sich nachts durch die Wälder nach Ungarn oder Rumänien absetzen. Wer aber auf westlichen Webseiten nach Artikeln über ukrainische Deserteure sucht, erhält Informationen über russische.

Unterstützende Meinungsmacher

Um den Eindruck von Einstimmigkeit für »unsere« Sache zu erwecken, werden in großem Umfang Meinungsmacher herangezogen. Die Intellektuellen, die sich gegen Russland und China engagieren, bekommen Zugang zu den Mainstreammedien. Diejenigen, die sich kritisch oder zögerlich äußern, werden systematisch ausgegrenzt.
Auch die »Stars« des Showbusiness müssen Partei ergreifen. Die Sängerin Britney Spears reiste nach Afghanistan und der Schauspieler Bruce Willis 2003 in den Irak, um die Moral der US-Truppen zu stärken. Gegenwärtig unterstützen Sean Penn, Madonna und Angelina Jolie die Ukraine und rufen zum Boykott der Zögerer auf.
So wurde der Filmemacher Sergej Losniza aus dem Verband der ukrainischen Filmemacher ausgeschlossen, weil er als zu kosmopolitisch und zuwenig patriotisch gilt.
Die Dirigenten Tugan Sochijew und Waleri Gergijew, die in Toulouse und in Mailand tätig sind, wurden aufgefordert, ihre politischen Positionen öffentlich klarzustellen.
Es ist undenkbar, ein Konzert von einem Orchester unter der Leitung von Künstlern zu genießen, die nicht eindeutig für »uns« sind.

In jedem Konflikt berufen sich die Kriegsparteien auf Gott: »Allahu akbar« antwortet auf »Gott mit uns«. Die russisch-orthodoxe Kirche predigt den Krieg gegen die NATO, die nach ihrer Erzählung die Kräfte des Bösen, der Unmoral und des Verfalls der christlichen Zivilisation repräsentiert.
Auf der anderen Seite lässt die Kiewer Regierung das russische Patriarchat in der Ukraine als Agenten des Feindes verfolgen, um es zu beseitigen und sein Eigentum zu konfiszieren. Natürlich unterstützt die ukrainische Kirche ohne zu zögern Präsident Selenskij.

Die »Verräter«

Das zehnte Prinzip der Kriegspropaganda besagt: Diejenigen, die die Politik der eigenen Seite nicht vollständig gutheißen, oder diejenigen, die Behauptungen des eigenen Lagers anzweifeln, sind als Agenten des Feindes zu behandeln.

Weil Papst Franziskus sich vorsichtig zwischen den beiden Kriegsparteien Russland und Ukraine bewegt, stempelt man ihn als »Putin-Versteher« ab.
Universitätsseminare werden abgesagt, weil die Dozenten sich nicht eindeutig für »unsere« Seite ausgesprochen haben, Pazifisten aus den Mediendiskursen herausgedrängt.
Der Corriere della Sera veröffentlichte eine Liste mit den Namen und Fotos von Wirtschaftswissenschaftlern, Parlamentariern und Journalisten und behauptete einfach, dass diese Personen Putins Netzwerk in Italien angehören würden – nur weil sie der Beteiligung ihres Landes am NATO-Krieg gegen Russland nicht zustimmen.
In Belgien erinnerte ein junger Parlamentsabgeordneter der Partei der Arbeit daran, dass Russland seit acht Jahren von der NATO bedrängt wird und die Ukraine eine Mitverantwortung für den Krieg trägt. Daraufhin bezeichnete der Premierminister Alexander De Croo ihn als »Verbündeten« Putins.
Als Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen offenen Brief von 28 Intellektuellen veröffentlichte, die sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an Kiew aussprachen, behauptete der ukrainische Botschafter in Deutschland, die feministische Publizistin würde Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten in Kauf nehmen.

Tucker Carlson, Kolumnist des konservativen Senders Fox News, zog einen Vergleich, um seinem Publikum die Situation Russlands zu erklären: »Was würden die USA sagen, wenn sie jetzt an ihrer Südgrenze ein von den Chinesen kontrolliertes Mexiko hätten?« Daraufhin wurde er als Verräter im Dienste des Feindes angeprangert und seine Verhaftung gefordert.

Zum Schluss

Die Grundprinzipien der Kriegspropaganda, die Lord Ponsonby nach dem Ersten Weltkrieg ausgemacht und herausgearbeitet hatte, bilden auch heute das Fundament der westlichen Narrative gegen Russland und China. Die Verbreitung von Desinformation ist nicht nur eine Methode, die »unsere« Feinde verwenden.
Der US-amerikanische PR-Konzern Hill and Knowlton ersann die »Brutkastenlüge«, mit der 1990 der Krieg gegen den Irak gerechtfertigt wurde.
Die in New York und Beijing ansässige Agentur Ruder Finn war für die NATO in den Balkankriegen tätig.
Und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass dem ukrai­nischen Präsidenten und seiner Ehefrau Olena mit Kwartal 95 ein Kulturindustrieunternehmen gehört, das unter anderem Werbekampagnen produziert.

Bevor man einen Krieg führt, muss man ihn der öffentlichen Meinung verkaufen und den Feind durch eine binäre Sicht des »anderen« konstruieren.

Anne Morrelli ist Historikerin und Honorarprofessorin an der Universität Brüssel. 2001 veröffentlichte sie das Buch »Principes élémentaires de propagande de guerre«, das in sieben Sprachen erschienen ist und mittlerweile als Klassiker gilt. Anne Morelli wird auf der XXVIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz über die Kriegspropaganda der NATO referieren.

Übersetzung: Susann Witt-Stahl

Leserbriefe

  1. Den Beitrag finde ich außerordentlich gut. Ergänzen möchte ich, dass ich einmal gelernt habe: es gibt gerechte und ungerechte Kriege. Gerechte sind die zur Verteidigung des eigenen Landes und Befreiungskriege. Russland hat m. E. im Februar einen »präventiven Verteidigungskrieg« eingeleitet, da die Ukraine, unterstützt von der NATO, die sich wortbrüchig nach Osteuropa ausgedehnt hatte und weitere Länder u. a. Georgien und die Ukraine aufnehmen wollte; einen Krieg gegen ihren Erzfeind Russland geplant hatte. Nicht nur die Exkanzlerin gab ja unlängst zu, dass die Minsker Abkommen nur abgeschlossen wurden, um Zeit für die Aufrüstung der Ukraine zu gewinnen, aber nie eingehalten werden sollten. Der kollektive Westen ist dafür verantwortlich, dass in den acht Jahren nach dem Maidan circa 12.000 Menschen in den abtrünnigen Gebieten getötet wurden. Waren das noch nicht genug?
    Und zu den Uiguren: Wie ein 2021 veröffentlichtes Weißbuch beschreibt, lebten in Xinjiang im Jahr 2020 circa 11,62 Millionen Menschen mit uigurischer Nationalität. Im Jahr 1953 waren es hingegen nur 3,61 Millionen. Die Gruppen der Han-Nationalität, der uigurischen Nationalität und weitere kleinere Ethnien nahmen in Xinjiang in den letzten Jahren kontinuierlich zu – weil hier die Ein-Kind-Politik Chinas nicht galt – und weisen eine immer höhere Lebenserwartung auf. Die Zahl der Uiguren wuchs in den vergangenen 20 Jahren um 1,67 Prozent jährlich. Diese Rate ist deutlich höher als bei anderen ethnischen Gruppen.

  2. Zwischen Propaganda und »verteufeln« besteht ein Unterschied. Der russische Präsident wird seit Jahren, lange vor dem Ukrainekrieg, in den westlichen Hauptmedien oder deren Leserforen bzw. von westlichen Politikern tatsächlich verteufelt. Den Beleidigungen und Dreckschleudern sind keine Grenzen gesetzt. Nie wird ein derartiger Post gelöscht.
    Putin ist im Westen seit langem verbal für vogelfrei erklärt. Jeder darf sich hier alles erlauben, bis hin zum Mordaufruf. Etwas Vergleichbares habe ich in Russland nie erlebt, auch jetzt nicht, obwohl die Wortwahl aggressiver wird. Hier verteufelt eben nicht jeder jeden.
    Betreffs der Bezeichnung für das ukra­inische Militär kenne ich in den russischen Medien nur drei Varianten. Entweder die ukrainischen Streitkräfte werden neutral so benannt.
    Oder man nennt sie »Nazisten« oder »Banderovzy« (die Banderaleute). Dies ist insofern Propaganda, als natürlich nicht alle zum Dienst einberufenen ukrainischen Soldaten deshalb automatisch Neonazis sind, daher wohl der ständige Wechsel in der Bezeichnung, wie man sie nennen soll. Aber es kommt der Wahrheit dennoch sehr nahe, da Staat und Armee in der Ukraine tatsächlich stark nazistisch beeinflusst sind.
    Dies lässt sich u. a. auch dadurch beweisen, wie man seitens hochrangiger Politiker, Armeeführung und Medien umgekehrt die Russen nennt: »Die Orks«. Das sind Monster, die keine Menschen sind. Sie sind sogar noch weniger menschlich als die von Goebbels und Himmler erdachten »Untermenschen«, die immerhin noch Menschen waren, wenn auch keine vollwertigen, erhaltenswerten Menschen.
    Was wir gerade in der Ukraine erleben, ist also in der Ideologie noch schlimmer als im Dritten Reich. Umgekehrt würde es in Russland trotz des Krieges niemandem einfallen, einem Ukrainer das Menschsein abzusprechen. Ein Schriftsteller, welcher die Russen als »Abschaum« und »Tiere« bezeichnet, hat den »Friedenspreis« des deutschen Buchhandels erhalten. Man ist traditionsbewusst.

  3. Ergänzend zu dem guten Artikel sei angemerkt, dass die Sonderoperation russischerseits nur sekundär mit nötiger »präventiver« Selbstverteidigung Russlands gerechtfertigt wird.
    An erster Stelle der Rechtfertigung – und juristisch viel haltbarer – steht vielmehr das Selbstverteidigungsrecht der Donbassrepubliken gegen den (seit Mitte Februar massiv intensivierten!) Beschuss durch Kiew. Ziel der Sonderoperation sei es, »die Menschen zu schützen, die seit acht Jahren von dem Kiewer Regime misshandelt und ermordet werden« (Putin, 24.2.2022). Putin beruft sich in seiner Rede ausdrücklich auf den Hilferuf der Donbassrepubliken und auf Artikel 51 der UN-Charta, der bekanntlich das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht als »naturgegeben« bezeichnet. Damit ist das Selbstverteidigungsrecht da, egal, ob es dem Westen und den Baerbocks und den Habecks gefällt oder nicht.
    Auch Russen dürfen nun mal nicht gnadenlos niedergemetzelt werden, selbst dann nicht, wenn sie in der Ostukraine leben.

»Propaganda wirkt nur als binäres System«

David gegen Goliath: In bürgerlicher Berichterstattung über Ukraine-Krieg zeigen sich jahrhundertealte Prinzipien. Ein Gespräch mit Anne Morelli
Interview: Susann Witt-Stahl

Die zentralen Prinzipien der Kriegspropaganda beschreiben Sie als transhistorische Phänomene, die schon in der Antike galten. Dabei nehmen Sie Bezug auf Arthur Ponsonbys Klassiker »Falsehood in Wartime« von 1928. Gibt es auch etwas, das sich grundlegend verändert hat?

Die Professionalisierung ist die wichtigste Neuerung. Heute werden systematisch die Dienste von PR- und Werbeagenturen in Anspruch genommen. Diese arbeiten nicht ideologisch motiviert, sondern führen einfach Aufträge aus. Heute Pepsi-Cola, morgen kann es schon die Vermarktung des Irak-Kriegs sein. Dafür werden Akteure rekrutiert, die darauf trainiert sind, stets das Richtige zu sagen und vor Publikum zu sprechen.

Im Ukraine-Krieg speist sich die Propaganda vorwiegend aus affektiven Bildern, die offenbar intensive emotionale Regungen hervorrufen sollen. Kritiker sprechen bereits von einem »Tik-Tok-Krieg«. Gab es früher ein vergleichbares Ausmaß an Gefühlsmanipulation?

Propaganda muss immer mit Emotionen spielen: Im Ersten Weltkrieg war es beispielsweise die Rührung angesichts der belgischen Flüchtlinge, die Opfer der »deutschen Barbarei« waren. Es wird Bewunderung für den Mut von David erzeugt, der gegen Goliath kämpft – die kleine Ukraine gegen den großen russischen Wolf –, und Abscheu vor dem verrückten und blutrünstigen Anführer der Gegenseite. Und es gibt die Freude darüber, bald den Sieg der »Unseren« zu erleben.

Die Pressefotos von den Kämpfen um »Asowstal« in Mariupol strotzten vor Feuer-und-Blut-Kult, die ukrainischen Kämpfer wurden mit Leonidas’ Spartiaten verglichen. Erleben wir gerade ein Revival des faschistischen Heldenkults?

Die Verehrung des heroischen Elitekriegers des Westens war auch in den Kolonialkriegen nach 1945 sehr präsent. Zum Beispiel während des französischen Indochina-Kriegs: Der Zeichner Étienne Le Rallic verherrlichte in seinen Comics große blonde Legionsoffiziere, die gegen die »Viets« kämpfen. Heute ist dagegen der Soldat im »humanitären« Einsatz das am meisten gepriesene Idol.

Seit wann ist das zu beobachten?

Bereits im Ersten Weltkriegs begannen sich die Bilder der beiden Identifikationsfiguren zu überlagern: Im Kino wurde der heroische Kämpfer inszeniert, in anderen Mainstreammedien hatte sich schon eindeutig der »humanitäre Soldat« durchgesetzt. Wir alle haben gerne Wohltäter auf unserer Seite, die lieber Frauen, Kinder und Alte beschützen und mit Nahrung versorgen, als Gewalt anzuwenden.

Dazu gehört das Narrativ von »unserer Führung« als selbstlose Retter. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij verkörpert es mit Unterstützung der Boulevardmedien idealtypisch – obwohl er bekanntermaßen ein Steuerhinterzieher ist, die Opposition brutal unterdrückt und seine Soldaten gnadenlos in den »Fleischwolf« Donbass jagt.

Im Ersten Weltkrieg spielten die belgischen Monarchen diese Beschützerrolle: König Albert trat als tapferer Ritter eines sehr kleinen bedrohten Landes auf, Königin Elisabeth als Krankenschwester, die ihn an die Front begleitet – ein mythisches Paar. Beim ideologischen Aufbau der Helden ist stets auf die Yellow Press Verlass; ein Teil davon ist ja auch in der Hand von mächtigen Waffenhändlern.

Ein wiederkehrendes Motiv ist die Dämonisierung des Feindes. Im gegenwärtigen Krieg werden die russischen Soldaten vorwiegend als triebgesteuerte Vergewaltiger darstellt – mit Klischees behaftet, die aus dem Zeitalter des Kolonialismus stammen. ­Warum funktioniert das heutzutage immer noch?

Propaganda wirkt nur als binäres System. Daher muss der feindliche Soldat als das radikale Gegenteil zu unserem freundlichen Soldaten inszeniert und moralisch belastet werden: Er ist sadistisch, greift unschuldige Menschen an und vergeht sich an jungen Mädchen. Und unsere Truppen kämpfen nur gegen das Monster – Saddam, Milosevic, Putin –, nie gegen die Bevölkerung. Mit dieser Erzählung soll ethisch motiviertem Widerstand gegen den Krieg vorgebeugt werden.

Über Diskussionsbeiträge hier in meinem Blog würde ich mich freuen.

Jochen

Verhandeln statt Schießen! Aufruf des Netzwerks Friedenskooperative

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

https://www.friedenskooperative.de/statement-ukrainekrise-verhandeln-statt-schiessen

Gemeinsame Sicherheit in Europa kann es nur mit Russland geben – Militärische Eskalation im Ukrainekonflikt muss gebannt werden

Es droht eine militärische Eskalation des Ukrainekonflikts. Selbst eine größere Konfrontation zwischen NATO und Russland ist nicht auszuschließen, angesichts der fortlaufenden Provokationen durch Manöver und des stetigen Aufbaus von Drohkulissen durch Truppenverlegungen beider Seiten.
Weder NATO noch Russland zeigen sich aktuell zu substantiellen Schritten des Entgegenkommens bereit, um die gefährliche Lage zu entspannen.

Jedes Menschenleben, welches der Krieg in der Ukraine in den vergangenen Jahren gekostet hat, war eines zu viel. Doch jetzt droht eine neue Eskalationsstufe, die zu einem größeren Krieg in Europa führen kann.

Das Netzwerk Friedenskooperative mahnt zur Deeskalation und fordert alle involvierten Parteien auf, miteinander zu sprechen, um die Spannungen zu beenden und die Grundlagen für eine gemeinsame europäische Sicherheitsstruktur zu schaffen.

Wir fordern die Bundesregierung auf:

  • Eine friedliche und diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts mit allen Mitteln der zivilen Konfliktbearbeitung zu fördern.
  • Sich für die Fortsetzung und Stärkung von Diplomatie und Gesprächsformaten mit Russland und der Ukraine einzusetzen, wie etwa das Abkommen Minsk II und das Normandie-Format, damit der Ukrainekonflikt bearbeitet und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden kann.
  • Den Export von Rüstungsgütern in Krisenregionen zu unterlassen. Dies würde nicht zur Konfliktlösung beitragen, sondern Öl ins Feuer gießen.
    Dies gilt gerade im Sinne der im Koalitionsvertrag vereinbarten feministischen Außenpolitik, die Abrüstung und Demilitarisierung der Gesellschaft zum Ziel hat.
  • Einen Neustart der Beziehungen mit Russland auf europäischer Ebene einzuleiten, damit eine gemeinsame Sicherheitsstruktur in Europa unter Einbeziehung der Sicherheitsinteressen aller beteiligten Staaten errichtet werden kann.

Europa braucht einen Neustart der Beziehungen zu Russland – Konkrete Schritte für Verhandlungen sind nötig

Für eine neue gemeinsame Sicherheitsstruktur in Europa braucht es erste Schritte und Verhandlungsangebote. Dies könnte beispielsweise von Seiten der NATO die Bereitschaft sein, die US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa abzuziehen.
Beidseitig sollte ein Verzicht auf die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraten in Europa verhandelt werden.
Auch ein Teilabzug der NATO-Truppen aus Osteuropa und das Einstellen militärischer Großmanöver in der Region (u.a. Defender) wären weitere wichtige Verhandlungsangebote hin zu Deeskalation und Diplomatie.

atomwaffen illegal

atomwaffen illegal

Ebenso muss das Ende der Sanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt, die NATO-Osterweiterung kritisch hinterfragt und im Sinne der Entspannung gestoppt werden. Denn insbesondere die Ostererweiterung trug und trägt zu den schlechten Beziehungen bei und erschwert eine Lösung.
Die russische Seite könnte beispielsweise als Gegenangebot die Truppen an der ukrainischen Grenze und aus Belarus abziehen und ebenfalls ihre Militärmanöver beenden. Außerdem sollte Russland ernsthaft den Friedensprozess für die Ukraine stärken, indem es zum Beispiel auf Einhaltung des Waffenstillstandes und auf freie Wahlen hinwirkt. Zu zentralen Grundpfeilern des friedlichen Miteinanders in Europa, wie die Unverletzbarkeit von Grenzen, muss zurückgekehrt werden.

Alle Konfliktparteien sollten einem Sicherheitsbereich beiderseits der ukrainisch-russischen Grenze zustimmen, in dem keine Manöver stattfinden und alle Truppenbewegungen nur unter strengen Auflagen und transparent durchgeführt werden.

Diese Forderungen und Vorschläge sind Lösungsansätze zur Deeskalation eines zunehmend komplexer werdenden Konfliktes, der das Potential hat, sich zu einem weitreichenden Krieg auszuweiten, der nur Verlierer*innen kennen würde. Verhandeln statt schießen muss oberstes Gebot bleiben!

Gemeinsame Sicherheit mit Russland Schlüssel für Frieden und Abrüstung in Europa

Der Schlüssel für umfangreiche Abrüstungsbemühungen liegt in einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur, die Russland miteinschließt. Wird Russland nicht mehr als Gefahr für die Sicherheit in Europa angesehen und umgekehrt, fällt die Aufrüstungslogik in sich zusammen.

Den vorgetragenen Begründungen für Aufrüstungsprojekte wie der Zwei-Prozent-Vorgabe der NATO, neuen Trägersystemen für die Atombomben in Büchel oder dem milliardenschweren Rüstungsprojekt FCAS würde so die Grundlage entzogen werden.

Auch unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels ist es dringend notwendig, mit Russland zukünftig in Frieden zu Leben. Die Unterhaltung des militärischen Apparates, stetige Aufrüstung oder gar ein Konflikt, sind absolut schädlich für das Klima. Um die Bemühungen für eine klimafreundliche Transformation der Weltwirtschaft voranzubringen, ist es unabdingbar, dass die Spannungen zwischen den Großmächten bearbeitet und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen gestärkt wird.

Friedensbewegung ist gefordert

Die Friedensbewegung muss Zeichen für Völkerverständigung in die Öffentlichkeit tragen und die Gefahr eines Krieges ins Bewusstsein der Menschen und vor allem der Politik holen. Sie muss klar sagen und zeigen, dass eine weitere Eskalation nicht hinnehmbar ist. In Richtung der Bundesregierung braucht es klare Ansagen, dass die große Mehrheit der Menschen in Deutschland kein Interesse an einer Konfrontation mit Russland und einem Krieg in Europa hat, sondern in Frieden leben möchte. Die Kontakte zwischen den Bevölkerungen in Russland und Deutschland sowie den anderen osteuropäischen Ländern müssen ausgebaut, damit Feindbilder abgebaut werden können.

Wichtig für die Friedensbewegung werden die Ostermärsche vom 14.-18. April 2022 sein, bei denen eine neue Friedenspolitik mit Russland zentrales Thema sein wird. Weitere bereits feststehende Termine für mögliche Protestaktionen und Diskussionen sind die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz und die Münchner Friedenskonferenz am 18./19. Februar sowie die Konferenz der Kooperation für den Frieden am 18. und 19. Februar. Darüber hinaus ermutigt das Netzwerk Friedenskooperative Friedensgruppen zu dezentralen Aktionen!

Übersicht mit Stellungnahmen und Aktivitäten aus der Friedensbewegung (wird fortlaufend aktualisiert):

  • IPPNW-Pressemitteilung vom 14. Januar 2022: Friedensnobelpreisträgerorganisation fordert beidseitiges Entgegenkommen, hier lesen.
  • Erklärung des pax christi-Bundesvorstandes vom 27. Januar 2022, Dialog statt militärische Eskalation, hier lesen.
  • Pressemitteilung der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ vom 27. Januar 2022, Keine Waffenlieferungen in die Ukraine!, hier lesen.
  • „Appell zur De-Eskalation des Konflikts in der Ukraine “ von WILPF Germany vom 27. Januar 2022, hier lesen.
  • Internationaler Versöhnungsbund, „Ukraine-Konflikt: Eskalation durch Drohnen stoppen! – Briefaktion zum Mitmachen!“ vom 01. Februar 2022, hier lesen.
  • Erklärung des Komitees für Grundrechte und Demokratie vom 03. Februar 2022, „Ukraine-Konflikt deeskalieren – gemeinsame Sicherheit mit Russland suchen!, hier lesen.
  • Erklärung des Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz zum Ukraine-Konflikt vom 1.02.2022 „Die Eskalation im Ukraine-Konflikt muss beendet werden“, hier lesen
  • Pressemitteilung des Forums Ziviler Friedensdienst (ForumZFD), „Ukraine-Krise: Den Krieg abwenden, den Frieden vorbereiten“, hier lesen
  • Kommrntar von Martina Fuscher (Brot für die Welt) „Warum es in der Ukraine-Krise Kooperation braucht“ vom 7.2., hier lesen

Hier dazu noch ein 1 Jahr alter Kommentar von Albrecht Müller auf den NDS, der sich mit der Vasallenrolle und der Unterwürfigkeit deutscher Politiker auseinandersetzt:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=68340
Auszüge:

Vasall der USA

Viele Deutsche (West) sehen in den USA eine Nation und in den dortigen Menschen ein Volk, das uns sehr geholfen hat: mitgeholfen bei der Befreiung von den Nazis, geholfen bei der wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Viele Deutsche sehen in den USA jene, die uns vor den Sowjets und den Kommunisten geschützt haben. Auch wenn man das anders sehen kann, generell kann man wohl sagen, dass in den 1950er- und 60er-Jahren so etwas wie ein abschreckendes Gleichgewicht der Kräfte bestand.
Damals wurden wir von den USA geschützt – so sah es zumindest aus –, heute werden wir benutzt.

Nato und RußlandDie Vereinigten Staaten von Amerika verfolgen vornehmlich ihre eigenen Interessen und diese Position hat einen ziemlich imperialen und auf eigene Interessen bedachten Charakter. Das ist nicht erst mit der Präsidentschaft Donald Trumps so gekommen. Es war vorher schon nicht viel anders. Mit Trump ist diese Haltung nur etwas deutlicher geworden, weil er auch die entsprechenden Formulierungen lieferte.
»America first« sollte eigentlich jedem deutlich machen, was hier gespielt wird. Da ist von Partnerschaft nicht die Rede. Es wird offen bekannt, dass die Interessen der USA Vorrang haben. Aber wie gesagt, das ist nicht neu. Das galt auch schon für Barack Obama, für Hillary Clinton, für Bill Clinton und die Bushs sowieso.

Versetzen Sie sich in die Lage des US-amerikanischen Präsidenten, zum leichteren Verständnis einfach in die des Präsidenten Trump.
Dann wird Ihnen vieles von dem, was im Folgenden zu lesen ist, sehr viel leichter einleuchten als ohne Nutzung dieser Verständnishilfe.

Stellen Sie sich vor, Sie wären der US-Präsident oder Vordenker beim zuständigen Geheimdienst. Was würden Sie dann tun?

Sie würden überlegen, wie Sie den Wohlstand der US-Nation und vor allem der führenden Kräfte auch in Zukunft erhalten können. Deshalb würden Sie zum Beispiel darüber nachdenken, wie man sich die Ressourcen in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel in Eurasien oder im Mittleren Osten, zu eigen machen kann. Und Sie würden überlegen, wie man potenzielle Konkurrenten, insbesondere die großen Konkurrenten China und Russland, in Schach halten und kleinere Störfaktoren wie den Iran ausschalten kann.
Sanktionen sind eines der Instrumente, mit denen die USA ihre Gegner oder vermeintlichen Gegner zu beeinflussen und ihnen zu schaden versuchen. Sanktionen wirken dann erst richtig, wenn sie nicht von den USA alleine ausgesprochen und vollzogen werden. Die USA haben deshalb immer auch wieder versucht und erfolgreich versucht, andere Völker und Nationen in diese Sanktionspolitik zu integrieren.

Wenn Sie Präsident der USA wären, dann würden Sie selbstverständlich überlegen, wie Sie den Einfluss der USA auf wichtige Akteure in befreundeten Nationen sichern können, in Deutschland zum Beispiel und in Europa. Da würden Sie auf die naheliegende Idee kommen, dass der Einfluss über Parteien läuft, über Medien und über einzelne Gruppen sowie NGOs. Gegebenenfalls würden Sie eigens NGOs gründen oder dieses veranlassen.
Und Sie würden mithelfen, dass Ihre Freunde in angesehenen Organisationen, wie zum Beispiel der Heinrich-Böll-Stiftung oder im German Marshall Fund, das Sagen bekommen und behalten.

Sie würden dafür sorgen, dass diese Gewährsleute – die man auch Einflussagenten nennen könnte – in schwierigen Situationen ihre Stimme zugunsten der US-Politik erheben. Hier ist ein Musterbeispiel dafür. Das Beispiel betrifft die Debatte nach der Ermordung des iranischen Generals Kassem Soleimani im Irak. Der Bundestagsabgeordnete Michael Roth twitterte:

»Bei aller berechtigten Kritik an Präsident #Trump: Die von einigen bemühte Gleichsetzung von #USA und #Iran als globales Sicherheitsrisiko ist bescheuert & unanständig. Die USA sind eine liberale Demokratie. Im Iran werden Schwule & Dissidenten an Baukränen erhängt. #Soleimani«41

Dass gerade der Abgeordnete Michael Roth (SPD) jetzt schon seit 2013 Staatsminister im Auswärtigen Amt ist und schon zwei Außenminister überdauert hat, kann ich mir nur so erklären, dass mächtige Kräfte ihre Hand über ihn halten. Und er sich dann mit solchen Äußerungen und mit vielem anderen revanchiert.
Die Behauptung, die USA seien eine »liberale Demokratie«, kann nur von jemandem kommen, der als Propagandist engagiert ist und deshalb übersehen muss, dass in den USA nur Milliardäre oder ihre Gewährsleute Präsidenten werden können – alle Macht geht vom Gelde aus und nicht vom Volk.
Und er muss auch übersehen, dass radikale, rechts-religiöse Ideologen über weite Strecken das Sagen haben und Schwule, Dissidenten und übrigens auch Schwarze dort auf andere Weise fertiggemacht werden.

Der Einfluss auf die Personalpolitik in anderen Ländern und Kontinenten

Wenn Sie US-Präsident, CIA-Chef oder ein einflussreicher Berater wären, dann würden Sie selbstverständlich versuchen, die Personalpolitik anderer Völker und Völkergemeinschaften zu beeinflussen, bei befreundeten Nationen und bei fremden. Fangen wir mit Letzterem an:

Es ist ja kein Geheimnis, dass die USA die Präsidentschaft Boris Jelzins nutzten, um die Politik Russlands der 1990er-Jahre auch im Inneren zu bestimmen.
Die USA haben massenweise Berater geschickt und Jelzin sogar geholfen, eine für ihn gefährdete Wiederwahl zu gewinnen.Schock-Strategie_Naomi_Klein In Naomi Kleins Schock-Strategie wird das ziemlich detailliert beschrieben. Und weil heute mit Präsident Putin der Einfluss auf die Politik Russlands geschwunden ist, wird gegen diesen Stimmung gemacht – von den USA und im Verein damit von allen von den USA beeinflussten Politikern anderer Länder und der dort tätigen Medien, Sachverständigen, Beobachtern, sogenannten Experten.
Diese Stimmungsmache ist so wirksam, dass heute in der allgemeinen Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, Russlands Wohlbefinden habe sich mit dem Wechsel von Jelzin zu Putin verschlechtert. Das ist schlicht die Unwahrheit.

Bei befreundeten Nationen funktioniert sowohl der personalpolitische Einfluss als auch der Einfluss auf Sachentscheidungen über ein Heer von Beratern:

stern

stern

Von der Leyen hat sich als Bundesverteidigungsministerin bei der Frage der Erhöhung der Militärausgaben so verhalten, wie der US-Präsident es gefordert hat: Militärausgaben erhöhen, Aufrüstung statt Abrüstung. Und obwohl diese Ministerin wegen ihrer hohen Ausgaben für Beratungsfirmen und verschiedenen Personalentscheidungen in Schwierigkeiten geraten und alles andere als ein Vorbild war, wurde sie Präsidentin der EU-Kommission.
Das ist eine Schlüsselfunktion und sie ist wichtig für die USA. *)

Die Personalentscheidung für von der Leyen ist lautlos über die Bühne gegangen. Kein vernünftiger Mensch kann erklären, wieso gerade sie dieses wichtige Amt bekommen hat.
Eine richtungsweisende Teilerklärung: Sie hatte die Unterstützung wichtiger Länder aus Osteuropa. Auf diese Staaten haben die USA einen großen Einfluss.

Von der Leyen hat beim ersten großen kritischen Fall sofort und eindeutig die Position der USA vertreten: Schuld an der Konfrontation im Nahen Osten und an der Hinrichtung des iranischen Generals sei der Iran selbst.
Mit ihr können die USA vermutlich auch bei anderen Gelegenheiten Pflöcke einschlagen und die innere Gestaltung der Europäischen Union maßgeblich mitgestalten. Ursula von der Leyen ist das Musterbeispiel einer »Einflussagentin«.

Warum Heiko Maas bei uns Außenminister geworden ist, erschließt sich den meisten Menschen und Beobachtern nicht. Solche Zweifel galten vorher schon für Sigmar Gabriel und den früheren Außenminister und jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Bei Gabriel hat sich hinterher flugs gezeigt, in wessen Diensten er steht. Er wurde zum Vorsitzenden der Atlantikbrücke gewählt – als Nachfolger von Merz.

Letzterer gehört zum Kreis der bewährten US-Einflusspersonen. Bei ihm ist die Verflechtung auch institutionell gesichert. Er stand bis zu seiner Kandidatur für den CDU-Vorsitz in Diensten des großen US-Finanzkapitals, konkret: BlackRock.

Wie sehr die USA und die mit ihnen unmittelbar verbundenen Institutionen wie die NATO in den deutschen Medien verankert sind, wird verdrängt.
Umso wichtiger ist, dass die Anstalt des ZDF am 29. April 2014 detailliert dargestellt hat, welche Personen in deutschen Medien im Dienste atlantischer Interessen stehen. Wichtige deutsche Journalisten und Journalistinnen sind eng mit Institutionen wie der Atlantikbrücke verbunden und geben dieser Verbundenheit mit US-amerikanischen und NATO-Interessen in ihren Berichten und Kommentaren regelmäßig Raum. Das Feindbild Russland wieder neu aufzubauen, wäre ohne diese mediale Unterstützung nicht möglich gewesen.

Der Einfluss der USA auf politische Entscheidungen in anderen Ländern läuft heute schon und künftig wahrscheinlich noch sehr viel mehr über die wirtschaftlichen Verflechtungen, konkret über die Beteiligung großer angelsächsischer Kapitalsammelstellen wie BlackRock und Blackstone an allen wichtigen Unternehmen in Europa und in der Welt. Darüber wurde ausführlich in II. 3 und II. 4 berichtet.

Es gibt noch ein paar besondere Methoden der Einflussnahme. Eine ist schon erwähnt worden: der Aufbau von NGOs, die US-amerikanische Interessen in fremden Ländern vertreten. In der Ukraine haben die USA fünf Milliarden Dollar investiert, um die Ukraine aus dem Einflussbereich Russlands herauszulösen. Auch die Proteste auf dem Maidan im Winter und Frühjahr 2013/2014 sind mithilfe solcher NGOs befeuert worden. Im konkreten Fall gab es auch eine enge finanzielle Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Milliardär Soros.

In den USA sind zum Zwecke der Beeinflussung anderer Völker eine Reihe von Institutionen aufgebaut worden. Eine von besonderer Bedeutung ist die National Endowment for Democracy (NED). Sie wurde 1983 gegründet und soll die liberalen Demokratien in der Welt fördern. Diese Einrichtung war in der Ukraine sehr engagiert. – Man kann ja diese Formen der Einflussnahme für unproblematisch halten. Ja, manche halten diese Mechanismen der Beeinflussung anderer Völker sogar für ehrenwert. Mit zwei anderen Methoden dürften aber selbst dicke Freunde der USA Probleme haben:

Wenn Sie sich in die Rolle des US-amerikanischen Präsidenten versetzen, dann ist Ihnen die hier beschriebene Praxis der weltweiten Machenschaften des US-Finanzministeriums ein Begriff. Sie sind der steuernde Hintermann, Sie nutzen »die Superwaffe des Mr. Glaser. [Nämlich] Sanktionen gegen Russland und den Iran« mit nachhaltigem Erfolg. Sie bringen mithilfe der Sanktionen Völker reihenweise in ökonomische Schwierigkeiten. Sie sorgen auf diese Weise auch dafür, dass Tausende unschuldiger Menschen verhungern oder auf andere Weise sterben.

Leserinnen und Leser, die befürchten, hier würden Verschwörungstheorien ausgebreitet, sollten den Zeit-Artikel über die »Superwaffe des Mr. Glaser« lesen.
Er stammt von 2014 und beschreibt die Instrumente des US-Präsidenten zur Beeinflussung der Finanzmärkte in anderen Regionen und Ländern.

John Perkins berichtet in seinem 2004 erschienenen Buch Bekenntnisse eines Economic Hit Man, wie das aus anderem Anlass und in einem anderen Milieu in der Praxis funktioniert hat. Der Autor schildert, dass er als Angestellter einer Unternehmensberatung im Auftrag der United States Agency for International Development (USAID), der Weltbank und weiterer Institutionen mit Erfolg versucht hat, Repräsentanten anderer, meist kleinerer Staaten dazu zu veranlassen, ihr Land zu verschulden und damit so in Abhängigkeit zu bringen, dass sie sich bei Abstimmungen der UNO und anderen Gelegenheiten dem Willen der USA beugen. Todesopfer waren bei diesen Operationen nicht ausgeschlossen. Auch er schildert die Auslagerung der eigentlichen Drecksarbeit an Dritte.

Dies alles hat mit den hehren Vorstellungen von Freundschaft und Ebenbürtigkeit zwischen USA, uns und anderen Völkern wenig zu tun. Und es ist schlimmer geworden. Wir waren schon einmal autonomer und mutiger, uns dem Einflussbereich der USA zu entziehen.

Dafür will ich nur zwei Beispiele nennen. Sie stammen aus der eigenen Erfahrungswelt:

Erstes Beispiel: Es ist ja allgemein bekannt, dass Brandt nach dem Zweiten Weltkrieg bei seiner politischen Arbeit in Berlin mit den West-Alliierten und insbesondere mit den USA eng zusammengearbeitet hat und von diesen wohl auch gestützt worden ist. Er hat auch den Beginn der Ostpolitik im Dezember 1966 als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland eng mit den westlichen Alliierten und der NATO abgestimmt.
Anders wäre das damals gar nicht möglich gewesen. Als sein Mitarbeiter habe ich ihn dann allerdings während der ganzen Zeit meiner Mitarbeit als autonom und US-kritisch erlebt. Dass die Verantwortlichen in den USA das ähnlich empfunden haben, wird schlagartig an dem bekanntgewordenen Dialog zwischen Präsident Nixon und Sicherheitsberater Kissinger sichtbar. Davon berichtete der Spiegel. Ich zitiere das ganze veröffentlichte Stück, weil daran der Geist dieser Freundschaft wie auch der weitere Niedergang sichtbar wird:

»Todeswünsche für Willy Brandt

kissinger2018

kissinger2018

NixonUS-Präsident Richard Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger haben Kanzler Willy Brandt bekanntlich nie getraut. Neu ist allerdings, dass sie ihm den Tod an den Hals wünschten.
Das zeigt eine Tonbandaufnahme, die nun das US-Außenministerium veröffentlicht hat. Es geht um ein Gespräch am 3. Februar 1973. Brandt litt an einer Stimmbandentzündung und hatte eine Geschwulst entfernen lassen.

Nixon: Wie sieht es mit Brandts Kehle aus?
Kissinger: Leider ist sie (die Geschwulst – Red.) nicht bösartig. Es ist schrecklich, so etwas zu sagen …
Nixon: Ich weiß, was Sie meinen …
Kissinger: Ich meine …
Nixon: Sie meinen, dass er unglücklicherweise bei sehr guter Gesundheit ist.
Kissinger: Leider wird er uns erhalten bleiben, yeah.
Nixon: Er ist ein Trottel.
Kissinger: Er ist ein Trottel …
Nixon: Er ist ein Trottel …
Kissinger: … und er ist gefährlich.
Nixon: Tja, leider ist er gefährlich

Keine Sorge: Die heute amtierenden Politikerinnen und Politiker in Europa wurden und würden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – von solchen Todeswünschen verschont. Man ist sich ihrer Zuneigung und Zuarbeit offensichtlich sicher.

Zweites Beispiel: Am 7. Januar 2020 gab es im rheinland-pfälzischen Landtag eine Feierstunde »100 Jahre amerikanische Präsenz an Rhein und Mosel«. Anwesend war der Kommandeur der US-Armee im Europa-Hauptquartier (Wiesbaden), General Christopher Cavoli.
Die pfälzische Zeitung Pfalz Express berichtete: »Landtagspräsident Hendrik Hering und Innenminister Roger Lewentz (SPD) dankten den US-Amerikanern für ihren Beitrag zur Demokratiebildung in Deutschland und für 75 Jahre Frieden.«
Ein kurzer Blick zurück zeigt, wie anders das Verhältnis einmal war. Im Landtagswahlkampf 1990/91 hat der damalige Spitzenkandidat der SPD, Rudolf Scharping, gefordert, Rheinland-Pfalz dürfe nicht weiter der »Flugzeugträger der USA in Europa« sein.

Jetzt wird die Präsenz der Alliierten gefeiert. Wir waren schon mal viel weiter. Heute sieht es jedenfalls nicht so aus, dass wir uns jemals aus den Fängen der USA und der NATO befreien können.

Die USA sind ein interessantes Land. Die US-Amerikaner sind oft kreativ und menschenfreundlich. Ich habe als junger Mensch in Heidelberg, meiner Heimatstadt, eine Reihe von produktiven kulturellen Erfahrungen mit US-Bürgern gemacht. Im Jazzclub Cave 54, mit dem Amerika-Haus und bei vielen weiteren Gelegenheiten.

Es gibt keinen Grund, ein schlechtes Verhältnis zu US-Amerikanern zu haben.

Aber es gibt einige Gründe, die USA als imperiale Macht nicht mehr zu akzeptieren. Weil das gefährlich ist, weil der grundlegende Geist der Beherrschung und der Konfrontation einem friedlichen Zusammenleben der Menschen nicht guttut und im konkreten Fall Europas äußerst gefährlich wird.

Deshalb wird es die Hauptaufgabe der deutschen Politik in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sein, uns aus der Vormundschaft der USA zu lösen. Das ist eine Herkulesarbeit. Und sie ist nicht leichter geworden.

Auszug aus Albrecht Müller: Die Revolution ist fällig. Aber sie ist verboten.

Ein drittes Beispiel in dieser Reihe wäre der Umgang der USA mit Schweden (U-Boot-AAffäre) und dem Mord an Olof Palme als Vertreter eines humanisierten dritten Weges gibt es hier ein Video von Dirk Pohlmann 2014 für arte:
https://mega.nz/folder/XYkkGKTb#l-saBKkGnMo4fYJvbRgpJA
Das Video braucht Zeit zum Herunterladen!

*: Nebenbei ist sie, wie Thomas Röper nachgewiesen hat, umgeben von Beratern:= Einflussagenten aus dem Bill-u.Melinda-Gates-Netzwerk.

Die heutigen NachDenkSeiten haben auch das Verhalten des aktuellen kanzlers Scholz analysiert, s.hier:

https://www.nachdenkseiten.de/?p=80522

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Das nächste Jahrzehnt der NATO – Die Mobilmachung der Marine gegen Russland und China

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8459/ und auf IMI-Online dazu folgende Artikel:

german foreign policy logo

NATO-Bericht macht Vorschläge zur Dämpfung bündnisinterner Konflikte und zur Stärkung der Allianz gegen Russland und China.

BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die NATO soll ihre innere Geschlossenheit stärken und sich mit neuen Schritten gegen Russland und China in Stellung bringen.
Dies fordert ein Bericht („NATO 2030“), den das Militärbündnis anlässlich seines gestern zu Ende gegangenen Außenministertreffens offiziell vorgelegt hat.
Demnach soll zukünftig ein Veto gegen unliebsame Bündnisbeschlüsse erschwert werden; zugleich müsse die Allianz die Kooperation mit Staaten an den Grenzen zu Russland und im regionalen Umfeld Chinas intensivieren.
Der Bericht war im vergangenen Dezember in Auftrag gegeben worden, um offen eskalierende Differenzen innerhalb der Allianz zu kitten, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuvor in einer pointierten Formulierung („Hirntod der NATO“) angeprangert hatte.
Erstellt wurde er unter Leitung von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem US-Diplomaten Wess Mitchell.
Der Bericht, der in die Erstellung eines neuen „Strategischen Konzepts“ münden soll, wird von Außenminister Heiko Maas lautstark gelobt, von Experten aber als „sicherheitspolitischer Bauchladen“ abgetan.

Der „Hirntod“ der NATO

Offizieller Auslöser für die Erstellung des Berichts, den die NATO-Außenminister auf ihrem Treffen in den vergangenen zwei Tagen diskutierten, war die Äußerung von Frankreichs Präsident Emmanuel Anfang November 2019, man erlebe gegenwärtig „den Hirntod der NATO“.[1]
Anlass für Macrons Äußerung wiederum war, dass kurz zuvor die Türkei nach Syrien einmarschiert war und die Vereinigten Staaten mitgeteilt hatten, ihre Truppen von dort abzuziehen.
Frankreich hatte, über beides nicht vorab in Kenntnis gesetzt, seine in Syrien operierenden Spezialkräfte überstürzt aus dem Land beordern müssen.
Dabei konnte das Vorgehen weder der USA noch der Türkei als Ausrutscher gewertet werden: Washington setzte unter Präsident Donald Trump zusehends auf Alleingänge; Ankara nutzt unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan sein gewachsenes ökonomisch-politisches Gewicht, um die eigene Expansion ohne besondere Rücksichtnahme auf die Allianz voranzutreiben.
Zwar werden die USA unter ihrem künftigen Präsidenten Joe Biden wohl wieder stärker auf Bündniskooperation setzen; doch kann mit Blick auf die tiefe Zerrissenheit des Landes nicht fest davon ausgegangen werden, dass dies auf Dauer, etwa nach der nächsten Wahl im Jahr 2024, auch so bleibt.

„Vereint für eine neue Ära“

Vor diesem Hintergrund hatte auf Initiative von Außenminister Heiko Maas der Londoner NATO-Gipfel Anfang Dezember 2019 beschlossen, einen „Reflexionsprozess“ zur Konsolidierung des Bündnisses zu starten. Zu diesem Zweck setzte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April eine „Reflexionsgruppe“ ein, die unter Vorsitz von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem zuletzt im State Department für Europa zuständigen US-Diplomaten Wess Mitchell den jetzt vorgelegten Bericht „NATO 2030: Vereint für eine neue Ära“ erstellte.
In die zehnköpfige „Reflexionsgruppe“ eingebunden waren sämtliche relevanten Strömungen in der NATO. Explizit beteiligt waren der türkische Diplomat Tacan İldem und Frankreichs Ex-Außenminister Hubert Védrine.
Schwerpunktmäßig geht es darum, den politischen Zusammenhalt des zumindest partiell auseinanderdriftenden Militärbündnisses zu stärken, um mit größtmöglicher Geschlossenheit die Machtkämpfe gegen Russland und China führen zu können. Dazu bietet der aktuelle Bericht nicht nur Kernaussagen über vorgebliche „globale Bedrohungen“ der kommenden Jahre, sondern auch 138 konkrete Empfehlungen für die praktische Arbeit der Allianz.

Bedrohungsszenarien

„Bedrohungen“ diagnostiziert der Bericht der „Reflexionsgruppe“ rund um den Globus. Hatte die NATO in ihrem „Strategischen Konzept“ aus dem Jahr 2010 noch festgestellt: „Heute lebt der euro-atlantische Raum in Frieden“, so ist nun von einer „Rückkehr der Systemrivalität“ und von einem „Aufstieg globaler Bedrohungen“ die Rede.[2]
Russland etwa sei zwar „nach wirtschaftlichen und politischen Maßstäben eine absteigende Macht“; es habe sich aber als „fähig zu territorialer Aggression“ erwiesen und bleibe „im kommenden Jahrzehnt wahrscheinlich eine Hauptbedrohung“ für die Allianz.
China
hingegen, heißt es in dem Bericht, stelle „eine ganz andere Art von Herausforderung für die NATO“ dar: Es sei „gegenwärtig keine direkte militärische Bedrohung für die euro-atlantische Region“, habe aber dennoch „eine globale strategische Agenda“ und werde in den Jahren bis 2030 wohl „die Fähigkeit“ des Bündnisses herausfordern, „kollektive Resilienz herauszubilden“.

Die Formulierung ist unter anderem auf Chinas heftig attackierte Beteiligung am Aufbau von Infrastruktur wie den 5G-Netzen in Europa gemünzt.
„Terrorismus“ bleibe „eine der unmittelbarsten asymmetrischen Bedrohungen für die Allianz“, heißt es weiter; darüber hinaus bestünden „andere Bedrohungen und Herausforderungen“ im Süden fort – in einem riesigen Gebiet von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten „bis nach Afghanistan“.

Gegen Russland, gegen China

Die konkreten Empfehlungen des Berichts für die praktischen Aktivitäten der NATO haben eine doppelte Dimension: Zum einen sollen sie die zunehmenden Differenzen innerhalb des Bündnisses wenigstens dämpfen; zum anderen zielen sie auf eine strategische Stärkung der Allianz vor allem gegen Russland und China.
So heißt es, „im Norden“ solle die „Partnerschaft“ mit Schweden und Finnland fortgesetzt und intensiviert werden. Faktisch werden beide Länder schon längst als informelle Mitglieder behandelt und sind bei zahlreichen NATO-Treffen vertreten, so zum Beispiel gestern beim Außenministertreffen.
„Im Osten“ müssten „die Partnerschaften mit der Ukraine und Georgien gestärkt“ werden, heißt es weiter; beide Länder fungieren seit Jahren als vorgeschobene Verbündete unmittelbar an den russischen Grenzen.
Mit Blick auf Asien plädiert der Bericht schließlich dafür, „Konsultation und Kooperation mit indo-pazifischen Partnern zu vertiefen“ – mit Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea. Die vier Länder zählen bereits zu den „globalen Partnern“ des Kriegsbündnisses; man könne die schon bestehende Zusammenarbeit im „NATO+4-Format“ ausbauen, heißt es.
Als weitere Option nennt der Bericht eine Kooperation mit dem Quad („Quadrilateral Security Dialogue“), einem lockeren Bündnis der USA, Australiens, Japans und Indiens, das sich gegen China richtet – auch militärisch.[3]

Konfliktpotenziale

Mit Blick auf den inneren Bündniszusammenhalt heißt es in den Empfehlungen des Berichts, „die transatlantische Konsultation“ müsse „auf systematische, glaubwürdige und kraftvolle Art und Weise gestärkt werden“. Dazu sollten die Absprachen der Außenminister intensiviert und generell mehr Ministertreffen abgehalten werden.
Zu erwägen sei darüber hinaus, die Stellung des NATO-Generalsekretärs weiter aufzuwerten.
Zudem sollen Blockaden erschwert werden; so haben jüngst Ungarn die Bündniskooperation mit der Ukraine und die Türkei diejenige mit Österreich systematisch torpediert, weil sie auf nationaler Ebene mit den Ländern im Streit liegen. Lege ein Staat – wie in den erwähnten Fällen Ungarn und die Türkei – sein Veto ein, dann müsse dies „auf Ministerebene geschehen, nicht in Gremien“, fordert de Maizière: „Das erhöht den politischen Preis.“[4]
Allerdings erhöht es zugleich die politischen Kosten, wenn Konflikte in Zukunft nicht mehr in Gremien, sondern von den Ministern und damit näher am Blick der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Zudem soll in Zukunft, teilt de Maizière mit, „eine Gruppe von Staaten unter dem Dach der Nato“ enger zusammenarbeiten können.
Das eröffnet neue Optionen, schafft aber zugleich neues Konflikt- und Spaltungspotenzial.

„Der übliche sicherheitspolitische Bauchladen“

Erstaunliche Differenzen zeigen sich bei der Beurteilung des Berichts. Außenminister Heiko Maas lobt ausdrücklich, die „Empfehlungen“ des Papiers hätten „Substanz“ und seien „sehr ausgewogen“: „Wir danken der Gruppe für ihre ausgezeichnete Arbeit“.[5]
Ganz anders stuft Patrick Keller, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das Dokument ein. „Das Beste an diesem Impulspapier ist, dass es keine Überraschungen enthält“, urteilt Keller: Es mangele nicht nur „an echten Innovationen“; auch lasse „der traditionsbewusste Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung“ die „anderen Kernaufgaben des Krisenmanagements und der Partnerschaften arg blass aussehen“.[6]
„Wirklich neue Ideen“ etwa zur „Partnerschaft“ mit nahestehenden Staaten im asiatischen Umfeld Chinas suche man „leider vergeblich“. „Gut die Hälfte des Papiers“ gerate darüber hinaus lediglich „zum üblichen sicherheitspolitischen Bauchladen„.

[1] Emmanuel Macron warns Europe: NATO is becoming brain-dead. economist.com 07.11.2019.

[2] Zitate hier und im Folgenden: NATO 2030: United for a New Era. 25 November 2020.

[3] S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (IV).

[4] „Russland fordert uns heraus“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.12.2020.

[5] Gemeinsame Erklärung der Außenminister Frankreichs und Deutschlands zum NATO-Reflexionsprozess. Berlin, 01.12.2020.

[6] Patrick Keller: Denkanstöße für die NATO 2030: Zum aktuellen Reflexionspapier. baks.bund.de.

Dazu auch: http://www.imi-online.de/2020/04/14/auf-kurs-in-die-grossmachtkonkurrenz/

Die Mobilmachung der Marine gegen Russland und China

Logovon: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 14. April 2020

 

stern

Bereits vor einiger Zeit untermauerte die heutige EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch in ihrer Zeit alsdeutsche Verteidigungsministerin: „Als politische Allianz [die NATO] fordert uns das herausstechende Merkmal der neuen Sicherheitslage: Die Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte. Unsere amerikanischen Freunde haben das früh erkannt. Wir erkennen es inzwischen auch und wir sehen: Ob wir wollen oder nicht, Deutschland und Europa sind Teil dieses Konkurrenzkampfs. Wir sind nicht neutral. Wir stehen auf der Seite der Freiheit und der Menschenwürde. Wir stehen auf der Seite der Demokratie und der Herrschaft des Rechts. Dafür steht die NATO seit 70 Jahren. Die NATO bietet Verlässlichkeit in einer unberechenbaren Welt.“

Spätestens mit der Veröffentlichung der „Konzeption der Bundeswehr“ im Juli 2018 wurde tatsächlich eine Schwerpunktverlagerung weg von sog. „Stabilisierungseinsätzen“, wie etwa der NATO-Krieg in Afghanistan beschönigend genannt wird, hin zu Großmachtkonflikten eingeleitet.
Heruntergebrochen auf die Teilstreitkräfte wirkt sich dieser neue Fokus nicht zuletzt auch auf die Marine aus, die seit einiger Zeit damit begonnen hat, diverse Rüstungsmaßnahmen mit Blick auf Russland in die Wege zu leiten.
Und auch was China anbelangt, setzten bereits im Sommer 2019 erste Debatten ein, Deutschland solle sich mit Kriegsschiffen in der indopazifischen Region an Maßnahmen zur Eindämmung des aufsteigenden Rivalen beteiligen.
In diesem Zusammenhang könnte sich die am 12. März 2020 erfolgte Ankündigung, mit der Fregatte Hamburg ein deutsches Kriegsschiff in die indopazifische Region zu entsenden, als Schritt über den Rubikon erweisen.

Kramp-KarrenbauerWohl nicht zufällig am selben Tage begründete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Rede bei der Deutschen Maritimen Akademie mit den Worten: „Die Aufgaben unserer Marine gehen über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Denn Seewege sind Lebensadern. Und so ist die Freiheit der Seewege für Deutschland und unseren Wohlstand von großer strategischer Bedeutung. […] Es wird deutlich: Wir haben ein vitales Interesse an verlässlichen Regeln, an der liberalen internationalen Ordnung. Und die wird auch zu Wasser verteidigt. Viel genutzte strategische Engpässe, wie die Straßen von Hormus und Malakka, sind besonders bedeutsam und in hohem Maße von Regionalkonflikten bedroht, aber auch von Terrorismus und Piraterie. […] In der zweiten Jahreshälfte, während Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft, wollen wir außerdem eine Fregatte in den Indischen Ozean entsenden. Als wichtiges Zeichen: Auch in diesem Teil der Welt haben wir Interessen, auch dort setzen wir uns für internationales Recht ein, auch dort stehen wir unseren Partnern zur Seite.“

Rüstung für die Großmachtkonkurrenz

Ein weiterer Akteur, der aktuell lautstark das Lied von der neuen Großmachtkonkurrenz singt, ist Joachim Krause, der Leiter des „Instituts für Sicherheitspolitik Kiel“ (ISPK).
Auch aus seiner Sicht tritt die Welt in „eine Phase“, in der „strategische Rivalität und Konfrontation an der Tagesordnung“ wären: „Die Schauplätze dieser strategischen Konfrontationen befinden sich in unterschiedlichen Regionen. In Ostasien verhält sich China immer anmaßender und aggressiver gegenüber seinen Nachbarn. Russland bedroht die Ukraine und die baltischen Staaten.“

Das ISPK ist die aktuell wohl einflussreichste Denkfabrik für maritime Fragen außerhalb der Bundeswehr (aber mit beträchtlichen Sympathien für die Truppe ausgestattet).
Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass es sich der Frage widmet, was die Hinwendung zur Großmachtkonkurrenz denn für Strategie und Bewaffnung der Marine konkret bedeutet.
Deshalb kommt ein anderer Beitrag aus dem gut vernetzten ISPK-Stall zu dem Ergebnis, zuallerst müsse die Re-Fokussierung auf Russland und China auch mit den entsprechenden Ressourcen unterfüttert werden: „Im Zuge dieses ersten Paradigmenwechsels der NATO, der Multilateralismus, kooperative Sicherheit und Konfliktbewältigung voranstellte, wurden die Marinen zunehmend in sogenannten out-of-area-Operationen fernab der Heimat eingesetzt. Die Zeit zwischen dem Zerfall der UdSSR und dem Aufbrechen erneuter strategischer Rivalität war von einem steten, teils rasanten, Wandel fast aller europäischen Marinen gekennzeichnet. Vielerorts wurden die Fähigkeiten vernachlässigt, in hochintensiven Szenarien gegen bestens ausgerüstete gegnerische Einheiten zu bestehen. Vor dem Hintergrund einer veränderten Bedrohungslage und einem zunehmend breiteren Verständnis des Sicherheitsbegriffs wurden Seestreitkräfte vermehrt im Rahmen von Stabilisierungseinsätzen, Anti-Terror-Operationen und zur Aufrechterhaltung einer guten Ordnung zur See eingesetzt. Anstatt feindliche U-Boote nördlich des Polarkreises zu jagen, verfolgten die Kriegsschiffe unter NATO- und EU-Mandaten nun Piraten vor dem Horn von Afrika. […] Die Vereinigten Staaten und ihre transatlantischen Partner in Europa sind derzeit darum bemüht, ihre Strategien an die (wieder) wahrgenommene Gefahr ‚klassischer‘ Konflikte anzupassen. Die Maßnahmen reichen von Investitionen in Forschung und Entwicklung von high-end-Technologien bis zur Erhöhung sichtbarer wie glaubwürdiger Präsenz und der Stärkung territorialer Verteidigungsfähigkeiten.“

Der neue Fokus auf die „Landes-/Bündnisverteidigung“ (LV/BV) – sprich: die Vorbereitung auf Großmachtkonflikte – wird aktuell von allen Teilstreitkräften bemüht, um um mehr Ressourcen zu werben.
Für die Marine tat dies unlängst auch ihr Chef, Inspekteur Andreas Krause: „Die Deutsche Marine leistet einen einzigartigen und unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung der freien Seewege und ist ein wesentlicher Garant unseres Wohlstands. Neben dem Schutz der Seehandelswege und dem internationalen Krisenmanagement erfährt zudem die Landes- und Bündnisverteidigung seit 2014 wieder eine gleichrangige Bedeutung. Diese größte Aufgabenvielfalt ihrer Geschichte erfüllt die Marine mit der kleinsten Flotte seit ihrer Gründung – derzeit 46 Einheiten. Es ist daher von Bedeutung, dass wir die eingeleitete Modernisierung und den Aufwuchs der Marine weiter konsequent und mit vollem Einsatz verfolgen, um das breiter gewordene Aufgabenspektrum im vollen Umfang erfüllen zu können.“

Maritime Russland-Prioritäten

Seit Jahren baut die Marine ihre Präsenz aus, wobei ein Schwerpunkt aufgrund der Konflikte mit Russland die „Nasse Nordflanke“ darstellt, wie sie im Marinejargon genannt wird.
Die Bundeswehr müsse für „Randmeerkriege“ gerüstet sein, hieß es bereits in der Konzeption der Bundeswehr vom Juli 2018: „[Die] Befähigung zur Randmeerkriegführung […] bleibt unverändertes Ziel für die Ausgestaltung der deutschen SeeSK [Seestreitkräfte]. Im Rahmen der LV/BV spielen dabei der Nordflankenraum der NATO und die Ostsee […] zunehmend eine wichtige Rolle.“

In ihrer bereits eingangs zitierten Rede über Deutschlands maritimen Interessen vom 12. März 2020 fokussierte sich Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer zunächst einmal auf den geographisch näherliegenden neuen Großmachtkonkurrenten: „Blicken wir zunächst auf die Landes- und Bündnisverteidigung.
Da ist klar, dass Russland unsere zentrale militärische Herausforderung bleibt. Das betrifft gleich drei maritime Räume:

Erstens die Ostsee. Sie ist eine wichtige Nachschubroute ins Baltikum. Und was oft vergessen wird: Unter den NATO/EU-Anrainern der Ostsee hat Deutschland die größte Marine. Daraus erwächst uns eine besondere Verantwortung zu führen und zu koordinieren. Das tun wir auch schon, zum Beispiel mit unserer Initiative zur Baltic Commanders Conference.

Der zweite maritime Raum ist der Nordatlantik. Hier beschäftigt mich vor allem die GIUK-Lücke, die gedachte Linie zwischen Grönland, Island und Großbritannien. Ihr kommt hohe strategische Bedeutung zu, da sie über den Zugang zu den nordatlantischen Versorgungslinien entscheidet. Hier geht es um die Verbindung zwischen Nordamerika – also unseren Verbündeten USA und Kanada – und Europa. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle mehr Präsenz und Wirkmöglichkeit. Denn, was vielen nicht bewusst ist: Hier geht es auch um den Schutz der Tiefseekabel zwischen Europa und Amerika, die für die digitale Kommunikation und die digitale Wirtschaft enorm wichtig sind.

Und zum Dritten – oft vernachlässigt – das Schwarze Meer. Ein maritimer Raum, in den Russland verstärkt wirkt, wo Russland Druck ausübt. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere NATO- und EU-Partner in der Region stärken.“

Marinekommando und Rüstungsvorhaben

Insbesondere mit Blick auf die Ostsee wurde bereits 2018 die Einrichtung eines NATO-Marinekommandos („Baltic Maritime Component Command“, BMCC) in Rostock beschlossen, das sich augenblicklich im Aufbau befindet. Es soll laut einer Pressemitteilung der Marine in diesem Zusammenhang künftig eine zentrale Rolle spielen: „Das BMCC kann der NATO dabei als maritimes Führungskommando für Operationen in der Ostsee und an der Nordflanke des Bündnisses, aber auch in anderen Regionen, zum Zwecke der Landes- und Bündnisverteidigung zur Verfügung gestellt werden.“

Vor allem sei es erforderlich, für die „Baltischen Staaten“, falls nötig, eine „Nachversorgung über die Ostsee“ sicherzustellen, heißt es in einer weiteren Bundeswehr-Presseerklärung: „Die Ostsee verlängert die Nordflanke bis zu unseren östlichen NATO-Partnern Estland, Lettland, Litauen und Polen. Sie fungiert als nasse Flanke, über die Nachschub organisiert werden muss. Es ist deswegen essentiell, dass die Seeverbindungen nach Osten offenbleiben. Vor dem Hintergrund der seit 2014 signifikant veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen verstärken wir gemeinsam mit unseren Alliierten und Partnern die Präsenz sowie die Manövertätigkeit in der Ostsee, um zu zeigen, dass jeder im Rahmen der geltenden Vereinbarungen und Regelungen die Hohe See nutzen darf – auch in der Ostsee und ganz gleich vor wessen Küste (außerhalb der territorialen Gewässer). Letztlich dient dies der Vorbereitung auf die Landes- und Bündnisverteidigung und setzt ein Zeichen der Solidarität gegenüber unseren östlichen Verbündeten.“

In diesem Zusammenhang ist auch der Beschluss zum Ankauf fünf weiterer Korvetten der Klasse K130 zu sehen, die bis 2022 beschafft sein sollen.
Aufgrund ihrer kleinen und wendigen Bauart sind sie „bestens“ für besagte „Randmeerkriege“, wie der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, angab, der erklärte, sie würden es künftig ermöglichen, sich „stärker um den vernachlässigten Raum der Nordflanke zu kümmern.“
Und auch ein Level darüber, bei den Fregatten, gerät Russland wieder zunehmend ins Rüstungsvisier: Während die bisherige Fregattenklasse 125 vor allem auch als Unterstützung für Militäreinsätze im Globalen Süden „nützlich“ sein sollte, soll die künftige Generation wieder primär Großmächte und hier vor allem Russland ins Visier nehmen.
In der Februar-Ausgabe des Marineforums erläutert Fregattenkapitän Andreas Uhl, Bevollmächtigter Vertreter F 127 im Marinekommando Rostock in der Abteilung Planung, das Anforderungsprofil an die nächste Fregattenklasse – einer „Next Generation Fregate“, die er als „Rückgrat der Flotte zur Mitte dieses Jahrhunderts“ bezeichnet: „Die Klasse 125 wurde zu Beginn des Jahrhunderts als Stabilisierungseinheit […] konzipiert. Die Grundidee für F 127 basiert dagegen auf der Wiederausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung und repräsentiert den dazugehörigen maritimen Anteil.“

Doch wie eingangs bereits angedeutet, nicht nur Russland, auch eine weitere Großmacht rückt mittlerweile in den Fokus der Marine.

China: Zwischen Rivalität, Neid und Bewunderung

In Ostasien spielt zunehmend die macht- und geopolitische Musik: Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich zusehends dorthin und die etablierten Westmächte geraten dabei zunehmend in Konflikt mit dem aufstrebenden China, das eingedämmt werden soll.
Schon länger streben deshalb die USA, Großbritannien und Frankreich eine Ausweitung ihrer dortigen maritimen Militärpräsenz an, während Deutschland sich zumindest in dieser Region lange militärisch ziemlich bedeckt hielt. Doch spätestens ab Sommer letzten Jahres drehte sich der Wind, nachdem die Rufe nach der Entsendung deutscher Kriegsschiffe immer lauter wurden.

Im November 2019 veröffentlichte das Marinekommando seinen Jahresbericht „Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland 2019“.
Mit einer Mischung aus Neid, Bewunderung und Rivalität beschreibt der Bericht, die chinesische Marine verfüge heute „über mehr als 300 Kriegsschiffe, während die Zahl der US-Schiffe mit weltweiten Einsatzaufgaben in den letzten Jahren zwischen 270 und 290 lag.“
Damit sei China eine „außergewöhnliche Transformation“ gelungen, es sei in der modernen Geschichte das einzige „Beispiel dafür, wie eine Landmacht zu einer hybriden Land- und Seemacht wird.“

Äußerst kritisch werden in dem Bericht die chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und die seit einiger Zeit gemeinsam mit Russland abgehaltenen Militärmanöver in der Region beschrieben.
Interessant ist dabei aber die Einschätzung, dass die chinesischen Aktivitäten vor allem wirtschafts- bzw. handelspolitisch motiviert seien: „Moskau und Peking nutzen die gemeinsamen Marineübungen, um geopolitische Signale zu setzen. Vorrangig will China seine Seewege sichern, weil seine kommerziellen Interessen weltweit zunehmen. Über 90 % des globalen Ferngüterhandels werden über den Seeweg abgewickelt, zudem ist China der weltweit größte Rohölimporteur.“

Was der Jahresbericht hier aber für China kritisiert, ist so ziemlich genau das, was einige Seiten weiter vorne für Deutschland in Anspruch genommen wurde: „Mehr als 90 % der weltweit gehandelten Güter werden über den Seeweg transportiert, der maritime Weltmarkt steigt jedes Jahr um fast 5 %. […] Als eine der führenden Exportnationen und als Hochtechnologiestandort ist Deutschland auf die freie und ungehinderte Nutzung der See angewiesen.“

Schritt für Schritt gen Osten

Seit Jahren schiebt die deutsche Marine ihre Präsenz Schritt für Schritt in Richtung Osten.
Den Anfang machte der EU-Einsatz ATALANTA am Horn von Afrika, an dem sich die Marine seit seinem Beginn im Jahr 2008 beteiligt.
Der Einsatz vor der Küste Somalias zielt auf die Kontrolle des Golfs von Aden ab, eines der weltweit wichtigsten Nadelöhre der Handels- und Tankerschifffahrt.
Aus diesem Grund wird ATALANTA seither nahezu routinemäßig weiter verlängert, wodurch sich eine Art militärischer Dauerpräsenz zur Absicherung dieses zentralen Handelsweges ergibt.

Seither wird immer wieder gefordert, die Fühler weiter nach Osten auszustrecken. Eine zentrale Figur ist hier unter anderem Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München.
Bereits 2015 schrieb er in einem Papier für die Konrad-Adenauer-Stiftung:

„Nach dem Mittelmeer in Antike und Mittelalter und dem Atlantik in der Neuzeit, gilt der indische Ozean als das wichtigste Weltmeer des 21. Jahrhunderts. Die Bedeutung des Indischen Ozeans leitet sich von seinen engen Zufahrtswegen und seiner Rolle als Transitozean der Weltwirtschaft ab. Mit dem Golf von Aden, dem Bab el-Mandeb, dem Suez-Kanal, der Straße von Hormuz, der Straße von Malakka, der Sundastraße und der Straße von Lombok befinden sich die global wichtigsten maritimen Nadelöhre in dieser Region. […] Deutschlands Wohlstand hängt vom freien, internationalen Seehandel und vom ungehinderten Zugang zu den Rohstoffmärkten ab. Die Gewährleistung maritimer Sicherheit im Indischen Ozean ist daher essentielles Interesse Deutschlands. Berlin muss sich – viel stärker als bisher – in der Region engagieren.“

Weiter führte Masala aus, es gehe zwar darum, sich auf ganz verschiedene Arten einzubringen, ein „militärisches Engagement“ solle dabei aber auch „nicht ausgeschlossen werden.“

Masala war dann auch ein wichtiger Akteur, als im Sommer des vergangenen Jahres die Debatte um eine Entsendung deutscher Kriegsschiffe an den Persischen Golf Fahrt aufnahm.
Mit einem Handelsblatt-Artikel, der provokativ mit „Kein Blut für Öl?“ betitelt war, sowie mit einem in viel diskutierten Optionspapier, wie eine deutsche Militärpräsenz am Golf konkret aussehen könnte, brachte sich der Bundeswehr-Professor hier mit dementsprechenden Forderungen ein.
Die Debatte mündete bislang zwar (noch) nicht in eine konkrete deutsche Militärpräsenz am Golf, sie führte aber unter anderem zum Beschluss der „Europäischen Marine-Überwachungsmission in der Meerenge von Hormus“ („European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz“, EMASOH) im Januar 2020.
In ihrem Rahmen entsenden nun Frankreich, Dänemark und die Niederlanden Kriegsschiffe in die Region und werden dabei von fünf weiteren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, politisch unterstützt (siehe Telepolis 21. Januar 2020).

Auf Kurs nach Ostasien?

Ungefähr um dieselbe Zeit, wie die Debatte um deutsche Kriegsschiffe am Persischen Golf losgetreten wurde, tauchten auch erste Berichte auf, im Verteidigungsministerium werde darüber nachgedacht, sich mit eigenen Kriegsschiffen an Manövern für die Freiheit der Schifffahrt („Freedom of Navigation Operations“, FONOPS) in Ostasien zu beteiligen. Dabei geht es darum, etwaige chinesische Ansprüche auf die Kontrolle von Schifffahrtswegen zu konterkarieren bzw. ihnen mit einer eigenen Präsenz zur Kontrolle der besagten Nadelöhre entgegenzutreten.
Zwar sind hier derzeit westlicherseits primär die USA (und in etwas abgeschwächter Form Großbritannien und Frankreich) aktiv, doch aus den Reihen des sicherheitspolitischen Establishments wurde zu diesem Zeitpunkt vermehrt nach einer deutschen Beteiligung gerufen, um die Verbündeten in ihren Bestrebungen zur Eindämmung Chinas zu unterstützen und damit gleich auch als eine Art Kollateralnutzen das eigene militär- und machtpolitische Profil zu stärken (siehe Telepolis, 17. Juni 2019).

Der nächste sicherheitspolitische Meilenstein für eine deutsche Militärpräsenz in Ostasien war dann die Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang November 2019, in der sie ganz generell forderte, Deutschland müsse (noch) mehr militärische „Verantwortung“ übernehmen. Ganz konkret äußerte sie sich aber mit Blick auf Ostasien:

„Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen. Weil wir ein Interesse daran haben, dass bestehendes Recht respektiert wird. Und weil wir nur dann auf die Solidarität anderer zählen können, wenn wir selbst solidarisch sind.“

Ungeachtet der Tatsache, dass „bestehendes Recht“ keineswegs respektiert wird, wenn es westlichen Interessen zuwiderläuft (siehe Telepolis, 26. Februar 2019), ist entscheidend, dass diesen Worten nun anscheinend Taten folgen sollen.

Fregatte für das Mare Nostrum

Am 12. März 2020 wurden dann die Früchte der seit Monaten geführten Debatte geerntet, indem die Marine in einer Pressemitteilung Vollzug meldete: Ab 7. Mai 2020 werde sich die Fregatte „Hamburg“ auf eine fünfmonatige Reise „um den halben Globus“ in Richtung Indopazifik begeben: „Diese umfasst insbesondere die Teilnahme am Indian Ocean Naval Symposium (IONS unter französischer Führung) in Réunion Ende Juni. […] Nach der Teilnahme am IONS fügt sich die Fregatte in das Deutsch-Französische Manöver DEFRAM ein. Dort wird die Zusammenarbeit mit der französischen Marine trainiert bzw. gefestigt. Nach Beendigung des Verbandes macht sich die ‚Hamburg‘ auf den Weg Richtung Australien und wird voraussichtlich von dort aus verschiedene Häfen im Indischen Ozean besuchen. Neben den Hafenbesuchen sind jeweils Übungsabschnitte mit den Marinen der jeweiligen Gastländer geplant.“

Damit schließt sich der Kreis: Bereits in seinerJährlichen Weisung Marine 2020griff der Marineinspekteur Andreas Krause Anfang des Jahres nicht nur explizit die bereits erwähnte Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf, sondern wertete die darin artikulierte Forderung, deutsche Interessen künftig „besser“ zu „schützen“, gleich auch als Auftrag, der nicht zuletzt den Indopazifik einschließe:

„‘Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen.‘ Mit diesen Worten hat die Bundesministerin der Verteidigung die Situation in Deutschland in ihrer Grundsatzrede im November 2019 beschrieben. Wenngleich diese Aussage die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik adressiert und die Notwendigkeit für ein stärkeres Engagement unseres Landes formuliert, so bestimmt sie auch den Kurs der Deutschen Marine. […] Als führende Handelsnation ist Deutschland auf freie und sichere Seewege angewiesen, um den Wohlstand unseres Landes zu gewährleisten. Daraus erwächst für die Deutsche Marine die Aufgabe, diese für unser Land so wichtigen Routen bereits in Friedenszeiten zu schützen. wenngleich Atlantik und Mittelmeer sowie Nord- und Ostsee nichts von ihrer strategischen Relevanz eingebüßt haben – das neue ,Mare Nostrum‘ der Welt ist der Indische Ozean. 35 Prozent aller Exporte der EU durchqueren diesen Ozean auf ihrem Weg Richtung Ostasien, Tendenz steigend. Insgesamt passieren heute 50 Prozent des weltweiten Containerverkehrs und 70 Prozent des weltweiten Handels mit Öl die Seewege des Indischen Ozeans.“

Mit ihrer bereits mehrfach zitierten Rede vom 12. März betätigte Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer einmal mehr den Indo-Pazifik-Kurs der Marine, der durch die von ihr explizit begrüßte und zeitgleich verkündete Entsendung der Fregatte Hamburg in die Region untermauert werden soll, sofern die Corona-Krise hier nicht noch einen Strich durch die Marinerechnung machen sollte.

Weiter dazu https://www.imi-online.de/2020/09/01/indopazifik-nato/

und https://www.imi-online.de/2020/07/13/nato-china-ausrichtung/

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Noam‌ ‌Chomsky:‌ ‌Internationalismus‌ ‌oder‌ ‌Untergang‌

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

PI-Ratsmitglied Noam Chomskys programmatische Rede auf dem Eröffnungsgipfel der Progressiven Internationale

Eine Rede, die von sehr viel Weitblick und Einsicht zeugt, von dem alten Anarchisten:

Internationalism_Extinctionhttps://progressive.international/wire/2020-09-18-noam-chomsky-internationalism-or-extinction/de
Bei Rosa Luxemburg hieß das noch: „Sozialismus oder Barbarei“

chomsky american dreamAuszüge:

Wir treffen uns zu einem Zeitpunkt des Zusammentreffens diverser Krisen von außerordentlicher Schwere, in dem das Schicksal des Experiments Menschheit buchstäblich auf dem Spiel steht.
In den kommenden Wochen werden sich die Probleme in den beiden imperialen Großmächten der Neuzeit zuspitzen.

Das immer schwächer werdende Vereinigte Königreich, das öffentlich erklärt hat, dass es internationales Recht zurückweist, steht kurz vor einem klaren Bruch mit Europa und ist auf dem besten Weg, noch deutlicher zu einem US-Satelliten zu werden, als es dies ohnehin schon ist.
Aber was für die Zukunft natürlich von größter Bedeutung ist, ist das, was im wahren globalen Hegemon geschieht — geschwächt durch Trumps Amokläufe, aber immer noch mit überwältigender Macht und unvergleichlichen Vorteilen. Sein Schicksal, und gleichsam das Schicksal der Welt, wird womöglich im November entschieden.

Wenig überraschend ist der Rest der Welt daher besorgt, wenn nicht gar entsetzt. Es ist schwierig, einen so nüchternen und renommierten Kommentator wie Martin Wolf von der Londoner Financial Times zu finden. Und selbst er schreibt, dass der Westen vor einer ernsten Krise steht und wenn Trump wiedergewählt wird, “wird dies das Ende sein”.
Das sind starke Worte und er bezieht sich nicht einmal auf die großen Krisen, mit denen die Menschheit aktuell konfrontiert ist.

Wolf bezieht sich auf die globale Ordnung, sicher eine wichtige Angelegenheit, wenn auch nicht in der Größenordnung der Krisen, von denen weitaus schwerwiegendere Folgen drohen.
doomsday-clockAlso derjenigen Krisen, die die Zeiger der berühmten “Doomsday Clock” in Richtung Mitternacht treiben — in Richtung Ende.

Wolfs Begriff des “Endes” ist kein neuer Beitrag zum öffentlichen Diskurs. Wir leben seit 75 Jahren in dessen Schatten, seit wir an einem unvergesslichen Augusttag erfuhren, dass die menschliche Intelligenz nun Mittel entwickelt hatte, die bald die Fähigkeit zur tödlichen, absoluten Zerstörung hervorbringen würden.
Das war erschütternd genug, aber da war noch mehr: Damals verstand man noch nicht, dass die Menschheit in eine neue geologische Epoche, das Anthropozän, eintritt. Eine Epoche, in der menschliche Aktivitäten die Umwelt auf eine Art und Weise verwüsten, das diese sich nun ebenfalls der endgültigen Zerstörung nähert.

Die Zeiger der “Doomsday Clock” wurden zum ersten Mal eingestellt, kurz nachdem Atombomben in einer Eskalation des unnötigen Abschlachtens eingesetzt wurden.
Seitdem haben die Zeiger im Zuge der Entwicklung der jeweiligen globalen Umstände oft oszilliert. Doch mit jedem Jahr, in dem Trump im Amt war, haben sich die Zeiger weiter in Richtung Mitternacht bewegt. Vor zwei Jahren waren sie so nah wie nie zuvor. Im vergangenen Januar sprachen Beobachter*innen nicht mehr von Minuten und wandten sich stattdessen den Sekunden zu: 100 Sekunden vor Mitternacht.
Sie verwiesen auf dieselben Krisen wie zuvor: die wachsende Gefahr eines Atomkrieges, einer Umweltkatastrophe sowie der Verfall der Demokratie.

Letzteres mag auf den ersten Blick unangebracht erscheinen, ist es aber nicht. Die zu beobachtende Rückgang der Demokratie passt in dieses düstere Trio.
Denn die einzige Hoffnung, den beiden Bedrohungen des “Endes” zu entkommen, ist eine lebendige Demokratie, in der besorgte und informierte Bürger*innen sich voll und ganz in Deliberation, Politikgestaltung und direkte Aktionen einbringen.

Das war also im vergangenen Januar. Seitdem hat Präsident Trump es geschafft, alle drei Bedrohungen zu verschlimmern. Das ist ja in gewisser Weise auch eine Leistung.

green-attraction-war-museum.jpgEr hat die Zerschlagung des Systems der Rüstungskontrolle — das einen gewissen Schutz gegen die Gefahr eines Atomkriegs bot — fortgesetzt und gleichzeitig, sehr zur Freude der Rüstungsindustrie, die Entwicklung neuer und noch gefährlicherer Waffen gefördert.
pexels-photo-545960.jpegIn seinem engagierten Einsatz für die Zerstörung der lebenserhaltenden Umwelt hat Trump riesige neue Gebiete für Bohrungen erschlossen, darunter auch die letzten großen Naturschutzgebiete.
Unterdessen sind seine Schergen dabei, systematisch das Regulierungssystem abzubauen, das die zerstörerischen Auswirkungen der Nutzung fossiler Brennstoffe etwas mildert und die Bevölkerung vor giftigen Chemikalien und Umweltverschmutzung schützt — ein Übel, das angesichts der aktuellen schweren epidemischen Ausbreitung einer Atemwegserkrankung (SARS-CoV2) doppelt mörderisch ist.SARS-CoV-2

Des Weiteren hat Trump seine Kampagne zur Schwächung der Demokratie fortgeführt. Laut Gesetz unterliegen die Ernennungen durch den Präsidenten der Bestätigung durch den Senat.
Trump vermeidet diese Unannehmlichkeiten, indem er die Positionen einfach unbesetzt lässt und die Ämter lediglich mit “vorübergehend ernannten” Personen besetzt, die seinem Willen nachkommen —und wenn sie dies nicht mit ausreichender Loyalität gegenüber ihrem Herren tun, werden sie entlassen.
Er hat die Exekutive von jeglicher unabhängigen Stimme gesäubert. Nur noch Speichellecker bleiben übrig.
coins-currency-investment-insurance-128867.jpegDer Kongress hatte schon vor langer Zeit Generalinspektoren eingesetzt, um die Leistung der Exekutive zu überwachen. Sie begannen, sich mit dem Sumpf der Korruption zu befassen, den Trump in Washington geschaffen hat. Er kümmerte sich schnell um dieses Problem, indem er sie entließ.
Vom republikanisch dominierten Senat, den Trump fest im Griff hat, war kaum ein Mucks zu hören; kaum ein Fünkchen Integrität blieb zurück, so erschrocken sind sie dort über die “Volksbasis”, die Trump mobilisiert hat.

Dieser Angriff auf die Demokratie ist erst der Anfang. Trumps warnte jüngst, dass er gegebenenfalls sein Amt nicht niederlegen wird, wenn er mit dem Ergebnis der Wahlen im November nicht zufrieden ist.
Diese Drohung wird in hohen Kreisen sehr ernst genommen. Um nur einige Beispiele zu nennen:
Zwei angesehene pensionierte hochrangige Militärkommandeure veröffentlichten einen offenen Brief an den Vorsitzenden des Generalstabs, General Milley, in dem sie ihn an seine verfassungsmäßige Verantwortung erinnerten, die Armee zu entsenden, um einen “gesetzlosen Präsidenten”, der sich weigert, nach der Wahlniederlage aus dem Amt zu scheiden, gewaltsam zu entfernen.

firearm-handgun-revolver-gun-53351.jpegAußerdem warnten sie vor möglichem Widerstand durch paramilitärische Einheiten, die Trump bereits nach Portland, Oregon, entsandt hatte, um die Bevölkerung dort zu terrorisieren — entgegen des heftigen Widerstands der gewählten Amtsträger*innen dort.

Viele Persönlichkeiten des Establishments halten die Warnungen für realistisch, darunter auch das angesehene Transition Integrity Project, das soeben die Ergebnisse der “Kriegssimulation” veröffentlicht hat, die es zu möglichen Folgen der Wahlen im November durchgeführt hat.
Die Projektmitglieder gehören “zu den versiertesten Republikanern, Demokraten, Beamten, Medienexperten, Meinungsforschern und Strategen überhaupt”, erklärt der Ko-Direktor des Projekts.
Unter ihnen sind auch prominente Persönlichkeiten beider Parteien. In jedem denkbaren Szenario, abgesehen von einem klaren Trump-Sieg, führten die Simulationen zu so etwas wie einem Bürgerkrieg, womit Trump also beschließen würde, “das amerikanische Experiment” endgültig zu beenden.

Wiederum starke Worte, die so noch nie zuvor von nüchternen Mainstream-Stimmen zu hören waren. Allein die Tatsache, dass solche Gedanken aufkommen, ist schon bedrohlich genug.
Und sie sind bei Weitem nicht allein. Angesichts der unvergleichlichen Macht der USA ist weit mehr als das “amerikanische Experiment” in Gefahr.

Nichts dergleichen ist in der oft turbulenten Geschichte der parlamentarischen Demokratie bisher geschehen. Wenn man sich an die vergangenen Jahre erinnert, so hatte Richard Nixon — sicherlich nicht die angenehmste Person in der Geschichte der Präsidentschaft — guten Grund zu der Annahme, dass er die Wahlen von 1960 nur wegen krimineller Manipulation durch Mitarbeiter der Demokraten verloren hatte. Er focht die Ergebnisse dennoch nicht an und stellte das Wohlergehen des Landes über seine persönlichen Ambitionen.
Albert Gore
tat im Jahr 2000 dasselbe. Heute gilt das nicht mehr.

In reiner Verachtung für das Wohlergehen des Landes neue Wege zu beschreiten, reicht dem Größenwahnsinnigen, der die Welt beherrscht, offenbar nicht mehr aus.
Nein, Trump hat darüber hinaus mehrfach angekündigt, dass er die Verfassung missachten und über eine dritte Amtszeit “verhandeln” könnte, wenn er entscheidet, dass er irgendeinen Anspruch darauf hat.

Manche tun das als Verschrobenheit einer Witzfigur ab. Wie die Geschichte zeigt, tun sie das aber auf eigene Gefahr.

Das Überleben der Freiheit wird nicht durch “Pergament-Barrieren” garantiert, wie James Madison warnte.
Das will heißen: Worte auf Papier reichen nicht aus. Freiheit gründet auf den Grunderwartungen von Gutwilligkeit und dem allgemeinen Anstand.
Diese Grunderwartung ist von Trump zusammen mit seinem Mitverschwörer, dem Senatsmehrheitsführer Mitch McConnell — der das “größte beratende Gremium der Welt”, wie es sich selbst nennt, in einen erbärmlichen Witz verwandelt hat — in Stücke zerfetzt worden.
McConnells Senat weigert sich, Gesetzesvorschläge auch nur in Erwägung zu ziehen. Seine Sorge gilt den Reichen und der Justiz, die von oben bis unten mit jungen Anwält*innen der extremen Rechten besetzt ist. Diese sollen sicherstellen, dass die reaktionäre Trump-McConnell-Agenda über die nächste Generation hinweg gesichert wird — was auch immer die Allgemeinheit will; was auch immer die Welt zum Überleben braucht.

Die Unterwürfigkeit der Republikanischen Partei unter Trump und McConnell in ihrem Dienst an den Reichen ist wirklich bemerkenswert, selbst für die neoliberalen Standards und der dort üblichen Verherrlichung der Gier.
Eine Veranschaulichung liefern die führenden Spezialisten für Steuerpolitik, die Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman. Sie zeigen, dass im Jahr 2018, nach dem Steuerbetrug, der bisher die einzige Errungenschaft von Trump-McConnell war, “zum ersten Mal in den letzten hundert Jahren Milliardäre weniger [an Steuern] bezahlt haben als Stahlarbeiter*innen, Lehrer*innen und Rentner*innen” und damit “ein Jahrhundert der Steuergeschichte” praktisch ausgelöscht wurde.
“Im Jahr 2018 wurde zum ersten Mal in der modernen Geschichte der Vereinigten Staaten das Kapital weniger besteuert als die Arbeit” — ein wirklich beeindruckender Sieg in diesem Klassenkampf, der in der aktuell hegemonialen Doktrin “Freiheit” genannt wird.

syringe and pills on blue backgroundDie “Doomsday Clock” wurde im vergangenen Januar neu gestellt, also bevor das Ausmaß der Pandemie verstanden wurde. Die Menschheit wird sich früher oder später von der Pandemie erholen, was schreckliche Kosten verursacht. Es sind oftmals unnötige Kosten.
Wir sehen das deutlich an den Erfahrungen der Länder, die entschiedene Maßnahmen ergriffen, als China der Welt am 10. Januar die relevanten Informationen über das Virus zur Verfügung stellte:
An erster Stelle standen dabei Ost-Südostasien und Ozeanien, andere folgten. Das Schlusslicht bilden einige veritable Katastrophen, namentlich die USA, gefolgt von Brasilien unter Bolsonaro und Indien unter Modi.

Doch trotz des Fehlverhaltens oder der Gleichgültigkeit einiger politischer Anführer wird es letztlich eine Art Erholung von der Pandemie geben.
Im Gegensatz dazu werden wir uns jedoch weder vom Abschmelzen der Polkappen noch von der in die Höhe schießende Zahl der Brände in der Arktis, die enorme Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre freisetzen, oder von anderen Schritten auf unserem Marsch in die Klimakatastrophe erholen.

Wenn die renommiertesten Klimawissenschaftler*innen uns mahnen, “jetzt in Panik zu geraten”, sind sie nicht alarmistisch. Wir dürfen keine Zeit verlieren.
Nur wenige tun genug; und was noch schlimmer ist: die Welt ist mit führenden Politiker*innen gestraft, die sich nicht nur weigern, ausreichende Maßnahmen zu ergreifen, sondern den Wettlauf in die Katastrophe absichtlich beschleunigen. Die Bösartigkeit im Weißen Haus steht bei diesem ungeheuerlichen Verbrechen unangefochten an der Spitze.

Doch es sind nicht nur Regierungen. Dasselbe gilt für die fossile Brennstoffindustrie, die Großbanken, die sie finanzieren, und andere Industrien, die von Handlungen profitieren, die das “Überleben der Menschheit” ernsthaft gefährden, wie es in einem geleakten internen Memo der größten Bank Amerikas heißt.

Die Menschheit wird diese institutionelle Bösartigkeit nicht mehr lange überleben. Die Mittel zur Bewältigung der Krise sind zwar vorhanden; aber nicht mehr lange.
Eine Hauptaufgabe der Progressiven Internationale ist es daher dafür zu sorgen, dass wir jetzt alle in Panik geraten — und entsprechend handeln.

Die Krisen, mit denen wir in diesem einzigartigen Moment der Menschheitsgeschichte konfrontiert sind, sind natürlich internationaler Natur.
Die Umweltkatastrophe, der Atomkrieg und die Pandemie kennen und akzeptieren keine Grenzen.
Und in weniger offensichtlicher Weise gilt das auch für den dritten der Dämonen, die die Erde heimsuchen und den Zeiger der “Doomsday-Clock“ weiter gen Mitternacht treiben: der Verfall der Demokratie.
Der internationale Charakter dieser letzten Seuche wird deutlich, wenn wir ihre Ursprünge untersuchen.

Die Umstände sind unterschiedlich, aber es gibt einige gemeinsame Grundlagen. Ein großer Teil des Übels geht auf den vor 40 Jahren gestarteten neoliberalen Angriff auf die Weltbevölkerung zurück.

Der grundsätzliche Charakter dieses Angriffs wurde in den Ansprachen seiner prominentesten Figuren festgehalten.
Präsident Ronald Reagan erklärte in seiner Antrittsrede, dass die Regierung das Problem ist und nicht die Lösung — was bedeutet, dass Entscheidungen von Regierungen, die zumindest teilweise unter öffentlicher Kontrolle stehen, auf private Macht übertragen werden sollten, die der Öffentlichkeit gegenüber keinerlei Rechenschaft ablegen muss und deren einzige Verantwortung die Selbstbereicherung ist, wie der Ökonom Milton Friedman proklamierte.
Die andere Figur war Margaret Thatcher, die uns lehrte, dass es keine Gesellschaft gibt, sondern nur einen Markt, auf den die Menschen geworfen werden, um so gut wie möglich zu überleben — und zwar ohne Organisationen, die es ihnen ermöglichen, sich gegen die zerstörerischen Kräfte des Marktes zu wehren.

Zweifellos unbeabsichtigt paraphrasierte Thatcher damit Marx, der schon die autokratischen Herrscher seiner Zeit dafür verachtete, dass sie die Bevölkerung in einen “Sack Kartoffeln” verwandelt hatten: wehrlos gegenüber konzentrierter Macht.

Mit beeindruckender Konsequenz zogen die Regierungen Reagan und Thatcher los, um die Arbeiter*innenbewegung zu zerstören, das Haupthindernis für eine harte Klassenherrschaft der wirtschaftlich Stärksten.
Damit übernahmen sie die Leitprinzipien des Neoliberalismus aus seinen Anfängen im Wien der Zwischenkriegszeit, wo der Gründer und Schutzpatron der Bewegung, Ludwig von Mises, seine Freude kaum im Zaum halten konnte, als die protofaschistische Regierung Österreichs lebendige Sozialdemokratie und diese verabscheuungswürdigen Gewerkschaften, die sich in die ach-so-gesunde Wirtschaft einmischten, indem sie die Rechte der Werktätigen verteidigten, gewaltsam zerstörte.
Wie von Mises in seinem neoliberalen Klassiker “Liberalismus” von 1927 (fünf Jahre nachdem Mussolini seine brutale Herrschaft begann) erklärte: „Es kann nicht geleugnet werden, dass der Faschismus und alle ähnlichen Diktaturbestrebungen voll von den besten Absichten sind und dass ihr Eingreifen für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet hat. Das Verdienst, das sich der Faschismus damit erworben hat, wird in der Geschichte ewig fortleben” — wenn auch der Faschismus selbst nur vorübergehend sei, versicherte er uns.
Die Schwarzhemden werden also gesittet nach Hause gehen, nachdem sie ihr gutes Werk vollbracht haben.

Dieselben Prinzipien beflügelten die begeisterte neoliberale Unterstützung für die abscheuliche Pinochet-Diktatur.
Einige Jahre später wurden sie in anderer Form unter der Führung der USA und des Vereinigten Königreichs auf globaler Ebene durchgesetzt.

pexels-photo-259027.jpegDie Folgen waren vorhersehbar: Zum einen kam es zu einer starken Konzentration des Reichtums bei gleichzeitiger Stagnation für einen Großteil der Bevölkerung, was sich im politischen Bereich in der Aushöhlung der Demokratie niederschlug.
Die Auswirkungen in den Vereinigten Staaten zeigen sehr deutlich, was man erwarten kann, wenn die Herrschaft des “Business” praktisch unangefochten ist. Nach 40 Jahren verfügen nun 0,1 Prozent der Bevölkerung über 20 Prozent des Reichtums, doppelt so viel wie zum Zeitpunkt der Wahl Reagans.
Die Vergütung der CEOs ist nach oben geschnellt und hat das Vermögen des gesamten Managements mit in die Höhe getrieben. Die Reallöhne für männliche Arbeitnehmer ohne Aufsichtsfunktion sind hingegen gesunken.
Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck, mit nahezu keinerlei Reserven.
Auch die Finanzinstitutionen, die weitgehend rücksichtslos und räuberisch auftreten, sind in ihrer Größe geradezu explodiert. Es gab wiederholte Zusammenbrüche, die jedes Mal schlimmer wurden.
Die Täter wurden per Bailout vom freundlichen Steuerzahlenden gerettet — wobei das wohl noch eine der geringsten der indirekten staatlichen Subventionen ist, die sie erhalten.
“Freie Märkte” führten zu einer Monopolisierung mit weniger Wettbewerb und Innovation, da die Starken die Schwachen schluckten.
Die neoliberale Globalisierung hat ganze Regionen im Rahmen der Investorenrechtsabkommen, die fälschlicherweise als “Freihandelspakte” bezeichnet werden, deindustrialisiert.
Mit der Annahme der neoliberalen Doktrin, dass “Besteuerung Raub ist”, öffnete Reagan die Tür für Steuerparadiese und Briefkastenfirmen — die zuvor verboten und durch wirksame Rechtsdurchsetzung praktisch ausgeschlossen waren.
Das führte sofort zu einer riesigen Steuerhinterziehungsindustrie, die den massiven Raubüberfall auf die breite Bevölkerung durch die Reichen und die Konzerne beschleunigte. Und das war keine kleine Veränderung; das Ausmaß wird auf Dutzende Billionen Dollar geschätzt.

So ging es weiter und die neoliberale Doktrin festigte sich.

Als dieser Angriff gerade erst begann, Gestalt anzunehmen, trat der Präsident der Gewerkschaft “United Auto Workers”, Doug Fraser, 1978 aus einem von der Carter-Administration eingerichteten Ausschuss für Arbeiter*innen und Angestellte zurück und drückte seine Betroffenheit darüber aus, dass die Wirtschaftsführer “beschlossen hatten, in diesem Land einen einseitigen Klassenkrieg zu führen — einen Krieg gegen die arbeitende Bevölkerung, die Arbeitslosen, die Armen, die Minderheiten, die ganz Jungen und die ganz Alten und sogar viele aus der Mittelschicht unserer Gesellschaft”.
Damit hätten sie “den zerbrechlichen, ungeschriebenen Pakt, der zuvor in einer Zeit des Wachstums und des Fortschritts existierte, zerbrochen und weggeworfen”.
Er verwies damit auf die Zeit der Klassenzusammenarbeit im reglementierten Kapitalismus.

Er erkannte etwas verspätet, wie die Welt funktioniert. Und zwar zu spät, um den erbitterten Klassenkampf abzuwehren, der von den Wirtschaftsführern angezettelt wurde, denen von willfährigen Regierungen bald freie Hand gelassen wurde.
Die Folgen für einen Großteil der Welt sind wenig überraschend: weit verbreitete Wut, Ressentiments, Verachtung für politische Institutionen, während die vorrangig wirtschaftlichen Institutionen durch wirksame Propaganda eher im Schatten stehen können.
All das bietet ein fruchtbares Terrain für Demagogen, die vorgeben können, Dein Retter zu sein, während sie Dir in den Rücken fallen und gleichzeitig die Schuld für die herrschenden Zustände auf Sündenböcke abwälzen: Immigrant*innen, Schwarze, China, wer auch immer am besten zu lang bekannten Vorurteilen passt.

Doch kommen wir zurück zu den großen Krisen, mit denen wir in diesem historischen Moment konfrontiert sind: Alle sind international; und zwei internationale Gruppierungen formieren sich, um ihnen zu begegnen. Eine davon wird heute vorgestellt: die Progressive Internationale.
Die andere hat bereits unter Trumps Führung des Weißen Hauses Gestalt angenommen: Eine Reaktionäre Internationale, der die reaktionärsten Staaten der Welt angehören.

In der westlichen Hemisphäre umfasst diese Reaktionäre Internationale Bolsonaros Brasilien und einige andere.
Im Nahen Osten sind die wichtigsten Mitglieder die Familiendiktaturen am Golf, die ägyptische Diktatur von al-Sisi — vielleicht die härteste in der ohnehin bitteren Geschichte Ägyptens—- und Israel, das vor langer Zeit seine sozialdemokratischen Ursprünge über Bord geworfen hat und weit nach rechts gerückt ist; die vorhersehbaren Auswirkungen der lang anhaltenden und brutalen Besatzung.
Die gegenwärtigen Abkommen zwischen Israel und arabischen Diktaturen, die langjährige stillschweigende Beziehungen formalisieren, sind ein bedeutender Schritt zur Festigung dieser Nahost-Basis der Reaktionären Internationale. Den Palästinenser*innen wird ins Gesicht getreten.
Es ist das scheinbar angemessene Schicksal derer, denen es an Macht mangelt und die nicht ordnungsgemäß vor den Füßen ihrer natürlichen Herren kriechen.

Ein Partner im Osten ist Indien, wo Premierminister Modi die säkulare Demokratie Indiens zerstört und das Land in einen rassistischen hinduistisch-nationalistischen Staat verwandelt, während er Kaschmir vernichtet.
Das europäische Kontingent umfasst die “illiberale Demokratie” Viktor Orbans in Ungarn und ähnliche Elemente in anderen Ländern.
Die Reaktionäre Internationale hat auch starke Rückendeckung in den dominierenden globalen Wirtschaftsinstitutionen.

Diese beiden Internationalen machen einen guten Teil der Welt aus, die eine auf der Ebene der Staaten, die andere auf der Ebene der Basisbewegungen. Jede von ihnen ist eine prominente Vertreterin viel breiterer gesellschaftlicher Kräfte, die gegensätzliche und hart umkämpfte Visionen von der zukünftigen Welt haben, die aus der gegenwärtigen Pandemie entstehen soll.
Eine Kraft arbeitet unermüdlich daran, eine strengere Version des neoliberalen globalen Systems zu konstruieren, von dem sie sehr profitiert hat, mit einer intensiveren Überwachung und Kontrolle.
Die andere freut sich auf eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, in der Energien und Ressourcen auf die Bedürfnisse der Menschen und nicht auf die Forderungen einer winzigen Minderheit ausgerichtet sind.
Es ist eine Art Klassenkampf auf globaler Ebene, mit vielen komplexen Facetten und Wechselwirkungen.

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass das Schicksal des Experiments Menschheit vom Ausgang dieses Kampfes abhängt.

Hier kann man den Newsletter bestellen und Mitglied werden:

https://progressive.international/

hawking

Schon 2016 warnte Stephen Hawking: https://josopon.wordpress.com/2016/11/23/stephen-hawking-warnt-erde-wird-spatestens-in-1-000-jahren-zerstort-sein/

samir amin

Zum Thema „Internationale“ vgl. hier Samir Amin: https://josopon.wordpress.com/2017/10/01/interview-mit-okonom-samir-amin-wir-brauchen-eine-funfte-internationale/
Von Chomsky habe ich hier schon berichtet:
https://josopon.wordpress.com/2017/02/09/noam-chomsky-sozialismus-in-zeiten-der-reaktion/
und https://josopon.wordpress.com/2014/12/23/wiederkehr-des-kalten-krieges-einsichten-von-noam-chomsky-uber-die-amerikanische-ausenpolitik-a-nlasslich-des-ukraine-konfliktes/

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Geld für Systemwechsel: US-Stiftung für »Demokratieförderung« schüttete 2019 erneut Millionen für Kubas Gegner aus

CastroJochens SOZIALPOLITISCHE
NACHRICHTEN

Eine gute Vorstellung davon, was auch uns in Deutschland blühen würde, wenn es bei uns mal eine wahrhaft sozialdemokratische Bundesregierung gäbe.
Die hier für Kuba genannten Organisationen haben auch in Deutschland Zweigstellen, die ihren Einfluss heute schon bis weit in die Linkspartei und die Grünen ausüben: https://josopon.wordpress.com/2020/01/08/mit-allen-mitteln-und-unterstutzung-aus-der-linkspartei-fur-das-grose-inferno-in-nahost/ und https://josopon.wordpress.com/2014/12/17/von-ard-bis-zeit-grune-an-der-spitze-der-entspannungsgegner/.
Eine Mischung aus Erpressung und subtiler Gewalt, wie schon von Uwe Ulfkotte……… beschrieben: https://josopon.wordpress.com/2014/11/10/interview-mit-udo-ulfkotte-ex-faz-uber-gekaufte-journalisten-in-grosen-zeitungen/

Propagandakrieg

Von Volker Hermsdorf
Die USA verteilen immer mehr Geld an Organisationen und Gruppierungen in aller Welt, die damit Washingtons Aktivitäten für einen regime change in Kuba unterstützen sollen. Allein die staatlich finanzierte US-Stiftung »National Endowment for Democracy« (NED) hat im vergangenen Jahr mehr als 5,4 Millionen US-Dollar für insgesamt 52 Projekte in verschiedenen Ländern vergeben.
Im Jahr 2019 hat die NED-Stiftung weltweit 42 Einrichtungen finanziert – darunter Hochschulen, NGO, Bürgerinitiativen, »Menschenrechtsaktivisten« und »unabhängige Medien« –, die sich für einen Systemwechsel auf der Insel engagieren. Gegenüber dem Vorjahr erhöhte das NED diese Ausgaben nochmals um 16 Prozent. Im Vergleich zu 2017 beträgt die Steigerung sogar 42 Prozent.
Der US-amerikanische Journalist Tracey Eaton listet die Profiteure des Geldsegens in seinem Blog »Cuba Money Project« namentlich und mit Beträgen auf und veröffentlichte die aktuellen Zahlen am 9. Mai.

Das 1983 vom US-Kongress als Dachorganisation US-amerikanischer NGOs gegründete NED ist eines der wichtigsten Instrumente für Washingtons Außenpolitik. Offizielle Aufgabe der Organisation, die über ein jährliches Budget von rund 140 Millionen US-Dollar verfügt, ist die »weltweite Förderung der Demokratie«. US-Politiker machen keinen Hehl daraus, was sie darunter verstehen.
Während die seit 60 Jahren gegen Kuba verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade mit dem Amtsantritt von Donald Trump immer weiter verschärft wurde, setzt Washington offenbar zugleich auf verstärkte subversive Aktivitäten zur Destabilisierung des Landes.
»Wir suchen ständig nach neuen Möglichkeiten, Kuba stärker unter Druck zu setzen«, zitierte die den antikubanischen Contras in Miami nahestehende Tageszeitung Nuevo Herald Trumps »Sonderbeauftragten«, Elliott Abrams, bereits im Oktober vorigen Jahres. »Wir werden die kubanische Wirtschaft erdrosseln«, kündigte Abrams an. Das erklärte Ziel der US-Politik bestehe darin, Kuba Devisen zu entziehen, erklärte er.
Inmitten der Coronakrise hofft Washington jetzt vor allem darauf, dass zunehmende Versorgungsengpässe zu Unzufriedenheit und möglichen Unruhen in der Bevölkerung führen.
Die vom NED großzügig finanzierten Gruppierungen sind aus Sicht der USA hilfreich, um subversive Aktionen propagandistisch vorzubereiten und zu begleiten.

Der größte Einzelposten aus dem Millionentopf des NED ging an das 1990 in Miami gegründete »Directorio Democrático Cubano«, das 2019 wie im Jahr zuvor 650.000 US-Dollar einstrich.
Diese Organisation verteilt die von den USA zur Verfügung gestellten Beträge nach eigenen Angaben an Oppositionelle in Kuba, stattet subversive Gruppen mit Material aus und stellt Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und Systemgegnern her.
Den zweitgrößten Betrag erhielt mit 305.000 Dollar das der US-Handelskammer nahestehende und mit dem NED fest assoziierte
»Center for International Private Enterprise« (CIPE), das Einfluss auf »Vertreter der Wirtschaft, politische Entscheidungsträger und Journalisten« nehmen soll. Die Aufgabe des CIPE besteht nach eigener Darstellung vor allem darin, »die Demokratie rund um den Globus durch privates Unternehmertum und marktorientierte Reformen zu stärken«.

Flankiert werden die Aktivitäten der Marktradikalen durch den in Miami ansässigen Verein »Grupo Internacional para la Responsabilidad Social Corporativa en Cuba« (GIRSCC), der den Aufbau »freier Gewerkschaften« in Kuba vorantreiben soll und dafür im Jahr 2019 mit 230.000 US-Dollar den drittgrößten Betrag vom NED erhielt.

Neben der Einflussnahme auf Politik und Wirtschaft legt Washington einen Schwerpunkt auf die Unterstützung »unabhängiger«, das heißt im Sinne der USA agierender, Journalisten und Medien.
Gut 225.000 US-Dollar gingen an das von Miami aus betriebene Contraportal »Cubanet«.
Die in Madrid von kubanischen Systemgegnern publizierte Internetzeitung Diario de Cuba wurde vom NED wie 2018 mit 220.000 US-Dollar finanziert, vorgeblich um die Verbreitung »unabhängiger Nachrichten aus Kuba« zu unterstützen.
Beträge zwischen 4.200 und 146.300 US-Dollar wurden an zahlreiche weitere Gruppierungen ausgeschüttet, die damit »unabhängige« kubanische Journalisten und Schriftsteller organisieren und fördern sollen.
Auch im Ausland ansässige NGO stehen auf der NED-Förderliste. Fünf- bis sechsstellige Summen gingen unter anderem an Gruppen in Mexiko, Peru und Kolumbien. Den Löwenanteil von 200.000 US-Dollar strich jedoch die 1992 von Antikommunisten in Prag gegründete Organisation »Clovek v tisni« (Mensch in Not) ein, die das erhaltene Geld wiederum an Systemgegner auf Kuba verteilt.

Siehe dazu schon 2016 hier:
https://josopon.wordpress.com/2016/09/26/kuba-als-jugendaustausch-getarnte-regime-change-programme-der-usa-kubanische-schuler-und-studenten-protestieren/
Jochen

Macron drängt zum Dialog über atomare Abschreckung. Im Haushalt der EU soll Aufrüstung die höchste Priorität genießen.

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

MacronAm Wochenende in der Süddeutschen: https://www.sueddeutsche.de/politik/macron-atomwaffen-1.4788943

Was sich so alles hinter Worthülsen wie „strategische Kultur„, „Weltordnung im Dienste des Friedens“ und „Sicherheit“ verbirgt…
Auszüge:

  • Frankreichs Präsident Macron will mit über die Rolle der atomaren Abschreckung in Europa diskutieren.
  • Interessierte EU-Staaten könnten an Übungen des französischen Militärs teilnehmen. Die Hoheit über seine Nuklearwaffen will Frankreich aber nicht teilen.
  • Macron fordert, dass die Verteidigung in Europa haushaltspolitische Priorität genießen soll.

Von Leo Klimm, Paris, und Paul-Anton Krüger

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängt die europäischen Partner zu einem „strategischen Dialog über die Rolle der atomaren Abschreckung für unsere gemeinsame Sicherheit“.
Daraus solle sich eine „gemeinsame strategische Kultur“ in Europa entwickeln. Jene Staaten, die darauf eingehen, will Macron an „Übungen der französischen Streitkräfte zur nuklearen Abschreckung beteiligen“.

Zur Begründung sagte der Staatschef, Frankreichs militärische Interessen hätten heute stets auch eine europäische Dimension. Macron äußerte sich in einer Grundsatzrede vor Offiziersanwärtern an der École de guerre in Paris.
Frankreichs Unabhängigkeit bei der Entscheidung über den Einsatz der Waffen sei „vollständig vereinbar mit unserer unerschütterlichen Solidarität mit unseren europäischen Partnern“, sagte er.
In welcher Form andere europäische Armeen an das Atomwaffenarsenal herangeführt werden könnten, ließ Macron ebenso offen wie die Frage, an welche Partner sich sein Vorschlag richtet.
Aus seinem Umfeld hieß es, der Vorstoß sei als Angebot an Deutschland zu verstehen genauso wie an andere interessierte EU-Staaten.

Aus Macrons Umfeld heißt es, im Rahmen des nun angebotenen Dialogs könne etwa erörtert werden, ob die deutsche Luftwaffe ein neues Kampfflugzeug, das Berlin und Paris bis 2040 gemeinsam entwickeln wollen, auf französische anstatt auf US-Atomsprengköpfe auslegen will.
Macrons Vorstellungen nach verlange Frankreich für die mögliche Beteiligung an der atomaren Abschreckung kein Geld von den europäischen Partnern – im Jahr 2007 hatte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy Deutschland den Schutz durch den französischen Nuklearschirm gegen einen finanziellen Beitrag angeboten.

Macron schlägt in dieselbe Kerbe wie Trump

Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Atommacht der EU. Nachdem Macron im Herbst den „Hirntod“ des transatlantischen Verteidigungsbündnisses Nato beklagt und damit Verwunderung auch in Deutschland ausgelöst hatte, legt er nun seine Vorstellungen zur Stärkung der europäischen Verteidigung dar. Er sieht sich in der Rolle, andere europäische Regierungen wach zu rütteln – nicht zuletzt die deutsche. „Wir müssen uns zusammenreißen“, sagte Macron.
„Die Neubegründung einer Weltordnung im Dienste des Friedens muss unser Ziel sein.“ In einer Woche will er seine Vorschläge auf der Münchner Sicherheitskonferenz diskutieren.

Macron zeigte sich überrascht, dass sein verteidigungspolitischer Ehrgeiz so heftige Debatten hervorrufe. Die EU habe sich das Ziel größerer militärischer Handlungsfähigkeit schon beim Europäischen Rat 1999 in Köln gesetzt – er wolle nun damit Ernst machen, sagte Macron. Er stellte die Frage, warum die Verteidigung immer noch keine haushaltspolitische Priorität genieße. Dieselbe Kritik bekommt die Bundesregierung regelmäßig von US-Präsident Donald Trump zu hören.

Frankreichs Präsident sagte, die geopolitischen Risiken für Europa würden zunehmen, auch weil die Architektur der Abrüstungsverträge aus dem Kalten Krieg zwischen Russland und den USA wanke.
Den INF-Vertrag zum Verbot nuklearer Mittelstreckensysteme hatte Washington wegen Verstößen Moskaus gekündigt.
Der New-Start-Vertrag zur Beschränkung strategischer Atomwaffen läuft 2021 aus, eine Verlängerung ist noch nicht vereinbart.

„Die Handlungsfreiheit Europas setzt die wirtschaftliche und digitale Freiheit voraus“

Macron, der auch auf anderen Feldern für eine Stärkung Europas wirbt, leitet daraus die Notwendigkeit größerer militärischer Autonomie ab.
„Zum strategischen Gleichgewicht Europas gehört auch eine atomare Komponente“, heißt es im Elysée-Palast. Explizit ausgeschlossen wird in Paris allerdings, dass Frankreich die Hoheit über seine Atomwaffen mit anderen Staaten teilen oder den Schutzschirm der USA im Zuge der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato ersetzen könnte. Dazu sei der Bestand an Atomwaffen zu klein, den Macron mit „weniger als 300 Sprengköpfen“ angab.
Frankreich werde sich auch weiterhin nicht an der sogenannten nuklearen Planungsgruppe der Nato beteiligen.

In seiner Rede zählte Macron auch den Schutz „kritischer Infrastrukturen“ zu den verteidigungspolitischen Prioritäten. Die europäischen Staaten dürften die Kontrolle etwa über ihre Hafenanlagen oder den 5G-Mobilfunkstandard nicht ausländischen Investoren überlassen. „Die Handlungsfreiheit Europas setzt die wirtschaftliche und digitale Freiheit voraus“, sagte Macron. „Wir müssen die technologische Unabhängigkeit Europas stärken.“

Das Weltbild sei düster, und „nicht hinzuschauen kann ein historischer Fehler sein“

Der Staatschef zeichnete ein düsteres Bild der Lage der Welt. Das Wetteifern der USA und Chinas um die Vorherrschaft in der Welt fördere das Risiko militärischer Eskalation; die multilaterale Ordnung der Nachkriegszeit, die auf internationalem Recht beruhe, werde ausgehöhlt und zunehmend durch das Recht des Stärkeren ersetzt.
Diese Umbrüche zwängen die Europäer, sich mit den Gefahren künftiger Kriege zu befassen, zumal ihr Kontinent im Mittelpunkt einer neuen Aufrüstungsspirale zwischen den USA und Russland stehen könnte.
„Nicht hinzuschauen kann ein historischer Fehler sein.“

Um die geopolitischen Risiken einzuhegen, sieht Macron auch „ein starkes Bündnis mit den Vereinigten Staaten“ als unabdingbar an. „Doch unsere Sicherheit erfordert ebenfalls größere Selbständigkeit.“
Dies entspreche im Übrigen dem Wunsch der USA.

Daneben verschreibt er sich der Förderung einer multilateralen Weltordnung, die ein neues Vertrauensverhältnis zu Russland und weltweite Rüstungskontrolle ermöglichen soll.
Einen Verzicht Frankreichs auf Atomwaffen lehnt er dagegen als unrealistisch ab. Sein Land mache sich sonst für Erpressung feindlich gesinnter Mächte anfällig.
Die Waffen könnten aber nur „unter extremen Umständen legitimer Verteidigung“ eingesetzt werden. Die Abschreckung diene gerade dazu, Krieg zu verhindern.
Schon 2018 verpflichtete sich Macron, Frankreichs Nukleararsenal bis 2035 komplett zu modernisieren.

nein zur nato ddr1957

nein zur nato ddr1957

Meine Anmerkung: Und natürlich kein Kommentar zu den angeblichen Verstößen Moskaus gegen den INF-Vertrag – das wird einfach als Fakt vorausgesetzt.
Auch nicht zum offensichtlichen Widerspruch zwischen atomarer Hochrüstung der EU, neuem Vertrauensverhältnis zu Russland und weltweiter Rüstungskontrolle.
Anscheinend halten Macron genau wie die Süddeutsche die russische Regierung für Idioten.
Genauso wie die deutschen Bürger in den US-Standorten, die damit zur Zielscheibe eines frühen nuklearen Zweitschlags werden bei einer Frühwarnzeit von unter 5min.

Mit allen Mitteln und Unterstützung aus der Linkspartei für das große Inferno in Nahost

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Man möchte sich dafür schämen, wie hier führende Genossen agieren, unterstützt offensichtlich von der US- und israelischen Regierung.
Dieser Artikel erschien bereits vor der aktuellen Eskalation. Man kann jetzt genau verfolgen, wie sich die hier genannten Kriegshetzer im aktuellen Nahost-Konflikt äußern.
logo steht kopf

Diese Leute sind auch für die Spaltung der Friedensbewegung verantwortlich und bedrohen den Zusammenhalt der gesamten Partei.
Pfui, Petra !
Kritik an den USA, Israel und konsequentes Eintreten für einen Ausbau des Sozialstaates soll als antisemitisch bzw. rechtsradikal angeschwärzt werden.
Siehe auszugsweise hier: https://www.hintergrund.de/politik/welt/mit-allen-mitteln-fuer-das-grosse-inferno/
Die Literaturangaben sind dem (kostenpflichtigen) Herunterladen des Heftes zu entnehmen.

Mit allen Mitteln für das große Inferno

In Deutschland, Österreich und der Schweiz kämpft eine äußerst aggressive und mit ultrarechten US-Denkfabriken vernetzte Lobby für eine Eskalationspolitik gegen Iran – mit Geldern von der Bundesregierung und Schützenhilfe aus der Linken.

Von SUSANN WITT-STAHL | Veröffentlicht in: Weltpolitik

Die Lobby verfolgt einen maximalen Konfrontationskurs gegenüber Iran. Seitdem die Islamische Republik ihren Abwehrkampf gegen den Petrodollar begonnen hat − das war einer der wirtschaftlichen Gründe, die den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Jahr 2002 dazu bewogen haben, das Land seiner «Achse des Bösen» hinzuzufügen −, und nachdem Iran seine Ölgeschäfte 2007 auf Nicht-US-Dollar-Währungen umgestellt sowie 2008 die iranische Ölbörse eröffnet hat, formiert sich in der westlichen Welt eine immer breiter werdende Front aus transatlantischen NGOs und Medien, unterstützt von der Politik.

Auch hierzulande gründeten sich, propagandistisch flankiert vom Springer-Konzern, eine Reihe von neokonservativen Pressure Groups, die seit Jahren die deutsche Bundesregierung zu einer Eskalation gegenüber Iran drängen wollen.
Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten (der derzeit noch zwischen Isolationismus und Interventionismus changiert), seine Aufkündigung des Atomabkommens im Jahr 2018 und die stetige Verschärfung der Sanktionen, etwa die völkerrechtswidrige Unterbindung des Handels von Drittstaaten mit Iran, geben den Kriegsbefürwortern berechtigten Anlass zur Hoffnung.

Dialog ausgeschlossen

«Die deutsche Regierung muss aufhören, die Bemühungen anderer Staaten zur wirksamen Eindämmung des iranischen Expansionismus zu bremsen», forderte das Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) bereits im Jahr 2008. Die NGO initiiert Konferenzen und tritt als «Berater» für Presse, Regierung und Parlamente in Erscheinung. 1
Das MFFB, das mit Think Tanks wie dem von ExxonMobil und anderen Großkonzernen finanzierten American Enterprise Institute kooperiert, 2 wird nicht müde, die «Unmöglichkeit des Dialogs» mit Iran zu betonen – dabei ist das Land zwar in Konflikte in Syrien, Jemen und Libanon verstrickt, hat aber noch nie einen Angriffskrieg geführt.
Und wenngleich der MFFB-Vorstand unmissverständliche Botschaften sendet wie «Die iranische Bombe muss mit allen Mitteln verhindert werden», 3 werden seine «Bildungsseminare» genannten PR-Veranstaltungen von der Bundesregierung gefördert. 4

MFFB ist auch Initiator der bekanntesten Kampagne gegen Iran mit dem orwellianischen Namen Stop the Bomb (STB), für die die NGO eifrig Spendengelder sammelt. 5 «Anstatt dem antisemitischen Terrorregime im Iran zur Seite zu springen, sollte die EU die neuen US-Sanktionen zum Umdenken nutzen», verlautbarte STB, nachdem US-Präsident Donald Trump die Daumenschrauben im November 2018 angezogen hatte.
«Die bisherige europäische Iran-Politik hat sich als illusorisch erwiesen. Sie hat zu keiner Verbesserung der Situation im Iran und der Region beigetragen. Das iranische Nuklearprogramm wurde durch das Atomabkommen nicht beendet, sondern dauerhaft institutionalisiert und legalisiert.» 6

Mit Abschusslisten, «Spürhunden» und Steuergeldern

Im Jahr 2012 war STB in die Schlagzeilen geraten. Kritisch beleuchtet wurden Einschüchterungsmaßnahmen und Hetze gegen Politiker oder in Deutschland lebende Iraner, häufig Geschäftsleute, die nichts mit Rüstungsgeschäften zu tun haben; treffen kann es jeden, der öffentlich für Verständigung mit Teheran oder auch nur gegen einen Krieg plädiert.
«Gespräche mit Iran werden als alliierte Appeasement-Politik gegenüber Nazi-Deutschland verteufelt und auf Anwendung militärischer Gewalt gedrängt», resümiert der Journalist Fabian Köhler, der über die mehr als fragwürdigen Methoden von STB recherchiert hatte 7 und in der Folge Anfeindungen zum Beispiel vonseiten des rechten Krawall-Blogs HaOlam ausgesetzt war. 8
Was es heißt, auf der Abschussliste von STB zu stehen, musste erst im März der – mittlerweile ehemalige – Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Peter Schäfer, erfahren, nachdem er es gewagt hatte, den Kulturrat der Islamischen Republik zu empfangen. Das Jüdische Museum sei «in der Vergangenheit bereits durch die Einladung israelfeindlicher Referenten aufgefallen», diffamierte STB die Institution.
Und mit der Behauptung, Schäfer habe «alle roten Linien überschritten», sowie der Forderung, die zuständige Staatsministerin Monika Grütters müsse endlich «personelle Konsequenzen» ziehen, war sein Schicksal besiegelt. Im Juni schließlich nahm er, zermürbt von einer monatelangen, gut orchestrierten Schmutzkampagne, seinen Hut.

Erstmals für Aufsehen gesorgt hatte Stop the Bomb kurz nach ihrer Gründung im Jahr 2007 mit einer Petition für eine rigorose Verschärfung der Sanktionspolitik gegen Iran und Unterstützung der Opposition, die einen Regime Change herbeiführen will. Ein Erstunterzeichner, der israelische Historiker Benny Morris, fand deutliche Worte und warb bereits im Jahr 2008 auf einer Konferenz von STB in Wien für einen Krieg, wenn nötig auch mit Atomwaffen, gegen Iran. 9
Derartige Ausfälle tun dem Zuspruch von Prominenten aus Kultur, Wissenschaft, Medien und Politik allerdings offenbar keinen Abbruch: Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek, die Schauspielerin Iris Berben, die ARD-Journalistin Esther Shapira, der Herausgeber der nach rechts außen gerückten Achse des Guten, Henryk M. Broder, der Publizist Micha Brumlik, Petra Pau von den Linken und viele andere haben ihre Namen unter die STB-Petition gesetzt − Islamhasser, Militärlobbyisten, Bewunderer des NATO-Menschenrechtsimperialismus und der Netanjahu-Regierung aus dem rechten, dem bürgerlichen wie auch dem linken Spektrum. 10

Ebenfalls nicht zimperlich geht das internationale Akademikernetzwerk Scholars for Peace in the Middle East (SPME) vor, das im Jahr 2008 in den USA entstanden ist und im großen Stil McCarthyistische Denunziationsfeldzüge gegen linke und andere Kriegsgegner an den Universitäten führt.
Zentrale Figur ist der ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Grünen, Matthias Küntzel: Er hat SPME Deutschland mitgegründet, war fünf Jahre lang im internationalen Vorstand der Organisation und ist heute Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik – einer Denkfabrik, die bemüht ist, die deutsche Außenpolitik im Interesse von Großbanken und Rüstungskonzernen, wie etwa Krauss-Maffei Wegmann und Airbus, zu beeinflussen. 11
SPME, ebenfalls Unterstützer von Stop the Bomb, proklamierte bereits im Jahr 2010, dass es «Zeit zum Handeln» gegen Iran sei. 12 Heute trommelt das Netzwerk für Trumps Israelpolitik, inklusive der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt des Judenstaates, und nimmt in seinen Publikationen Repräsentanten von sozialen Bewegungen ins Visier, die sich für einen gerechten Frieden im Nahen Osten engagieren und laut Definition von SPME«antisemitisch» oder «israelfeindlich» eingestellt sind. Sympathisanten werden indes aufgerufen, wie ein «Spürhund» 13 die zivilgesellschaftliche Kampagne gegen die israelische Besatzungspolitik „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) genau zu beobachten und Verdächtige bei SPME «anzuzeigen». 14
Auf der Homepage ihrer deutschen Sektion finden sich Artikel, in denen eine «Fruchtlosigkeit» diplomatischer Lösungen im Konflikt mit Iran angeprangert, 15Legitimationsideologien für einen «Präventivschlag» gegen das Land entfaltet 16 und der Friedensbewegung nahestehende Akademiker attackiert werden, beispielsweise die Wissenschaftler, die im Jahr 2012 die Erklärung «Sanktionen und Kriegsdrohungen sofort beenden» unterzeichnet hatten. 17

Eine wichtige, ebenfalls von Steuergeldern mitgetragene Säule der Pro-Kriegs-Front gegen Iran – sie wird vom Programm «Demokratie leben!» des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert – bildet die Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Die im Jahr 1998 von der glühenden Antikommunistin Anetta Kahane ins Leben gerufene Einrichtung hat sich offiziell die Bekämpfung des Rechtsextremismus auf die Fahnen geschrieben. Sie leistet unter dem Deckmantel der Aufklärung über «israelbezogenen Antisemitismus» finanzielle Unterstützung bei Veranstaltungen mit Referenten vom Mideast Freedom Forum Berlin und Stop the Bomb 18 sowie bei der Veröffentlichung von antiiranischen Broschüren und kooperiert mit der Regime-Change-Lobby in Demonstrationsbündnissen. 19

«Die Menschen im Iran lieben Präsident Trump»

Sogar ein international führender Kopf der rechten exiliranischen Opposition war schon zu Gast bei der AAS: Amir-Abbas Fakhravar («Die Menschen im Iran lieben Präsident Trump» 20), der dort die Frage erörterte, «wie von westlicher Seite säkular-demokratische Kräfte im Iran in ihrem Kampf für Freiheit unterstützt werden können». 21
Kein Geringerer als Sheldon Adelson, einer seiner großen Gönner, gab Auskunft, was Fakhravar ihm anvertraut hatte: «Er sagt, dass das iranische Volk in Ekstase verfallen wird, wenn wir angreifen», zitierte The New Yorker den Multimilliardär, der Donald Trumps Wahlkampf seinerzeit mit großzügigen Spenden unterstützt hat. 22

Nicht zufällig war Fakhravar bereits von George W. Bush während dessen Amtszeit als US-Präsident mehrmals empfangen worden. Er tritt auch regelmäßig bei Fox News und anderen rechten US-Medien als «Iranexperte» auf (in der Vergangenheit hat er ferner europäische Parlamentarier gebrieft, darunter den deutschen CDU-Politiker Ruprecht Polenz 23). Als Senatsabgeordneter des National Iranian Congress, der als die einflussreichste Oppositionellengruppe in den USA gilt, ist sein größtes Ziel, eine knallharte Linie gegen Teheran durchzusetzen: «Wir fordern die Trump-Regierung nachdrücklich auf, die Obama-Politik der Subventionierung der Aktivitäten des Khamenei-Regimes − des weltweit führenden staatlichen Sponsors des Terrorismus – zu revidieren», hatte Fakhravar kurz nach der Präsidentschaftswahl im Dezember 2016 auf Breitbart deutlich gemacht, wohin die Reise gehen soll. 24

An der Seite von John Bolton gegen das «diplomatische Waterloo»

Auch in Österreich und der Schweiz ist die Pro-Kriegs-Lobby gut aufgestellt. Die in Zürich ansässige Internetplattform Audiatur, deren Träger eine Stiftung ist, die von dem Vermögensverwaltungsunternehmer Josef Bollag ins Leben gerufen wurde, geht äußerst rabiat gegen Verweigerer einer Eskalationspolitik gegen die Islamische Republik vor.
Ebenso agiert der auf Initiative des Wiener Stahlunternehmers Erwin Javor gegründete und nach eigenen Angaben «unabhängige Nahost-Think-Tank» Mena-Watch, der im Jahr 2011 aus der Medienbeobachtungsstelle Naher Osten hervorgegangen ist. 25
Meistens genügt es schon, einfach nur der linken Opposition in den USA, einem europäischen Land oder Israel anzugehören, um zur Zielscheibe dieser Pressure Groups zu werden: Wissenschaftler, Journalisten und Politiker, die der Durchsetzung ihrer Agenda hinderlich sind, werden als «Antisemiten», heimliche Verbündete «der Mullahs» oder des islamistischen Terrors gebrandmarkt.
Besonders übel werden jüdische Intellektuelle wie Avraham Burg, Shlomo Sand und Moshe Zuckermann angegangen und als «jüdische Kronzeugen» 26 der erklärten Feinde diffamiert; jene würden «ihr Judentum vermarkten». 27
Den Betreibern von Mena-Watch geht Trumps Außenpolitik nicht weit genug. Sie werfen der US-Regierung «Untätigkeit» vor – angeblich lasse sie zu, dass «der Iran im Golf tun kann, was er will». 28

Solche Positionen korrespondieren weitgehend mit der kruden Weltsicht von Trumps Nationalem Sicherheitsberater John Bolton, einem der wichtigsten Architekten des Irakkrieges von 2003. Er gehört zu den aggressivsten Vertretern der Waffen- und Rüstungslobby in den USA und wünscht sich die Liquidierung von Whistleblowern wie Edward Snowden («Er sollte an einer hohen Eiche aufgehängt werden» 29).
Bolton hält das Atomabkommen mit Teheran für ein «diplomatisches Waterloo» 30 und lässt keine Gelegenheit aus, um das von vielen US-amerikanischen Evangelikalen und anderen Ultrarechten ersehnte Armageddon im Nahen Osten voranzutreiben. So ist es kein Zufall, dass Verbindungen zwischen dem von ihm mitaufgebauten Gatestone Institute, Audiatur, Mena-Watch und anderen Drückerkolonnen für westliche Angriffskriege in Europa bestehen. Boltons Denkfabrik befeuert mit Rassismus aufgeladene Hasskampagnen gegen eine humane Flüchtlings- und Migrationspolitik und kooperiert mit europäischen Rechtspopulisten wie dem Niederländer Geert Wilders.
Nicht wenige Projekte des Gatestone Institute, das immer wieder wegen der Verbreitung von Fake News in die Kritik gerät, werden großzügig durch das Middle East Forum des Islamhassers Daniel Pipes unterstützt. Er ist ebenso Sponsor des regelmäßig «Volksverräter» anprangernden Journalistenwatch-Portals 31, auf dem auch der rechte Verleger Götz Kubitschek und Martin Sellner, Chef der Identitären Bewegung, ihre Sicht der Dinge zum Besten geben, und der Mercer Family Foundation, dem Finanzier von Steve Bannons Breitbart – Geldgeber also, die antisemitisches, sogar neofaschistisches Gedankengut fördern. Das hindert Mena-Watch und Audiatur freilich nicht daran, eine große Anzahl von Publikationen von Gatestone zu übernehmen, zu übersetzen und intensiv weiterzuverbreiten. Und einige ihrer Autoren, beispielsweise Stefan Frank (er skandalisiert einen angeblichen «Krieg gegen die Meinungsfreiheit» in Deutschland, dessen Opfer rechte Medien wie Die Achse des Guten und Breitbart seien 32), verfassen regelmäßig Beiträge für das Institut.

Diese antiiranische Armada im Bündnis mit ultrarechten Hardlinern wie John Bolton, der vor keiner Menschenrechtsverletzung und keinem Völkerrechtsbruch zurückschreckt, wenn es darum geht, die Interessen des US-amerikanischen Kapitals durchzusetzen, ist nicht etwa an einem Regime Change oder sogar an einem Krieg im Nahen und Mittleren Osten interessiert, weil sie um die in der Tat prekäre Lage der unterdrückten Opposition, von Frauen und Minderheiten in der Islamischen Republik besorgt ist.
Dies beweist nicht zuletzt das Verhältnis der Pro-Kriegs-Lobby gegen Iran zum − neben Israel − engsten Verbündeten des Westens in der Region: Die von der Theokratie Saudi-Arabien Tag für Tag verübten Barbareien (inklusive Kreuzigungen politischer Gegner, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen wollen) werden von der Mehrheit konsequent beschwiegen oder offensiv verharmlost. Mena-Watch hat gar den als Schlächter verschrienen Kronprinzen Mohammed bin Salman als Humanisten entdeckt, der viel Zuspruch von einem «bedeutenden Teil vor allem der jüngeren Bevölkerung» ernte: «Saudi-Arabien befindet sich überhaupt in einem Umbruch, der Kronprinz versucht in – für Verhältnisse vor Ort – rasantem Tempo Reformen umzusetzen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar erschienen. So soll es Frauen etwa ab diesem Jahr gestattet sein, Auto zu fahren», verkündete im Jahr 2018 der Autor Thomas von der Osten-Sacken, der auch für die Springer- und andere Konzernmedien schreibt. 33

«Antideutsche»

Männer fürs Grobe und linke Unterstützer

Für derartige ideologische Totalverkehrungen der Realität zugunsten des militärisch-industriellen Komplexes und der westlichen Ölindustrie sind Propagandisten gefragt, die das Handwerk der Manipulation verstehen: Thomas von der Osten-Sacken, Matthias Küntzel, Stefan Frank, ebenso der Mitgründer von Stop the Bomb Stephan Grigat und Vorstandsmitglieder des Trägervereins von Mena-Watch, Florian Markl, Alexander Gruber, viele beim MFFB oder bei SPME Organisierte, etwa Andreas Benl und Sebastian Voigt, sowie zahlreiche ihrer Stammautoren, beispielsweise Alexander Feuerherdt, stammen aus der mittlerweile lupenrein neokonservativen Strömung der «Antideutschen». Dieses Zerfallsprodukt der deutschen und österreichischen Linken, das sich Anfang der 90er Jahre vorwiegend aus den sich auflösenden K-Gruppen rekrutiert hatte, zieht heute immer mehr karriereorientierte Politiker, Studenten und Medienschaffende an, die noch im linken Milieu aktiv sind.

Trotz strammen Rechtskurses stehen den Männern fürs Grobe von Mena-Watch, Audiatur, Stop the Bomb & Co bis heute alle Tore der Linken weit offen: Feuerherdt und Frank gehören zu den Autoren der Zeitschrift Konkret, Osten-Sacken publiziert – sogar auf einem extra eingerichteten Blog Von Tunis nach Teheran – regelmäßig in der Wochenzeitung Jungle World. Stephan Grigat referiert immer wieder bei Antifas, linken Hochschulgruppen, im Jahr 2019 sogar auf Einladung der Rosa Luxemburg Stiftung. 34

Nicht anders sieht es auf parlamentarischer Ebene aus: Der Landesverband Berlin der Partei Die Linke unterstützt, gemeinsam mit CDU, FDP und HaOlam, von Stop the Bomb und anderen Pro-Kriegs-Organisationen initiierte Demonstrationen für eine Regime-Change-Politik gegen Iran; der heutige Kultursenator Klaus Lederer trat bereits im Jahr 2015 als Redner auf. 35
Ebenso treten Mitglieder der Linken-Bundestagsfraktion als Fürsprecher eines iranischen Regime Change auf, beispielsweise ihr verteidigungspolitischer Sprecher Stefan Liebich; Michael Leutert arbeitet sogar mit dem Mideast Freedom Forum Berlin zusammen und hielt im Jahr 2018 mit ihm eine gemeinsame Pressekonferenz ab. 36

Der sehnsüchtige Wunsch nach einer Intervention in Iran macht’s möglich: Im Freundeskreis Israel im Thüringer Landtag kooperieren Politiker der Linken, etwa Katharina König-Preuss, sogar mit der AfD. Auch dort ist Stephan Grigat ein gern gesehener Gast. Im September 2017 gab er in einem Vortrag die passende Antwort auf die Frage: «Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran – eine Gefährdung Israels?». 37

Rechtsfront gegen die Friedensbewegung

Auf HaOlam wächst mehr und mehr zusammen, was womöglich längst zusammengehört: Im Impressum werden als «freie Mitarbeiter» Konkret- und Jungle-World-Autoren ebenso aufgeführt wie Publizisten, die Islamhasser-Positionen der AfD (in der derzeit noch eine Mehrheit für die Einhaltung des Atomabkommens mit Iran ist) verteidigen, etwa Vera Lengsfeld und Rafael Korenzecher, der Herausgeber der Jüdischen Rundschau, die sich zum Sprachrohr der Vereinigung «Juden in der AfD» mausert. 38

Was die Kriegslobby gegen Iran vor allem zusammenschmiedet, ist die Agenda der Zerschlagung der antikapitalistischen Linken und der Friedensbewegung, die sich dem Imperialismus des Westens entgegenstellt und das drohende flammende Inferno im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern sucht.
«Diese ganze antiimperialistische Szene finde ich abstoßend», verkündete die Chefin der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane in der taz. 39
Die Forderungen der Friedensbewegung seien «oft antiisraelisch und typisch antiimperialistisch links, also rückschrittlich und lassen die liberale Demokratie theoretisch ins offene Messer laufen», erklärte der Sprecher einer Partnerorganisation von SPME auf Audiatur-Online. «Paul Spiegels Aussage ‹Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder› trifft auf die deutsche Friedensbewegung größtenteils zu.» 40
Solche Weltbilder, in der Regel gepaart mit antimuslimischem Rassismus, lassen befürchten, dass womöglich schon bald ein großer Albtraum linker wie bürgerlicher Humanisten Realität werden könnte: eine breite Allianz auf allen Ebenen zwischen der transatlantischen und der allerorts erstarkenden nationalistischen Rechten.

Wir werden diese Kriegsschreiber hier weiter beobachten und beschreiben.

Vergleiche auch https://josopon.wordpress.com/2019/12/17/antideutsche-propagandatruppe-ruhrbarone-starten-hetzkampagne-gegen-israelische-menschenrechtsanwaltin/
https://josopon.wordpress.com/2018/09/08/wie-ein-antideutscher-fanatiker-in-wikipedia-seit-jahren-hetzartikel-unterbringt-die-linke-schadigt-und-warum-bish-er-niemand-ihn-bremst/
https://josopon.wordpress.com/2019/08/20/israelische-lobbyorganisationen-die-bild-zeitung-und-die-bundesregierung-tragen-zur-versenkung-des-iran-atomabkommens-bei/

https://josopon.wordpress.com/2016/09/27/salven-aus-den-verlagshausern-der-anteil-der-medien-an-den-kriegen-des-westens/

Jochen

Antideutsche Propagandatruppe „Ruhrbarone“ starten Hetzkampagne gegen israelische Menschenrechtsanwältin

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

paul findleydie israel lobby

Man möchte es kaum glauben: die Betreiber dieses Internetportals sind keine Idioten, sondern ehrpusselige Journalisten.
Man sieht jetzt, wozu diese neue Antisemitismusdefinition der IHRA taugt, die Antisemitismus als eine „Wahrnehmungsstörung“ diagnostiziert. **) Das ist so einerseits völlig subjektiv und unwiderlegbar auf jede beliebige Kritik am Staate Israel anwendbar, taugt andererseits gerade wegen dieser Beliebigkeit gut zur Verschleierung wirklich faschistischer Tendenzen.

Mich erreichte die Nachricht über die des Antisemitismus unverdächtige Friedensbewegung. Was also war geschehen ?
Zur Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin am 11. Januar 2020 war neben vielen anderen auch die israelische Menschenrechtsanwältin Lea Tsemel eingeladen, um einen Vortrag „Über die politische Situation in Israel und den palästinensischen Widerstand in Palästina“ zu halten.
Sie ist mit ihren 74 Jahren tagtäglich unermüdlich im Einsatz. Seit 50 Jahren kämpft Lea Tsemel für mehr Gerechtigkeit und für mehr Gleichheit der palästinensischen Minderheit.
Als Menschenrechtsanwältin tritt sie für die Wahrung der Unschuldsvermutung und gegen eine systematische Vorverurteilung ein.
Tsemel verteidigt politische Gefangene, Feministinnen und Fundamentalisten, friedliche Demonstranten und bewaffnete Militante.
Und sie wagt sich an die schwierigsten Fälle: Sie vertritt Kinder, die durch Diskriminierung radikalisiert, von Opfern zu Tätern werden.
Sie sei die Anwältin, die immer verliert, sagt Lea Tsemel ohne jede Bitterkeit von sich, und macht trotzdem immer weiter in ihrem unbeirrbaren Glauben an Gerechtigkeit, trotz harscher Kritik seitens der Presse und der Öffentlichkeit.
Ein Dokumentarfilm der ARD „Lea Tsemel, Anwältin“ schildert ihre Arbeit: Palästinenser suchen rechtlichen Beistand bei ihr. Hinterbliebene von Terroropfern in Israel kritisieren sie dagegen scharf. Und die israelische Regierung wirft ihr vor, dass sie den Staat Israel zerstören möchte. Ebenso umstritten wie Tsemel selbst ist der Film über sie. Als er dieses Jahr den Preis des Docaviv-Festivals gewann, hat der israelische Kulturminister das Festival aufgefordert, die Preisverleihung auszusetzen.

Wer das Buch „Die Israel-Lobby“ von Paul Findley gelesen hat, kann aus dem dort für die USA beschriebenen Manipulationssystem auch auf das koloniale Deutschland schließen *). Näheres dazu auch hier: https://deutsch.rt.com/meinung/90413-israels-einfluss-auf-deutsche-politik/

Die Rosa-Luxemburg-Konferenz wird im Hotel Mercure stattfinden. An die Leitung dieses Hiotels adressiert eine Initiative „Mündigkeit durch Bildung“, vermittelt durch die o.g. Ruhrbarone, ein Schreiben folgenden Inhalts:

Lea Tsemel ist seit langer Zeit dafür bekannt, sämtliche gegen israelische Staatsbürger verübte Mordanschläge und Attentate zu legitimieren.
Der Anwältin, die schon in der am 10.07.2019 von der ARD gesendeten Dokumentation mit dem Titel „Lea Tsemel, Anwältin“ ein Format fand, die Dämonisierung und Delegitimierung Israels – bspw. durch Vergleiche des israelischen Staates mit dem NS-Regime, palästinensischen Flüchtlingslagern mit deutschen Vernichtungslagern oder Gaza mit dem Warschauer Ghetto – voranzutreiben, darf in der Berliner Stadtgesellschaft, die sich Freiheit und Toleranz auf die Fahnen schreibt, keine Plattform geboten werden.
Tsemel verteidigte unter anderem den Terrorist Salah Hamouri, der wegen der Planung eines Mordanschlags auf den Rabbi Ovadia Yosef und seiner Mitgliedschaft in der paramilitärischen antizionistischen „Popular Front of the Liberation of Palestine“ verurteilt wurde.
Die PFLP führte mehrfach Flugzeugentführungen, bewaffnete Angriffe und Terrorakte auf israelisches Gebiet durch und wird deswegen von der Europäischen Union als terroristische Gruppierung eingestuft.

Setzt man die Erkenntnisse über Tsemel mit dieser Definition ins Verhältnis, zeigt sich eindeutig, dass Tsemel keine „Friedensaktivistin“ respektive Menschenrechtsaktivistin ist, sondern selbst ein geschlossenes antisemitisches Weltbild vertritt.
Tsemel setzt mit ihrer unkritischen Verteidigung palästinensischer Terroristen und Organisationen dieses Weltbild in die politische Praxis um und bietet Antisemiten einen Aktionsraum.

Aufgrund dieser Erkenntnisse über Tsemel fordere ich Sie auf, die Rosa- Luxemburg-Konferenz nicht in dieser Form stattfinden zu lassen und Kontakt mit den Veranstaltern aufzunehmen.

Mit anderen Worten, die Frau Tsemel kommt ihrer Aufgabe als Strafverteidigerin in einem Apardheitsstaat eifrig nach.
Die „durch Bildung mündig Gewordenen“ verwechseln ihre Arbeit als Anwältin mit den Taten der anklagten Mandanten, setzen diese jener gleich!

Eine enge Freundin schreibt dazu:
Lea ist seit langen Jahren eine enge Freundin und das alles ist die schlimmste Verleumdung, die mir je untergekommen ist! Unglaublich.
Wer sind diese unsaeglichen Typen, die sich anmassen, Lea so in den Dreck zu ziehen? Was koennen wir gegen diese Typen machen?
Lea war und ist unsere Rechtsanwaeltin und Freundin. Sie hat meinen Mann mehrmals verteidigt, nicht weil er Terrorist ist, sondern weil er wegen seiner politischen Lieder im Gefaengnis war (Administrativhaft, keine Anklage) und in der ersten Intifada, als er Lieder zur Intifada machte, nicht mehr, nicht weniger!!!

Lea kaempft fuer Gerechtigkeit und gegen jede Art von Rassismus, immer und unermuedlich.

Lasst mich bitte wissen, was wir von hier aus tun koennen.

Entsetzte Gruesse aus Jerusalem

Meine Antwort: Die Journalisten, die solche Schmutzkampagnen betreiben, verdienen offensichtlich ihre Existenz oder Karriere damit, dafür gibt es jede Menge gut bestückte „Stiftungen“ des Staates Israel und „befreundeter Organisationen“.
Wetten, dass viele davon auch in der „Atlantik-Brücke“ sind und zu den Bilderberger-Konferenzen eingeladen werden?
Andernorts habe ich diese Journerilla auch schon als Mietmäuler bezeichnet.

Schock-Strategie_Naomi_KleinUnd was wir dagegen machen können: Aufdecken und aufklären, selbst wenn uns dann Isolationsfolter droht wie Julian Assange.

Im Aalener Lesekreis nehmen wir jetzt Naomi Klein, Die Schockstrategie durch. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus.
Da wird schon 2007 beschrieben, wie Israel sich zu einer korrupten Militärdikatatur entwickelt.
*: Siehe hierzu Dr. Muriel Asseburg, Senior Fellow in der SWP-Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika:
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A61_ass.pdf
Israel nimmt seit jeher für sich in Anspruch, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein. Allerdings dominieren in der aktuellen Regierungskoalition aus rechten, ultraorthodoxen und nationalreligiösen Parteien Kräfte, die illiberale Positionen vertreten und die jüdische Dominanz im gesamten »Eretz Israel« (also in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten) akzentuieren wollen.
Demgemäß bemüht sich die Regierung erstens, die jüdischen Elemente im Selbstverständnis Israels noch stärker zu gewichten als bislang.
Zweitens treibt sie die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten und deren De-facto-Annexion voran.
Drittens engt sie die Spielräume für Israels Zivilgesellschaft und Opposition zunehmend ein.
Deutschland und die EU sollten gegenüber Israel auf die Durchsetzung internationalen Rechts, eine Verbesserung der Menschenrechtslage und die Bewahrung von Handlungsräumen für die Zivilgesellschaft hinwirken. Dabei sollte die Achtung menschen- und völkerrechtlich verbriefter Rechte einer Konfliktregelung nicht länger nachgeordnet werden.

Dem kann ich nur beipflichten. Auch nach wiederholten Wahlen wird sich an der zusammensetzung der Regierung nichtviel ändern. Und unser Strichmännchen von Außenminister hat nicht das Format, in Israel auf irgendetwas hinzuwirken, das würde nicht mal unsere Angela schaffen.

**: Zur IHRA-Definition folgende Hintergrundinformation von Prof.Dr.Rolf Verleger:

Gegen die Definition per se ist gar nicht so viel einzuwenden, außer dass sie unpräzise und zu weit gefasst ist.
Pragmatisch war das bei ihrer Einführung völlig in Ordnung.
Diese fehlende Präzision und weite Reichweite war volle Absicht ihres Entwicklers, Kenneth Stern. Das war der Sinn dieses Textes als „Arbeitsdefinition“: Stern wollte damit der Polizei in der EU ein Raster an die Hand geben, welche Ordnungswidrigkeiten und Straftaten antisemitisch sein könnten, daher bewusst weit gefasst.
Dass nun diese weitgefasste Definition und besonders ihre Anwendungsbeispiele zu Israel weltweit zur Einschränkung der Redefreiheit über Israels Politik benutzt werden, registriert Kenneth Stern mit Erschütterung und Protest, s. aktuell [1] oder ausführlicher [2].

Als Begriffsdefinition ist die IHRA-Arbeitsdefinition, wie gesagt, ungenau und schwammig. (S. die detaillierte Kritik in Peter Ulrichs Gutachten [3] sowie die kürzeren Kritiken meiner Petitions-Mitinitiatoren Georg Meggle und Norman Paech [4,5]). Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie über einige scheinbar beliebig zusammengestellte Beispiele auch Opposition gegen Israels Politik, Parteinahme für die Palästinenser und selbst eine auf Frieden und Ausgleich des Konflikts setzende Haltung unter den Generalverdacht von Antisemitismus stellt (selbst gegenüber jüdischen Menschen [6,7,8]) und damit in den Augen ihrer Befürworter schon jetzt Redeverbote rechtfertigt ([6,7,8,9]).
In Wirklichkeit kann man selbstverständlich Antisemitismus sehr präzise und umfassend definieren [hier von Georg Meggle: 10], wenngleich für sein tatsächliches Vorliegen immer differenzierte Überlegungen angebracht sind statt der heute verbreiteten Schnellschüsse [11].

Ganz generell gefährdet das durch die Propagierung der IHRA-Definition von der Politik erzeugte Klima die grundgesetzlich verbürgte Meinungs- und Versammlungsfreiheit. (S. Urteile des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg und des Verwaltungsgerichts Köln, [12,13].) Speziell an den Hochschulen kann sich daraus eine Gefährdung der Freiheit von Forschung und Lehre und des freien Diskurses entwickeln.

An dieser gutgemeinten Entschließung der HRK zeigt sich in beklagenswerter Deutlichkeit: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Man kann Antisemitismus nicht dadurch bekämpfen, dass man zu offensichtlichen Ungerechtigkeiten – den Menschenrechtsverletzungen durch Israels Politik – Redeverbot erteilt.
Schon gar nichts hat das mit Bekämpfung des Sympathisantenfelds des Attentäters von Halle zu tun. Man vergleiche den Furor, mit dem in Deutschland auf allen Ebenen und besonders von „Antisemitismusbeauftragten“ die gewaltlose palästinensische Widerstandsbewegung BDS (Boycott, Divestments, Sanctions gegen Israel) bekämpft wird, mit dem bleiernen Schweigen zu den ideologischen Stichwortgebern für den Attentäter von Halle. Dieser begründete seine Gewaltaktion gegen Juden bekanntlich damit, dass „die Juden“ unter Führung von George Soros das Abendland mit muslimischer Einwanderung und Frauenemanzipation zersetzen wollten. Diese Argumentationsfigur gegen Soros stammt von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und wurde auch von Donald Trump schon benutzt. Ich war zufällig im Juli 2017 in Budapest und sah zu meinem Entsetzen die U-Bahnen vollgepflastert mit von Orban in Auftrag gegebenen Plakaten mit Porträts eines grinsenden George Soros, darunter auf ungarisch „Lasst es nicht zu, dass er als letzter lacht“. Der Attentäter von Halle hielt sich daran …

Mit besten Grüßen
Rolf Verleger

Referenzen:
[1] www.theguardian.com/commentisfree/2019/dec/13/antisemitism-executive-order-trump-chilling-effect?CMP=share_btn_fb
[2] docs.house.gov/meetings/JU/JU00/20171107/106610/HHRG-115-JU00-Wstate-SternK-20171107.pdf
[3] www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_2-2019_Antisemitismus.pdf
[4] www.heise.de/tp/features/Grundrecht-auf-freie-Meinungsaeusserung-und-Rede-ist-bedroht-4602337.html
[5] www.heise.de/tp/features/Sprachregelung-fuer-unsere-Unis-Einspruch-4598877.html
[6] www.heise.de/tp/features/Beschluss-der-HRK-zur-IHRA-Definition-von-Antisemitismus-4602268.html
[7] www.jrbernstein.de/blog-1/2019/10/20/meinungsfreiheit-oder-zensur
[8] bibjetzt.wordpress.com/2019/09/28/bip-aktuell-87-muenchner-gesinnungsschnueffelei/
[9] www.rolf-verleger.de/wp-content/uploads/2019/11/Brief-an-Flugblattverfasser.pdf
[10] www.heise.de/tp/features/Genau-wann-bin-ich-Antisemit-4547202.html
[11] www.jmberlin.de/sites/default/files/antisemitism-in-europe-today_2-klug.pdf
[12] www.lebenshaus-alb.de/magazin/012513.html
[13] www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE190001146&st=null&showdoccase=1

Jochen

Das große Spiel der Nationen im Norden Syriens – Reportage von Karin Leukefeld

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Bei RT Deutsch kann man lesen, was woanders unterschlagen wird:
https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/93358-grosse-spiel-nationen-im-norden/
Auszüge:

k leukefeld

Ankara entsendet die türkische Armee in den Norden Syriens zum Kampf gegen die syrischen Kurden. Washington will sich einem solchen Militäreinsatz nicht in den Weg stellen, obwohl die Kurden die wichtigsten US-Verbündeten vor Ort im Kampf gegen den IS sind. Eine Analyse.

von Karin Leukefeld, Damaskus

Die Präsidenten der Türkei und der USA haben telefoniert und sich geeinigt, dass künftig die Türkei die Verantwortung für das Geschehen im Norden und Osten Syriens haben soll.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der zusammen mit seinen westlichen NATO-Partnern wesentliche Verantwortung für den Krieg in Syrien trägt, soll als Belohnung und möglicherweise auch als „Schweigegeld“ ein großes Stück syrischen Territoriums übernehmen – vom Ufer des Euphrats bis an das Ufer des Tigris.

Dort will Erdoğan die „Terroristen“ der kurdischen Selbstverwaltung „Rojava“ vernichten, um dann auf den Ruinen 140 neue Dörfer zu bauen. Dorthin sollen bis zu zwei Millionen syrische Flüchtlinge abgeschoben werden, die derzeit in der Türkei leben. Diese Menschen waren aus Syrien aufgrund des Krieges in das nördliche Nachbarland geflohen. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn Erdoğan – mit Wissen und Unterstützung seiner NATO-Partner und mit dem Geld der Golfstaaten – den innenpolitischen Konflikt in Syrien nicht militärisch angeheizt hätte.

Die türkische Perspektive: Die Generäle warnen

Erdoğan und US-Präsident Donald Trump agieren im eigenen Interesse. Erdoğan will für den verlorenen Krieg gegen Syrien entlohnt werden, der ihn nicht nur politisch geschwächt, sondern auch die türkische Ökonomie auf eine Talfahrt geschickt hat. Er will die syrischen Kurden, angeblich eine Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei, vernichten und/oder zurückdrängen.
will er sich der syrischen Flüchtlinge entledigen, die in der Türkei nicht mehr wohlgelitten sind. Seiner eigenen Klientel, vor allem gegenüber seinen Wählern, will sich der türkische Präsident als Sieger präsentieren. Erdoğan verjagt nicht nur die syrischen Flüchtlinge, kassiert nicht nur Milliardenbeträge aus Europa, sondern will ein großes Stück syrischen Territoriums besetzen, in dem sich Wasser, Weizen, Baumwolle, Gas und Öl befinden.

Erdoğan agiert damit nicht nur gegen einen Großteil der eigenen Bevölkerung, darunter 15 Millionen Kurden sowie die Anhänger der oppositionellen Parteien HDP (Demokratische Partei der Völker) und CHP (Republikanische Volkspartei), er übergeht auch die deutlichen Warnungen hochdekorierter Generäle der türkischen Streitkräfte. Die warnten bereits vor Monaten, dass die türkische Armee in Syrien nicht weit vom türkischen Territorium entfernt agieren könne.

Die von den USA trainierten und ausgerüsteten kurdischen Truppen hätten zudem über Jahre Kampferfahrung gegen den „Islamischen Staat“ (IS) gesammelt und stellten für die türkische Armee eine Gefahr dar.
Zwar kann die türkische Armee ihre Luftwaffe einsetzen, die von Kurden geführten „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) dürften allerdings inzwischen auch über Drohnen verfügen.
Nicht zuletzt Saudi-Arabien bekam kürzlich zu spüren, wie die Huthis, deren Kämpfer oft nur Sandalen und zerrissene Kleidung tragen, mit gezielten Drohnenangriffen die wichtigste Aramco-Ölförderanlage des Königreichs angriffen und teilweise außer Kraft setzten.

Die US-Truppen in Syrien und Trumps Wahlkampfversprechen

Auch Donald Trump vertritt seine eigenen Interessen. Er will kommendes Jahr als Präsident wiedergewählt werden, dafür braucht er alle Stimmen seiner Wähler. Weil er versprochen hat, unprofitable US-Kriege in der Welt zu beenden und die „Jungs nach Hause“ zu holen, muss er nun „liefern“, um seine Wähler nicht zu enttäuschen.
Dreimal hat Trump angekündigt, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen, dreimal wurden ihm dafür innenpolitisch Steine in den Weg gelegt – von den Demokraten, aber auch vom Pentagon und dem Außenministerium sowie von NATO-Verbündeten. Jetzt steht Trump vor neuen innen
politischen Herausforderungen, da die Demokraten ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn anstrengen.

Um seine eigene Klientel zu überzeugen und hinter sich zu versammeln, lässt Trump keinen Zweifel aufkommen, dass es ihm ernst ist.
„Ich habe fast drei Jahre diesem Kampf zugeschaut und abgewartet“, erklärte er auf Twitter. „Aber jetzt ist es Zeit für uns, aus diesen lächerlichen endlosen Kriegen – viele davon sind Stammeskriege – auszusteigen und unsere Soldaten nach Hause zu bringen.“ Die USA werden nur noch „da kämpfen, wo es uns nutzt, und wir werden nur kämpfen, um zu siegen“, so Trump weiter. Jetzt sollten „die Türkei, Europa, Syrien, der Iran, der Irak, Russland und die Kurden herausfinden, wie es weitergeht und was sie mit den gefangenen IS-Kämpfern in ihrer ‚Nachbarschaft‘ machen wollen“.

Wiederholt hatte Trump die Herkunftsländer der IS-Kämpfer, darunter auch viele europäische Staaten, aufgefordert, die Kämpfer zurückzunehmen und in den jeweiligen Ländern vor Gericht zu stellen.
Großbritannien, Frankreich und Deutschland hatten dagegen erst kürzlich Delegationen nach Nordost-Syrien entsandt, um den syrischen Kurden Geld und Unterstützung für den Ausbau von Gefängnissen und die Errichtung eines Sondergerichts anzubieten.

„Die Kurden haben mit uns gekämpft, aber dafür haben wir ihnen große Summen Geld bezahlt und sie ausgerüstet“, so Trump weiter auf Twitter. Das werde jetzt zu teuer. Die Türkei solle die Kontrolle über die IS-Gefangenen übernehmen. Stephanie Grisham, Pressesprecherin im Weißen Haus, erklärte, die US-Truppen würden eine türkische Militäroperation im Norden Syriens „nicht unterstützen und darin nicht verwickelt sein“. Die US-Truppen würden sich nicht länger in dem „direkt betroffenen Gebiet“ aufhalten.
Wenig später wurde bekannt, dass rund zwei Dutzend US-Soldaten – andere Quellen sprechen von fünfzig – von ihren Stellungen in Ras al-Ain und Tell Abiad abgezogen worden sind.

US-Präsenz auch im Interesse Israels

Die bisher anhaltende Präsenz der internationalen Anti-IS-Allianz unter US-Führung in Syrien und im Irak ist auch dem Interesse Israels geschuldet. Die Allianz soll verhindern, dass die miteinander verbündeten Staaten Iran, Irak, Syrien sowie die Hisbollah im Libanon enger zusammenrücken.
Verhindert werden soll vor allem die Landverbindung zwischen Syrien und dem Irak, die darüber hinaus auch dem Iran und dem Libanon nützt. Bis zum Krieg 2011 waren die Grenzübergänge al-Bukamal/al-Qaim und al-Tanf/al-Walid für den Personen- und Warenverkehr von großer Bedeutung.
Mit dem Aufstieg des „Islamischen Staates im Irak und in der Levante“ gerieten beide Grenzübergänge in das Herrschaftsgebiet des IS und der US-geführten Anti-IS-Allianz.

Europas „Große Drei“ ohne US-Unterstützung kaum handlungsfähig

Für Europa – insbesondere für die „Großen Drei“ Deutschland, Frankreich und Großbritannien – könnte ein türkischer Truppeneinmarsch in den Norden Syriens schwerwiegende Folgen haben.
Ein türkisch-kurdischer Krieg würde viele Menschen in der Türkei und im Norden Syriens in die Flucht treiben. Unklar ist zudem, was mit den etwa 20.000 gefangenen IS-Kämpfern und ihren Angehörigen, rund 70.000 Frauen und Kinder, geschehen wird, die in dem Lager al-Hol unweit der syrisch-irakischen Grenze leben.
Ein Einmarsch der Türkei in den Norden Syriens würde zudem für die „Großen Drei“ der EU das vorläufige Ende ihrer humanitär begründeten Interventionspolitik in der Region bedeuten, die offiziell als „Krisenprävention“ bezeichnet wird.

Ein Abzug der USA bedeutet für die Partnerländer der Anti-IS-Allianz in Syrien, dass ihnen wichtige Logistik für Aufklärung und Absicherung abhanden gehen wird.
Frankreich, das mit Spezialkräften in Syrien an der Seite der Kurden im Einsatz ist, hat bereits angekündigt, sich nach dem Abzug der US-Armee ebenfalls zurückzuziehen.

Das Gleiche gilt für militärische Spezialkräfte aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sie sind in Rakka und Hasakeh stationiert und wollen die neo-osmanischen Expansionspläne Erdoğans in Richtung der Arabischen Halbinsel im Bündnis mit den syrischen Kurden und arabischen Stämmen verhindern. Ohne die militärische Absicherung der US-Armee werden auch die Golfstaaten keinen Krieg gegen türkische Truppen in Syrien führen.

Die Vereinten Nationen warnen ebenso wie die Europäische Union vor den humanitären Folgen einer türkischen Invasion, die neue Flüchtlingsbewegungen auslösen wird.

Die syrischen Kurden in einer politischen Sackgasse

Die syrischen Kurden sind nun mit einer Realität konfrontiert, vor der sie seit Langem von Syrien und auch von Russland gewarnt wurden. Das Verhältnis zwischen den Syrischen Demokratischen Streitkräften (SDF) und den USA sei ein Bündnis „auf Augenhöhe“, es gebe klare Vereinbarungen, hatten die syrischen Kurden stets betont. Für die USA gebe es „keine Alliierten“, stellte dagegen nun der syrische Abgeordnete Ahmed Merei im Gespräch mit Sputnik News in Damaskus fest. „Für die USA gibt es nur Ausrüstung.“

Am Montagabend zogen die syrischen Kurden erste Konsequenzen aus der Ankündigung von Donald Trump und verlegten ihre Truppen vom größten syrischen Ölfeld al-Omari, das etwa 50 Kilometer östlich von Deir ez-Zor liegt, in Richtung der türkischen Grenze. Man denke über eine „Partnerschaft mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nach“, wurde der SDF-Oberkommandierende Mazlum Abdi vom Rojava Netzwerk am Dienstagmorgen zitiert. Ziel sei „der Kampf gegen die türkischen Streitkräfte“.

Der iranische Außenminister Dschawad Sarif warnte vor einer türkischen Invasion Syriens und forderte Ankara auf, die staatliche Souveränität und territoriale Integrität des Nachbarlandes – kurz das Völkerrecht – zu respektieren.
Russland teilt diesen Standpunkt und hat wiederholt darauf verwiesen, dass die nationale Sicherheit der Türkei am besten durch das bereits 1998 zwischen Ankara und Damaskus vereinbarte Adana-Abkommen gewährleistet werden könne. Das Abkommen sieht vor, dass sich die syrische Armee dem Schutz der syrisch-türkischen Grenze verpflichtet und die syrischen Kurden entsprechend kontrolliert. Die Vereinbarung müsste der aktuellen Situation angepasst werden.

Für Syrien ist das Adana-Abkommen ebenfalls eine Lösung, allerdings dürfe „das Pferd nicht von hinten aufgezäumt werden“, erklärte Generalmajor Hassan Hassan, Leiter der Politischen Abteilung der syrischen Streitkräfte, im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Erst müsse die Türkei sich aus allen bisher besetzten Gebieten Syriens (Idlib, Afrin, Aʿzāz, al-Bab, Dscharābulus) zurückziehen.
Ein militärisches Vorgehen gegen die Kurden zur Rückeroberung der Gebiete nördlich und östlich des Euphrats sei nicht wünschenswert. Man sei im Gespräch und hoffe auf andere Lösungen.

Der stellvertretende syrische Außenminister Faisal Mekdad forderte am Dienstag in der syrischen Tageszeitung al-Watan die syrischen Kurden auf, sich angesichts der US-Entscheidung, Syrien einer türkischen Invasion zu überlassen, Damaskus wieder anzuschließen, alles andere würde sie in den Abgrund ziehen.

Innerhalb der russischen Diplomatie und des Militärs dürfte sich das Verständnis für die Führung der syrischen Kurden in Grenzen halten. Seit Beginn des Krieges im Jahr 2011 hatte sich Moskau diplomatisch für die Rechte der Kurden in Syrien eingesetzt.
Russische Diplomaten vermittelten zwischen Damaskus und den syrischen Kurden, deren stärkste Formation die „Partei der Demokratischen Kräfte“ (PYD) ist. Unermüdlich forderte Moskau deren Teilnahme am Tisch der syrischen Opposition bei den UN-geführten Gesprächen in Genf – jedoch vergeblich, denn nicht nur die Türkei, auch die USA und europäische Staaten verweigerten ihre Zustimmung.

Nach der Niederschlagung des IS übernahmen die syrischen Kurden nicht nur die Kontrolle der Staudämme entlang des Euphrats, auch die größten syrischen Öl- und Gasressourcen gerieten unter ihre Kontrolle.
Hieß es anfangs noch, das Öl sei eine nationale syrische Ressource, die man Damaskus nicht vorenthalten werde, fühlten sich die Kurden 2016/17 stark und nutzten die Schwäche der syrischen Regierung zu eigenen Gunsten aus. Zwar ließ man zu, dass syrische Ingenieure die Wartung der Dämme ausführten, um die Strom- und Wasserversorgung Nordsyriens sicherzustellen, die Kontrolle des Gebiets entlang des wichtigen Assad-Stausees überließen die syrischen Kurden Damaskus jedoch nicht.

Auch die von Moskau ausgehandelte Übergabe der Ölfelder an die syrische Regierung verweigerten sie. Im März 2017 kam es zu einem tödlichen Zwischenfall, den die russische Armee nicht vergessen wird.
Als eine russische Aufklärungsmission den Euphrat überqueren wollte, um in Richtung des Ölfelds al-Omari vorzurücken, riefen die SDF-Kurden die US-geführte Anti-IS-Allianz zu Hilfe.
Innerhalb kürzester Zeit waren US-Kampfjets im Einsatz und vernichteten die russische Mission. Ein russischer General, der mit den Kurden verhandelt hatte, wurde gezielt getötet. Schließlich übernahmen die syrischen Kurden unter dem Schutz der Anti-IS-Allianz selbst den Verkauf des Öls. Russland, das weltweit wohl über das fähigste Diplomaten-Team verfügt, zieht es vor, über diese Sache nicht zu sprechen.

Dazu auch:

Bundespressekonferenz: Liefert deutsche Luftwaffe Bilder für geplante türkische Offensive in Syrien?

https://youtu.be/CepFsk4xtdI

Jochen