Wieviel zahlen die Bürger der NATO-Länder für deren Kriege ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Sehr interessante Grafik aus https://strategic-culture.org/news/2023/04/30/how-much-natos-citizens-pay-for-natos-wars/
Um das zu verstehen, ist keine Übersetzung erforderlich.
Aber vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass die gesetzlichen Renten hier so viel niedriger sind als z.B. in Österreich.
Seht selbst:

Kosten_der_NATO-Kriege

In der Mitte Europas sind 2 weiße Flecken: Österreich und die Schweiz.
So geht’s auch.

Schlussfolgerung:

Nein_zur_Nato_DDR1957

Siehe auch:

70 Jahre Terror – Die blutige Historie der NATO

abrüsten statt aufrüsten – Bitte die Online-Unterschriftensammlung unterzeichnen !

und

Ein hochgefährliches Kräftemessen – General Mark Milley: „Der nächste Weltkrieg ist fast unvermeidbar.“

Über Kommentare hierzu würde ich mich freuen.
Jochen

Unterschriftensammlung „Gewerkschafter sagen: Nein zum Krieg – Nein zum Krieg gegen den Sozialstaat“

Kollwitz_KriegIch hoffe, dass sich noch viele Gewerkschafter und andere Friedensfreunde dazu entschließen, den Aufruf zu unterschreiben !

Eine Unterschriftenliste zum Ausdrucken kann hier herunter geladen werden: Unterschriftensammlung

Ausgefüllte Listen, auch wenn nur eine Unterschrift darauf ist, bitte entweder per Post senden an: Gotthard Krupp, Postfach 120 364, 10593 Berlin oder per FAX an 030 3131662 oder einscannen und als .jpg an GotthardKrupp@t-online.de senden !

 

Politische Arbeitskreise für unabhängige Arbeitnehmerpolitik - Berlin

„Wer soziale Gerechtigkeit will, muss den Frieden erkämpfen“

Seit einem Jahr tobt ein grausamer Krieg in der Ukraine. Weder den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine noch die kriegerische Eskalation durch die Nato, unter Führung der USA, haben die russischen, die ukrainischen, und auch nicht die deutschen Arbeitnehmer*innen entschieden. Mit den Lieferungen immer schwererer Waffen und massiver Kriegsaufrüstung durch die europäischen Regierungen und die USA droht die Gefahr weiterer Eskalation, bis hin zu einem neuen Weltkrieg.

Für das 100 Milliarden Euro Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung, inzwischen geht es um über 300 Milliarden Euro, und der Aufstockung der 2% des BIP des Rüstungshaushaltes auf 3% bis 2030 durch die Nato-Länder (für Deutschland ein zweistelliger Milliardenbetrag) soll die arbeitende Bevölkerung und Jugend einen hohen Preis bezahlen:

  • Mit einer neuen Offensive der Kaputtsparpolitik gegen die Krankenhäuser: Lauterbachs „Reform“ heißt das Aus für über 1.000 Kliniken.
  • Mit weiterem Reallohnverlust, so das „Angebot“ der öffentlichen Arbeitgeber, Regierungen…

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Europas Zukunft: Zehn Varianten des Abstiegs

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

dagmar henn

Ein intelligenter Kommentar von Dagmar Henn:
https://freeassange.rtde.live/meinung/168623-europas-zukunft-zehn-varianten-abstiegs/
Auszüge:

Es wird getan, als ginge es um die Ukraine; in Wirklichkeit geht es um eine Welt ohne Kolonialismus. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Europa könnte damit gut leben. Aber es fehlt die politische Kraft, um an die Stelle verbissener Verteidigung der alten Ordnung die neue zu setzen.

Überlegungen, wie die ganze gegenwärtige Krise – nicht nur in Bezug auf die ukrainische Front, sondern auf die globale Veränderung – für Europa enden könnte, beginnt man vielleicht am besten mit dem wünschenswerten Ergebnis. Für die weit überwiegende Mehrheit der europäischen Bevölkerungen wäre das eine Eingliederung in eine künftige Weltordnung souveräner Staaten mit gleichen Rechten.

In einer solchen Ordnung würden zwar die enormen Geldflüsse entfallen, die augenblicklich das Ergebnis der westlichen Macht sind, aber von diesen Geldflüssen profitiert nur eine verschwindende Minderheit. Für die allermeisten bieten die enormen, in wenigen Händen konzentrierten Geldbeträge nur Nachteile – um für all dieses Geld eine Verzinsung zu ermöglichen, steigen die Mieten und werden alle möglichen Lebensbereiche, wie das Gesundheitswesen, künstlich kommerzialisiert.

Nur als Beispiel dafür: In Deutschland besitzt gerade ein Prozent der Einwohner Wohnungen, in denen sie nicht selber leben. Darunter sind aber noch ein Menge Menschen, die etwa als Altersvorsorge genau eine Wohnung besitzen, die sie vermieten.
Nur dieses eine Prozent profitiert von den stetig steigenden Mieten. 99 Prozent haben davon einen Nachteil, denn selbst für die Eigentümer von selbstgenutztem Wohnraum wird der mögliche Vorteil eines steigenden Werts durch größere Probleme, dieses Eigentum überhaupt zu bilden, ausgeglichen.

Ein Verschwinden dieser Geldflüsse – was mit einem Bedeutungsverlust von Kolonialstrukturen wie IWF und Weltbank einhergeht – würde die Struktur des internationalen Handels verändern, der in vielen Bereichen heute von der Peripherie ins Zentrum fließt. An die Stelle des Abschöpfens müsste wieder ein Austausch von Gütern treten.
Dabei würde sich natürlich auch die Verteilung der Produktion ändern, weil eine Befreiung von kolonialen Lasten vielerorts eine nachholende Industrialisierung ermöglichen würde. Das heißt, die Rolle der jeweiligen Binnenmärkte würde in allen Ländern zunehmen.

Das klingt für deutsche Ohren, denen jahrzehntelang der Exportweltmeister als Ideal vorgesungen wurde, erst einmal irritierend, aber eine auf den Binnenmarkt konzentrierte Ökonomie ist für abhängig Beschäftigte ein Vorteil, weil die Löhne es ermöglichen müssen, die produzierten Waren auch zu erwerben.

Das wäre alles natürlich noch weit ausführlicher darzustellen; aber nehmen wir es einmal als gegeben an, dass eine Eingliederung auch der europäischen Länder in eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung möglich wäre.
Dennoch sind die politischen Machtverhältnisse augenblicklich derart von den Interessen maximal des obersten Promilles dominiert, das sich mit allen Kräften einer Veränderung der globalen Ordnung widersetzt. Um diese Zustände zu erhalten, wurden die demokratischen Mechanismen weitgehend außer Kraft gesetzt (die EU war dabei ein entscheidendes Mittel) und die öffentliche Meinung einer nie dagewesenen Kontrolle unterworfen. Wie also soll ein Weg von Zustand A in Zustand B möglich sein? Augenblicklich sind – trotz der massiven Proteste wie gerade in Frankreich – keine politischen Kräfte sichtbar, die im Stande wären, an den Machtverhältnissen im Innern des Westens etwas zu ändern.

Aber schließen wir die Möglichkeit nicht völlig aus; eine weitere Zuspitzung mag noch für Überraschungen sorgen.
Doch es gibt noch eine andere Variante, die aus einer westlichen Niederlage resultieren könnte, einen massiven wirtschaftlichen Zusammenbruch. Tatsächlich wäre dieser die zwangsläufige Konsequenz, wenn die erforderliche politische Anpassung an die geänderten globalen Verhältnisse nicht möglich ist.

Dabei sind folgende Punkte wichtig: Wirtschaftskrisen vom Kaliber 2008 oder 1929 sind chaotische Prozesse, und es hat zwar ab 2008 die Möglichkeit gegeben, die Folgen der Krise durch massive Geldschöpfung zu vertagen, aber weder war es möglich, ihre Entstehung zu verhindern, noch wurden die auslösenden Probleme auch nur ansatzweise gelöst.
Das heißt, wenn sich die verschiedenen Faktoren wie extreme Staatsverschuldung (insbesondere in den USA), massive Überbewertungen beispielsweise bei Immobilien und schwindender Einfluss des US-Dollars durch welchen Anstoß auch immer in eine große ökonomische Krise umsetzen, hat keine Regierung der Welt die Möglichkeit, das aufzuhalten.
Allerdings gibt es zwei Faktoren, die es möglich erscheinen lassen, dass diese Krise weitgehend auf den Westen beschränkt bleibt – je geringer der Einfluss des US-Dollars und je stärker die Abkopplung der ökonomischen Zonen, die der Westen mit seinen Sanktionen stetig weiter vorantreibt, desto besser die Chancen für den nichtwestlichen Teil der Welt, von dieser Krise nicht oder nur begrenzt betroffen zu werden.

Der ökonomische Zusammenbruch (denn darum würde es sich für den Westen handeln) ist gewissermaßen der Joker im Spiel, der zumindest partiell unabhängig von den militärischen und politischen Entwicklungen jederzeit auftauchen kann; einzig die Wahrscheinlichkeit des Eintritts steigt im Zeitverlauf beständig.
Dabei ist die wahrscheinlichste Variante eine Mischung aus der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. und der deutschen Inflation 1923, also 2008 auf Steroiden mit einer Hyperinflation als Dreingabe. Falls, oder eher, wenn diese ökonomische Krise zuschlägt, dann ist der globale Westen handlungsunfähig, außer in einem einzigen Punkt, der leider ein Problem bleiben wird, solange in den USA die Neocons das Sagen haben – er befindet sich immer noch im Besitz nuklearer Waffen.
Diesen Punkt zu diskutieren, ist allerdings unnütz, das Ergebnis steht fest.

Diese ökonomische Erschütterung wird zwangsläufig, über kurz oder lang, auch das politische Gefüge erschüttern; schlicht deshalb, weil innerhalb des Bestehenden kein Ausweg möglich ist. Das Vertagen der Krisenfolgen wie nach 2008 funktioniert nicht mehr; sollten zu diesem Zeitpunkt noch größere Reste der alten Position des US-Dollars übrig sein, dürften sie sich nach Einsetzen dieser Krise in unvorstellbarer Geschwindigkeit verflüchtigen, schon allein, weil jeder Staat außerhalb des westlichen Kerns bemüht sein wird, in diese Entwicklung nicht mit hineingezogen zu werden.

Wie tief der Absturz wird, und wie lange es zu einer Erholung brauchen wird, hängt nicht nur in diesem rein ökonomischen Szenario davon ab, ob sich ausreichend politische Kräfte finden, die eine Rekonstituierung demokratischer Prozesse tragen und eine ökonomische Anpassung im Interesse der Bevölkerung vorzunehmen im Stande und willens sind.
Die gegenwärtige politische Elite in den europäischen Ländern dürfte dafür vollständig untauglich sein. Wobei die ganzen gegenwärtigen Bemühungen, einen Dissens und die Bildung politischer Gegenkräfte mit allen Mitteln zu verhindern, letztlich absurd sind – weder die globale Veränderung noch die ökonomische Krise werden dadurch verhindert, was bedeutet, dass letztlich dadurch auch die Macht der gegenwärtigen Eliten nicht gesichert werden kann; aber die Entwicklung eines Europas, das der Welt nicht mehr als Kolonialherr gegenübertritt, und damit die Möglichkeit eines Auswegs aus der Krise werden sabotiert.

Legen wir den Joker beiseite und betrachten, welche Entwicklungen auf der politischen Ebene möglich sind – ohne zu vergessen, dass in den meisten Versionen der Joker früher oder später dennoch ins Spiel kommt.

Die erste Version wäre eine lineare Verlängerung der Gegenwart. Die gesamte EU bleibt den USA völlig hörig, die USA selbst setzen ihr „Solange es nötig ist“ auf stetig weiter schrumpfendem Gebiet fort und eröffnen zusätzlich eine zweite Front gegen China, in die sich die EU ebenfalls ziehen lässt. Wenn man die Aussagen beispielsweise des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell liest, ist diese Version durchaus möglich.
Während die Kämpfe in der oder vielmehr um die Ukraine aufrechterhalten werden und langsam Richtung polnischer Grenze geschoben werden, könnte eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China sehr schnell eskalieren, schlicht deshalb, weil in einem weitgehend maritimen Konflikt für China gar keine andere Möglichkeit bestünde, als die Flugzeugträgergruppen der USA anzugreifen. Freundliche Hilfe Russlands in der einen oder anderen Art, um auch mit den US-U-Booten umgehen zu können, kann man voraussetzen. Eine schnelle Eskalation hieße eine schnelle Niederlage der USA. Eine derart sichtbare, unverkennbare Niederlage, dass die ökonomische Krise vermutlich auf dem Fuß folgen würde.
Welche Folgen das in den gegenwärtig politisch tief gespaltenen USA hätte, ist schwer vorherzusagen, aber das wirksamste Mittel gegen ein Umschlagen in einen Bürgerkrieg könnte dann der Mangel an Munition sein.
Auf jeden Fall wäre das Resultat ein völliger Glaubwürdigkeitsverlust der einen Seite, und politische Instabilität. In vermindertem Maß gilt das auch für Europa, das zu diesem Zeitpunkt dank der mit Sicherheit eingeführten Sanktionen gegen China in einer Rezession steckt, selbst ohne Aktivierung der großen Krise. Das wäre dann ein langsamerer Abstieg, der aber, gerade weil langsamer, die Kontrolle durch die bestehende Macht verlängert und damit die Bildung politischer Gegenkräfte weiter verzögert.

Version zwei wäre ein mehr oder weniger schneller Rückzug der USA von der ukrainischen Front, um „die Hände frei“ für China zu haben, wie das jüngst der CDU-Verteidigungspolitiker in geradezu freudiger Erwartung formulierte, weil er eine „deutsche Führungsrolle“ in der Ukraine erhoffte. Das sind Untervarianten A und B –
A wäre eine Übernahme der Führung in der EU in Bezug auf die Ukraine durch Deutschland, was eine Verlangsamung zur Folge hätte (Russland hat es nicht eilig, und das deutsche Militär will sich auf keinen Fall in der Ukraine wiederfinden) und womöglich zu Versuchen von EU-Seite führt, das Ganze einschlafen zu lassen; eine realistischere Option, wenn die Grünen nicht länger Teil der Regierung wären. Es ist aber, dank der gründlichen Vorarbeit von Angela Merkel bei Minsk, nicht allzu wahrscheinlich, dass sich Russland auf deutsche Verhandlungspartner einlässt.
Schon der Versuch würde allerdings zu Problemen zumindest mit Polen und den Balten führen, die, gäbe es eine deutsche Regierung mit einem Ansatz von Rückgrat, durch Verweis auf die EU-Subventionen beherrschbar wären; allerdings auch nur, solange die EU als Rahmen existiert. Wenn allerdings die Mittel knapp werden, weil die EU in der Rezession versinkt, fehlt das Mittel, Polen zu kontrollieren, und ein abrupter Wechsel hin zu Untervariante B mit Billigung der USA ist nicht auszuschließen.
B: Das wäre die Eskalation durch den Einsatz polnischen Militärs, um den Krieg selbst dann fortzusetzen, wenn Kiew personell dazu nicht länger im Stande ist. Die bei weitem unberechenbarste Version, zum einen wegen der innigen Nähe der jetzigen polnischen Regierung zu den US-Neocons, zum anderen, weil die Reaktion der Bundesregierung auf polnische Reparationsforderungen, der nicht einmal ein Verweis auf Oberschlesien über die Lippen kam, fürchten lässt, dass sie in diesem Fall zwar zumindest eine Zeit lang das Mitmarschieren verweigern würde, aber nicht im Stande wäre, daraufhin auf Abstand zu gehen. In welchem Fall das Auftauchen des Jokers geradezu einer Erlösung aus einem langen Elend gleichkommen könnte. Außer, es fänden sich noch andere EU-Staaten, die das polnische Spiel nicht mitmachen wollten.

Vermutlich ebenfalls in Richtung der polnischen Variante dürfte es gehen, sollten in der Ukraine Armee und Staat plötzlich zusammenbrechen. Dann würde das Ganze wahrscheinlich mit einer humanitären Erzählung bekränzt, was dafür sorgt, dass Deutschland und Frankreich diesem Marsch in den Sumpf wenig entgegensetzen. Die EU-Spitze wäre ohnehin mit wehenden Fahnen mit dabei. Das Ergebnis wäre eine partielle Umkehrung der ersten polnischen Variante – erst die polnische Intervention, gefolgt vom Rückzug der USA, die sich dann darauf verlassen könnten, den Rest der EU in der Falle zu haben.
Das wäre der langsamste und schmerzhafteste Niedergang, enthielte aber bei einer entsprechenden russischen Reaktion und einem Durchmarsch bis weit in den Westen zumindest die Hoffnung, dass sich das Problem der gegenwärtigen politischen Eliten erledigt hat.

Das größte Risiko für das Bestehen der EU ist die Entwicklung in Frankreich. Dort dürften die Proteste zunehmen, wenn sich die wirtschaftliche Lage in der EU verschlechtert; aber für einen Sturz Macrons und ein Entrinnen aus der Umklammerung durch die EU dürften friedliche Proteste nicht genügen, auch dann nicht, wenn sie mit Generalstreiks kombiniert werden. Das haben die Auseinandersetzungen in der Euro-Krise in Griechenland und Portugal bewiesen. Nicht einmal 12 Prozent der Bevölkerung auf der Straße genügten 2013 in Portugal, auch nur die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.
Ein Ende der EU, das die Voraussetzung für eine Rückkehr zu demokratischen Zuständen wäre, würde erfordern, dass mindestens Frankreich oder Deutschland aussteigt; ein Austritt Ungarns würde nicht genügen. Dass der ökonomische Angriff der USA auf Europa Deutschland als erstes Ziel hatte, hat die Binnenverhältnisse sogar stabilisiert, weil die deutsche Dominanz in den letzten beiden Jahrzehnten die Hauptquelle für Unmut war.
Die jetzigen europäischen Politiker dürften eher an diesem Rahmen festhalten, um damit die Möglichkeit ihres Sturzes zu verringern, selbst wenn das ganze Staatenbündnis bis zum Hals im Wasser steht.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die polnische Variante fast vorteilhaft, weil sie die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zwangsrahmen zerbricht, etwas erhöht.

Gesetzt den Fall, der Krieg in der Ukraine schleppt sich ohne Ausweitung auf China hin bis zu den US-Wahlen, gäbe es noch die Variante, dass ein neu gewählter US-Präsident Donald Trump in Kiew anruft und trocken mitteilt, jetzt gäbe es nichts mehr, was das Problem Ukraine per Zusammenbruch lösen würde.
Die EU-Führung würde vermutlich einige Wochen brauchen, um sich von der Schockstarre zu erholen, aber eine kleinere Version des polnischen Szenarios ist dennoch nicht ausgeschlossen. Allerdings sind die US-Wahlen erst Ende 2024.

Gänzlich unwahrscheinlich ist leider die Version, dass die Führung der EU sich eines Besseren besinnt und sich von den USA abkoppelt. Das würde im Prinzip die weichste Landung ermöglichen – ein Ende der Unterstützung der Ukraine, eine geordnete Auflösung der EU und eine, wenn auch mühsame, Neuorientierung hin auf die multipolare Welt. Der beste Zeitpunkt dafür wäre der Moment, wenn die USA ihren Fokus auf China verschieben. Aber ein Blick auf das Brüsseler Personal genügt, um diese Version ins Reich der Märchen zu verweisen.

Eine wirklich optimistische Variante, nach der in ein, zwei, drei europäischen Ländern die vorhandenen Regierungen entmachtet und die NATO aus dem Land gekegelt wird, um anschließend unter zumindest möglicher Umgehung einer tiefen ökonomischen, politischen und sozialen Krise die Anpassung an die neuen Verhältnisse zu beginnen, ist derzeit nicht sichtbar.

Das ist die wirkliche Tragik der Entwicklung. Denn die europäische Geschichte ist nicht nur eine des jahrhundertelangen Raubes rund um die Welt, der von oben orchestriert wurde; sie ist auch eine Geschichte eines jahrhundertelangen Kampfes von unten um politische Rechte und die politische Macht; ein Kampf, ohne den weder die Idee von Menschenrechten noch von Demokratie noch die des Völkerrechts je geboren worden wäre.
Aber die Erinnerung an diesen Teil der Geschichte, mit seinen Siegen und Niederlagen, seinen Errungenschaften und Widersprüchen, wurde erfolgreich ausgelöscht.

Selbst die Franzosen scheinen vergessen zu haben, wie man die Bastille stürmt.

Mein Kommentar: Irgendwie habe ich hier nicht mitbekomen, wo die eine Version aufhört und die nächste anfängt. Nur den Schluss kann ich vollumfänglich teilen.
Über Eure Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

„Olaf Scholz lügt!“ Fabio De Masi über dessen Cum-Ex-Affäre

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Fabio_de_MasiGanz aktuell aus der Berliner Zeitung eine sehr ausführliche Stellungnahme von Fabio De Masi. Im Anhang demnächst ein aktuelles Interview:
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/dokumentation-skandal-um-warburg-bank-fabio-de-masi-ueber-cum-ex-affaere-olaf-scholz-luegt-li.337303
Auszüge:

Unser Autor legt minutiös die Widersprüche des Bundeskanzlers offen.
De Masi hat im Hamburger Untersuchungsausschuss selbst als Zeuge ausgesagt.

Am 14. April 2023 habe ich als Zeuge vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft (das Landesparlament der Freien und Hansestadt Hamburg) zurCum-Ex-Steuergeldaffäreausgesagt.
MMWarburg_logoIm Mittelpunkt stehen dabei der derzeitige Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Rolle als Erster Bürgermeister von Hamburg in Steuerverfahren der Hamburger Privatbank M.M. Warburg & Co sowie auch der ehemaligen HSH Nordbank.

Worum es geht? Olaf Scholz und der Cum-Ex-Banker

Die Finanzverwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg vollzog nach Intervention der Finanzbehörde (das Hamburger Finanzministerium) 2016 eine spektakuläre Kehrtwende und wollte auf insgesamt etwa 90 Millionen Euro krimineller Cum-Ex-Tatbeute der Warburg-Bank verzichten.
Das Finanzamt für Großunternehmen hatte zuvor in einer umfangreichen rechtlichen Stellungnahme keine andere Möglichkeit als den Einzug der Tatbeute gesehen, um eine steuerliche Verjährung zu unterbinden.
Die nachträgliche Einziehung im Strafprozess war damals noch nicht absehbar.
Der Warburg-Bank, die Cum-Ex-Geschäfte bestritt, hätten auch nach Einziehung immer noch Rechtsmittel offen gestanden. Mittlerweile musste die Bank (nachträglich) die kriminelle Cum-Ex-Tatbeute zurückzahlen, und höchste Gerichte entschieden gegen die Warburg-Bank.

Hamburg vollzog diese Kehrtwende, nachdem Olaf Scholz die Warburg-Gesellschafter Christian Olearius und Max Warburg insgesamt dreimal persönlich traf und mit ihnen das Steuerverfahren besprach. Zu diesem Zeitpunkt wurde gegen Olearius bereits wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt, und es hatte eine Razzia bei der Bank stattgefunden. Ein Referent hatte Scholz vor dem ersten Treffen ausdrücklich vor dem Thema Cum-Ex gewarnt.

Olearius wollte die Rückforderung der Finanzverwaltung verhindern und begründete dies unter anderem mit wirtschaftlichen Risiken für die Bank. Eine steuerliche Verjährung der Tatbeute schien dabei ein eleganter Weg für alle Beteiligten.
Dabei haftete Olearius als Gesellschafter jedoch mit seinem eigenen privaten Vermögen. Es ging bei den Treffen mit Scholz daher auch nie um die Bank, die laut Auffassung der Finanzaufsicht gar nicht bedroht war, sondern um das Privatvermögen eines der reichsten Dynastien Hamburgs.
Dies mutet so an, als würde ein Bankräuber bei seiner Verhaftung sagen: „Ich gebe Euch die Beute nicht wieder, sonst bin ich bankrott!“ Abgesehen davon, dass das nicht angeht, ist es bei einer Steuerforderung so, dass sie entweder besteht oder eben nicht. Eine strauchelnde Bank kann nicht darüber gestützt werden, dass man bestehende gesetzliche Steuerforderungen nicht eintreibt. Die Bank musste später schließlich zahlen; sie ging erwartungsgemäß nicht bankrott.

In einem Indizienprozess wäre Scholz überführt

Drei Treffen eines Ersten Bürgermeisters (im Range eines Ministerpräsidenten) mit einem potenziellen Steuerhinterzieher zu einem laufenden Steuerverfahren sind bemerkenswert. Umso mehr, da Scholz in der ersten Befragung zur Warburg-Affäre am 4. März 2020 im Deutschen Bundestag ausführte, dass er schon immer der Auffassung gewesen sei, dass Cum-Ex-Geschäfte illegal sind und waren, egal wie viele Gutachten irgendwelche Professoren oder Rechtsanwälte produzierten.
Hätte da nicht maximal ein Treffen gereicht, um dies den Cum-Ex-Bankiers mitzuteilen?

Und warum forderte Scholz den Cum-Ex-Bankier Olearius in einem Telefonat auf, eine Verteidigungsschrift der Warburg-Bank, die bereits in der Finanzverwaltung vorlag, an den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher „kommentarlos“ weiterzuleiten?
Was sollte der Finanzsenator, der das Schreiben mit Unterstreichung der Argumente der Warburg Bank erneut in die Finanzverwaltung reichte, denn mit dem Schreiben machen?
Zumal der Bundeskanzler später selbst einräumte, dass die Weitergabe eines solchen Schreibens in die Finanzverwaltung durch einen Politiker Einflussnahme ist.
Warum forderte der Bundeskanzler Olearius damals sogar auf, sich in dieser Angelegenheit an ihn – Scholz – zu wenden, wie später durch Tagebücher bekannt wurde?

Warum versuchte Olaf Scholz, den Bundestag und die Öffentlichkeit über diese Treffen zu täuschen und konnte sich erst in einer dritten Befragung des Bundestages plötzlich weder an die Treffen noch an das Schreiben erinnern, obwohl er sich zu beidem zuvor noch konkret geäußert hatte? Und warum steht Scholz bis heute zu seinem Mentor, dem ehemaligen Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD), der für die Vermittlung der Treffen mit der Warburg-Bank bezahlt wurde?

Herr Olearius, packen Sie aus, es geht um Ihr Vermächtnis!

Auch mich wollte der Warburg-Gesellschafter Christian Olearius gegen Ende meiner Mandatszeit im Bundestag treffen. Ich machte dies öffentlich. Und ich willigte in ein Treffen ein, da ich kein Amt mit Einfluss auf die öffentliche Verwaltung ausübte, sofern sich Olearius dem Hamburger Untersuchungsausschuss stellen würde. Seither habe ich nie wieder von ihm gehört.
Ein Vertrauter von Olearius beschimpfte mich hiernach als charakterlos. Mein Angebot an Herrn Olearius steht weiterhin: Packen Sie aus, es geht um Ihr Vermächtnis!
Dasselbe empfehle ich der Finanzbeamtin Daniela P,, die nun das Bauernopfer wird, sowie dem ehemaligen SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs.
Man hat nur ein Leben. Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun! Ihnen droht womöglich Gefängnis!

Denn das erste Treffen zwischen Scholz und den Bankiers wurde von zwei einflussreichen Mitgliedern der SPD Hamburg arrangiert, einem persönlichen Mentor (dem ehemaligen SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk) und einem Strippenzieher von Scholz (dem ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und Rüstungslobbyisten Johannes Kahrs). Kahrs kassierte später Parteispenden von Warburg, Scholz’ Mentor wurde direkt bezahlt.
Scholz hält Pawelczyk bis heute die Treue. Gegen Kahrs wird in der Warburg-Affäre strafrechtlich ermittelt.

Olaf Scholz räumte trotz entsprechender Nachfragen des Hamburger Senats keines der Treffen mit den Bankiers ein, bis er mit beschlagnahmten Tagebüchern eines Bankiers konfrontiert wurde.
Erst zur dritten Befragung im Bundestag und nach einer erheblichen medialen Welle will der „Aktenfresser“ Scholz angeblich seinen Kalender überprüft haben und beruft sich nunmehr auf Erinnerungslücken.
Dies ist vollkommen unglaubwürdig.

Eine nachgewiesene Einflussnahme des Bundeskanzlers wäre strafbar und müsste das Ende seiner Kanzlerschaft einleiten. Mehr als 70 Prozent der Bundesbürger glauben laut einer Umfrage Scholz in der Warburg-Affäre nicht.
Die gefühlte Wahrheit der Bevölkerung stimmt. Warum das so ist, werde ich im Folgenden darlegen.

Warum ein neuer Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag?

Die kriminellen Cum-Ex-Geschäfte und das Versagen der Politik, diese zu unterbinden, waren vor meiner Zeit im Deutschen Bundestag bereits einmal Thema eines eigenen Untersuchungsausschusses.
Nun soll zusätzlich zum Hamburger Untersuchungsausschuss zur Warburg-Affäre ein weiterer Untersuchungsausschuss hierzu im Bundestag hinzukommen.
Denn längst geht es nicht mehr nur um Olaf Scholz’ Rolle als Erster Bürgermeister, sondern darum, wie er sich als Finanzminister in mehreren Befragungen, die ich im Bundestag 2020 initiiert hatte, in Widersprüche verwickelte.

Da die Vorwürfe gegen Scholz in seine Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs fielen, hat zuvor nur die Hamburger Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuss eingerichtet. Jedoch wurde erst durch die Freigabe des geheimen Protokolls einer Befragung im Bundestag öffentlich, dass die von Olaf Scholz bemühten „Erinnerungslücken“ hinsichtlich zunächst verheimlichter Treffen mit Warburg-Bankiers in der Causa Cum-Ex erst sehr spät auftraten.
Denn Scholz schilderte auf meine Nachfrage hin in der zunächst als geheim eingestuften Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages am 1. Juli 2020 den Ablauf des zuerst bekannt gewordenen Treffens.
Erst als weitere Treffen bekannt wurden, die er trotz wiederholter Nachfrage zuvor verschwiegen hatte, berief er sich fortan auf Erinnerungslücken. Dieses Muster lässt sich an mehreren Stellen nachweisen.

Uneidliche Falschaussage des Bundeskanzlers?

Gegenüber dem Hamburger Untersuchungsausschuss konnte sich Scholz jedoch an keines der drei Treffen mehr erinnern. Daher stand im Raum, dass er in seiner nunmehrigen Rolle als Bundeskanzler den Hamburger Untersuchungsausschuss belogen hat. Denn im Bundestag hatte er ja eine konkrete Erinnerung geschildert.
Dies würde den Straftatbestand der uneidlichen Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes gemäß § 162 Absatz 2 des Strafgesetzbuches erfüllen.

Eine Falschaussage vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages wäre hingegen nicht strafbar, da dieser kein Untersuchungsausschuss ist. Die der grünen Justizsenatorin in Hamburg unterstehende Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Scholz jedoch unter anderen mit der Begründung eingestellt, dass Scholz seine zwischenzeitliche Erinnerung im Bundestag womöglich nur vorgetäuscht habe. So viel zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in Hamburg.

Ich habe seit 2020 die Offenlegung des geheimen Protokolls der zweiten Scholz-Befragung im Bundestag beantragt. Doch es erforderte erst eine Bundestagswahl und den Marsch der CDU/CSU in die Opposition, um dies durchzusetzen.
Ich erhielt dafür 2020 nur von den Grünen Unterstützung, bis die Wirtschaftswoche das Thema kurz vor der Bundestagswahl aufgriff und plötzlich alle dafür waren.
Das Finanzministerium verschleppte jedoch die Freigabe bis über die Wahl hinaus und bestand auf umfangreiche Schwärzungen.
Als FDP und Grüne in die Regierung einzogen, war ihr Interesse an der zuvor selbst geforderten Transparenz auf wundersame Weise erloschen.

Meine frühere Partei kommt in der Warburg-Affäre auf Bundesebene kaum noch vor und hat sich das Thema komplett von der Union aus der Hand nehmen lassen, obwohl diese sich beim Thema Cum-Ex selbst unangenehme Fragen gefallen lassen müsste und ich Olaf Scholz maßgeblich genau in jene Widersprüche verwickelt habe, die nun zur Einsetzung von zwei Untersuchungsausschüssen geführt haben. Ein Trauerspiel!

Parallel ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Köln weiter und ließ etwa Kalender von Olaf Scholz aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister und Kommunikation seiner Büroleiterin im Kanzleramt sowie des ehemaligen SPD-Abgeordneten und Warburg-Lobbyisten Johannes Kahrs beschlagnahmen.
Ein weiterer Untersuchungsausschuss könnte daher noch spannend werden. Doch zunächst ist es erforderlich zu verstehen, dass wir bei Cum-Ex-Geschäften über organisierte Kriminalität und damit schwerste Straftaten sprechen.

Wie funktioniert Cum-Ex?

Bei Cum-Ex-Geschäften wurden Aktien rund um den Dividendenstichtag durch institutionelle Investoren (zum Beispiel Fonds oder Banken) in einem Aktien-Karussell verschoben, sodass für den Staat nicht mehr nachvollziehbar war, wer der tatsächliche Eigentümer der Aktien zum Zeitpunkt der Dividendenausschüttung war.
Vereinfacht gesprochen funktioniert dies, wie eine Bierflasche im Supermarkt abzugeben und den Pfand-Bon auf den Kopierer zu legen, um dann mit Freunden an die Supermarktkasse zu gehen und mehrfach Pfand zu kassieren.
Der Unterschied: Ein kopierter Pfandbon wird erkannt. Die Supermarktkasse ist das Finanzamt, und es geht nicht um ein paar Cent, sondern um Milliarden.

Institutionellen Investoren, die über Aktien Anteile an anderen Unternehmen halten, steht nämlich unter bestimmten Voraussetzungen ein Erstattungsanspruch auf gezahlte Kapitalertragssteuer zu, um eine doppelte Besteuerung (auf Ebene des Unternehmens und bei Ausschüttung der Gewinnbeteiligung) zu vermeiden. Depot-Banken (diese verwahren die Aktie im Auftrag der Investoren) stellten dabei den Investoren Bescheinigungen über Abführung der Kapitalertragssteuer aus.

Diese Bescheinigungen wurden aber auch für Investoren ausgestellt, die gar keine Steuer abgeführt hatten. So konnten bei einem schnellen Aktien-Karussell mehrere Erstattungen für eine Aktie beantragt werden.
Wichtig ist dabei auch zu wissen, dass Cum-Ex-Geschäfte illegale Absprachen beteiligter Banken und Fonds erfordern.
Die Behauptung der Warburg-Bank, sie habe nicht gewusst, dass sie Cum-Ex-Gestaltungen vollziehe, ist daher blanker Unfug und von höchsten Gerichten verworfen worden.
Da Milliardensummen an Aktien bewegt wurden, hätten diese Geschäfte ohne den Profit, der unmittelbar aus der Staatskasse kam, Verluste erzeugt. Cum-Ex-Geschäfte ergeben ohne kriminelle Absicht keinen Sinn.

Cum-Ex-ähnliche Geschäfte kosteten etwa eine Million Euro für jede Schule in Deutschland

Da es um sehr hohe Summen ging, war der Steuerschaden aus Cum-Ex-Geschäften auch entsprechend hoch und summierte sich auf etliche Milliarden. Nimmt man zu den Cum-Ex-Geschäften die etwas anders gelagerten Cum-Cum-Geschäfte hinzu, bei der ausländische Investoren inländische Investoren nutzen, um eine Erstattung auslösen, die ihnen nicht zusteht, dürfte der Steuerschaden laut Christoph Spengel, einem renommierten Professor für Steuerlehre an der Universität Mannheim, etwa 30 Milliarden Euro betragen.

Deutschland verfügt über etwa 30.000 Schulen. Dies entspräche also etwa einer Million Euro für jede Schule in Deutschland. Angesichts der Schuldenbremse und der Zinserhöhungen der Zentralbank bezahlen wir teuer für diese Kriminalität der Bankster im Nadelstreifen.

Das Cum-Ex-Netzwerk in der deutschen Politik

Kürzlich hat die CDU/CSU drei Jahre nach Bekanntwerden der Affäre und den drei Befragungen von Olaf Scholz, die ich im Jahr 2020 im Bundestag hierzu initiierte, angekündigt, einen weiteren Untersuchungsausschuss im Bundestag einzurichten. Dies ist ehrenwert, aber leider nicht ganz frei von Ironie.
Denn auch dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Friedrich Merz, dürfte das Thema der Cum-Ex-Aktiendeals nicht völlig fremd sein. Er war unter anderem als Aufsichtsrat für den Vermögensverwalter Blackrock Deutschland tätig, in dessen Münchner Büros im Herbst 2021 eine Durchsuchung der Kölner Staatsanwaltschaft mit Bezug zu Cum-Ex stattfand.
Außerdem saß er seit 2010 im Aufsichtsrat der Düsseldorfer Privatbank HSBC Trinkhaus, die zur britischen HSBC-Gruppe gehört. Bei Vorständen der Düsseldorfer Bank fanden Cum-Ex-Razzien statt.
Und Merz war erst Partner und dann Senior Counsel der Kanzlei Mayer Brown. Diese warb um Kunden mit Cum-Ex-Vergangenheit und schrieb auf ihrer Homepage: „Marktteilnehmer könnten als Resultat aus Cum-Ex-Geschäften wachsenden Rechtsrisiken gegenüberstehen.“ Die Kanzlei wolle ihren Kunden helfen, diesem „Risiko entgegenzuwirken“.

Die FDP wiederum umgarnte den ehemaligen Finanzbeamten und Steueranwalt Hanno Berger, der Milliardäre und Multimillionäre dabei beriet, wie sie mit ihrem Privatvermögen über Fonds von Cum-Ex-Deals profitieren können, die institutioneller Investoren bedürfen.
Hanno Berger, der nach Auslieferung durch die Schweiz vom Landgericht Bonn zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt wurde (er geht gegen das Urteil in Revision, ein weiteres Urteil droht ihm derweil vor einem Gericht in Wiesbaden), „produzierte“ Rechtsgutachten zur Absicherung der organisierten Cum-Ex-Kriminalität. Er pflegte intensive Kontakte zum FDP-Ehrenvorsitzenden Hermann Otto Solms, um etwa auf dem Ticket der FDP Sachverständige in den Finanzausschuss des Bundestages zum Steuerthemen zu hieven, und ließ sich anwaltlich durch den Vizepräsidenten des Bundestages, Wolfgang Kubicki (FDP), vertreten, als dieser noch als Finanzminister einer Jamaika-Koalition gehandelt wurde.

In Nordrhein-Westfalen reichte der engagierte frühere CDU-Justizminister Peter Biesenbach kürzlich Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft Köln ein.
Sein Vorwurf: Das grüne Justizministerium und die Spitze der Kölner Staatsanwaltschaft würden von ihm geschaffene Planstellen nicht mit hinreichend befähigten Ermittlern besetzen.
Denn die komplexen Wirtschaftsstrafverfahren zu Cum-Ex hängen bisher maßgeblich an der engagierten Staatsanwältin Anne Brorhilker.

In Bonn wird zwar ein eigenes Gebäude eigens hierfür errichtet, aber ohne den politischen Willen, ausreichend fähige Ermittler mit den komplizierten Verfahren zu betrauen, werden die Jahrhundertprozesse scheitern.
Auch in Baden-Württemberg setzt die grün-schwarze Koalition bei den Cum-Ex-Geschäften der eigenen Landesbank auf nur einen Ermittler. Die der grünen Justizsenatorin unterstellte Staatsanwaltschaft in Hamburg wiederum hat nicht nur alle Ermittlungen gegen Olaf Scholz wegen einer uneidlichen Falschaussage vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss zur Warburg-Affäre umgehend eingestellt, sondern es musste immer wieder die Kölner Staatsanwaltschaft auf den Plan treten, um Hamburger Cum-Ex-Banken zur Rechenschaft zu ziehen.

Es gäbe also quer durch etliche Parteien genug zu besprechen. Aus meiner Sicht wäre es zumindest mehr als angemessen gewesen, den Untersuchungsauftrag zu erweitern.
Warum etwa nicht die Rolle von Wolfgang Schäuble (CDU) beleuchten, der mit einem Schreiben als Finanzminister 2016 die Untersuchung etlicher Cum-Cum-Geschäfte erschwerte, die sogar noch mehr Schäden als Cum-Ex angerichtet haben.

Nachdem der Bundesfinanzhof auch gegen Cum-Cum-Deals eingeschritten war, schickte das Bundesfinanzministerium am 11. November 2016 ein Schreiben an die Landesfinanzminister, welches die Verfolgung der Cum-Cum-Geschäfte erheblich einschränkte. Dadurch wurde es für die Finanzämter nahezu unmöglich, die Milliarden an illegalen Cum-Cum-Geldern zurückzufordern.

Auch die Rolle des früheren parlamentarischen Staatssekretärs von Wolfgang Schäuble, des späteren Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), ist hier interessant. Ohne diese Erweiterung auf die genannten CDU-Politiker setzt sich der neu einzurichtende Untersuchungsausschuss leichtfertig dem Vorwurf aus, dass das Interesse an der Aufklärung der Warburg-Affäre nur parteipolitisches Theater der Union ist. Dazu sind die im Raum stehenden Vorwürfe jedoch zu ernst.

Die Rolle der HSH-Nordbank

Auftrag des Hamburger Untersuchungsausschusses ist es herauszuarbeiten, ob Olaf Scholz in seiner Zeit als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg auf ein laufendes Steuerverfahren der Hamburger Privatbank Warburg Einfluss genommen hat.

HSH-NordbankMeine Überzeugung ist, dass das Unheil bereits früher seinen Lauf nahm, als die von der Finanzkrise gebeutelte ehemalige Landesbank HSH Nordbank durch Hamburg und Schleswig-Holstein gerettet wurde.
Faule Assets wie etwa Schiffskredite wurden in eine Bad-Bank ausgelagert, während die Rest-Bank verkauft werden sollte. Man holte die Kohlen für mächtige Reeder und Parteispender im hohen Norden aus dem Feuer.
100.000 Euro hatte etwa der Großreeder Heinrich Schoeller der CDU überwiesen, nachdem er von der HSH Nordbank zwischen 2005 und 2008 Kredite über insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro erhalten hatte.

Die Landespolitiker standen wegen der Bankenrettung in der öffentlichen Kritik, zumal die Bank während der laufenden Rettung Cum-Ex-Geschäfte betrieb. Diese Forderungen waren jedoch noch nicht steuerlich verjährt.
Die Kapitalertragssteuer wird auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt. Mit anderen Worten: Hätten Hamburg und Schleswig-Holstein beherzt durchgegriffen, hätten sie den Verkaufspreis der Bank belastet, aber nur einen Bruchteil der Einnahmen durch den Einzug von Cum-Ex-Tatbeute erzielt.
Dies muss auch Olaf Scholz klar gewesen sein, der mehrere Treffen mit den Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins hatte, um über Cum-Ex zu sprechen. Dies ging aus Kalendereinträgen von Scholz hervor, die bei einer Razzia gefunden wurden. Die Ermittler stießen dabei auch auf Hinweise für gezielte Löschungen von Terminen im Zusammenhang mit der Warburg-Affäre.

Man hat es damals der HSH Nordbank durchgehen lassen, dass diese nach einer von ihr selbst beauftragten Untersuchung von Clifford Chance 2014 etwa 126 Millionen Euro an Cum-Ex-Tatbeute zurückzahlte.
Hamburg_Commercial_Bank-logo2021 erfolgte dann eine Durchsuchung der Kölner Cum-Ex-Ermittler bei der HSH-Nachfolgerin Hamburg Commercial Bank. Die tatsächliche Schadenssumme war nämlich vermutlich erheblich höher.
Mit der damaligen Schonung der HSH Nordbank wurde ein gefährlicher Präzedenzfall für die Warburg-Bank geschaffen. So soll auch der Warburg-Gesellschafter Christian Olearius Kontakt zur HSH Nordbank gesucht haben.
Er wollte offenbar nicht hinnehmen, dass eine ehemalige Landesbank geschont wird, aber sein traditionsreiches Hamburger Privathaus bluten muss.

Die Hamburger Finanzverwaltung verzichtet freiwillig auf Steuer-Millionen aus kriminellen Geschäften

Die Ermittler der Kölner Staatsanwaltschaft, die sich in Deutschland schwerpunktmäßig mit sogenannten Cum-Ex-Aktiendeals befassten, nahmen im Januar 2016 Ermittlungen gegen die Warburg-Bank auf und übersandten den Hamburger Behörden Hinweise, wonach die Warburg-Bank zwischen 2006 und 2011 insgesamt etwa 170 Millionen Euro an Erstattungen der Kapitalertragssteuer zu Unrecht erhalten hätte. Teilsummen drohten in den Jahren 2016 und 2017 zu verjähren.

Das Finanzgericht Hessen hatte bereits erste Rechtsprechung dazu etabliert, die den Banken auflegte, nachzuweisen, dass sie Kapitalertragssteuern tatsächlich entrichtet hatten. Auch im Finanzamt für Großunternehmen befasste man sich auf Initiative eines erfahrenen und langjährigen Betriebsprüfers der Warburg-Bank mit dem Vorgang. Er hatte sich als vorbildlicher Staatsdiener in die Cum-Ex-Geschäfte eingearbeitet und kam zu der Überzeugung, dass Hamburg aufgrund der nunmehr stärker gefestigten Rechtsprechung die Cum-Ex-Tatbeute einziehen müsse.

Seine Vorgesetzte, die Finanzbeamtin im Hamburger Finanzamt für Großunternehmen, Daniela P., fertigte später ein umfangreiches Gutachten an, das ebenso auf die Rechtsprechung des Finanzgerichtes Hessen abstellte und nach sorgfältiger Abwägung von Für und Wider den Einzug der Tatbeute empfahl.
Später kamen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes sowie des Bundesverfassungsgerichtes hinzu, die bestätigten, dass Cum-Ex schon immer illegal gewesen sei und eine behauptete Gesetzeslücke mithin nie bestanden hätte. Es sei schlichtweg illegal, Steuererstattungen für Steuern zu beantragen, die man nie gezahlt hat.

Daher informierte die Finanzbeamtin Daniela P. im Finanzamt für Großunternehmen im Februar 2016 ihre Vorgesetzten über die drohenden Rückforderungen in Millionenhöhe sowie das Risiko einer Verjährung.
Im Jahr 2016 ging es zunächst um 47 Millionen Euro, die nach Intervention der Warburg-Bank sowie der Hamburger Politik zum Nachteil Hamburgs in die steuerliche Verjährung liefen, obwohl das Finanzamt nach dem aufwendigen Gutachten die Cum-Ex-Tatbeute zunächst zurückfordern wollte.

Doch die Finanzbehörde – das Hamburger Finanzministerium – bestellte im engen zeitlichen Zusammenhang mit den Treffen von Olaf Scholz mit dem Cum-Ex-Bankier Christian Olearius im Jahr 2016 und der Weiterleitung eines Schreibens von Olearius durch Scholz an den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher die Finanzbeamtin Daniela P. ein, die daraufhin unter Protest ihrer Betriebsprüfer eine Kehrtwende vollzog und die Millionen nicht mehr einziehen wollte.

Gegen die Beamtin aus Blankenese ermittelt mittlerweile die Kölner Staatsanwaltschaft. Die mit dem Deutschen Journalistenpreis dekorierten investigativen Journalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein, denen die Aufdeckung der Warburg-Affäre maßgeblich zu verdanken ist, schreiben im Managermagazin: „Als der Fall Warburg 2016 losgeht, erzählt P. ihren Mitarbeitern in einer Sitzung freimütig, sie treffe Katharina Olearius (Anmerkung des Autors: die verstorbene Tochter des Bankiers) am Abend auf einer Petersilienhochzeit.“ Eine Mitarbeiterin schreibt dazu später einen Aktenvermerk. Katharina Olearius ist damals Teilhaberin der Bank, sitzt im Aufsichtsrat.
Bei einer Razzia wurde eine Kommunikation der Finanzbeamtin P. gefunden, in der sie unter Bezug auf die Verjährung der Tatbeute von einem „teuflischen Plan“ spricht und mit der Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten prahlt.
Die Hamburger SPD möchte die Verantwortung mittlerweile allein auf diese Beamtin abwälzen, obwohl sie diese zuvor noch als glaubwürdige Entlastungszeugin für Olaf Scholz ins Feld führte.

Im Jahr 2017 ging es noch einmal um 43 Millionen Euro, die nach dem Willen der Hamburger Finanzverwaltung erneut in die Verjährung laufen sollten, bis das Finanzministerium, damals noch unter Wolfgang Schäuble (CDU), einschritt und Hamburg anwies, die Summe einzuziehen. Es lässt sich nur spekulieren, ob der gewiefte Schäuble dem Sozialdemokraten Scholz damit noch eine Hypothek mit auf den Weg geben wollte. Dies ist aber auch unerheblich, denn die Weisung war absolut richtig.

Die Warburg-Connection der Hamburger SPD

Der Warburg-Gesellschafter Christian Olearius schaltete im Tauziehen um die Warburg-Beute frühzeitig den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten, Strippenzieher und Rüstungslobbyisten Johannes Kahrs sowie den Mentor von Olaf Scholz, den früheren Hamburger Innensenator, Alfons Franz Pawelczyk (SPD), ein. Beide engagierten sich fortan dafür, Treffen zwischen Olaf Scholz und Christian Olearius einzufädeln und die drohenden Rückforderungen des Finanzamtes abzuwenden.
Die zuständige Finanzbeamtin Daniela P., die im Unterschied zu ihren Betriebsprüfern später umkippte und auf die Tatbeute verzichten wollte, hatte laut den beschlagnahmten Tagebüchern von Olearius selbst gegenüber der Bank angemerkt, es könne jetzt nur noch die Politik helfen.

Gegen Kahrs, bei dem auch eine hohe Bargeldsumme im Bankschließfach entdeckt wurde, bei der ein Zusammenhang mit seinen Botendiensten für die Warburg Bank jedoch nicht belegt ist, laufen staatsanwaltliche Ermittlungen.
Kahrs erhielt später von drei mit der Warburg-Bank verbundenen Gesellschaften Spenden für den SPD-Bezirk Hamburg-Mitte. Selbst der von mir persönlich geschätzte Vorsitzende des Hamburger Untersuchungsausschusses zur Warburg-Affäre, Matthias Petersen (SPD), winkte Teile der Spenden im Landesvorstand der SPD Hamburg durch. Pawelczyk wurde für seine Dienste hingegen unmittelbar bezahlt. Beide tauschten sich im engeren zeitlichen Zusammenhang mit den Steuerforderungen gegen die Warburg-Bank mit Olaf Scholz aus.
Den beschlagnahmten Tagebüchern des Bankiers Olearius ist zu entnehmen, dass Pawelczyk Scholz auf das Treffen mit Olearius vorbereiten wolle.

Die Fakten: Die Treffen von Scholz und den Cum-Ex-Bankiers

Was wir nach zwei Presseveröffentlichungen aus den Tagebüchern des Cum-Ex-Bankiers Olearius, drei Befragungen im Bundestag, einer (zunächst verhinderten) Razzia der Kölner Staatsanwaltschaft in Hamburg sowie einem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft wissen:
Das erste Mal traf Scholz die Bankiers am 7. September 2016 mit einem Referenten aus dem Wirtschaftssenat, der ihn in einer Tischvorlage ausdrücklich vor den Begehrlichkeiten von Olearius beim Thema Cum-Ex warnte. Die beiden weiteren Treffen erfolgten ohne Zeugen. Die Vorlage will der „Aktenfresser“ Scholz, den ich in einer zunächst geheimen Befragung im Bundestag am 1. Juli 2020 nach vorbereitenden Vermerken gefragt hatte, die er, wie auch die Treffen selbst, verschwieg, nunmehr angeblich nicht gelesen haben.
Am 5. Oktober 2016 schickte dann die zuständige Finanzbeamtin Daniela P. einen umfangreichen Vermerk an die Hamburger Finanzbehörde. Darin wird die rechtliche Situation gewürdigt und um Zustimmung gebeten, die Tatbeute von der Warburg-Bank zurückzufordern.

Olaf Scholz empfing drei Wochen später am 26. Oktober 2016 erneut die Warburg-Bankiers im Rathaus. Die Banker übergeben eine siebenseitige Verteidigungsschrift gegen die anstehende Millionenrückforderung des Fiskus, die dem Finanzamt übermittelt wurde.

Etwa zwei Wochen später, am 9. November 2016, greift Olaf Scholz laut den Olearius-Tagebüchern aktiv zum Telefonhörer und ruft den Cum-Ex-Bankier an. Er rät dem Banker, sein Dokument, das dem Finanzamt ja bereits vorlag, „kommentarlos“ (also wohl ohne weitere schriftliche Spuren) an den damaligen Finanzsenator und derzeitigen Ersten Bürgermeister von Hamburg, Peter Tschentscher (SPD), zu schicken.
Dies legt nahe, dass Scholz sich mit Tschentscher hierzu ausgetauscht und diesen vorbereitet hat. Scholz teilt Olearius zudem mit, dass dieser sich in dieser Angelegenheit jederzeit an ihn wenden könne, er „erwarte dies sogar“.

Scholz behauptet später auf meine Nachfrage in der zunächst geheimen Sitzung am 1. Juli 2020, dass bis zu einem Austausch mit dem Bundesfinanzministerium am 16. November 2017 keinerlei Gespräche im Hamburger Senat über die Steuersache Warburg geführt wurden. In einer dritten, nicht-geheimen Befragung des Finanzausschusses des Bundestages am 9. September 2020, die ich wegen weiterer bekannt gewordener Treffen von Scholz mit Olearius ansetzen ließ, will Scholz sich wiederum an einen solchen Austausch mit Tschentscher nicht mehr „erinnern“. Obwohl er sich nicht erinnern könne, wisse er aber genau, dass Tschentscher keinen Einfluss genommen habe.

Später bemerkt Scholz in einer Stellungnahme, die der Journalist Oliver Schröm in seinem Buch „Cum-Ex-Files“ zitiert: Er habe sich die Auffassung von Olearius in dessen Verteidigungsschrift ausdrücklich nicht zu eigen gemacht oder das Papier selbst an die Finanzbehörde weitergeleitet, „da dies allein aufgrund der Tatsache der Weiterleitung durch den Ersten Bürgermeister Anlass zu Interpretationen hätte geben können“.

Tschentscher übermittelt das Dokument mit Unterstreichungen der Argumente der Warburg-Bank in grüner Senatorentinte (grüne Tinte ist in der öffentlichen Verwaltung nur Ministern bzw. Senatoren vorbehalten) und der Aufforderung des Finanzsenators, weiter unterrichtet zu werden, erneut an die Finanzverwaltung. Hiernach wird die Finanzbeamtin Daniela P. am 17. November 2016 in die Finanzbehörde (das Hamburger Finanzministerium) einbestellt.
Eine Beamtenrunde entscheidet dort, keine Steuern von Warburg zurückzufordern – und so Steuerforderungen aus den Cum-Ex-Geschäften teilweise verjähren zu lassen. Damit verzichtet die Stadt Hamburg auf 47 Millionen Euro Steuergutschriften für 2009. Die Betriebsprüfer der Finanzbeamtin laufen gegen die Entscheidung Sturm, die sie für fachlich nicht nachvollziehbar halten.

Damit opfert Scholz seinen Nachfolger. Er sagt nämlich unverblümt, dass sein Finanzsenator Peter Tschentscher allein durch die Tatsache der Weiterleitung des Schreibens Einfluss auf das Steuerverfahren genommen habe. Das wäre strafbar.
In der dritten Befragung am 9. September 2020 wiederum behauptet Scholz, sich an das Schreiben, das Telefonat mit Olearius und die Weiterleitung des Schreibens an Tschentscher nicht erinnern zu können.
Wohlgemerkt das Schreiben, von dem er laut Aussage gegenüber Oliver Schröm wisse, dass er sich dessen Inhalt nicht zu eigen gemacht und das er bewusst nicht selbst in die Behörde geleitet habe.

Nachdem das Bundesfinanzministerium eine erneute Verjährung der Tatbeute in Höhe von diesmal 43 Millionen Euro aus dem Steuerjahr 2010 verhindern will, greift es am 8. November 2017 zu seiner schärfsten Waffe und weist Hamburg schriftlich an, die Tatbeute einzuziehen. Ein solcher Vorgang kommt äußert selten vor. Meine parlamentarische Anfrage im Februar 2018 zu der Häufigkeit solcher Weisungen brachte nur einen weiteren Fall in Hessen zutage.

Die Weisung trifft am 10. November 2017 in Hamburg auf dem Postweg ein. An diesem Tag wird Olaf Scholz die Warburg-Bankiers erneut treffen. In der geheimen Sitzung vom 1. Juli 2020 wird er gegenüber dem heutigen FDP-Staatssekretär Florian Toncar behaupten, er könne sich nicht daran erinnern, wann er von der Weisung erfahren habe, ob in seiner Zeit als Bundesminister der Finanzen oder aus der Zeitung. Dabei hatte er doch den Warburg-Bankier Olearius an dem Tag, als die Weisung in Hamburg per Post eintraf, exakt zu diesem Vorgang getroffen. Dies war Anlass der Befragung im Bundestag.
Tatsächlich fand die Weisung das erste Mal Erwähnung in der Presseberichterstattung des NDR im Januar 2018 und in meiner parlamentarischen Anfrage im Februar 2018. Beides war also nach dem Treffen von Scholz mit Olearius.

Eine Woche später gibt es ein Krisentreffen der Hamburger Finanzverwaltung beim Bundesfinanzministerium. Nach Angaben von Teilnehmern wird es sehr laut. Die Finanzbeamtin Daniela P. widersetzt sich mit Rückendeckung ihrer Vorgesetzten weiter der Weisung.

Am 1. Dezember 2017 erneuert das Finanzministerium die schriftliche Weisung. Diese zweite Weisung war mir in Antworten des Finanzministeriums, die dann unter Olaf Scholz erfolgten, verschwiegen worden. Wahrscheinlich, weil dann noch offensichtlicher gewesen wäre, dass sich keine Finanzbeamtin einer Weisung des Bundesfinanzministeriums ohne politische Rückendeckung über Monate widersetzt.

Die Wahrheit kommt ans Licht: Der Rückblick

Im Februar 2018 hatte ich mit parlamentarischen Anfragen die ungewöhnliche Weisung des Finanzministeriums an die Hamburger Finanzverwaltung thematisiert. Gegen Jahresende erkundigte sich die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft sodann nach Treffen zwischen Vertretern der Warburg-Bank und dem Hamburger Senat, dem Olaf Scholz als Erster Bürgermeister angehörte, zum Thema Cum-Ex.
Der Senat antwortete wahrheitswidrig, es habe keine derartigen Treffen gegeben.

Im Februar 2020 konfrontierten die Journalisten Oliver Schröm (Norddeutscher Rundfunk), Christian Salewski und Oliver Hollenstein (beide damals Die Zeit) Olaf Scholz mit einem (von drei) Treffen. Dieses Treffen war aber nur das letzte Treffen der drei Treffen zwischen Scholz und den Warburg-Bankiers. Die zwei weiteren Treffen Scholz’ im Jahre 2016 waren damals noch nicht bekannt, da die Journalisten die handschriftlichen Tagebücher anscheinend erst aufwendig auswerten mussten. Scholz schwieg sich gegenüber den Journalisten aus und antworte nicht. Er äußerte sich erst kurz vor Ausstrahlung eines Beitrags in der ARD-Sendung „Panorama“ über die Nachrichtenagentur dpa.

Die Journalisten zitierten aus einem Tagebuch des Bankiers Christian Olearius, das bei einer Razzia beschlagnahmt wurde. Darin wurde über das Treffen des Bankiers mit Olaf Scholz zur Rückforderung der Cum-Ex -Tatbeute und der Weisung des Finanzministeriums am 10. November 2017 berichtet.

Der Bankier schrieb im Tagebuch, Scholz sei zurückhaltend und lasse nicht erkennen, wie er sich verhalten würde. Er vermittle ihm jedoch das Gefühl, er brauche sich keine Sorgen zu machen.
Scholz teile überdies die Auffassung der Warburg-Bank, dass es darum ginge, die Depotbank Deutsche Bank zu schonen. (Vermutlich war gemeint, das Bundesfinanzministerium wolle die Deutsche Bank zu Lasten der Warburg-Bank schonen).
Im Weiteren ging es um Absprachen zwischen Scholz und Olearius zu einem Interview über Hamburg, das der Bankier mit dem Spiegel führen wollte. Er solle sich maßvoll äußern, um Scholz die Bühne bei der Vermarktung des „Wissenschaftsstandortes“ Hamburg zu überlassen.

Dass sich der exzellente Jurist Scholz zurückhaltend verhielt, ist wenig verwunderlich. Dies ist nicht nur seine generelle Art; ein Eingriff in Steuerverfahren wäre überdies strafbar. Da die Journalisten diese Passage aber aus presserechtlichen Gründen nicht zitiert hatten, weil aus Ermittlungsakten nur minimal zitiert werden darf, holte die Warburg-Bank kurze Zeit später zum Gegenschlag aus und behauptete, die Journalisten hätten der Öffentlichkeit entlastende Momente (die zurückhaltende Art von Scholz) verschwiegen.
Diese Öffentlichkeitsarbeit der Warburg-Bank wurde eng mit Scholz’ Umfeld koordiniert. Die Spin-Doktoren der Warburg-Bank und Scholz’ rechte Hand, sein damaliger Staatssekretär und derzeitiger Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, bearbeiteten im Hintergrund überforderte Lokalreporter. Die Zusammenarbeit mit der Cum-Ex-Bank wurde also in bewährter Manier fortgesetzt.
Der Lokalpresse schien dabei nicht aufzufallen, dass man nicht gleichzeitig schweigen und sich zugleich die Rechtsauffassung der Warburg-Bank zu eigen machen kann, wonach es darum gehe, die Deutsche Bank zu schonen. Meine späteren Nachfragen, wie Olearius zu diesem Eindruck gelangte, wollte Scholz nie konkret beantworten.

Da nun offensichtlich wurde, dass der Hamburger Senat die Anfrage der Linksfraktion unwahr beantwortet hatte (was sich Olaf Scholz in einer späteren Sitzung „nicht erklären“ könne), waren die Titelseiten der Hamburger Presse voll von dem Skandal. Ich schlug meiner früheren Partei eine Pressekonferenz und eine Demonstration vor der Hamburger Finanzbehörde vor, die es auf die Titelseiten zahlreicher Zeitungen schaffte.
Scholz’ Nachfolger als Erster Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher, warf dem NDR gar später Beeinflussung des Wahlkampfes vor.

Wie Scholz den Bundestag belog

Nach dieser Welle im Bürgerschaftswahlkampf 2020 wusste Scholz, er wird das Thema nicht mehr los. Da er die Kanzlerkandidatur für die SPD anstrebte, war der Vorwurf, kriminelle Banker zu schützen, eine Hypothek.
Ich beantragte als Hamburger Bundestagsabgeordneter und Finanzpolitiker eine Einbestellung des damaligen Finanzministers in den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Die anderen Fraktionen schienen das Thema kaum zu beachten. Scholz sagte für den 4. März 2020 zu.

Die Unterrichtung durch den Finanzminister wurde um 12.08 Uhr eröffnet. Die Vorsitzende des Finanzausschusses teilte uns mit, dass Scholz wegen Anschlussterminen die Sitzung um 12.50 Uhr zu verlassen habe.
Ein politischer Taschenspielertrick: Es standen uns somit 42 Minuten bei sechs Fraktionen und einem umfangreichen Eingangsstatement von Herrn Scholz zur Verfügung.
Ich wusste: Ich werde drei bis fünf Minuten einschließlich der Antwort von Scholz ohne Möglichkeit der weiteren Nachfrage haben. Jeder Schuss musste sitzen, und Scholz würde Fragen gesammelt beantworten.

Da die Corona-Pandemie gerade Europa erreicht hatte, ließ sich Scholz ausführlich zu konjunkturpolitischen Fragen aus. Dies war nachvollziehbar, aber eben auch günstig für Scholz.
Zur Warburg-Affäre merkte Scholz an, dass der berichtete Termin stattgefunden habe. Da sei sonst nichts gewesen und nichts zu finden. Über das Gespräch sei durch Medienberichte „alles bekannt“, was es dazu zu berichten gäbe.
Er verwies auf die Veröffentlichung des vollständigen Tagebuchauszugs durch die Warburg-Anwälte, die sein zurückhaltendes Verhalten bei dem Termin unterstrichen hätten.

Sodann durften die Fraktionen in der Reihenfolge ihrer Stärke das Wort ergreifen. Die Union und die SPD versuchten möglichst zeitintensive Fragen zur europäischen Haushaltspolitik zu stellen, um Scholz Zeit zu kaufen.
Die CDU/CSU intervenierte gar später einmal, um zu beanstanden, man dürfe den Finanzminister nicht zu Vorgängen aus seiner Zeit als Bürgermeister oder zu Parteispenden befragen, die Sache der SPD seien. Die AfD und die FDP stellten sodann wenigstens ein paar Fragen zum Sachverhalt. Ich war als Vorletzter an der Reihe. Olaf Scholz war hoch konzentriert, denn er wusste genau, dass ich in der Warburg- Affäre sein schärfster Kritiker war.

Mein erster Satz war ein Zitat: „Junge, komm bald wieder!“ Damit griff ich auf, dass die kurze Befragungszeit bereits bei meinem Vorredner, dem heutigen FDP-Staatssekretär Florian Toncar, für Unmut gesorgt hatte.
Meine erste Frage an Olaf Scholz lautete sodann, ob es üblich gewesen sei, dass er sich in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister mit Personen zu Steuerverfahren getroffen habe, gegen die bereits Ermittlungen wegen schweren Steuerbetrugs liefen, und ob es neben dem einen nunmehr bekannten Treffen mit Herrn Olearius weitere Treffen dieser Art gegeben habe? Es war üblich, die wichtigsten Fragen zu Beginn zu stellen und die weiteren Fragen dem Zeitrahmen zu opfern, falls erforderlich.
Ich fragte zudem nach schriftlichem Austausch der Warburg Bank mit dem Finanzministerium und wessen Entscheidung Scholz richtig fände: die des ihm nunmehr unterstellten Finanzministeriums, Hamburg anzuweisen, die Cum-Ex Tatbeute einzuziehen, oder die Entscheidung Hamburgs, die steuerliche Verjährung in Kauf zu nehmen?
Überdies fragte ich nach dem Austausch mit dem Finanzsenator Peter Tschentscher, den Scholz ebenfalls nicht einräumte, obwohl mittlerweile bei einer Razzia sichergestellte Kalendereinträge dies nahelegten.
Zum Schluss bemängelte ich unrichtige Angaben des Finanzministeriums zu steuerlichen Verjährungen von Cum-Ex-Tatbeute, um Druck auf eine klare gesetzliche Regelung zur nachträglichen Abschöpfung im Strafprozess zu machen, die dann in den kommenden Monaten erfolgen sollte.
Meine Ausführungen versah ich mit dem Hinweis, dass diese weiteren Fragen nur beantwortet werden sollten, falls die Zeit dies erlaube. Danach war die heutige Familienministerin Lisa Paus von den Grünen an der Reihe.
Scholz beantworte daraufhin die Fragen aller sechs Fraktionen gebündelt. Scholz ging auf meine Frage nach weiteren Treffen mit Herrn Olearius nicht ein, sondern wiederholte sein Mantra, dass ihn das Steuergeheimnis an Ausführungen hindere und alles zu dem Treffen bekannt sei. Er konzentrierte sich auf meine letzte Zusatz-Frage nach Vermögensabschöpfung im Strafprozess.
Dabei ist durch Rechtsprechung im Fall des FC-Bayern-Mangers Uli Hoeneß klar etabliert, dass das Steuergeheimnis seine Grenze bei Handlungen der Verwaltung hat, die von öffentlichem Interesse sind.
Niemand wollte über die Steuererklärung der Warburg-Bank diskutieren, sondern wir wollten wissen, wie Scholz mit der Sache befasst war.

In einer der nächsten Obleute-Sitzungen des Finanzausschusses, die gemeinsam die Tagesordnung verabredet, wurde die erneute Vorladung Scholz’ in einer als geheim eingestuften Sitzung in einem abhörsicheren Raum des Bundestages beschlossen, damit er sich nicht mehr hinter dem Steuergeheimnis verstecken könne. Dort könne er dann freier darlegen, was dem Steuergeheimnis unterliegt und worüber er Auskunft geben könne. Auch die SPD fand, dass Scholz etwas zu zugeknöpft gewesen sei und befürwortete den Vorschlag.

Am 2. Juni 2020 schrieb ich zudem eine E-Mail an die Obleute des Finanzausschusses, die später auch dem Handelsblatt zugespielt wurde. Darin beschwerte ich mich über den geplanten Sitzungsablauf, denn Scholz wollte erneut nur in einem engen Zeitrahmen aussagen. Das Handelsblatt zitierte hieraus:
„‚Wenn man die üblichen Begrüßungsrituale und Vorbemerkungen abzieht, ist es bei einer Befragungszeit von 50 Minuten denkbar, dass weder meine Fraktion noch die Grünen überhaupt zur Möglichkeit kommen, Fragen zu stellen. Das ist für mich nicht akzeptabel‘, so De Masi. Schon Anfang März habe sich Scholz bei einer Befragung zu dem Thema mit langen Ausschweifungen aus der Affäre gezogen. Das will De Masi nicht noch einmal zulassen. Der Finanzminister solle deshalb auf ein längeres Eingangsstatement verzichten. Die Anhörung wird zudem als ‚geheim‘ eingestuft, nichts darf nach außen dringen. Das soll verhindern, dass Scholz Aussagen wieder mit Verweis auf das Steuergeheimnis verweigert.“

Im September 2020 – als weitere Treffen mit Olearius bekannt wurden – sollte mir Olaf Scholz über seinen Sprecher öffentlich ausrichten, ich hätte im März wegen meiner Frage zu weiteren Treffen nochmal nachfragen müssen. Dies ist infam.
Denn abgesehen davon, dass Scholz seinen Auftritt mit Schützenhilfe von CDU/CSU und SPD bewusst so angelegt hatte, dass für Nachfragen gar keine Zeit mehr bestand, was ja zu meiner oben zitierten E-Mail führte, hatte er in der Sitzung wiederholt betont, dass alles dazu bereits berichtet sei. Es gab dafür keine Notwendigkeit.
Alle – auch eine direkt nach der Sitzung von einem TV-Team dazu befragte SPD-Abgeordnete – hatten ganz klar verstanden: Es hat keine weiteren Treffen von Scholz mit Herrn Olearius gegeben.
Diese Irreführung der Öffentlichkeit ist daher keine Ungeschicklichkeit. Sie hat Methode.

Geheime Sitzung am 1. Juli 2020

Der ursprünglich anvisierte Termin einer Befragung von Olaf Scholz am 17. Juni 2020 wurde noch einmal auf den 1. Juli 2020 verschoben. Scholz sagte nunmehr zu, sich ausreichend Zeit zu nehmen.
Über den Inhalt dieser rund anderthalb Stunden andauernden Sitzung habe ich bis kürzlich nicht öffentlich sprechen dürfen, da sie der Geheimhaltung unterlag. Denn ich habe Scholz erneut zu weiteren Treffen mit Olearius befragt.
Die mit dem Deutschen Journalistenpreis ausgezeichneten Investigativreporter Oliver Schröm und Oliver Hollenstein haben die Sitzung jedoch unter Mitwirkung des Cicero-Journalisten Ulrich Thiele in ihrem Buch „Die Akte Scholz“ minutiös rekonstruiert. Sie schreiben Folgendes:
„Schließlich erkundigt sich De Masi wie bei der letzten Sitzung, ob Scholz sich noch öfter mit Olearius getroffen habe. Scholz lächelt. Hamburg sei klein, da laufe man sich schon mal über den Weg. Die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus ruft dazwischen. Sie will wissen, wie oft sich Scholz und Olearius bei gesellschaftlichen Ereignissen begegnet sind: zweimal, dreimal oder zehnmal pro Jahr? Scholz schmunzelt, erwähnt ein Treffen in der Elbphilharmonie. Er habe auch einmal bei einem Jubiläum der Warburg-Bank eine Rede gehalten.“ Weiter führt Scholz explizit aus, es habe keine regelmäßigen Treffen mit der Warburg-Bank gegeben.

Tatsächlich hatte Scholz (anders als im gestrafften Protokoll dargestellt) nicht nur von einem Jubiläum gesprochen, sondern offengelassen, ob es der 70. Geburtstag von Christian Olearius oder das 220-jährige Jubiläum der 1798 gegründeten Warburg-Bank war. Dies lässt sich daran erkennen, dass ich in der dritten Befragung von Scholz auf diese Passage zurückkam und ihn danach frage, welche der beiden Termine er denn nun gemeint habe? Den Geburtstag (der fand 2012 statt) oder das Jubiläum (2018)? All dies lässt sich nachlesen.
Meine Nachfrage an Scholz nach weiteren Treffen ist im Unterschied zur Nachfrage von Lisa Paus, die damals dazwischenrief, nicht in den öffentlich zitierten Passagen des Protokolls enthalten, konnte aber offenbar von den Journalisten anderweitig verifiziert werden. (Protokolle können nachträglich noch von Sitzungsteilnehmern bearbeitet werden und werden vom Ausschusssekretariat verantwortet. Nicht selten wachen dort emsige Referenten mit Parteibuch über jede Formulierung. Ob das Tonband der Sitzung noch existiert, weiß ich nicht).

Warum ist die Frage, ob es ein Geburtstag oder Jubiläum war, überhaupt relevant? Ganz einfach: Scholz’ Spin-Doktor Wolfgang Schmidt wird später trotz Geheimschutz gegenüber Journalisten behaupten, die heutige Familienministerin habe „falsch“ nachgefragt. Sie hatte nämlich gefragt, ob es nach dem damals bereits bekannten Treffen von Scholz und Olearius (das letzte der drei Treffen) im Jahr 2017 weitere Treffen gegeben habe. Aber die weiteren und verheimlichten Treffen waren ja davor im Jahr 2016.

Diese Spitzfindigkeit ist ja an sich schon dreist genug, denn ich hatte ja bereits zweimal (am 4. März und erneut in der geheimen Sitzung) nach weiteren Treffen gefragt. Außerdem verneint Scholz explizit regelmäßige Treffen mit der Warburg Bank. Aber Scholz hat ohnehin auch für Zeiträume davor, nämlich den 70. Geburtstag von Olearius, geantwortet.

Viel wichtiger aber ist: Scholz legt präzise jede beiläufige Begegnung mit Herrn Olearius offen. Nur die drei Treffen, bei denen es um zig Steuer-Millionen geht, und dass er später sogar aktiv zum Telefon greift, um Olearius zu bitten, sich in der Sache weiter an ihn zu wenden, räumt Scholz erst dann ein, wenn er mit konkreten Belegen konfrontiert wird.
Er spricht bis zum September 2020 an keiner Stelle von einer Erinnerungslücke. Vielmehr betont er in einer der Sitzungen, er könne nicht sagen, weshalb der Hamburger Senat die Treffen nicht offenbart habe. Denn die Kalender lagen ja vor und die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft hatte nach den Treffen schriftlich gefragt.

Die Nachwirkungen der geheimen Sitzung

Später wird der Staatssekretär und heutige Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, zuständig für Geheimdienste, einen Auszug aus dem geheim eingestuften Protokoll sinnentstellend an Journalisten geben, um seinen Spin zu setzen.

Wir können uns wegen des Geheimschutzes nicht dagegen wehren und selbst über die Sitzung sprechen. Lisa Paus wird nach Bekanntwerden der beiden weiteren Treffen Scholz jedoch öffentlich in einem Tweet der Lüge bezichtigen. Seit ihrer Berufung zur Ministerin hat die von mir sehr geschätzte Kollegin den Tweet gelöscht. Gegenüber dem Journalisten Tilo Jung führt sie aus, sie arbeite nunmehr gut mit Scholz zusammen und sei eben damals in der Opposition im Wahlkampf gewesen (es war jedoch kein Wahlkampf damals).
Ich kenne Lisa Paus gut genug, um zu wissen: Niemals hätte sie einen solchen Vorwurf nur zur Show erhoben. Ihr Kotau ist der Preis der Macht. In solchen Momenten bin ich froh, meine politische Karriere beendet zu haben.

Als ich die Eskapaden von Wolfgang Schmidt vor der Wahl (erneut) skandalisiere, da nun auf einmal öffentliches Interesse besteht, behauptet das Finanzministerium, es könne diesen Verstoß gegen den Geheimschutz nicht aufklären, da Herr Schmidt in Washington weile und wegen der Zeitverschiebung schlafe. Tatsächlich erlaube ich mir die Bemerkung, man könne ihn auf Twitter anschreiben, wo Schmidt, wahrscheinlich mithilfe von Beamten aus dem Ministerium, etwa 20 Stunden am Tag Tweets verbreitet, um für seinen Chef Kohlen aus dem Feuer zu holen. Tatsächlich war er zu diesem Zeitpunkt auf Twitter aktiv.

Ich werde später zur Quelle der Olearius-Tagebücher auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bonnin Berlin-Kreuzberg von einer freundlichen Kriminalkommissarin vernommen (die mich auf mein Aussageverweigerungsrecht als ehemaliger Abgeordneter und Publizist hinwies). Dabei habe ich auch auf den Vorgang um Wolfgang Schmidt hingewiesen, da ich es bemerkenswert fand, wie ungleich der Ermittlungseifer bei diesen Sachverhalten war.

Die Berliner Staatsanwaltschaft wird jedoch trotz meiner Eingabe keine Ermittlungen aufnehmen. Ihre Begründung: Sie könne den Vorgang nicht verifizieren, da es außer einem entsprechenden Tweet des Journalisten Oliver Schröm, der die Passage, die Schmidt verbreiten ließ, per Screenshot veröffentlicht, keine weiteren Belege gebe.
Dabei würde es reichen, Herrn Schröm einzuvernehmen und zu befragen. In meinem Fall war es hinreichend, dass ich einen Auszug aus den Olearius-Tagebüchern veröffentlicht hatte.
Was der Bonner Staatsanwaltschaft entgangen war: Dieser Auszug stammte aus der Hamburger Morgenpost. Die Warburg-Bank hatte ihn selbst veröffentlicht.

Im Sommer 2020 wird es dann eng für Scholz. Die Pleite der Wirecard AG, des einstigen Börsenwunders und insolventen Zahlungsabwicklers aus Aschheim, hält Scholz in Atem. Nun kommen noch zwei weitere Treffen mit Olearius an die Öffentlichkeit. Es herrscht Panik in der Hauptstadt.

Sofort beantrage ich eine dritte Befragung von Scholz. Zusätzlich lasse ich auf dem Kontingent meiner Fraktion eine Aktuelle Stunde im Bundestag beantragen, um der Bevölkerung die Warburg-Story in meinem fünfminütigen Redebeitrag zum „Pinocchio-Gate“ von Scholz detailliert zu erklären. Die Rede wird später bei Markus Lanz immer wieder als Einspieler dienen.
Die SPD nennt mich in einem Zwischenruf gar „unanständig“, weil ich in meiner Rede die Rückzahlung der Warburg-Spenden und ein Verbot von Parteispenden von Unternehmen fordere.

Ein Jahr später gibt es Aufregung um die Razzia bei Johannes Kahrs und mehr als 200.000 Euro Bargeld in dessen Schließfach. Der SPD-Finanzsenator Andreas Dressel wird nun einräumen, dass die Spenden aus „heutiger Sicht“ neu bewertet werden müssten. Ich gehöre zu diesem Zeitpunkt dem Bundestag nicht mehr an. Die SPD distanziert sich von Kahrs.
Doch alle Erkenntnisse über die Warburg-Bank lagen schon zum Zeitpunkt der Spenden auf dem Tisch: Razzia, Ermittlungen, Cum-Ex. Stand heute hat die SPD Hamburg die Cum-Ex-Spenden der Warburg-Bank nie zurückgezahlt.
Vor der Rede befrage ich Scholz öffentlich im Plenum des Bundestages zu seiner Sicht auf die Warburg-Parteispenden. Er antwortet, er lebe nun in Potsdam. Nach seinem Eindruck sei aber in der SPD Hamburg immer alles korrekt verlaufen.

Befragung am 9. September 2020

In der dritten Befragung ereignet sich etwas Kurioses: Scholz wechselt die Strategie. Er bestätigt die Termine und legt nun eine detaillierte Auflistung aller Termine mit Olearius vor (in einer Informationsfreiheitsanfrage wird mir der Hamburger Senat weiterhin keines der Treffen einräumen, obwohl diese bereits presseöffentlich sind). Schriftlich konnten wir diese im Bundestag nicht abfragen, da die Termine ja in seine Zeit als Hamburger Bürgermeister fielen.
Scholz behauptet nun, er habe erst jetzt – nach einer Anfrage in der Hamburger Bürgerschaft, einer Riesenwelle im Bürgerschaftswahlkampf und zwei Befragungen im Bundestag (eine davon mit Geheimschutzvorkehrungen), bei denen insgesamt dreimal nach weiteren Treffen mit Olearius gefragt wurde – in seinen Kalender geblickt.
Jeder Politiker in einem Kreistag würde bei an ihn gerichteten Vorwürfen dieser Art als Erstes in den Kalender blicken. Scholz hat hierfür einen Arbeitsstab, Termine müssen in der öffentlichen Verwaltung veraktet werden.
Als Scholz diese Aussage tätigt, habe ich Blickkontakt mit Abgeordneten und Mitarbeitern der SPD. Sie müssen ihr Lachen unterdrücken ob dieser absurden Ausführungen. Alle im Saal wissen, dass Scholz lügt.

Scholz behauptet nun, er könne sich an keinen der Termine mehr erinnern. Vor jedem Gericht würde dieser Strategiewechsel als unglaubwürdig gekennzeichnet werden. Selbst ein Neurologe äußert sich später und sagt, dass solche chirurgisch-präzisen Erinnerungslücken, die immer nur im Steuerverfahren, aber nie bei anderen Begegnungen mit dem Cum-Ex-Bankier auftreten, nicht mit dem wissenschaftlichen Stand der Forschung vereinbar sind.

Was die Öffentlichkeit damals noch nicht wissen kann: In der geheimen Sitzung im Juli schilderte Scholz auf meine Nachfrage hin noch konkrete Erinnerungen an das zuerst bekannt gewordene Treffen. Er habe sich nur die Einschätzung von Herrn Olearius angehört. Dies habe mittlerweile auch die Presse bestätigt. Persönlich könne er über diese Schilderung hinaus nichts beitragen.
Er führte dort auch aus, dass er nach dem Gespräch keine Veranlassung gesehen habe, in ein laufendes Steuerverfahren einzugreifen. Auch schloss er konkrete Gespräche mit dem Finanzsenator mit Sicherheit aus.

Nun aber benutzt er permanent die Formulierung, er habe an keines der Treffen eine Erinnerung mehr. Um seine neue Strategie abzusichern und die Verheimlichung von drei Treffen zu begründen, betont er nun, dass alle bisherigen Schilderungen im Finanzausschuss auf der Medienberichterstattung beruhten, nicht seinen persönlichen Erinnerungen.
Damit will er offenbar vorbauen, falls das geheime Protokoll öffentlich werden sollte, wo er ja den Fehler gemacht hat, noch eine persönliche Erinnerung zu schildern.

Ich hatte bereits im Jahr 2020 beantragt, das geheime Protokoll zu entstufen, da das Steuergeheimnis nicht berührt sei. Zudem hatte Wolfgang Schmidt, auf ihren Vorwurf der Lüge hin, der aktuellen Familienministerin Lisa Paus entgegnet: „Sollen wir das Protokoll veröffentlichen?“ Das war eine willkommene Steilvorlage für mich. Doch außer den Grünen zog keine Fraktion mit. So dauerte es weitere drei Jahre, bis der Vorgang öffentlich wurde.

Von einem, der auszog, den Mächtigen das Fürchten zu lehren!

Die Warburg-Affäre zeigt, wie leicht sich führende Medien mit Nähe zur Macht um den Finger wickeln lassen, denn kaum eine führende Tageszeitung hat die Widersprüche von Scholz vor der Wahl konsequent aufgearbeitet.

Ich musste in meiner Rolle als stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Finanzpolitiker viele Details in einsamen Nachtstunden selbst herausarbeiten, weil meine Fraktion mich in der Ausschussarbeit weitgehend im Stich ließ. Und es gab ja noch mehr Themen: von Schuldenbremse über Steuerreformen, Geldwäsche oder Wirecard. Meine Mitarbeiter arbeiteten wie ich bis zur Erschöpfung. Meinen Sohn sah ich kaum noch, denn 16-Stunden-Arbeitstage waren das Minimum.
Meine Fraktion rollte regelmäßig mit den Augen, wenn ich schon wieder Cum-Ex auf die Tagesordnung des Parlaments setzen wollte. In den Informationsangeboten meiner Partei wurde ich dazu kaum berücksichtigt. Ich durfte zwar häufig im Parlament reden. Aber vor allem, weil mir meine Fraktion über weite Strecken der Legislaturperiode im Finanzausschuss nur geringe Unterstützung gewährte.

Dabei wussten Linke früher einmal, dass die Wirtschaft im Kapitalismus der Schlüssel zu Veränderungen ist. Dies gipfelte darin, dass ich im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages über weite Strecken keinen Stellvertreter hatte und so ohne echte Sommerpause ein Jahr lang fast die Hälfte der Woche nur drei Stunden schlief.
Während ich meine Gesundheit ruinierte, zogen andere die Strippen und fuhren meine Partei an die Wand. Diese Enttäuschung und die zuweilen sehr verlogene politische Konkurrenz führten maßgeblich zu meinem Rückzug aus der deutschen Politik.

Die Phrasen des Kanzlers

Scholz soll auf einer Matinee der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit mit deren damaligen Herausgeber Josef Joffe im Oktober 2018 bekennen, Cum-Ex sei ein steuerpolitischer Skandal.
Bei Transparency International spricht er später gar von einer „Schweinerei!“. Herrn Olearius hat er dies offenbar nicht mitgeteilt.
Noch etwas ist bemerkenswert: In dem Video der Veranstaltung bekennt Scholz, dass es wohl nicht mehr möglich sei, die Cum-Ex-Tatbeute aus bestimmten Altfällen einzutreiben, da diese bereits verjährt sei.

Sein Adlatus Wolfgang Schmidt wird hingegen vor der Bundestagswahl unter Journalisten verbreiten, die Hamburger Finanzverwaltung hätte bereits 2016 gewusst, dass der spätere strafrechtliche Einzug der Cum-Ex-Tatbeute möglich sein werde.
Dies widerspricht nicht nur der öffentlichen Aussage seines Chefs, sondern auch den Hamburger Finanzbeamten selbst.
Warum hat dann Scholz später in der geheimen Sitzung bekräftigt, die Weisung des Bundesfinanzministeriums sei richtig gewesen, wenn Hamburg doch alles richtig gemacht hat?

Herr Joffe ließ später seine Herausgeberschaft von Die Zeit ruhen, da durch einen Brief, den er im Januar 2017 an Max Warburg adressierte, bekannt wurde, dass er den Banker vor den Recherchen der eigenen Redaktion frühzeitig gewarnt hat.
Ein Zitat aus dem Brief lautete: „In unserem Alter gilt: This is no time to fuck around with old friendships.“ Herr Scholz scheint bei seinen Gesprächspartnern, ob Olearius oder Joffe, eine glückliche Hand zu haben.

Herr Scholz ist nunmehr Bundeskanzler, und ich bin wieder ein einfacher Staatsbürger. Dass er trotz seiner Lügen Kanzler wurde, hat weniger mit seiner politischen Leistung als mit der Schwäche seiner Konkurrenz zu tun.

Wie wir durch die Warburg-Affäre Milliarden sicherten

Doch auf eines bin ich heute stolz: Durch einen mutigen Richter und später auch politischen Druck auf die Gesetzgebung wurde es ermöglicht, dass auch steuerlich verjährte Tatbeute noch im Strafprozess eingezogen werden kann.
Die Cum-Ex-Tatbeute kann daher noch gerettet werden. Dies war aber zum Zeitpunkt der Causa Warburg in Hamburg noch nicht absehbar. Es bedurfte erheblichen politischen Drucks und einen Kanzlerwahlkampf, um Olaf Scholz als Finanzminister dazu zu bewegen, auch die rückwirkende Einziehung von steuerlich verjährter Cum-Ex-Tatbeute durch Vermögensabschöpfung dauerhaft rechtlich abzusichern.
Scholz hatte nämlich im Windschatten des Corona-Konjunkturpakets in einer Nacht- und Nebelaktion ein Gesetz eingebracht, das die strafrechtliche Einziehung steuerlich verjährter Cum-Ex-Tatbeute auf sichere Füße stellen sollte.
Jedoch wurde in das Gesetz ein Passus aufgenommen, der besagte, dass dies nicht rückwirkend erfolgen könne. Als ich in einem morgendlichen Briefing der Finanzpolitiker vor der Debatte um das Corona-Konjunkturpaket kritisch nachfragte, warum dies erforderlich sei, entgegnete das Finanzministerium, dies sei verfassungsrechtlich nicht anders möglich.
Später schürten Verfassungsrechtler wie Professor Killian Wegner an dieser Aussage Zweifel. Ich holte ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages ein, das die Zweifel von Wegner unterstützte.
Scholz wurde nun verdächtigt, die Cum-Ex-Banken (erneut?) zu schonen. Der investigative Journalist des Westdeutschen Rundfunks, Massimo Bognanni, der neben Schröm und Hollenstein zu den führenden Cum-Ex-Reportern des Landes zählte, verschaffte der komplizierten Gesetzesmaterie durch Berichterstattung die nötige Aufmerksamkeit.

Das Gesetz konnten wir im Bundestag und Bundesrat durch eine lagerübergreifende Koalition, etwa des ehemaligen Justizministers von Nordrhein-Westfalen Peter Biesenbach (CDU) und meiner Wenigkeit, erheblich verbessern und die Stichtagsregelung streichen. Es war dem Druck der Warburg-Affäre zu verdanken, dass Scholz das Gesetz korrigieren musste und die Staatsanwaltschaften nunmehr genug Zeit erhalten, um die Tatbeute zu sichern.
Auch wenn der grüne Justizminister von Nordrhein-Westfalen der mutigen Kölner Cum-Ex-Staatsanwältin Anne Brorhilker die personelle Unterstützung durch erfahrene Ermittler vorenthält, die für die Jahrhundertprozesse gegen Banken und Fonds nötig wäre.

Die Streichung des Rückwirkungsverbotes bei der Abschöpfung von Cum-Ex-Tatbeute war der größte Erfolg meiner parlamentarischen Karriere. Es hat Milliarden gerettet.
Viele Bürgerinnen und Bürger mögen über die Politik zu Recht enttäuscht sein. Heute kann ich guten Gewissens sagen, dass ich die Kosten meiner Bundestagsdiät mit diesem Engagement wieder hereingespielt haben dürfte.
Auch wenn die Aufklärung über die Warburg-Affäre von parteipolitischen Spielchen und einer großen Portion Verlogenheit gekennzeichnet ist: Allein für diesen Erfolg hat es sich gelohnt, um die Wahrheit zu kämpfen!

Fabio De Masi war zwischen 2014 und 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments und zwischen 2017 und 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages für Hamburg. und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard – einen Namen.
Er trat 2021 nicht erneut für den Bundestag an und arbeitet seither an einem Buch über seine Rolle bei der Aufklärung von Finanzskandalen, das im Frühjahr 2024 beim Rowohlt-Verlag erscheinen wird.
Er ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Ende des Ukraine-Stellvertreterkrieges: Eine Niederlage, die die Welt verändern wird

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

alexander neu

alexander neu

Aktuelle Analyse von Dr.Alexander Neu. Beide hier geschilderten Ausgänge sind für die deutsche Bevölkerung im Endeffekt nachteilig. Um so wichtiger wäre es, wenn unsere Regierung sich um eine diplomatische ausgleichende Lösung bemühen würde, die eine einvernehmliche Beendigung des Konflikts statt einem Alles-Oder-Nichts anstrebt.
Und hier auszugsweise der Text aus den NachDenkSeiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=96345

Eine Niederlage, die die Welt verändern wird

Die Debatten zur bevorstehenden Frühjahrsoffensive der ukrainischen Sicherheitskräfte gegen die russische Armee zwecks Rückeroberung des verlorenen Territoriums laufen heiß. Überschattet wird diese Debatte um die Leaks eingestufter US-amerikanischer Dokumente. Da dieser Krieg ein mehrdimensionaler Krieg ist, mithin also auch ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland, sollen in diesem Artikel die geopolitischen Implikationen der jeweiligen Niederlagen beleuchtet werden. Von Dr. Alexander Neu.

Ungeachtet des Ausgangs der angekündigten Frühjahrsoffensive, ob nun der definitive Showdown oder eine von vielen Offensiven der einen oder der anderen Konfliktseiten, soll im Folgenden über die Konsequenzen einer Niederlage, die irgendwann eine der beiden Konfliktseiten erleiden wird, reflektiert werden. Dabei sollen nicht die Niederlagen bzw. die diversen Formen der militärischen Niederlagen der Ukraine oder Russlands auf dem ukrainischen Schlachtfeld thematisiert werden.
Diesen Aspekt habe ich bereits in einem Beitrag mit dem Titel „Was heißt Sieg oder Niederlage für Russland versus für Ukraine und den Westen? Eine Analyse“ in den NachDenkSeiten im Februar beleuchtet: Der Sieg der einen Konfliktseite ist die Niederlage der anderen Konfliktseite auf dem Schlachtfeld – absolut oder in diversen Abstufungen, wie ich es dort ausgeführt habe.

Da dieser Krieg ein mehrdimensionaler Krieg ist, mithin also auch ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland, vielleicht auch Chinas und anderer Staaten des Globalen Südens, sollen die geopolitischen Implikationen der jeweiligen Niederlagen beleuchtet werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, da die Wirklichkeit nie in klaren Kategorien wirkt.

Szenario 1: Russlands Niederlage

Verlöre Russland den Krieg gegen die Ukraine und somit gegen den Westen, so wäre eine ganze Kettenreaktion von Konsequenzen für Russland und darüber hinaus denkbar, ja sogar in dem einen oder anderen Fall wahrscheinlich.

Erstens würde sich zeigen, dass Russland nicht einmal eine „Regionalmacht“ ist, um es mit den Worten B. Obamas zu benennen. Denn Russland erwiese sich als unfähig, einen Staat unmittelbar an seiner eigenen Grenze militärisch zu besiegen. Einmal von den diversen Unterstützungsmaßnahmen der NATO abgesehen, die tatsächlich bislang das militärische Überleben der Ukraine absichern – zwar zu einem enorm hohen menschlichen und infrastrukturellen Preis -, würde dieses Bild eines russischen Riesen auf tönernen Füßen vorherrschen.
Mit diesem Image als nicht einmal vollwertige Regionalmacht könnten sich Staaten im post-sowjeti­schen Raum (Kaukasus und Zentralasien) ermuntert sehen, neue Partner – vornehmlich im Westen zu suchen. Selbst wenn diese Staaten keinen eigenen Antrieb auswiesen, sich neue Partner zu suchen, könnten sie genötigt werden, sich dem „Sieger“ des Ukraine-Krieges „anzunähern“. Weißrussland wäre der vermutlich erste Kandidat, der in der euro-atlantischen Sphäre aufginge.

Mehr noch, die bislang mehr oder minder latenten Separatismusphänomene (Stichwort: Tschetschenien) insbesondere in der Kaukasusregion könnten wieder Auftrieb gewinnen. Der starke Mann Tschetscheniens, R. Kadyrow, ist zwar – noch – ein treuer Gefolgsmann Putins.

Angesichts dieses besonderen Loyalitätsverhältnisses genießt Tschetschenien eine – im Vergleich zu den übrigen föderalen Subjekten – herausragende Autonomie innerhalb der russischen Föderation. Jedoch könnten bei einer russischen Niederlage die innerrussischen Karten neu gemischt werden.
Dass ein solches Szenario nicht abwegig ist, zeigt die Flexibilität des Vaters und Amtsvorgängers von R. Kadyrow, A. Kadryow. Dieser rief 1994 im allgemeinen Schwächezustand der russischen Staatlichkeit unter B. Jelzin den Dschihad, also den Heiligen Krieg, gegen Russland aus. Später, 1999, wechselte er die Fronten und wurde 2003 zum Präsidenten des russischen Föderationssubjektes Tschetschenien. 2004 starb A. Kadyrow bei einem Anschlag.
Insbesondere das enge Loyalitätsverhältnis zwischen R. Kadyrow und W. Putin sichert den Bestand Tschetscheniens in der russischen Föderation. Was aber, wenn Russland den Krieg und somit auch die Autorität im eigenen Haus verliert? Zumal auch das politische Überleben des gegenwärtigen russischen Präsidenten, W. Putin, dann mehr als fragwürdig erscheint. Selbst wenn R. Kadyrow loyal zur russischen Staatlichkeit stünde, heißt das nicht, dass Kadyrow seine Macht dauerhaft sichern könnte, wenn sein bisheriger Schutzgarant W. Putin wegfiele.
Mit einem erneuten Aufbrechen eines Bürgerkrieges in Tschetschenien könnte ein separatistischer Dominoeffekt entstehen
– zunächst in den föderalen Subjekten des Kaukasus und ggf. darüber hinaus bis hin zur Dismembration der russischen Föderation.

Und tatsächlich wird in westlichen Redaktionsstuben und vielleicht auch Thinktanks und politischen Organisationen über die Zerschlagung der russischen Föderation spekuliert. Die Aussage des US-amerikanischen Verteidigungsministers Austin, „wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu etwas wie diesem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“, offeriert sehr viel Interpretationsspielraum.
Diese Aussage muss nicht als der Wille zur Zerschlagung Russlands interpretiert werden, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden – oder zumindest als nette Nebenwirkung nicht unwillkommen sein. Andere westliche Akteure reden da bereits Klartext unter dem Begriff „de-colonizing Russia“. So veröffentlichte das US-amerikanische Magazin „The Atlantic“ am 27. Mai 2022 einen Beitrag mit dem Titel „Decolonize Russia“.

Darin wird von „kolonialen Besitztümern“ des Kremls gesprochen und namentlich Tschetschenien, Tartastan, aber sogar Sibirien und die Arktis erwähnt. Der Autor C. Michel fordert, der Westen müsse das 1991 begonnene Projekt (gemeint ist die Auflösung der Sowjetunion) zu Ende führen.
Weiter: Der Kreml müsse sein Imperium verlieren, um das Risiko weiterer Kriege zu vermeiden, womit gedanklich an Austins Forderung der Schwächung Russlands zwecks Verhinderung seiner Kriegsfähigkeit angeknüpft wird.
csce-logoInwiefern diese Forderungen im politischen Washington diskutiert werden, zeigt sich an einem online-briefing unter dem Titel:
„DECOLONIZING RUSSIA – A Moral and Strategic Imperative“veranstaltet am 23. Juni 2022 durch die sogenannte „Commission on Security and Cooperation in Europe“ – auch bekannt als US-Helsinki-Kommission. Einer der Panelisten war der oben bereits erwähnte C. Michel.

Diese Institution ist nicht irgendein Thinktank oder eine regierungsseitig finanzierte NGO. Es handelt sich hierbei um eine staatliche bzw. eine Regierungskommission (csce.gov), deren Mitglieder nahezu vollständig aus den beiden US-Kongresskammern, dem Senat und dem Abgeordnetenhaus, entsandt werden. Sie werden vom US-Präsidenten, dem US-Außen­ministerium, dem Pentagon (US-Verteidigungsministerium), dem Handelsministerium und den Präsidenten des US-Senats sowie dem Sprecher des Repräsentantenhauses bestimmt.
Die US-Helsinki-Kommission beschreibt ihren Charakter als eine „unabhängige US-Regierungs­kommission, welche amerikanische nationale Sicherheit und nationale Interessen voranbringt durch die Förderung von Menschenrechten, militärischer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit in 57 Staaten“. Die US-Kommission versteht sich somit als selbstmandatierter Hüter der OSZE und deren Ziele – ist mithin kein OSZE-Organ.

Und diese Kommission debattiert ernsthaft über die Zerlegung Russlands. Dass diese Diskussion über eine Zerschlagung der russischen Staatlichkeit Moskau nicht verborgen bleibt, versteht sich von selbst.
So verkündete Russland jüngst eine aktualisierte außenpolitische Strategie, in der der Westen als „existenzielle Bedrohung” für Russland qualifiziert wird sowie die Absicht, die „Dominanz der Vereinigten Staaten und anderer unfreundlicher Länder in der Weltpolitik“ zu beseitigen.

Die Niederlage Russlands würde einen Prozess beschleunigen und intensivieren, der für Russland ein zentrales Motiv für den Krieg gegen die Ukraine darstellt. Erstens die fortgesetzte NATO-Erweiterung – auch weiter in den post-sowjetischen Raum hinein.
Und zweitens würde die Ukraine zu einem hochgerüsteten anti-russischen Bollwerk mit dem Image, Russland besiegt zu haben, ausgebaut. Westliche, vor allem US-amerikanische und polnische Truppen würden direkt an der Grenze Russlands stationiert werden.
Ein für Russland dauerhaftes Trauma. Bereits jetzt hat sich die NATO mit der Aufnahme Finnlands um weitere 1.300 Kilometer an der russischen Grenze erweitert.

Szenario 2: Niederlage der Ukraine

Die Niederlage der Ukraine wäre auch angesichts des Stellvertreterkrieges eine Niederlage des Westens. Es hätte massive Auswirkungen auf das Image der USA als Supermacht, der NATO als größte und mächtigste Militärallianz der Menschheitsgeschichte, der EU als europäisches Integrationsprojekt und der Ambition, unter Führung der USA ein Juniorglobalplayer zu sein.
Es hätte Auswirkungen im Verhältnis der europäischen, insbesondere der osteuropäischen Staaten zu Russland. Auch wenn die NATO- und EU-Mitgliedsstaaten angesichts des Krieges näher zusammengerückt sind, muss es kein Dauerzustand werden. Diese beiden internationalen Regierungsorganisationen bestehen aus Nationalstaaten mit eigentlich auch jeweiligen nationalen Interessen.
So schert beispielsweise Ungarn immer wieder aus dem Chor aus und unterhält bilaterale Sonderbeziehungen mit Russland, wie jüngst mit der Sicherung zusätzlicher Energieströme, was von den westlichen Partnern nicht mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wird. Doch im Einzelnen:

USA

Der relative Machtverlust der USA im globalen System würde beschleunigt. Nicht zuletzt dürfte der fluchtartige Rückzug der USA aus Afghanistan 2021 dazu beigetragen haben, dass die USA als kein zuverlässiger Schutzfaktor mehr wahrgenommen werden.
Der Einfluss der USA selbst auf historische Verbündete wie Saudi-Arabien nimmt bereits jetzt ab. Saudi-Ara­bien scheint sich auf Verhandlungsinitiative Chinas mit dem Iran auszusöhnen, und plötzlich ist der Frieden für den Jemen möglich. Syrien und das NATO-Mitglied Türkei nähern sich unter russischer Vermittlung wieder an. In beiden Fällen spielen die USA nicht nur keine Rolle, sondern die Vermittlungen unterlaufen sogar die geopolitischen Interessen Washingtons.
Die OPEC+ hat kürzlich beschlossen, die Fördermengen, wie von den USA gefordert, nicht zu erhöhen, sondern, wie von Russland gewollt, abzusenken.
Die De-Dollarisierung, also der Abbau der Nutzung des US-Dollars für den internationalen Handel, nimmt immer schnellere Formen an. Immer mehr Staaten finanzieren ihren bilateralen Handel mit ihren Nationalwährungen. Das Zahlungssystem SWIFT erhält perspektivisch Konkurrenz, sodass die nicht-westliche Welt künftig sich dem Sanktionsdruck der USA auch in diesem Bereich immer mehr zu entziehen vermag, womit das inflationär verwendete Schwert der US-Sanktions­politik zur Disziplinierung unbotmäßiger Staaten an Effektivität verlieren wird.

Mit diesen Maßnahmen schwinden die Einflussmöglichkeiten und gleichsam die Einnahmen der USA, womit sich mittelfristig die Frage stellen wird, ob die USA ihre Militärausgaben (858 Mrd. US-Dollar im laufenden Haushaltsjahr 2023) weiterhin stemmen werden können, ob sie die nahezu 1.000 US-Militärstandorte auf den diversen Kontinenten, mit denen die USA ihre militärische Macht projizieren, weiter unterhalten können, etc.

NATO

Dieser US-amerikanische Machtverlust wirkte sich unmittelbar auf die Kohärenz der NATO aus. Es setzten sich vermutlich zentrifugale Kräfte frei, da das Image der NATO, die diesen Krieg selbst zum Schicksal ihres Seins erklärt hat, als wirkmächtigste Militärallianz in der Menschheitsgeschichte effektiv beschädigt wäre und sodann eine nie dagewesene Legitimationskrise erzeugte.
Wenn 31 Mitgliedsstaaten mit einem Militärbudget von über 1,175 Billionen US-Dollar (Stand 2021), davon alleine die USA 801 Mrd. US-Dollar (Stand 2021), und einem Gesamt-BIP von nahezu 40 Billionen US-Dollar (Stand 2021) im Vergleich zu Russland mit einem Militärbudget von 66 Mrd. US-Dollar (Stand 2021) und einem BIP mit vergleichbar mageren 1,8 Billionen US-Dollar (Stand 2021) eine Niederlage einfahren, dann hinterlässt dies einen katastrophalen Eindruck auf den Rest der Welt.

Europäische Union

Die EU, die sich derweil zunehmend an den USA ausrichtet und sich den US-Vorgaben bereitwillig fügt, müsste sich angesichts einer westlichen Niederlage im Sinne des Aspekts einer echten europäischen Souveränität wohl neu erfinden, will sie nicht in die absolute Bedeutungslosigkeit stürzen.
Vielleicht würden im Falle einer Niederlage die Vorstellungen des französischen Präsidenten E. Macron von einem selbstständigeren Europa dann doch auch konstruktive Debatten in den übrigen europäischen Hauptstädten und in Brüssel entfalten, statt sie durch gesinnungsethische Reflexe als quasi Hochverrat zu brandmarken.
Sollte der künftige US-Präsident wieder D. Trump heißen oder jemand von seinem Typus, müsste diese Debatte in Europa ohnehin nolens volens alsbald geführt werden
. Für ein souveränes und selbstständiges Europa zu sein, heißt nicht gegen die USA zu sein, es sei denn, man betrachtet alles jenseits der Unterwerfung unter die USA als anti-amerikanisch. Dass es solch unterkomplexes Denken gibt, zeigen die gegenwärtigen Reaktionen auf Macrons Äußerungen.

Russland würde als Sieger hingegen vermutlich bestrebt sein, entweder die EU zu zerlegen und zu den europäischen Staaten jeweils bilaterale Beziehungen gemäß den russischen Interessen aufzubauen. Oder aber sich die EU gefügig zu machen, um einen „unfreundlichen“ Akteur dauerhaft auszuschalten.
Eine EU ist weder unter US-amerikanischer noch unter russischer Führung für uns Europäer wünschenswert – unsere Interessen sind bei seriöser Betrachtung weder mit denen Russlands noch mit denen der USA deckungsgleich.

Fazit

Der Epochenwandel von der unipolaren westlichen hin zu einer multipolaren Weltordnung wird durch eine kriegerische Unordnung begleitet.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der damit einhergehende Stellvertreterkrieg sind eindeutige – zwar nicht zwangsläufige, jedoch erwartbare – Symptome des Epochenwandels. Zugleich manifestiert und beschleunigt der Krieg den Epochenwandel. Selbst wenn Russland den Krieg mit all den oben genannten möglichen Konsequenzen verlieren sollte, scheint mir der Entwicklungsprozess hin zu einer neuen multipolaren Weltordnung, in der China und der Globale Süden als Kraftzentren die internationale Ordnung mitgestalten werden, unaufhaltsam.
Eine Niederlage Russlands würde sicherlich den Transformationsprozess verlangsamen und vor allem China in eine schwierige Situation bringen, da der große Partner im Norden, also Russland, wegfiele
. Ein zerlegtes oder gar ein pro-westliches Russland stellte für China das Worst-case-Szenario in den geo-, sicherheits- und energiepolitischen Entwicklungen dar.

Der Westen würde im Falle einer Niederlage in atemberaubendem Tempo an globaler Macht einbüßen. Internationale Regierungsorganisationen, die aufgrund westlicher Blockade sich den neuen Machtverhältnissen nicht anpassten, würden durch neue internationale Foren und Institutionen unter Führung der BRICS-Staaten marginalisiert.

Schon jetzt sind die G20 relevanter als die G7. Schon jetzt wenden sich immer mehr Staaten aus allen Kontinenten dem BRICS-Format zu.

Beide Maximalziele, die mögliche Zerschlagung der russischen Staatlichkeit auf der einen sowie die „Beseitigung“ der westlichen Dominanz auf der anderen Seite, zeigen zwei Dinge: Erstens, es handelt sich, wie kritische Beobachter von Anfang an feststellten, eben nicht nur um einen ukrainisch-russischen Regionalkrieg, sondern auch und vor allem um einen geopolitischen Weltordnungskrieg zwischen dem Westen und Russland und ggf. weiteren Staaten der nicht-westlichen Welt.
Und zweitens, die Entschlossenheit beider Seiten wirkt wie zwei aufeinanderzu rasende Züge, bei denen jeweils die Bremsen zuvor mit Absicht ausgebaut wurden, um der Gegenseite die eigene Entschlossenheit zu demonstrieren – keine gute Perspektive für den Weltfrieden.

Bei Russland geht es in diesem Konflikt als Minimalziel um die Sicherung des Status als Großmacht sowie den Anspruch, dass seine Sicherheitsinteressen und somit seine staatliche Existenz berücksichtigt werden – maximal um die Beseitigung der westlichen Globaldominanz und, wenn möglich, um die Kontrolle über den post-sowjetischen Bereich und über Europa.

Für den Westen geht es um das Anhalten und bestenfalls Zurückdrehen der Uhr in Richtung der von den USA geführten unipolaren Weltordnung.
Mindestens aber um das staatliche Überleben der Ukraine und ihrer wie auch immer gearteten Anbindung an EU und NATO.

Die Realität einer Niederlage für die eine oder andere Seite wird jeweils irgendwo im breiten Spektrum liegen.

 Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Wie recht er doch hatte: Fritz Pleitgen über die Ukraine-Krise im Jahr 2014

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aus der SChweiz kommt eine Erinnerung:
https://globalbridge.ch/wir-recht-er-doch-hatte-fritz-pleitgen-ueber-die-ukraine-krise-im-jahr-2014/

Auszüge:

(Red.) Fritz Ferdinand Pleitgen, geboren 1938 in Duisburg und gestorben am 15. September 2022 in Köln, war mehr als nur ein prominenter Journalist. Von 1995 bis 2007 war Pleitgen Intendant des Westdeutschen Rundfunks, von 2001 bis 2002 Vorsitzender der ARD und von 2006 bis 2008 Präsident der Europäischen Rundfunkunion EBU. Vor allem aber war er ein blitzgescheiter Beobachter, Analyst und Kommentator.
Im Herbst 2014 schrieb er für die damalige deutsche Vierteljahreszeitschrift DIE GAZETTE einen Beitrag über die Ukraine-Krise unter der Headline «Das EU-Abkommen als Provokation». Hätten die deutschen Politiker diesen Artikel gelesen, zu verstehen versucht und in großer Schrift übers Bett gehängt, wir hätten heute keinen Krieg in der Ukraine.
Es lohnt sich, diesen Artikel heute nochmals zu lesen, um zu verstehen, warum die westlichen politischen Decision-Makers heute eine völlig falsche und vor allem hochgefährliche Politik betreiben.(cm)

Die westlichen Regierungen – und leider auch fast alle westlichen Medien – machen es sich einfach: Die Ukraine-Krise ist allein Putins Werk.
Doch ganz so simpel ist es nicht. Die EU hat mit ihrer Forderung an die Ukraine, sich in ihrer Ausrichtung zwischen der EU und Russland zu entscheiden, die ukrainischen Eigenheiten und Realitäten klar missachtet. Die damit entstandene Zerreißprobe geht aufs Konto der EU.

In der Ukraine-Krise haben wir ein eindeutiges Bild. Die Guten sind im Westen, der Schurke sitzt im Kreml.
Die Sichtweise ist praktisch. Mag die Situation immer komplizierter werden, mögen die Ereignisse eine unfassbare Dynamik entfalten, wir haben ein sicheres Urteil: hinter allem Übel steckt Putin, der russische Präsident. Von Anfang an!

Die Vorwürfe, die gegenüber Wladimir Putin erhoben werden, sind in der Tat schwerwiegend. Die Annexion der Krim, die nach einer Volksabstimmung unter Bedingungen einer militärischen Besetzung durchgezogen wurde, ist mit den Prinzipien KSZE-Schlussakte von Helsinki nicht zu vereinbaren. Das Gleiche gilt für die militärische Unterstützung der Separatisten im souveränen Nachbarstaat Ukraine. Wenn Vorgänge dieser Art akzeptierte Praxis werden, dann geht Europa mit Sicherheit schweren Zeiten entgegen.

Aber wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Wenn sich Historiker künftiger Generationen frei von Emotionen und Vorurteilen mit der Ukraine-Krise beschäftigen sollten, dann werden sie den Westen kaum von erheblicher Mitschuld freisprechen können.
Sie werden, so fürchte ich, mit wissenschaftlicher Kühle feststellen, dass die schwerste Ost/ West-Krise seit dem Berliner Mauerbau durch das Vorhaben der Europäischen Union ausgelöst wurde, ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abzuschließen.

Was hat die EU falsch gemacht? Sie hat, um es mit den Worten des deutschen Sicherheitsexperten Wolfgang Ischinger zu sagen, die Ukraine-Verhandlungen betrieben, als handele es sich um einen Staat wie Island. Wohl wahr!
Der Vergleich macht die Fahrlässigkeit deutlich, mit der die Europäische Union vorgegangen ist. Von allen potenziellen Assoziierungskandidaten war und ist die Ukraine, was die innere Verfassung und die geopolitische Lage angeht, der mit Abstand problematischste.

In dem Land am Dnjepr hat sich zwar seit dem 19. Jahrhundert eine nationale Identität entwickelt, aber geschichtlich, religiös und kulturell ist es alles andere als homogen. Durch die Ukraine verläuft, so der Historiker Heinrich August Winkler, die historische Grenze zwischen dem lateinischen und dem orthodoxen Europa. Der eine und größere Teil will nach Westen, der andere ist eher Russland zugewandt.

Die Ukraine, ein Staat in fragiler Verfassung

Geschichtlich hat das Land seit der Kiewer Rus mit 1 500 Jahren zwar eine beachtliche Strecke zurückgelegt, aber als unabhängige staatliche Einheit ist es mit gut zwei Jahrzehnten noch blutjung und auf Grund seiner Geschichte entsprechend ungefestigt.
Der Ukraine wäre noch einige Zeit zu gönnen gewesen, um zu einer geschlossenen nationalen Identität zu finden. Ein Staat in dieser fragilen Verfassung hätte vernünftigerweise nicht einer extremen Zerreißprobe ausgesetzt werden dürfen.

Verbietet sich deshalb ein Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine? Keineswegs! Es kommt auf die Umstände an.
Das Land gehört zweifelsfrei zu Europa. Es befindet sich in größten wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, es braucht dringend Hilfe. Aber Hilfe für einen Staat ist nicht so einfach.
Die EU hat es bislang nicht geschafft, trotz des Einsatzes von Milliarden Euro das kleine Griechenland aus dem Schlamassel zu holen. *) Wie soll das für die weit größere Ukraine mit ihren noch grundsätzlicheren Problemen funktionieren?

Für eine wirkungsvolle Unterstützung müssten die bestmöglichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Im Fall der Ukraine wurden sie eher abgeschafft.
Das Land benötigt für seine wirtschaftliche Gesundung mit Sicherheit auch den russischen Markt, mit dem es bislang eng verflochten war.
In den Ländern der EU werden sich die ukrainischen Produkte schwer absetzen lassen. Deshalb wäre es ratsam gewesen, für ein Assoziierungsabkommen ein Konzept zu entwickeln, das Russland in einer erträglichen Form mit einschließt.

Nun haben wir Konfrontation statt Gemeinsamkeit. Dass es so gekommen ist, daran trägt nach gängiger westlicher Darstellung und Überzeugung allein Putin Schuld. Stimmt das?
Man muss kein Globalstratege wie Henry Kissinger sein, um zu wissen, dass kluge internationale Politik nicht nur die Interessen der unmittelbar Beteiligten berücksichtigt, sondern auch die des Umfelds.

Kalkül ohne Berücksichtigung des Umfeldes

Der Westen ist über dieses Prinzip in verblüffend sträflicher Weise hinweggegangen. Die Europäische Union hat nicht nur ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, sondern ebenfalls mit Georgien und Moldawien vorbereitet und inzwischen auch politisch abgeschlossen. Dadurch wird der Status quo in Europa einseitig verändert, weil der Westen mit einem Schlag direkt an die Grenzen von Russland vorrückt.
Im vorigen Jahrhundert wäre eine Veränderung des Status quo gleich um mehrere hundert Kilometer ein Kriegsgrund gewesen – für Ost wie für West.

Nach zwei fürchterlichen Weltkriegen und einem zuweilen beängstigenden Kalten Krieg, in dem beide Seiten nicht einen Millimeter ihres jeweiligen Herrschaftsbereichs preisgaben, ist das nonchalante Vorgehen des Westens erstaunlich. Man mag sich wenig Böses dabei gedacht haben, aber Putin hat es sicher getan. Russische Herrscher sind misstrauische Gesellen. Seitdem ihr Land von den Mongolen überrannt wurde, pflegen sie eine chronische Empfindsamkeit in Sicherheitsfragen.

Nicht von ungefähr wird der 4. November in Erinnerung an die Befreiung von den polnischen Besatzern 1612 als ein nationaler Feiertag begangen. 1612, das ist über 400 Jahre her. Daran heute noch mit einem Feiertag zu erinnern, erscheint uns im Westen seltsam.
Aber diese Art von Geschichtspflege ist für Russland symptomatisch. Der Argwohn vor der Gefahr von außen gehört zum Wesen der Moskauer Politik. Zwei Invasionen (Frankreich und Deutschland), die fast zum Untergang des Staates führten, haben das Misstrauen gegenüber dem Westen nachhaltig bestätigt.
Im politischen Umgang mit Moskau sollten diese historischen Erfahrungen der Russen nicht außer Acht gelassen werden.

Empfindsamkeit in Sicherheitsfragen ist nicht allein eine russische Spezialität. Auch die USA zeichnen sich dadurch aus.
Beispiele gibt es dafür genug. Kuba wird seit Jahrzehnten boykottiert, das harmlose Karibik-Inselchen Grenada wurde mit einem Krieg überzogen und gegen die Sandinistas in Nikaragua wurde mit den Contras interveniert, um sich den Kommunismus vom Leib zu halten.

Große Mächte können höchst unangenehme Nachbarn sein. Die Balten und Polen haben überaus schlechte Erfahrungen mit Russland gemacht. Ihr Bedürfnis, endlich in sicheren Verhältnissen zu leben, ist deshalb mehr als verständlich. Entsprechend gerechtfertigt war die Aufnahme in die Nato.
Dadurch steht das westliche Militärbündnis jetzt vor den Toren von St. Petersburg, zumindest politisch. Russland hat das bislang hingenommen, sicher ohne Begeisterung.
Jeder Schritt, der darüber hinausgeht, sollte wohl überlegt und gut abgesprochen sein. Die drei Assoziierungsabkommen sind mehr als ein Schritt, sie sind, um im Bild zu bleiben, ein gewaltiger Satz. Mit Georgien, Moldawien und der Ukraine wechseln gleich drei ehemalige Sowjetrepubliken, die jahrhundertelang von Russland beherrscht wurden, in den Westen; auf eigenen Wunsch.

Für Moskau bedeutet die Entscheidung der drei Nachbarn nicht nur einen schweren Prestigeverlust, sondern auch geopolitisch eine beachtliche Schwächung. Wieso? In den Assoziierungsabkommen geht es zwar im Wesentlichen um Wirtschaft, aber auch um die Abstimmung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, was prompt den russischen Argwohn vor der Einkreisung durch den Westen weckte.

Kiew – Mutter der russischen Städte

Dass sich Georgien und Moldawien in die Obhut der EU begeben, hat Moskau mehr oder weniger hingenommen. Aber die Ukraine im westlichen Lager?
Das war und ist dem Kreml und auch großen Teilen der russischen Bevölkerung zu viel. Die Ukraine ist für Russland nicht ein Land wie jedes andere.
Mit der Ukraine, insbesondere mit dem Osten, verbinden die Russen enge wirtschaftliche und familiäre Beziehungen, vor allem aber gemeinsame Geschichte. Nicht von ungefähr gilt Kiew als die Mutter aller russischen Städte.

Der kritischste Punkt im Tauziehen um die Ukraine zwischen dem Westen und Russland war die Krim mit Sewastopol, dem Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Es war klar, dass der Hafen bei einem Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU quasi unter westliche Kontrolle geraten würde.
Es war auch klar, dass Putin dies niemals zulassen würde. Aber ungeachtet dieses Gefahrenpotentials blieb Brüssel bei seiner unmissverständlichen Alternative für Kiew: entweder EU oder Russland. Ein gemeinsames Konzept wurde nicht ausgelotet. Wie es weitergegangen ist, wissen wir.

Es bietet sich nun an, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Westen hat seine Ziele, den Abschluss der Assoziierungsabkommen, durchgesetzt. Die jetzige Führung in der Ukraine hat erreicht, was sie wollte: die Anbindung an die EU.
Der größte Scoop scheint Putin mit der Kaperung der Krim gelungen zu sein.
Auf den ersten Blick also allesamt Gewinner. Aber um welchen Preis?
Die Beziehungen des Westens zu Russland stecken in einer gefährlichen Sackgasse; zu eigenen Lasten und zum Nachteil der internationalen Politik. Zusammenarbeit zur Lösung unerträglicher Krisen, wie in Syrien, findet nicht statt.

Die Ukraine hat über das Assoziierungsabkommen die Krim verloren; ob dauerhaft, wird sich herausstellen. Überdies befindet sie sich in einem mörderischen Bürgerkrieg, um die Herrschaft über den Osten des Landes wiederzugewinnen. Die Wirtschaft geht darüber mehr und mehr zugrunde.
Und Putin? Er hat demnächst den Westen direkt vor seiner Tür, was nicht ohne Auswirkungen auf die künftige Entwicklung Russlands sein wird, was zu einer Frage von „to be or not to be“ werden könnte.
Diese Aussicht macht uns seine Reaktionen sicher nicht sympathischer, aber vielleicht verständlicher.

Die Suche nach Gemeinsamkeiten blieb aus

Angesichts dieser Bilanz lässt sich feststellen, dass von keiner Seite politische Spitzenleistungen vollbracht wurden, zumal Reaktion und Gegenreaktion vorherzusehen waren. Es ist schulbuchmäßig gekommen, wie es nicht hätte kommen dürfen.
Entsprechend hoch sind die Verluste. Statt Gemeinsamkeiten zu suchen, schaukelte man sich gegenseitig in eine gefährliche Krise hoch.
Die westlichen Sanktionen schaden massiv der russischen Wirtschaft, werden Putin aber nicht zum Beidrehen zwingen. Prominente Vertreter der geistigen Elite Russlands äußern zwar beißende Kritik am Kurs des Kremls, doch Putin erhält auch vehemente Zustimmung aus Kunst und Kultur und aus der Bevölkerung sowieso. Mit ihrer entfesselten Propaganda tragen die führenden Medien zu dieser Einstellung entschieden bei.

Russland fühlt sich missverstanden

Das Gefühl, vom Westen auf bösartige Weise missverstanden und verleumdet zu werden, ist nichts Neues in Russland. Selbst Feingeister wie Alexander Puschkin fühlten sich zu heftigen Zurechtweisungen des Westens aufgerufen.
Als 1831 russische Truppen in Warschau brutal gegen den Aufstand polnischer Offiziere und Soldaten vorgingen und deswegen im Westen, insbesondere in der französischen Deputiertenkammer, scharfe Proteste auslösten, feuerte der größte aller russischen Dichter eine Breitseite auf „die Verleumder Russlands“, die es in sich hat. In diesem Gedicht heißt es:

„Die Ihr mit Worten droht, versucht’s nur nicht mit Taten!
Der alte Recke ist nicht auf dem Bett erschlafft!
Greift er zum Bajonett, dann zeigt er seine Kraft.
Reizt Russlands Zaren nicht! Ihr wäret schlecht beraten!
Mag ganz Europa uns bekriegen,
Der Russe weiß, wie stets, zu siegen.“

Ähnlich ist es aus dem Russland von heute zu vernehmen.

Da in der jetzigen Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland viel zu verlieren ist, bietet es sich an, das lateinische Sprichwort zu beachten: was immer Du tust, handele klug und bedenke das Ende.
Wir können natürlich zu immer härteren Strafmaßnahmen greifen, auch militärische Optionen wahrnehmen, aber wir müssen davon ausgehen, dass Putin ebenso hart dagegenhalten wird, zumal für ihn mehr auf dem Spiel steht als für den Westen.
Wo das endet, weiß niemand. Sicher ist nur, dass Fragen des Völkerrechts bei einer solchen Entwicklung immer weniger eine Rolle spielen werden.

Nichts ist unmöglich

Meine Hoffnungen ruhen auf der deutschen Regierung. In dem Konflikt mit Russland beweist sie bislang Augenmaß und Weitsicht. Dadurch sind Überreaktionen vermieden und der Kontakt zu Moskau gehalten worden.
Zusammen mit ihren Ukraine-erprobten Partnern Frankreich und Polen sollte die Regierung in Berlin den Westen dazu bringen, gemeinsam mit Moskau drei Ziele anzustreben: Waffenstillstand, demokratische Hoheit Kiews über die Ostukraine und ein vernünftiges Verhältnis zu Russland. Naive Träumerei?
Nichts ist unmöglich! Im Kalten Krieg galt das Problem Berlin als unlösbar und als unberechenbarer Gefahrenherd für einen Atomkrieg. Ständig kam es darüber zu brisanten Ost-West-Krisen. Doch dann setzten sich die vier Siegermächte zusammen und schafften eine Lösung. Die Kriegsgefahr war gebannt und das Leben in der geteilten Stadt wurde erträglich.

Wäre heute ein solcher Durchbruch in der Ukraine-Krise möglich? Sicher, insbesondere der Ukraine wäre es zu wünschen.
Aber ich fürchte, man wird es weiter auf beiden Seiten mit Druck und immer schärferen Strafaktionen versuchen. Das ist bequemer als neue Wege zu gehen, um eine Friedensordnung auszuarbeiten, die allen gerecht wird.

Zum Originalartikel von Fritz Pleitgen in «DIE GAZETTE» Nr. 43 Herbst 2014 als PDF hier anklicken.
Christian Müller, Herausgeber der Plattform «Globalbridge.ch, war damals Chefredakteur der deutschen Vierteljahreszeitschrift «DIE GAZETTE».

*) Ich stelle sehr in Frage, dass die EU mit ihrer Troika das überhaupt wollte. Ein schwaches Griechenland konnte um so besser ausgeplündert werden, z.B. durh FRAPORT, vermittelt von Wolfgang Schäuble.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Ein Lehrstück zu „unseren westlichen Werten“ – Das Imperium schlägt zurück: Bolivien destabilisieren und die Kontrolle übernehmen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das hier beschriebene Vorgehen ist charakteristisch und typisch.
Man kann sich also vorstellen, was hier passieren würde, wenn es – was zur Zeit undenkbar wäre – auch in unserem von den USA besetzten Land mal eine linke Regierung gäbe.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=96073

Der historisch-populare Block in Bolivien unter der Regierung von Luis Arce („Bewegung zum Sozialismus“) ist mit internen Bedrohungen und neuen Methoden imperialer Einmischung konfrontiert.
Wie kann man sie angehen und die wachsende Kluft zwischen Regierung und sozialen Bewegungen überwinden?
Von Isabel Rauber.

Kurzer Rückblick auf die Schaffung des plurinationalen Staates

Die Beharrlichkeit der Völker des plurinationalen Staates Bolivien bei der Eroberung von Rechten und deren Verteidigung hat eine lange Geschichte.
Ihr historisches Streben nach Verteidigung ihrer Identität, nach Gerechtigkeit, nach Anerkennung ihrer Lebensweisen, Weltsichten, ihres Wissens, ihrer Weisheiten, Sprachen und Geschichte, das heißt ihrer Existenz in Würde und Respekt stützt sich auf Jahrhunderte des Widerstandes und des Kampfes.
Aufstände, Revolutionen, Streiks und Straßenblockaden legten Zeugnis ab vom Bewusstsein des Volkes – vereint in seiner Vielfalt –, von der Berechtigung seiner Kämpfe, seiner Forderungen sowie von der grundlegenden Bedeutung, Übereinstimmungen herbeizuführen. Diese können die Grundlage für die Verbindung aller sein, um sich auf eine gemeinsame Plattform zu einigen, die sie als kollektives politisches Subjekt (selbst)etablieren würde. Ein Subjekt, das fähig ist, in der nationalen politischen Arena zu handeln und bei Wahlen die Gelegenheit zu nutzen, die Gestaltung ihres Schicksals selbst zu übernehmen und damit die Anerkennung als Staatsbürger mit allen Rechten zu erreichen und diese ohne Einschränkungen ausüben zu können.
Nach einigen historischen Versuchen mündeten die sozialen Kämpfe der großen Bewegungen der Indigenen, der Bauern, Bergleute, Kokabauern und der Frauen vom Land in einen gemeinsamen Strom mit den städtischen und intellektuellen Sektoren und verbanden sich politisch in der Entschlossenheit, die Demokratie herauszufordern, um sie zugunsten aller zu erweitern. Nach der Erringung von Sitzen im Parlament und der Vertretung in verschiedenen Instanzen der Institutionen bei den Ende 2005 abgehaltenen allgemeinen Wahlen eroberte das Ensemble von Organisationen, aus denen sich die Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) zusammensetzte, mit Evo Morales als Kandidat die Präsidentschaft und Regierung des Landes. Das eröffnete die Zeit einer indigenen, bäuerlichen, volksnahen, entkolonialisierten und interkulturellen Demokratie, die zudem den Anspruch erhob, antipatriarchal zu sein.
Das Jahr 2006 brachte dann zusammen mit dem Sieg große Herausforderungen mit sich: die Verantwortung für Staat und Regierung, die Übernahme der Regierungsgeschäfte in den Departamentos und Gemeinden, und das alles bei Fortbestehen einer elitären und ausgrenzenden institutionellen Rechtsprechung. Unbeirrt machten sie sich an die Arbeit, um etwa den in den Jahren der sozialen Kämpfe entworfenen Nationalen Entwicklungsplan zu konkretisieren und umzusetzen, wie auch eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen und durchzuführen, die die Rechtsgrundlagen für die Gründung des Plurinationalen Staates Bolivien schuf.

Diese Prozesse öffneten die Schleusen für die Entwicklungen demokratisierender, dekolonisierender, interkultureller und integrativer Veränderungen.
Die dabei erzielten Errungenschaften und ihre Lehren sind tiefgehend und reichhaltig. Die vielfältigen Bedeutungen des Erreichten sind noch nicht vollständig erfasst worden. Gab es Fehler dabei? Offensichtlich, wie bei allem, was zum menschlichen Handeln gehört.
Aber damit wurde auch der Weg gebahnt für beeindruckende Veränderungen, so gewichtig und tiefgreifend, dass viele von unbedarften Blicken nicht wahrgenommen werden.

Die Steine im Schuh

  1. Die Reaktion der Opposition
    In einem von ihnen als natürlich angesehenen Herrschaftsbereich in Frage gestellt, setzten die mächtigen Kolonialisten, sowohl die historischen wie auch die aktuellen, anfänglich auf das Scheitern der MAS-Regierung und wandten dafür alle Arten von Fallstricken und Tricks an.

    Als das nicht die erhofften Ergebnisse brachte, versuchten sie, die Fortsetzung des Prozesses zu verhindern und Morales zu stürzen. Die Blockaden seitens der Opposition und die Paralysierung großer Teile des Landes, um die Durchführung der Volksabstimmung zur Ratifizierung der Beschlüsse der verfassunggebenden Versammlung zu verhindern, sollten die Regierung und die sozialen Bewegungen der MAS zum Nachgeben bringen. Sie legten aber den antidemokratischen, kolonialistischen und rassistischen Hintergrund dieser Bestrebungen bloß, und unter breiter Teilnahme des Volkes wurde ihnen schließlich eine Niederlage bereitet. Diese drückte sich in der Durchführung des Referendums aus, das die Beschlüsse der verfassunggebenden Versammlung weitgehend bestätigte.
  2. Entfremdung zwischen der MAS-Basis und der Regierung
    Ohne Zweifel hatten nicht alle Stolpersteine und Fallen ihre Ursache in der hartnäckigen Opposition. Es gab auch Spannungen und Probleme, die aus ungeschickten politischen Maßnahmen herrührten, wie etwa die ohne Befragung vorgenommene Preiserhöhung bei Treibstoffen, die den Benzinstreik auslöste (2010), oder der spätere Konflikt um den Bau einer Straße durch das Tipnis-Schutzgebiet (2011).

    Beide Vorgänge führten in erster Linie zu einer unbestreitbaren Ablehnung durch die direkt betroffenen popularen Protagonisten und markierten den Beginn einer Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten, die sich langsam auch in anderen Auffassungen von Regierung und Staat zeigte.
  3. Von Protagonisten zu Zuschauern
    Zusätzlich zu dem oben Erwähnten nahm die Beteiligung der Protagonisten bei der Ausarbeitung von Maßnahmen und Beschlüssen des Staates bzw. der Regierung immer mehr ab, und in der Folge wurde es immer weniger möglich, dass sie gehört wurden. Die Zurückweisung von Kritik aus den eigenen Reihen, die Ausgrenzung abweichender Meinungen usw. nahmen immer mehr zu. Das alles hatte eine entsprechende Distanzierung einiger der konstitutiven Sektoren der MAS von der Regierungsführung und ihren Behörden zur Folge. Die auf die Rückkehr an die Macht gierige Opposition nutzte das, die Schwächen der MAS wurden schnell und zugleich zu Stärken der Opposition.
    Vielleicht bauten der Bürokratismus der Regierungsführung selbst, die Blendung, die von der Machtausübung ausgeht, die zunehmende Technisierung der Tätigkeit von Staat und Regierung, die aus dem öffentlichen Bereich nach und nach einen für die “befähigten Eliten” reservierten Bereich machte, allmählich systematisch Barrieren zwischen Regierenden und Regierten auf und ließ die Protagonisten zu Zuschauern der Veränderungen werden.*)
  4. Die Loslösung vom kollektiven politischen Subjekt und die Rückkehr des Korporativismus Unterschiedliche soziale Bewegungen und Organisationen, die zuvor vereint waren bei der Formierung eines programmatischen Fundaments, das die Bedingungen für die Regierung Evo Morales 2006 schuf, wurden mehr und mehr von den Regierungsentscheidungen abgekoppelt. Nach und nach wurde die gemeinsame verbindende Basis des kollektiven politischen Subjekts geschwächt und seine Organisationen lösten sich vom Kollektiven – obwohl sie nominal Teil davon blieben –, nahmen wieder Zuflucht in ihren Teilbereichen und machten den Weg frei für bilaterale Verhandlungen mit der Regierung, um Vorteile für Sektoren oder Teilhabe an der Macht einzufordern, je nachdem, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht.
    Das war nicht mehr das vielfältige organisierte Ganze, sondern eine Summe von Teilen, nicht selten mit Rivalitäten untereinander.
  5. Die Schwäche der politischen Führung
    Die gesellschaftliche, politische und kulturelle Verbindung, die zur Bildung der MAS führte, war das Ergebnis von übergreifenden Definitionen, Beziehungen, sektionalen Eigenheiten, Übereinstimmungen, Verbindungen und vom politischen Reifeprozess der Gesamtheit der am Prozess beteiligten gesellschaftlichen und politischen Akteure; das Auseinanderbrechen ihrer Verbindungen war auch das des politischen Instruments und seiner Fähigkeit, den Prozess politisch anzuführen.
    Das schließt eine weitere Dimension der Analyse ein: Wenn das Ganze auseinanderfiel, wenn sich die politischen Akteure abkoppelten, wen repräsentierte und wie führte die MAS dann noch?

Formal existierte eine Führungsinstanz, die scheinbar funktionierte; aber in die Dynamiken des “von oben nach unten” geraten, mehr auf Gehorsam und die Zustimmung der Organisationen aus als auf ihre Basis zu hören, wurden nicht nur die internen Wechselbeziehungen sondern auch das politische und gesellschaftliche Panorama für die MAS immer schwieriger. Es sei daran erinnert, dass diese kollektive politische Organisation niemals eine Entelechie war noch ist; deshalb verringerte das Wegbrechen ihrer Basisbewegungen ihre Fähigkeit für eine einheitliche Führung.
Beeinflusst hat dies auch die Abwanderung einer großen Anzahl von Anführern, die in den Kämpfen geschmiedet wurden, und die Funktionen bzw. Ämter in der Regierung und im Staatsapparat übernahmen und sich dadurch von der Basis entfernten, was die Organisationen und insgesamt das politische Instrument schwächte.
Es ergaben sich neue Facetten des Korporativismus, und zusammen mit internen Machtkämpfen untergruben sie die kollektive Subjektivität, die sich in den Kämpfen bis 2006 herausgebildet und verdichtet hatte.
Die Beziehung zwischen den Mitgliedern, der Parteiführung und der Regierung und dem Staat haben gezeigt, dass es sich nicht um eine “Angelegenheit” handelt, sondern um eine politische Dimension, die nicht spontan gelöst werden kann, die man weder unterschätzen noch dem Gang der Ereignisse überlassen darf. Nicht alles kann vorhergesehen oder im voraus abgewendet werden, aber es gibt wichtige Faktoren, die zur Minimierung der Schwierigkeiten beitragen.
Dazu gehört z.B. die politische und allgemeine Bildung der Mitglieder der Organisationen und die Stärkung der Organisierung der popularen Massen. Dabei sollte die Rotation von Ämtern und Verantwortlichkeiten als verallgemeinerte und ständige Praxis als Teil davon bei allen und jeder einzelnen der gesellschaftlichen, popularen, gewerkschaftlichen, bäuerlichen, indigenen usw. Organisationen bedacht werden.
Das ist zwar keine Lösung für alles, aber es ist ein wichtiges Bollwerk, wenn es darum geht, konkret die Herausforderungen des Regierens und der politischen Führung des Transformationsprozesses anzunehmen.

Vorbereitung und Durchführung des reaktionären Putsches 2019

Die politischen Ereignisse im Land zwischen 2016 und 2019 waren gekennzeichnet von einer Zunahme der Angriffe seitens der Opposition gegen die Regierung, die in einigen Fällen durch Anzeichen von Unstimmigkeiten zwischen den Regierenden und den Regierten vergrößert wurden. Das zeigte sich klar – wenn auch knapp – im “Nein” bei der Volksbefragung bezüglich einer möglichen erneuten Wiederwahl von Evo Morales für das Präsidentenamt des Landes. Dieses Ergebnis wurde wegen der “schmutzigen” Kampagne missachtet, die gegen den Amtsinhaber losgetretenen worden war; die Behörden riefen daraufhin das Verfassungsgericht an, damit es die erneute Kandidatur und Wiederwahl des Amtsinhabers und seiner Regierungsmannschaft zulässt.
Aber die Kandidatur hatte eine inhärente Schwäche: Durch die Missachtung des Ergebnisses der Volksbefragung über die Wiederwahl wurden die Türen geöffnet für neue Provokationen, Verleumdungen, fake news und alle Arten von Manipulationen seitens der lokalen Opposition und ihren internationalen Vertretungen.
Aus den Präsidentschaftswahlen Ende 2019 ging Morales als Sieger hervor, aber der “Faktor OAS **) verzögerte die Bekanntgabe von Teilen der Ergebnisse und machte sie unsichtbar; dadurch wurde der Verdacht möglicher Fehler und nicht gültiger Stimmen mit der klaren Absicht genährt, die Ergebnisse für ungültig zu erklären, Zeit zu gewinnen und die Tore für das zu öffnen, was anschließend geschah: der Staatsstreich.

Diese gewalttätige und verzweifelte Akt der Mächtigen, die sich die Maske der Verfassungsmäßigkeit aufsetzten, war der klarste Indikator für die Richtigkeit und Tiefe der demokratischen Revolution der Völker Boliviens und – daraus folgernd – der Unfähigkeit und Verzweiflung derjenigen, die versuchten, den Prozess zu unterbinden, um sich der ökonomischen und gesellschaftlichen Pfründe zu bemächtigen und jegliche Opposition auszugrenzen und zu zerschlagen.
Die nicht zu kaschierende und zwielichtige Einmischungspolitik der OAS bei der Gestaltung und Lenkung des Putsches machte zugleich nicht nur die Unterstützung des Nordens für die lokalen Oligarchien, sondern auch das geopolitische Gewicht deutlich, das dieser Transformationsprozess für die Region, den Kontinent und die globale imperialistische Hegemonie hatte und hat. Die Wiedererlangung der Kommandogewalt mit diesen Mitteln über ein Gebiet, das als Teil des “Hinterhofs” des US-Establishments angesehen wird, zerriss die Maske von “Freundschaft und Zusammenleben”, die sich ihre Vertreter seit Beginn des Jahrhunderts aufgesetzt hatten. In dieser Zeit transformierten sich Venezuela, Brasilien, Argentinien, Bolivien, Uruguay, Ecuador, Honduras, Paraguay … zu Territorien mit Autonomie und mit Völkern, die immer stärker befähigt sind, ihre Schicksale gemeinsam mit ihren Regierenden selbst in die Hand zu nehmen. Und es war genau diese Gemeinschaft, die sie beschlossen hatten zu zerbrechen.
Trotz der fake news, der Verleumdungen, Fallstricke, der Wiederholung von Lügen durch verschiedene, angeblich informative Kanäle, um Misstrauen zwischen verschiedenen popularen gesellschaftlichen Sektoren und auch innerhalb der MAS zu säen, gelang es den Putschisten nicht, ihre Ziele zu erreichen. Trotz des Durcheinanders und der Zersplitterung oder Abwesenheit einer einheitlichen Führung des Widerstands und in der Konfrontation mit einer anhaltenden und grausamen Unterdrückung gingen die indigenen Völker, die Bauern, die städtischen und bäuerlichen Arbeiter auf die Straße, um sich den Putschisten entgegenzustellen und ihre Manöver zurückzuweisen.

Die Massaker von Sacaba und Senkata zeigten schnell, dass die Putschisten es nicht schaffen würden, die Völker in die Knie zu zwingen, die aufgestanden waren, deren Männer und Frauen die Erfahrung gemacht hatten, dass sie frei auf denselben Wegen wie die Mächtigen gehen können, die die symbolische Macht wertschätzten, dem historischen Unterdrücker direkt gegenüber zu stehen, dass sie nicht nur Zugang zu den staatlichen Institutionen haben, sondern sie auch leiten konnten, dass sie den Wert eines vollwertigen sozialen und politischen Subjekts gewonnen hatten.
All das – zusammengefasst – hinterließ unauslöschbare Spuren in ihren Spiritualitäten und Subjektivitäten und dies stärkte das emanzipatorische und entkolonialisierende Bewusstsein ihres Handelns.
Die popularen Revolten, die Widerstände, das Anprangern des Putsches verbunden mit den andauernden Forderungen nach der Durchführung von Wahlen bereiteten dem Machtstreben der Putschistenbewegung (wenn auch nicht ihren Absichten, noch den Aktionen ihrer Anstifter) ein Ende.
Ende des Jahres 2020 gewann die MAS mit Luis Arce und David Choquehuanca an den Wahlurnen im Verbund mit Indigenen, Bergarbeitern, Bauern, Frauen und popularen Sektoren der Städte.

Die Regierung Arce ist mit neuen imperialen Interventionsversuchen in der Region konfrontiert

Dieser neue Zeitabschnitt für die MAS-Regierung war möglich durch die Zusammenführung der verschiedenen Sektoren zu einer Einheit, die ihre konjunkturellen Betrachtungsweisen beiseite ließen, um die Putschisten zu besiegen.
Aber die internen Brüche und Widersprüche existierten weiter; sie erforderten und erfordern wie nie zuvor die Aufmerksamkeit und politische Arbeit aller und jedes Einzelnen der indigenen, gewerkschaftlichen Sektoren, der bäuerlichen und städtischen Arbeiter, um unter den gegenwärtigen Bedingungen die kommunizierenden Röhren oder die allgemeinen (gesellschaftlichen) Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen sektoralen und territorialen Realitäten und Problemen herauszufinden, um sich aufzumachen zur neuen Organisierung, Herausbildung und Stärkung des kollektiven politischen Subjekts in der jetzigen Zeit.
Aber das kollektive Keimen und Heranreifen einer gemeinsamen neuen politischen Bewusstseinsbildung und Verhaltensweise erfolgt nicht automatisch. In diesem Sinne ist es wichtig – neben den Errungenschaften dieser Periode – sich das Fortbestehen der alten Praktiken vor Augen zu halten, dass Entscheidungen von wenigen und von oben getroffen werden, mit geringer und unzureichender Beteiligung, Konsultation und Dialog mit den Protagonisten des revolutionären politischen Handelns der MAS; was neue Hindernisse bzw. Steine im Schuh der gegenwärtigen Regierung mit sich bringt, die ihr Vorankommen behindern, das Vertrauen untergraben und das politische Instrument schwächen.

Die politischen Gegner, von denen viele erklärte Feinde der Rechte der originären indigenen Völker sind, öffnen heute alle ihre medialen Schleusentore für Desinformations- und Täuschungsmanöver zur politischen Destabilisierung der Regierung. Dieses Ziel wird auf verschiedenen Wegen verbunden mit der Stimulierung von Konkurrenz, Rivalität und internem Misstrauen zwischen Sektoren der MAS, deren Einheit und politische Subjektivität in erster Linie der Gegner ist, den die Opposition zerstören will. Damit stünden ihr die Wege offen.

Die Verschiebung des Datums für die Volkszählung, scheinbar mit dem Einverständnis aller, öffnete die Büchse der Pandora um zu spalten, Fronten zu bilden und das Vertrauen innerhalb der und in die Regierung und ihre hauptsächlichen Vertretern zu untergraben. Welche Ziele wurden damit verfolgt? Das Datum für die Volkszählung hat gewisse Bedeutung, da entsprechend ihrer Ergebnisse den verschiedenen Gebieten Anteile bei der Mitbestimmung und der Vertretung im Parlament zugewiesen werden. Aber das letztendliche Ziel der Proteste seitens der Regierenden von Santa Cruz und ihrer Gefolgsleute ist es, die Regierung, die MAS, ihre höchsten Vertreter und alle diejenigen zu diskreditieren und zu destabilisieren, die sich am Prozess beteiligen oder ihn unterstützen.
Heutzutage sind die Oppositionellen nicht auf einen Putsch aus, auch wenn sie ihn nicht ausschließen. Der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck, der sich in den Blockaden in Santa Cruz ausdrückt, zeigt die neuen, auf Einmischung zielenden Formen der imperialen Strategie für Lateinamerika auf: der Wirtschaft Schaden zufügen, die Regierung diskreditieren, um das Bewusstsein der Menschen zu verunsichern und zu vernebeln, um sie zu spalten und zu isolieren, und sie so ihren Interessen unterordnen zu können.
Sie müssen populare Unterstützung erreichen, um die MAS bei den nächsten Wahlen zu besiegen. Mit ihrer auf Lügen und Verdrehungen basierenden kolonisierenden Strategie hoffen sie, jede Möglichkeit der sozialen Rebellion, des Widerstands, der Veränderung, der kollektiven Organisation ein für allemal zu begraben.

Welches ist die gesellschaftliche, politische und kulturelle Stütze dieser Strategie? Das unablässige und vereinte Agieren der hegemonialen Medien, konzentriert auf die Manipulierung der Tatsachen und klar auf das Erreichen dieser Ziele ausgerichtet, ist eines der Schlüsselwerkzeuge der Mächtigen. Aber die vielfältigen Dimensionen der politischen und sozialen Aktivitäten können nicht auf das Thema Kommunikation reduziert werden, auf das Ergebnis von fake news, von lawfare oder irgendeiner Art von Manipulation oder der fiktiven Schaffung von Szenarien, die den oligarchisch-imperialistischen Interessen förderlich sind und die die Mächtigen zur Rechtfertigung ihres Handelns durchführen könnten.
Niemals wird man frontal mit dem Medienapparat der Mächtigen konkurrieren können: Der ökonomische und juristische Machtapparat würde sich darum kümmern, das zu verhindern. Hier, wie bei allem, was mit kollektivem Handeln zu tun hat, handelt es sich um politische Herausforderungen, um organisierte Massen, um ermächtigte protagonistische Völker.

Unumgängliche Herausforderungen

  1. Die Volksmacht aufbauen, verankert in der Beteiligung der Protagonisten
    Die beste politische Kommunikation der Völker und ihrer Organisationen ist verknüpft mit der Beteiligung ihrer Protagonisten. In diesem Sinne ist es lebensnotwendig, dass die popularen Regierungen zugleich politische Werkzeuge sind, um den popularen Protagonismus bei den Entscheidungsfindungen zu vergrößern. Dafür ist es unumgänglich, die Türen der Regierung und des Staates für die Beteiligung und wachsende Selbstermächtigung der Völker und seiner Organisationen zu öffnen und sich unisono um Information und Bildung zu kümmern.
    All das in Verbindung mit den lokalen Prozessen der Selbstermächtigung in den ländlichen und städtischen Gemeinschaften als Samen der Volksmacht, wo die gesellschaftlichen und politischen Befreiungskräfte aufkeimen und erstarken, die fähig sind, den Transformationsprozess immer mehr zu beleben und zu vertiefen. Aus dieser Perspektive heraus bedeutet das, die Demokratie zu demokratisieren, sie zu auszuweiten und Räume für die Prozesse der Selbstermächtigung der historisch davon Ausgeschlossenen zu öffnen; damit sind die zentralen politischen Herausforderungen im jetzigen Moment zusammengefasst.
  2. Aus der Erfahrung lernen
    Diese Selbstermächtigung war schon vorher im Gange, während und nach 2006, aber es ist gut, das erneut zu bekräftigen und dabei beispielsweise im Auge zu haben, dass die politischen Irrtümer oder Fehler der MAS in der Regierung auch einen Nutzen hatten. Sie unterstrichen – durch Nichtvorhandensein – den transzendentalen politischen Schlüssel des laufenden revolutionären Prozesses: die Notwendigkeit der Beteiligung der indigenen, bäuerlichen, gewerkschaftlichen, popularen … Sektoren als Protagonisten bei Entscheidungen, bei der Bestimmung der öffentlichen Politiken und bei allen gesellschaftlichen Themen, von denen sie Teil sind.
    Es ist dringend notwendig, diese Lehren zu begreifen und sich zu eigen zu machen; sie sind Teil der Fundamente einer neuen und erneuerten Organisierung des kollektiven politischen Subjekts, und das geschieht nicht spontan; die bewusste Arbeit der sozialen, gewerkschaftlichen, indigenen, bäuerlichen, kommunitären, städtischen usw. Organisationen, insbesondere der Strukturen der MAS ist unerlässlich.
    Die Einheit wird nicht deklamiert, sie ist in konkreten Grundlagen verankert, die sich aus der Identifizierung von Brücken und kommunizierenden Röhren zwischen den verschiedenen Realitäten, Identitäten, Weltanschauungen und sektoralen, territorialen und kommunitären Problemstellungen auf Seiten der popularen Akteure und ihrer Organisationen ergeben. Und es ist entscheidend, dass sie es sind – als Protagonisten –, die sich der Aufgabe annehmen, diese Zusammenhänge herauszuarbeiten, indem sie im derzeitigen politischen Panorama die Bruchstellen in dem gesellschaftlichen und kulturellen Durcheinander, das in Krisenzeiten entsteht,  klären. Dies wird die gemeinsame Herausbildung einer aktualisierten kollektiven Identität als materielle Grundlage eines (untereinander) organisierten politischen Subjekts ermöglichen, das die Aufgaben der Gegenwart erfordern. Eine politische Erneuerungs- und Aktualisisierungsarbeit, die – andererseits – ständig erfolgen müsste, wie es René Zavaleta Mercado eindringlich angemahnt hat.
  3. Die Strategie der Rekolonisierung und der Beherrschung der Köpfe besiegen
    Die Hegemonie der Macht rührt nicht allein von der Destabilisierung und Diskreditierung von Regierenden und historischen gesellschaftlichen Anführern her; das “teile und herrsche” reicht nicht mehr aus. In diesen Jahren politischer Kämpfe haben die Mächtigen gelernt und ihre Strategien perfektioniert; insoweit ist es für sie nicht mehr angebracht – wie früher –, den Militärs zu befehlen, die schmutzige Arbeit mit den Staatsstreichen zu erledigen, sie setzen jetzt auf “demokratische Beherrschung”.
    Mit dem Öffnen der demokratischen Kanäle beabsichtigten sie ursprünglich, die popularen Widerstände auszuhebeln und dann die Demokratien nach ihren Erfordernissen zu gestalten, indem sie sie kontrollieren und begrenzen. Dafür haben sie auf die Aktualisierung ihrer alten, heute verstärkten Bestrebung zurückgegriffen, dass nur die Kontrolle und Herrschaft über die Köpfe der Völker es ermöglichen wird, sie zu beugen und niederzuhalten; sie glauben zu machen, dass sie Freiheit genießen, während sie in Unterwerfung leben.
    Sich diesem Kreuzzug der kulturellen Beherrschung (Hollywood & CocaCola) entgegenzustellen, der sich gegen das Volk richtet, ist eine weitere der großen Herausforderungen der jetzigen Zeit, sowohl für Bolivien wie auch für die ganze Region. Dies, verknüpft mit den gleichzeitigen Prozessen der Partizipation und Selbstermächtigung der Völker, des Aufbaus der Volksmacht in verschiedenen Gemeinschaften und Territorien, mit der Schaffung der Einheit in der Vielfalt der Identitäten und Zugehörigkeiten der Völker, die sich aus ihrer Verbindung zu einem kollektiven sozialen und politischen Subjekt ergibt.

Diese politischen Herausforderungen bringen die Überlegungen Rodolfo Puiggrós in die Gegenwart, als er erklärte, dass die ökonomische Beherrschung nur möglich sei, wenn ihr die kulturelle Beherrschung vorausgeht.
Und auch die Warnung von J.W. Cooke, dass es im Bewusstsein keine Leerstellen gibt; dass das, was von der Ideologie der Völker aufgegeben oder vernachlässigt wird, von der Ideologie der Mächtigen besetzt wird. Bleibende Wahrheiten…

Und das erinnert auch – in sehr abgekürzter Form – an ein Schlüsselkriterium der politischen Aktion: vox populi, vox Dei. Und es ist gut, heute wie nie zuvor, sich das vor Augen zu halten.
Die antidemokratischen Sektoren wissen das und versuchen deshalb, die Hirne mit ihren Lügen zu kolonisieren, sie zu vernebeln, das Zugehörigkeitsgefühl zur Klasse und zu den Völkern zu beseitigen.

Die Frage ist: Verstehen wir das alle?

Übersetzung: Gerhard Mertschenk, Amerika21

*: Im Kleinen ließ sich das hier sehr gut in Thüringen unter dem Ministerpräsidenten Ramelow, Mitglied der Linken, gut beobachten.

**: Die OAS ist die von den USA konkurrenzlos domonierte Organisation amerikanischer Staaten

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Paritätischer Armutsbericht 2022: “Zwischen Pandemie und Inflation”

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Siehe: https://www.der-paritaetische.de/themen/sozial-und-europapolitik/armut-und-grundsicherung /armutsbericht-2022-aktualisiert/

Dort auch Methodische Hinweise sowie Fragen und Antworten zum Armutsbericht.
Dabei hatte ich schon 2015 zu berichten:
https://josopon.wordpress.com/2015/05/05/das-zerrissene-land-noch-nie-war-die-armut-in-deutschland-so-hoch-wie-derzeit/

Also, auch mit der „sozialdemokratischen“ Regierung wird es nicht besser.
Auszüge:

Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Armutsquote von 16,9 Prozent im zweiten Pandemie-Jahr (2021) einen traurigen neuen Höchststand erreicht.
14,1 Millionen Menschen müssen demnach hierzulande derzeit zu den Armen gerechnet werden, 840.000 mehr als vor der Pandemie.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet angesichts der aktuellen Inflation mit einer weiteren Verschärfung der Lage und appelliert an die Bundesregierung, umgehend ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg zu bringen, das bei den fürsorgerischen Maßnahmen ansetzt: Grundsicherung, Wohngeld und BAföG seien bedarfsgerecht anzuheben und deutlich auszuweiten, um zielgerichtet und wirksam Hilfe für einkommensarme Haushalte zu gewährleisten.

“Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch. Noch nie wurde auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen und noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie”, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Während 2020 noch die verschiedenen Schutzschilde und Sofortmaßnahmen der Bundesregierung und der Länder dafür sorgten, dass die Armut trotz des wirtschaftlichen Einbruchs und des rapiden Anstiegs der Arbeitslosigkeit nur relativ moderat anstieg, seien die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie 2021 offenbar voll auf die Armutsentwicklung durchgeschlagen, so die Ergebnisse der Studie.

Auffallend sei ein ungewöhnlicher Zuwachs der Armut unter Erwerbstätigen, insbesondere Selbständiger (von 9 auf 13 Prozent), die während der Pandemie in großer Zahl finanzielle Einbußen zu erleiden hatten. Armutshöchststände verzeichnen auch Rentner*innen (18,2 Prozent) sowie Kinder und Jugendliche (21,3 Prozent).

Fünf Bundesländer weisen sehr hohe Armutsquoten auf: Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Berlin und das Schlusslicht Bremen, weit abgeschlagen mit einer Armutsquote von 28,2 Prozent. Armutspolitische Problemregion Nr. 1 bleibt dabei das Ruhrgebiet, mit 5,8 Millionen Einwohnerinnen der größte Ballungsraum Deutschlands. Mehr als jeder Fünfte dort lebt in Armut.
In einem Länderranking würde das Ruhrgebiet mit einer Armutsquote von 22,1 Prozent gerade noch vor Bremen auf dem vorletzten Platz liegen.

Galerie:

Armuts- und Wirtschaftsentwicklung

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Armutsquote, SGB II-Quote und Arbeitslosenquote (in %)Armutsbericht_aktualisiert_Grafik_2.png

Arme nach Erwerbsstatus (in %)Armutsbericht_aktualisiert_Grafik_3.png

Armutsquote (in %) – Ranking nach Bundesländern

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Veränderung der Armutsquote in den Bundesländern 2020-2021 (in %)

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Der Verband fordert die Ampel-Koalition zu rigiden und wirkungsvollen Maßnahmen gegen die rapide steigende Armut in Deutschland auf.
Ulrich Schneider: “Angesichts der Entwicklungen des vergangenen Jahres ist erst recht keine Zeit zu verlieren, um die wachsende Not zu lindern. Die Armut wird nicht nur immer größer, sondern mit den explodierenden Preisen auch immer tiefer. Von zentraler Bedeutung sind eine spürbare Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und Altersgrundsicherung von jetzt 502 auf 725 Euro, eine existenzsichernde Anhebung des BAföG und die zügige Einführung der Kindergrundsicherung.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Zum 10. Todestag von Hugo Chavez: Wegbereiter für eine multipolare Welt

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aus der Neuen Rheinischen Zeitung http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28513
Von Elke Zwinge-Makamizile

Am 5. März 2023 war der 10. Todestag von Hugo Chavez. Er wurde nur 59 Jahre alt. Es gab Stimmen, die einen natürlichen Tod bezweifelten, so Evo Morales und Eva Golinger: „Chavez forderte die mächtigsten Interessen heraus und beugte sich nicht. Ich glaube, dass er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ermordet wurde.“ *)
1989 gehörte Chavez zu der Gruppe von Militärs, die die neoliberale Ausbeutung und große Verelendung, gefördert durch den IWF, bekämpfte. Chavez war führend beim blutig niedergeschlagenen Aufstand Caracazo. Er wurde verhaftet. Unter politischem Druck freigelassen, konnte er 1998 mit großer Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt werden. In Venezuela begann der Aufbruch zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
In Europa fielen die Bomben im völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien, ein Türöffner für weitere Kriege. Chavez erste Amtshandlung war die Einbeziehung der Bevölkerung in die Gstaltung einer neuen Verfassung als Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Realität.
In einer nie vorher gekannten Partizipation der einfachen Bevölkerung, die ihre Würde zurückbekam, wurde über ein Referendum die Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela im Jahre 2000 verabschiedet. Damit war der erste Schritt zur Abkoppelung von den USA, die Lateinamerika als ihren Hinterhof betrachtete und behandelte, vollzogen.
Der Bezug auf Simon Bolivar, Freiheitskämpfer für ein vereintes Lateinamerika gegen die spanische Kolonialmacht, wurde zum Programm einer Entkolonialisierung gegen die Vorherrschaft der USA.
Die USA hat über 100 Interventionen in Lateinamerika durchgeführt, darunter der Putsch gegen die sozialistische Regierung Chiles, auch den Putschversuch gegen Chavez 2002. Es gibt über 40 US-Militärstützpunkte allein in diesem Subkontinent. In der Regierungszeit von Hugo Chavez kamen weitere US-Militärstützpunkte um Venezuela herum (in Kolumbien) hinzu.

Das Programm eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts nahm unter Hugo Chavez Gestalt an. Die Armutsrate wurde heruntergefahren. Es erfolgte eine Alphabetisierung mit der Unterstützung Cubas.
Die Unesco bescheinigte große Fortschritte bei den Milleniumszielen. Die in der Verfassung verankerten partizipativen demokratischen Rechte und Arbeitsrechte wurden schrittweise realisiert.

2004 gründeten Venezuela und Cuba die Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA). Es war die Alternative zu der von den USA geplanten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA. ALBA ist ein Bündnis neuartiger wirtschaftlicher Beziehungen durch Kompensationabkommen. Kulturelle und politische Kooperationen werden zur gegenseitigen Stärkung ausgebaut.
Es entstehen neue Finanzstrukturen mit regionaler eigener Währung (der Sucre) und staatlich kontrollierte Banken.
Die Bank des Südens war Vorreiter der später mit den BRICS-Staaten vorangetriebenen Entwicklungsbanken wie die AIIB mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße.

Das ALBA-Bündnis umfasste die fortschrittlichen Länder Bolivien, Nicaragua, Ecuador und Honduras (bis zum US-Putsch) und mehrere karibische Inselstaaten. Mit den BRICS-Staaten und der Shanghai-Kooperation entstand ein bedeutendes Gegengewicht zur unipolaren Welt der USA.
Die von den USA dominierte OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) verlor mit dieser globalen Entwicklung bedeutend an Einfluss.

Eine der letzten Amtshandlungen Hugo Chavez war die Gründung von CELAC (Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten) als souveräne Organisation der lateinamerikanischen und karibischen Staaten, ohne die USA und Kanada, eine Alternative zur OAS. Die Länder entscheiden laut Satzung souverän über ihre natürlichen Ressourcen und ihre Politik.
Auftrag ist die Bekämpfung von Armut und Hunger, Verzicht auf Nutzung von Atomwaffen und Ablehnung von politischen und militärischen Interventionen von außen (alles Punkte, die sich auch in der Verfassung Venezuelas finden).

CELAC erklärt Lateinamerika zur Zone des Friedens! Nach einer Zeit der Inaktivität ist mit den globalen Verschiebungen der Kräfteverhältnisse zugunsten einer Kooperation zwischen den Ländern des Südens durch die Zusammenarbeit mit China auch eine Neubelebung von CELAC erfolgt. Die Sanktionen gegen Venezuela und Cuba werden abgelehnt.
Es ist bekannt, dass diejenigen Staaten, die sich der unipolaren Welt, den USA und NATO-Ländern widersetzen wie Cuba, Venezuela, Syrien, Iran, Nordkorea, Belarus und seit 2022 insbesondere Russland mit völkerrechtswidrigen Sanktionen bestraft werden. Zentraler Begriff beim Treffen von CELAC in Buenos Aires dieses Jahr ist die Multipolarität. Die Prinzipien von Nichteinmischung und Selbstbestimmung sind seit der Konferenz von Bandung 1955 völkerrechtliche Prinzipien zur Entkolonialisierung, auch wenn die einzelnen Staaten recht unterschiedliche gesellschaftspolitische Vorstellungen und auch Abhängigkeiten von den USA bedienen.

Noch einmal zu Cuba und Venezuela, zu Hugo Chavez und Fidel Castro! Ihre langjährigen politischen und persönlichen Erfahrungen führten zu den gemeinsamen Erkenntnissen, dass es keine kriminelle Tat gibt, die nicht von den mächtigsten Kräften der USA ausgeführt werden würde, wenn es möglich ist, um im Interesse bestimmter Mächtiger zum Ziel zu kommen.
Zur Zeit der Corona-Plandemie gab es vermutlich mehrere Präsidentenmorde. Und auch die Zerstörung von Nordstream ist ein aktuelles Beispiel.

Gegen die dunklen Kräfte ist Hugo Chavez mit vielen anderen Lebenden und Toten auf diesem Subkontinent ein Leuchtturm für die sich emanzipierenden Staaten und deren Bevölkerungen.
Auch wenn die einheimischen Eliten vernetzt mit den Eliten des Nordens dagegen stehen.

Hugo Chavez unkorrumpierbare politische und moralische Stärke speiste sich unter anderem aus der Anklage: „Der Kapitalismus ist eine höllische Maschine, die jede Minute eine beeindruckende Menge an Armen produziert, 26 Millionen Arme in 10 Jahren sind 2,6 Millionen pro Jahr an neuen Armen, das ist der Weg, auch der Weg zur Hölle.“

Hugo Chavez hat mit der Gründung von ALBA einen bedeutenden Anteil an der wiederbelebten Integration Lateinamerikas und der Karibik im Sinne einer Unabhängigkeitsbewegung gegen die Dominanz des Nordens. Die Süd-Süd-Kooperationen mit neuen Strukturen auf allen Ebenen dynamisierten die Entwicklung der multipolaren Welt.

Dokumentarfilm „Venezuela in guter Verfassung“ von Elke Zwinge-Makamizile
https://youtu.be/fWh3mImekTE

Siehe auch:

Die EU-Verfassung und die Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela – Zwei unterschiedliche Einstellungen zum Menschen
http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Europa/verf/zwinge.html

*: Die schwere Krebserkrankung Chavez‘ ist gut dokumentiert, leider finde ich den Link nicht mehr.

Zu diesem Thema hier schon 2 ältere Einträge:
https://josopon.wordpress.com/2020/12/25/venezuela-die-boykottierte-parlamentswahl-der-angekundigte-wirtschaftliche-wiederaufbau-und-das-ende-der-juan-guaido-fiktion/

und

https://josopon.wordpress.com/2019/02/28/faktencheck-venezuela-was-in-deutschen-medien-uber-das-sudamerikanische-land-verbreitet-wird-und-wie-es-tatsachlich-aussieht-ein-staatschef-aus-dem-regime-change-labor/
Jochen

Wikipedia-Meute hetzte gegen Clemens Arvay – der österreichische Waldbiologe wählte den Freitod

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Clemens Arvay +In den letzten Wochen sind einige Nachrufe für Clemens Arvay erschienen, von denen ich den von Boris Reitschuster hier deshalb verbreite, weil dieser Autor nicht in irgendeine Schublade zu stecken ist.
Ich habe 2020 ein Buch von Arvay über die Gefahren des Corona-Virus und der mRNA-Impfstoffe gekauft und auch hier darüber berichtet:
https://josopon.wordpress.com/2020/11/28/genetische-impfstoffe-gegen-covid-19-hoffnung-oder-risiko/
Seine damaligen Warnungen haben sich leider bewahrheitet, aber von Anfang an hat die von der Pharmaindustrie finanzierte Meute der Impfpropagandisten ihn angefeindet, ihn als Hochstapler verleudet, ihm seine akademischen Qualifikationen abgesprochen und an seinen Arbeitsstätten verleumdet. So, wie es dieser Mob eben macht, auch z.B. bei Markus Fiedler oder Daniele Ganser. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=5rGcQLwv4hM
Nur gut, dass ich schon in Rente bin, die mir diese Brut nicht streitig machen kann.
Mittlerweile habe ich mir das Buch gekauft, mit dem er bekannt geworden ist: „Der Biophilia-Effekt“, über die Gesundheitswirkungen des Waldes auf den Menschen, s.u.
Das Buch gefällt mir ausgezeichnet, weil er einereits regelmäßig auf die Originalartikel in seriösen Zeitschriften verweist, auf die er seine Aussagen stützt – andererseits aber mit viel Empathie und Lebensgefühl schreibt und dabei einen warmen Optimismus vermittelt. Nur schade, dass dieser für ihn selber nicht mehr ausgereicht hat, angesichts der ständigen Kränkungen und ANfeindungen.
Und hier nun auszugsweise Boris Reitschuster:

„Es war eine Hinrichtung. Er war vollkommen verzweifelt“

Der Freitod von Clemens Arvay – die Geschichte einer Menschenjagd

Der Tod von Clemens G. Arvay hat viele Menschen aufgewühlt – auch mich. Der Wissenschaftler, der durch seine Kritik an der „Impfung“ genannten Gentherapie gegen das Corona-Virus bekannt wurde, hatte mit seiner sympathischen und offenen Art und seinem Mut einen Platz in den Herzen vieler Menschen gewonnen. Der Vater eines kranken, kleinen Sohnes wurde nur 42 Jahre alt. Über den Tod des charismatischen Wissenschaftlers habe ich mit dem Psychiater Raphael Bonelli gesprochen, der in einem engen Austausch mit Arvay stand. Bonelli macht die Hetze gegen Arvay in den Medien, in den sozialen Netzwerken und auch auf Wikipedia für die Entscheidung Arvays zum Freitod verantwortlich. Er berichtet auch von einer Art Abschiedsbrief, den der 42-Jährige hinterlassen hat: Einen Zettel, der in seinem Rucksack war.

„Er hat sich bei mir lange, über ein Jahr immer bei Whatsapp ausgeweint und ich konnte beobachten, wie dieser Mann immer mehr verzweifelt. Weil er ursprünglich ein gefeierter Experte war, vor Corona, wurde besonders hofiert, eher von den linken Medien, er hat sich selber als Linker identifiziert, hat sich stark gemacht gegen Antisemitismus, eine honore Persönlichkeit“, berichtet der Psychiater: „Es war eine unglaublich hasserfüllte Hetze.“ Weil er Arvay an sein Institut zu einem Vortrag eingeladen hatte, habe er selbst böse Briefe bekommen.

‚Tief verletzt‘

Von September 2020 bis September 2021 konnte er merken, „wie hier ein Mensch zerstört worden ist“, erzählt Bonelli: „Am Ende war er tief verletzt, am Ende fast paranoid, hat Feind von Freund nicht mehr unterscheiden können, er war vollkommen verzweifelt.“ Das habe er auch in dem Zettel geschrieben, der nach seinem Tod in seinem Rucksack gefunden wurde: „Er war verzweifelt über das, was über ihn gesagt wurde, empfand sich als völlig hilflos“, angesichts dessen, was alles geschrieben wurde.
„Ich bin wirklich ein Zeuge dafür, was alles Grausiges passiert ist um diesen Mann.“
Unter anderem wurden seine Universitäten mit Denunziations-Schreiben überhäuft – was dazu führte, dass er eine Doktoranden-Stelle nicht antreten konnte.

Das bittere Fazit von Bonelli: „Es war eine Hinrichtung. Es war eine Steinigung. Jeder hat einen Stein geworfen, der eine kleiner, der andere größer, keiner dieser Steine bringt um. Aber die Fülle der Steine, die können einen Menschen einfach erledigen. Das ist passiert beim Clemens.“
Vor allem die „Verewigung“ der Hetze auf Wikipedia habe ihn verzweifeln lassen.

Hier geht es direkt zu dem Video-Interview.

PS: Unterstützen können Sie den achtjährigen Sohn von Clemens Arvay durch eine Überweisung an Rosa Maria Arvay. Bank Austria, AT02 1200 0100 2724 0307 (BIC: BKAUATWW) – bitte unbedingt den Vermerk „für Jonny“ angeben.
Hier finden Sie die Hintergründe der Spendenaktion: https://youtu.be/QH8fJ9Z8DRQ

PPS: Bitter finde ich auch, dass viele großen deutschen Medien zu dem Tod Arvays schweigen. Dieselben Medien, die im Sommer 2022 groß über den Selbstmord der österreichischen Ärztin und Impf-Aktivistin Lisa-Maria Kellermayr berichtet und für diesen Impfkritiker verantwortlich gemacht haben. Selbst die Tagesschau berichtete damals groß. Sie sei in den Tod gehetzt worden, so der Konsens und die Anklage der großen Medien damals.
Arvay ist ihnen dagegen kein Wort wert. Manche Medien und Nutzer in den sozialen Medien hetzten auch über den Tod hinaus weiter ( https://reitschuster.de/post/impfkritiker-clemens-g-arvay-42-tot/).

Impfkritiker Clemens G. Arvay (42) tot

„Extremst gelitten“ unter Hetze – Psychiater: „Wikipedia-Macher töten!“

Clemens G. Arvay ist tot. Wie das Portal „report24.news“ jetzt berichtet, setzte der Wissenschaftler, der durch seine Kritik an der „Impfung“ genannten Gentherapie gegen das Corona-Virus bekannt wurde, am 18. Februar 2023 seinem Leben ein Ende.
Der Vater eines Sohnes wurde nur 42 Jahre alt. „Als er mit wissenschaftlicher Akribie schon früh die verfügbaren Studien zu den so genannten mRNA-Impfungen analysiert und öffentlich präsentiert hatte, wurde er zum Opfer einer unsäglichen Hasskampagne“, schreibt das Portal: „Dem Absolventen der renommierten BOKU Wien wurde unter anderem auf Wikipedia vorgeworfen, er habe als bloßer ‘Landschaftsgärtner‘ keine Ahnung vom Immunsystem.“

Hintergrund der Diffamierung ist Unwissen: Offenbar glaubten die Hetzer, bei der „University of Natural Resources and Life Sciences“, auf Deutsch „BOKU“, handle es sich um eine Uni, an der „Landschaftsgärtnerei“ unterrichtet würde, so „report24.news“: „Vor allem ein linksradikal motivierter Mob auf Wikipedia, der sich hauptsächlich hinter Pseudonymen verbirgt, und der ‘Volksverpetzer‘ haben nach Kräften versucht, seine Reputation zu beschädigen.“

Arvay hatte unter anderem sehr früh Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zulassungen für die mRNA-Stoffe geäußert. Inzwischen verdichten sie die Anzeichen dafür, dass er mit seinen Bedenken Recht hatte.
Viele Menschen schrieben in ersten Reaktionen auf die Todesnachricht, dass sie sich wegen der Bedenken von Arvay gegen eine Spritze mit dem mRNA-Wirkstoff entschieden haben.

Anmerkung: Ich auch !

Das Portal schreibt weiter zum Tod des nachdenklichen Wissenschaftlers: „Die Nachricht vom Tod Arvays trifft all jene, die in ihm, seinen evidenzbasierten Herangehensweisen, seinem zurückhaltenden Wesen und seinem gesamten Wirken und Forschen ein Vorbild sahen, mit großer Wucht. Hilflos steht man neben dem Geschehen und weiß, dass man nichts davon wieder reparieren kann, nicht nachträglich jede Hilfe anbieten kann. Die Entscheidung Arvays war endgültig – die Last aus der Gesamtsituation heraus für ihn wohl unerträglich.“

Typischer Linker

Dabei stammte Buchautor Arvay eher aus „linken Kreisen“: Aus solchen, „denen Naturschutz, Umwelt und Tierschutz ein echtes Anliegen sind und nicht nur bloße Lippenbekenntnisse“, so „report24.news“.

„Wikipedia“, das längst von einer Online-Enzyklopädie zu einem Diffamierungsportal wurde, hetzt gegen den Wissenschaftler in der gewohnten Manier: „Ab 2020 trat Arvay mit ablehnenden Äußerungen zu den Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie an die Öffentlichkeit und wurde zu einem der bekanntesten Impfskeptiker im deutschsprachigen Raum. Er fiel besonders durch irreführende Schlussfolgerungen über das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko der Corona-Impfstoffe auf.“

Die Verantwortlichen bei Wikipedia sollten sich einmal überlegen, was ihre Diffamierungen bei Menschen anrichten. Auch das via Gemeinnützigkeit vom Steuerzahler quersubventionierte Hetzportal „Volksverpetzer“, eine Art Kindergarten-Stasi im „Outsourcing“, hatte massiv gegen Arvay gehetzt. Es widmete ihm, wie vielen Regierungskritikern, ganze Diffamierungs-Artikel.
Mit Überschriften wie dieser – in Großbuchstaben im „Bild“-Stil: „ANTI-IMPFSTOFF-PROPAGANDA: WIE EUCH CGARVAY ÜBER MAILAB MANIPULIERT. WAS EUCH CLEMENS ARVAY VERSCHWEIGT.“
Früher wurde als Autor des Hetzbeitrages Jan Hegenberg genannt. Inzwischen steht nur noch „Volksverpetzer Team“ als Autor da.

Der Psychiater Raphael Bonelli, der Arvay persönlich kannte, sagt in einem Video zum Tod: „Er war sehr verzweifelt wegen der Medienkampagne, die gegen ihn gelaufen ist. Vor allem auf Wikipedia und von so manchen Medien wie Volksverpetzer oder Falter.“ Arvay habe „extrem darunter gelitten, wie er auf Wikipedia behandelt wird“. Er sei dort „in ein radikales Eck gebracht“ worden, ihm seien „immer wieder alle Qualitäten abgesprochen worden.“

Bonelli richtet einen Appell an diejenigen, die im Schutze der Anonymität bei Wikipedia über Menschen mit Klarnamen solche Dinge verbreiten: „Sie können töten! Sie töten damit! Sie bringen Menschen um. Das ist nicht nur bei Clemens Arvay so, sondern auch bei anderen Menschen, die ich kenne. Immer wieder hat er mich angerufen und hat geweint, wie Wikipedia ihn behandelt. Dieses pseudo-objektive Geschwafel von Menschen, die einfach andere Menschen kaputt machen wollen. Nur, weil er eine kritische Position zu Corona eingenommen hat, die sich als wahr herausgestellt hat“. Es handle sich um eine Katastrophe, so Bonelli: „Wir müssen umdenken. Diese Intoleranz, die wir in den letzten zwei, drei Jahren erlebt haben, ist tödlich. Und besonders die Hetze auf Wikipedia und von manchen Medien. Hören Sie auf damit! Nicht nur bei Clemens Arvay. Sondern auch bei vielen anderen Menschen!“

Besonders bitter und in meinen Augen unerträglich: Auf Twitter wird Arvay noch nach seinem Tod von rotgrünen Aktivisten mit Häme und Spott überzogen. Hier ein Beispiel, das mir die Sprache verschlagen hat:

Diese unerträgliche Hetze gegen einen Toten brachte es auf fast 5.000 Ansichten. Was sind das für Menschen, die so etwas veröffentlichen? Was läuft so falsch in unserer Gesellschaft, dass diejenigen, die sich für die besseren Menschen halten, auch nach dem Tod noch nachtreten gegen Andersdenkende?

Wenigstens gab es in den Kommentaren zu diesem Tweet Gegenwind.
Eine Nutzerin schreibt: „Diese Art von Öffentlichkeit hat Arvay mit in den Tod getrieben. Ihnen fehlt ein absolutes Mindestmaß an Anstand und Pietät. Sie sollten sich schämen.“ Ein anderer Nutzer schreibt: „Manchmal denkt man, man habe in alle Abgründe geschaut. Nach Deinem Tweet ist mir klar, es gibt immer abscheulichere.“ Ein weiterer Beitrag: „Wegen solchem Dreck hat er sich vermutlich umgebracht.“

Auch die Wiener Tageszeitung „Der Standard“, die Bonelli ebenfalls der Hetze gegen Arvay bezichtigt, betreibt in einem Bericht über den Selbstmord weiter ihr „Framing“ gegen den Verstorbenen. Und gegen Bonelli gleich mit.

„report24.news“ schreibt: „Wer dem sanften und freundlichen Menschen Clemens G. Arvay Ehre erweisen möchte, wird versuchen, seinen Zorn auf jene im Zaun zu halten, die ihm in den letzten Jahren so sehr unrecht getan haben. Man nehme sich an Arvays wissenschaftlichem Anspruch ein Vorbild: Immer bei den Fakten bleiben, immer selbstkritisch bleiben, Menschen, Tiere und Umwelt respektvoll und wertschätzend behandeln und dabei auch den Mut aufbringen, nach sorgfältiger Recherche das auszusprechen, was man als wahr herausgefunden hat.“

Das Portal kündigt an. „Es werden noch weitere Berichte und Recherchen folgen – im Speziellen werden wir die Rolle der systemtreuen und in Teilen linksextremen Hetzgesellschaft beleuchten, die ihn wohl in den Freitod getrieben hat. Zudem geschahen rund um seinen Todestag seltsame Dinge – seine Homepage ging offline und seine Videos zum Thema Corona verschwanden von YouTube. Wir werden diese Fragen für Sie aufklären.“

Tief empfundenes Mitgefühl

Ich werde mich dabei nach Kräften beteiligen. Mein tief empfundenes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen, insbesondere dem Sohn von Arvay. Es fehlen einem die Worte, um auszudrücken, was man in solchen Momenten empfindet!

Bitter finde ich auch, dass die großen deutschen Medien zu dem Tod Arvays schweigen. Dieselben Medien, die im Sommer 2022 groß über den Selbstmord der österreichischen Ärztin und Impf-Aktivistin Lisa-Maria Kellermayr berichtet und für diesen Impfkritiker verantwortlich gemacht haben. Selbst die Tagesschau berichtete damals groß. Sie sei in den Tod gehetzt worden, so der Konsens und die Anklage der großen Medien damals. Arvay ist ihnen dagegen kein Wort wert.

Es ist zum Fremdschämen.

Und zum Heulen.

Arvays Tod sollten alle – auf allen Seiten der Barrikaden – zum Anlass nehmen, in sich zu gehen.
Und nicht nur selbst von Hass und Hetze Abstand zu nehmen – sondern auch denjenigen auf die Finger zu klopfen, die Hass und Hetze verbreiten. Egal von welcher Seite.
Meinungsverschiedenheiten müssen mit Respekt ausgefochten werden. Bei uns werden sie dagegen allzu oft ausgetragen im Geist der Religionskriege: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein“. Diese Einstellung kann tödlich sein.

P.S.: Ich habe mich in diesem Fall entschieden, über das Thema Suizid zu berichten. Leider kann es passieren, dass depressiv veranlagte Menschen sich nach Berichten dieser Art in der Ansicht bestärkt sehen, dass das Leben wenig Sinn habe.
Sollte es Ihnen so ergehen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Hilfe finden Sie bei kostenlosen Hotlines wie
0800 1110111 oder 0800 3344533.

Hier ist das empfehlenswerte Buch von Clemens Arvay:

neues Buch – Arvay, Clemens G – Der Biophilia-Effekt | Heilung aus dem Wald | Clemens G. Arvay | Taschenbuch | Deutsch | 2016 | Ullstein Taschenbuchvlg. | EAN 9783548376592
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