Sammelband „Ukrainekrieg – Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht“ – vorgestellt vom e hemaligen EU-Kommissar Günter Verheugen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

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Auszüge:

Antworten auf die Frage, warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht, gibt ein kürzlich erschienener Sammelband zum Thema Ukraine-Krieg.
Darin beschäftigen sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und aus verschiedenen Ländern sowie zwei ehemalige deutsche Außenpolitiker mit den Ursachen und Folgen des Krieges in und um die Ukraine. „Kein Frieden ohne Diplomatie“ ist auf dem Buchrücken zu lesen. Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen hat das Buch am Dienstag in Berlin vorgestellt.
Ein Bericht von Tilo Gräser.

„Es ist wieder passiert. Wie in Kriegen zuvor gerieren sich viele Medien im russischen Krieg gegen die Ukraine nicht als Vierte Gewalt, die grundsätzlich alles infrage stellt, sondern vielfach als Kriegspartei.“
Das stellt die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer in ihrem Beitrag im kürzlich erschienenen Sammelband „Ukrainekrieg – Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht“ fest.
Sie meinte damit nicht etwa russische Medien, sondern die der westlichen Staaten, einschließlich der Bundesrepublik.

„Stimmen, die Zweifel an der militärischen Aufrüstung der Ukraine als alleinigem Mittel gegen den russischen Angriff anmelden, werden seit Kriegsbeginn attackiert“, so Schiffer.
In den etablierten Medien würden sie im Framing als Unbelehrbare vorkommen, aber nicht als Anlass zu kritischen Recherchen zur Kriegspropaganda.
Die Kommunikationswissenschaftlerin attestiert auch den deutschen etablierten Medien „Feindbildpflege durch Dämonisierung und Doppelstandards“ sowie „Schuldzuweisung statt Recherche“.

Das bestätigte am Dienstag in Berlin mit Günter Verheugen ein ehemaliger hochrangiger deutscher Politiker. Er stellte gemeinsam mit den beiden Herausgebern Sandra Kostner und Stefan Luft den im Westend-Verlag erschienenen Band vor.
Der ehemalige FDP- und SPD-Außenpolitiker sowie frühere EU-Kommissar wünscht sich von den Medien, „nicht einfach das zu übernehmen, was ihnen angeliefert wird“. Ihm drehe sich „immer der Magen um“, wenn er sehe, wie gezielte Informationen aus US-Geheimdiensten über US-Zeitungen wie „New York Times“ und „Washington Post“ in deutsche und europäische Medien gelangen.

Kritische Stimmen diffamiert

Verheugen schlug vor, dass solche „dubiosen Informationen“ durch einen freiwilligen Warnhinweis in den Medien gekennzeichnet werden:
„Achtung! Dieser Beitrag kann Informationen enthalten, die aus dubiosen Quellen stammen. Und die können wir nicht unabhängig überprüfen.“
Er wünsche sich außerdem „mehr kritische Reflexion über das, was geschieht, und nicht die einfache Übernahme dessen, was man heute Narrativ nennt“.

Zuvor hatte der 79-Jährige aus eigenem Erleben bestätigt, dass kritische Stimmen schnell als „nützliche Idioten im Dienst von Putin oder als Handlanger russischer Interessen“ diffamiert werden.
Das habe er erlebt, als er sich kritisch zur westlichen Politik im Konflikt um die Ukraine äußerte. In Berlin stellte er die Frage: „Wie wollen wir eigentlich diejenigen nennen, die bedingungslos den politischen Vorgaben und den politischen Interessen der westlichen Führungsmacht folgen?“

Der Ex-EU-Kommissar verwies auf die mehr als 810.000 Menschen, die bisher das „Manifest für Frieden“ der Gruppe um Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterzeichnet haben.
Er habe es auch unterschrieben, auch wenn er nicht mit allen Aussagen im Manifest einverstanden sei. Aber es sei notwendig, „den Regierenden klarzumachen, dass es eine andere Meinung in diesem Lande gibt“. In vielen europäischen Ländern, auch in Deutschland, sei eine Mehrheit der Bevölkerung für Verhandlungen, um den Krieg zu beenden, zeigte sich Verheugen sicher.

Er kenne nur Menschen, die gegen diese Kriegspolitik seien, berichtete er. Doch es sei die Frage, wo außerhalb von Regierung und Bundestag jene zu finden sind, die diese Kriegstreiberei für richtig halten. „Ich kann sie nicht finden“, so Verheugen.

Vorgeschichte als Tabuthema

Doch zugleich gebe es keine notwendige Debatte hierzulande darüber, „was wir in Deutschland in diesem Krieg zu suchen haben und was wir von diesem Krieg und von seinen Ergebnissen erwarten“.
Er wünsche sich, dass das vorgestellte Buch einen Anstoß dazu geben könne. Doch das Lager derjenigen in der deutschen Politik, die „Russland ruinieren“ wollen, sei in der Mehrheit und weiche der inhaltlichen Diskussion aus.
Stattdessen werde insbesondere die Vorgeschichte des Krieges tabuisiert, hob Verheugen hervor. Kein Krieg falle einfach vom Himmel oder werde von einem „einzelnen Verrückten“ geführt, stellte er klar. Aus seiner Sicht hat das aktuelle Geschehen in der Ukraine eine „sehr lange Vorgeschichte“, die vor mehr als 30 Jahren begonnen habe. Sie habe mit dem gebrochenen Versprechen an die Sowjetunion im Zusammenhang mit der deutschen Einheit angefangen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern.

„Ich weiß es aus erster Hand, dass die Zusage gemacht wurde, dass es keine Verschiebung der NATO nach Osten geben wird“, sagte Verheugen. Russland habe in den 1990er Jahren aus Schwäche „murrend und knurrend“ die dann doch erfolgte Nato-Osterweiterung akzeptiert.
„Aber es war ein gebrochenes Versprechen. Damit fing der Weg an, der uns dahin geführt hat, wo wir heute sind, nämlich an Stelle gesamteuropäischer Kooperation ein tiefer Konflikt mitten in Europa, dessen Ende wir nicht absehen können.“

Lange vorbereiteter Regime Change

Der Westen habe alle roten Linien Moskaus überschritten, vor allem jene klar geäußerte zur 2008 angekündigten Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato.
Die Warnung davor sei ignoriert worden, so der Ex-EU-Kommissar mit Blick auf die Folgen. Er erinnerte auch an das „Schlüsseljahr 2013/14“: „Der Maidan ist auch so eine Geschichte, die bei uns nicht hinterfragt werden darf“. Neben dortigen spontanen Demonstrationen sei das Geschehen auf dem zentralen Platz in Kiew „auch Teil einer seit längerem vorbereiteten Regime-Change-Operation“ gewesen.

Die USA seien dabei federführend gewesen, wovon nicht nur das „Fuck the EU“-Telefonat von Victoria Nuland zeuge. Aber auch einige EU-Staaten, „einschließlich Deutschland“, seien an dem Staatsstreich in Kiew im Februar 2014 beteiligt gewesen, stellte Verheugen klar.
„Dieser Regime Change ist vorbereitet worden und das Maidan-Ergebnis, obwohl ein eindeutiger Verfassungsbruch in der Ukraine, ist auch sofort akzeptiert worden.“

Der ehemalige EU-Kommissar, der unter anderem für die EU-Osterweiterung zuständig war, berichtete davon, dass er den Kiewer Ex-Präsidenten Petro Poroschenko sehr gut kenne. „Ich weiß, was er im Kopf hatte.“ Das sei „nicht das, was passiert ist. Aber ich weiß auch, unter welchen Zwängen er stand.“
Verheugen fügte erklärend hinzu: „Sie haben den rechtsradikalen, nationalistischen Geist aus der Flasche gelassen und bis heute haben sie ihn nicht wieder reingekriegt.“

Überhöhung des Konfliktes

Aber danach dürfe nicht gefragt werden und darüber werde nicht gesprochen, stellte er fest. „Deshalb ist die Erzählung, der wir ausgesetzt sind, eine ganz andere: Nämlich wir befinden uns in einem titanischen Kampf des Guten gegen das Böse. Die Überhöhung dieses Konflikts zur großen, armageddonhaften Systemauseinandersetzung muss her, damit Unterstützung für dieses Unternehmen erzeugt werden kann.“

Doch in den USA werden „viel ehrlicher“ darüber gesprochen, so Verheugen, weil dort das eigene geopolitische Interesse offen benannt werde, „Russland nie wieder zu einem möglichen Rivalen werden zu lassen“.
Er selbst habe zwei US-Präsidenten im Oval Office des Weißen Hauses in Washington erlebt, die ihren Besuchern aus Deutschland und der EU erklärten, „was Sache ist mit der Ukraine: Nämlich, dass das westliche Ziel darin bestehen muss, sie nicht wieder in den Einflussbereich Russlands fallen zu lassen.“
Es sei „überhaupt nicht um die Frage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in der Ukraine“ gegangen, erinnerte sich Verheugen. „Es ging ausschließlich um die Frage: Wie kann man verhindern, dass mithilfe der Ukraine Russland wieder zu einem möglichen Systemrivalen wird?“
Er warnte Deutschland und die EU ausdrücklich davor, sich weiter in die dominierende Konfliktbereitschaft der führenden Kreise der USA hineinziehen zu lassen, auch mit Blick auf China.

„Deutschland ist Kriegspartei“

„Bis wohin wollen wir die Eskalation im Ukraine-Krieg treiben lassen?“, fragte der Ex-EU-Kommissar wie auch die Herausgeber des vorgestellten Buches. Er rechne damit, dass auch Deutschland noch Kampfjets liefern werde, nachdem in den letzten Monaten alle möglichen roten Linien überschritten wurden.
Es führe kein Weg an der Erkenntnis vorbei: „Wir sind Beteiligte an diesem Krieg, nicht nur, wie Habeck gesagt hat, eine Wirtschaftskriegs-Partei. Wir sind in Wahrheit eine Kriegspartei, wesentlich stärker als seinerzeit im Kosovo.“
Deutschland sei das logistische Zentrum für die Unterstützung der Ukraine. Hier würden ukrainische Soldaten ausgebildet, Munition und Nachschub geliefert ebenso wie Geheimdiensterkenntnisse. Verheugen stellte die Frage, was damit erreicht werden soll. „Ist es unser Interesse, Russland und China zum Beispiel zu einem großen eurasischen Block zusammenzuschließen?
Ist es unser Interesse, dass sich die gewaltige wirtschaftliche und demographische Macht Chinas mit der gewaltigen nuklearen Macht Russlands verbindet?
Das ist wirklich furchterregend. Wir sind im Augenblick dabei, das zu schaffen.“

Mit Blick auf die Aussage von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Russland ruinieren zu wollen, fragte der erfahrene Außenpolitiker: „Ist es unser Interesse, eine Super-Nuklearmacht im Chaos versinken zu lassen?“
Und fügte hinzu: „Glaubt jemand im Ernst, dass eine im Chaos versinkende atomare Supermacht in unserem Interesse liegt? Ich glaube das jedenfalls nicht. Unser Interesse kann es eigentlich nur sein, alles daran zu setzen, dass eine diplomatische Lösung gefunden wird, alles daran zu setzen, erst einmal den Weg zu Gesprächen überhaupt freizumachen und dann solche Gespräche zu führen.“

Frieden nur mit Russland möglich

Verheugen widersprach bei der Buchvorstellung auch vehement der These des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, dass Sicherheit in Europa heute nur gegen Russland möglich sei.
Das führe nur zu einer „unendlichen Aufrüstungsspirale“ und einem „ungehemmten Rüstungswettlauf“.
Stattdessen forderte er wie die Autoren im Buch eine Rückkehr zur Entspannungspolitik ein, weil diese sich am wichtigsten Grundwert orientiere, dem Leben. Es gebe in der internationalen Politik nur eine Währung, schrieb er den heutigen deutschen Außenpolitikern ins Stammbuch: „Diese Währung heißt Vertrauenswürdigkeit.“

Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit könnten nicht hergestellt werden, wenn nicht miteinander geredet werde, stellte er klar. Methoden und Mittel der Entspannungspolitik müssten sich den neuen Verhältnissen anpassen. Aber der Grundgedanke sei immer noch derselbe: „Kooperation statt Konfrontation, Dialog statt Ausgrenzung, vernünftiger Interessenausgleich, gegenseitiger Respekt“.
Für Verheugen geht es darum, die Möglichkeiten zur Kooperation offenzuhalten, weil seiner Erfahrung nach gesamteuropäische und kooperative Strukturen möglich seien.
„Irgendwann wird der Krieg zu Ende sein und wir müssen einen Weg finden, wie wir dann in Europa zusammenleben.“

In dem vorgestellten Buch sind neben Beiträgen von Politikwissenschaftlern auch zwei Gespräche mit anderen ehemaligen Regierungspolitikern zu finden, mit Willy Wimmer (CDU) und Klaus von Dohnanyi (SPD). Wimmer beschreibt, wie die deutsche Politik endgültig „im Fahrwasser US-amerikanischer Interessen landete.
Auf die Frage, ob es eine tragfähige Friedenslösung für die Ukraine geben kann, sagt er, diese sei nicht möglich, wenn die USA an ihren Plänen festhalten, Russland aus Europa zu verdrängen.
„Diese Verdrängung ist eine Voraussetzung dafür, dass die USA ihre Hegemoniepläne umsetzen können“, so der frühere Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.
„Den USA geht es darum, eine gesamteuropäische Zusammenarbeit, die Russland einbezieht, zu verhindern, weil das ihre Pläne durchkreuzen würde.“

Chancen für eine Lösung

Dohnanyi sieht die Ursache des Krieges in und um die Ukraine in der Frage ihrer künftigen geopolitischen Einbindung. Darin sieht er zugleich „Chancen für eine Lösung und für Frieden nicht nur in Europa“. Und erklärt: „Einen Frieden für die Ukraine und für Europa kann es nur mit Russland und nicht gegen Russland geben“.
„Allen schnellfüßigen Kritikern der deutschen Russlandpolitik“ der vergangenen Jahrzehnte gibt Dohnanyi ein Zitat Willy Brandts auf den Weg: „Außenpolitik ist Generalstabsarbeit am Frieden.“
Und fügt hinzu: „Vielleicht gibt es ja noch einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, der Frau Baerbock wenigstens diesen einen Satz mal zum Lesen gibt.“

Dem vorgestellten Buch sind viele Leser zu wünschen. Die erste Auflage, auch wenn sie nicht sonderlich hoch war, sei innerhalb von vier Wochen ausverkauft gewesen, berichtete Mitherausgeber Luft. Die Frage aus dem Publikum, warum junge Menschen das Buch lesen sollten, beantwortete er so: „Junge Leute sollten das Buch lesen, weil man, ohne die Vergangenheit zu kennen, die Zukunft nicht erleben wird“.
Für Mitherausgeberin Kostner ist es wichtig, dass Jüngere, die die Entspannungspolitik nicht kennengelernt haben, die Hintergründe des Krieges besser verstehen können.
Es gehe auch darum, zu verstehen, wie Konfrontation und Dynamiken sich aufbauen und wie schwierig es ist, ab einem gewissen Punkt aus diesen Konfrontationen herauszukommen.
„Entspannungspolitik ist eine Notwendigkeit, damit man in einer sehr unterschiedlichen Welt, wo es sehr unterschiedliche Interessen gibt, friedlich miteinander koexistieren kann“, fügte sie hinzu.

Sandra Kostner/Stefan Luft (Hg.): „Ukrainekrieg – Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht“
Verlag Westend Academics 2023. 352 Seiten; ISBN: 978-3-949925-10-8; 24 Euro

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Jochen

Sevim Dagdelen (Die Linke) in China: Für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Über die deutsch-chinesischen Beziehungen im Licht der »Zeitenwende«.
Gastvortrag von Sevim Dagdelen an der Shanghai International Studies University

https://www.jungewelt.de/artikel/452038.interessenausgleich-f%C3%BCr-freiheit-frieden-und-gerechtigkeit.html

Auszüge:
Wenn wir über die deutsch-chinesischen Beziehungen 2023 im Licht der Zeitenwende der Emanzipation des globalen Südens sprechen, müssen wir zuallererst über ein wichtiges Buch zum Verständnis der Gegenwart sprechen. Es heißt »The Economic Weapon. The Rise of Sanctions as a Tool of Modern Warfare« (1) und ist 2022 in den USA erschienen.

Der Autor ist Nicholas Mulder, ein »Assistant Professor of European Modern History at Cornell University« (2).
Nicholas Mulder zeichnet präzise nach, wie historisch Wirtschafts- und Finanzsanktionen als Waffe im modernen Krieg entwickelt wurden, angefangen im Ersten Weltkrieg und 1919 vom damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson beschrieben in ihrer Wirkung als »something more tremendous than war« (3).

Es gilt zu konstatieren, dass die USA, die NATO und ihre Verbündeten in Asien, Australien und Europa nicht nur durch die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen an die Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen, sondern auch einen Wirtschaftskrieg mit dem Ziel, so drückte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock aus, »Russland zu ruinieren«. Wirtschaftssanktionen sind ein Mittel der modernen Kriegführung oder, um in Anlehnung an den preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz zu sprechen: Sie sind die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.

Was aber haben diese Wirtschaftssanktionen gegen Russland mit den deutsch-chinesischen Beziehungen zu tun, und inwiefern fördern sie nach einem mephistophelischen Prinzip eine Zeitenwende und eine Emanzipation des globalen Südens?
»Ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft« – so lässt Goethe Mephistopheles seine Wirkung im Buch »Faust« selbst beschreiben.
Dazu muss man wissen, dass die Sanktionen gegen Russland bisher ihre beabsichtigte Wirkung verfehlten. Auch wenn der wirtschaftliche Schaden für Russland sicherlich beträchtlich ist, leiden vor allem die Europäer unter dem Wirtschaftskrieg, allen voran Großbritannien und Deutschland, deren Ökonomien in eine Rezession gerutscht sind.
In Deutschland wird es wohl nach 2022 mit vier Prozent auch in diesem Jahr Reallohnverluste für die Beschäftigten geben. *)

Weil der durchschlagende Erfolg im Wirtschaftskrieg bisher ausblieb, hat man sich jetzt auf eine weitere Ausweitung der Sanktionen versteift. Und hier kommt China ins Spiel.
Denn weil man analysiert, dass auch mögliche Umgehungen der Russland-Sanktionen künftig getroffen werden sollen, hat die EU ein elftes Sanktionspaket aufgelegt, bei dem auch chinesische Firmen getroffen werden sollen.
Zwar wurde einschränkend betont – offenbar um die Reziprozität durch China abzumildern –, es handele sich nur um Sanktionen gegen chinesische Firmen, die nach Russland von der EU aus liefern. Aber überzeugend ist dieses Argument in einer Zeit der globalisierten Produktion nicht wirklich.
Zwar wurde das elfte Sanktionspaket von Ungarn und Griechenland erst einmal gestoppt, um ungarische und griechische Firmen von der eigenen ukrainischen Sanktionsliste löschen zu können, aber vieles spricht dafür, dass dieser Weg von der EU und auch leider von der Bundesregierung unerbittlich weiter verfolgt werden wird, da es die USA sind, die hier insbesondere auf eine Ausweitung der Sanktionen gegen chinesische Unternehmen drängen, aber selbst im Hintergrund bleiben wollen, damit die Reziprozität dann vor allem Europa treffen wird.

Vasallenverhältnis zu USA

Man muss betonen, welches Potential zum gegenseitigen Nutzen ein Ausbau der deutsch-chinesischen Beziehungen haben könnte – im kulturellen, wissenschaftlichen und im Bildungsbereich, aber auch in der Verstärkung der Handelsbeziehungen sowie der Förderung vernetzter Produktionsketten und der dafür erforderlichen Infrastruktur.
Gerade im Bereich der Lese- und Rechtschreibkompetenz für Grundschüler, wo Deutschland immer schlechter abschneidet und weit hinter China zurückgefallen ist, gäbe es, um nur ein Beispiel zu nennen, Möglichkeiten des gegenseitigen Lernens.

Das Haupthindernis aber auf dem Weg zur Förderung der deutsch-chinesischen Beziehungen sehe ich in der mangelnden Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. **)
Gerade im Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine zeigt sich, dass Berlin in Sekundenbruchteilen außenpolitische Entscheidungen Washingtons nachvollzieht und sich, wie an der Frage der Lieferung deutscher Panzer ablesbar, sogar in die erste Reihe des Krieges schieben lässt.
Die Situation in Deutschland erinnert an die Situation im Lateinamerika der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, bei der eine Kompradoren-Bourgeoisie die Interessen von US-Konzernen durchsetzt.
Oft wird dabei auf die massive Präsenz von US-Truppen in Deutschland verwiesen, die seit 78 Jahren stationiert sind, oder auf die engmaschigen transatlantischen Netzwerke in Politik, Medien und Wirtschaft. Aber als alleinige Erklärung für die extreme Willfährigkeit, mit der die deutsche Politik gegenüber den USA oft agiert, reicht dies nicht aus.

Seit 1990 hat der US-Investmentfond Blackrock, mit über zehn Billionen US-Dollar weltweit die größte Gesellschaft verwalteten Vermögens, enorm in Deutschland investiert.
Blackrock ist an allen 30 Dax-Unternehmen entscheidend beteiligt und größter Anteilseigner bei acht von ihnen.
Sicher, Blackrock investiert auch in China, aber in keinem Fall kann von einer derart starken Stellung wie in Deutschland gesprochen werden. Diese Zusammenballung wirtschaftlicher Macht wirkt sich auf politische Entscheidungen in Deutschland aus. Das scheint mir unbestritten.
Hier ist wie im Bereich der NATO ein weites Feld für wissenschaftliche Untersuchungen, inwieweit dieses Investment politisch dazu beiträgt, in ein Vasallenverhältnis Deutschlands gegenüber den USA und vor allem den US-Konzernen übersetzt zu werden.

Prinzip der zwei Schwächen

Im Schach gibt es für die Endspiele eine Regel, die man das »Prinzip der zwei Schwächen« nennt. Diese Regel wird vom Westen in der internationalen Politik weithin nicht beachtet.
Das »Prinzip der zwei Schwächen« besagt folgendes: Manchmal reicht es trotz vorteilhafter Stellung nicht zum Gewinn. Ersteht dem Gegner jedoch mehr als eine Schwäche, dann rückt der Sieg in greifbare Nähe. Denn ein Schachfeldzug an zwei Fronten führt zur Überlastung und am Ende zur Niederlage.
Wenn man sich die Debatte um die Ausweitung der Wirtschaftssanktionen anschaut, dann wird offenbar, wie wenig dieses wichtige Prinzip der zwei Schwächen in der politischen Praxis Anwendung im Westen findet.

Aber wie im Stellvertreterkrieg scheint am Ende das All-In, ein Alles-oder-nichts-Prinzip zu herrschen, bei dem sowohl das Risiko eines Dritten Weltkriegs und zumindest eines Weltwirtschaftskriegs wächst mit möglicherweise verheerenden Folgen für die Bevölkerung auf dem gesamten Globus.
Eine Politik am Roulettetisch aber führt noch sicherer in den absoluten Verlust. Alles, was seit Ende des Zweiten Weltkriegs auch an internationalen Institutionen aufgebaut wurde, um an die Stelle des Krieges die Diplomatie und die Kooperation zu setzen, drohte eingerissen zu werden.
Und auf diese Vernunft, die sich einer Apokalyptik der Spieler verweigert, müssen die deutsch-chinesischen Beziehungen in Gegenwart und Zukunft gründen.

Mit Bezug auf das erzeugte Gegenteil muss man die Emanzipation des globalen Südens als Resultat des Wirtschaftskriegs des Westens ins Kalkül ziehen.
80 Prozent der Welt beteiligen sich nicht an den westlichen Sanktionen.
Immer lauter werden hingegen die Rufe nach eigenen Handelswährungen, da nur diese vor den Drittwirkungen westlicher Sanktionen wie vor der modernen Kriegführung des Westens auf lange Sicht zu schützen scheinen.

Lenin war auch ein Schachspieler. Bekannt sind die Fotos im Exil auf Capri, die ihn im Spiel gegen Maxim Gorki 1908 zeigen. Im Schach gibt es immer die Empfehlung, der Theorie zu folgen.
Aber zugleich gilt der höher gestellte Grundsatz »Tue, was du tun musst«, um eine Praxis und aus ihr eine Theorie zu entwickeln, die auf Gewinn abzielt.
Bei der Verteidigung der russischen Revolution ist dieser höher gestellte Grundsatz voll zum Tragen gekommen, und hier meine ich jetzt nicht nur Lenins neue ökonomische Politik, sondern den Kongress der Völker des Ostens von 1920.
Mit ihm wurde nichts weniger als ein Bündnis der unterdrückten kolonisierten Völker mit der Arbeiterklasse vorgeschlagen.
Ein Bündnis, das auf Emanzipation zielte, um die Sowjetunion zu schützen gegen eine Restauration des Kapitalismus.

Manchmal sind 100 Jahre wie ein Tag. Gegen den Versuch, der Welt ein neokoloniales Korsett mit Stellvertreterkriegen und Wirtschaftskriegen aufzuzwingen, zeigt sich Widerstand im globalen Süden.
Von einem Bündnis der Arbeiterklasse im Westen mit den Völkern des Südens würde die gesamte Welt profitieren, um statt auf Rüstungswahn, wirtschaftlichen Abstieg und Putsche auf Diplomatie, Kooperation und gegenseitigen Interessenausgleich zu setzen: für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt.

Übersetzungsanmerkungen

1 Die wirtschaftliche Waffe. Der Aufstieg von Sanktionen als Instrument moderner Kriegführung
2 Juniorprofessor für moderne europäische Geschichte an der Cornell University
3 etwas Schrecklicheres als Krieg

*: Siehe https://josopon.wordpress.com/2023/05/09/erst-klaut-er-ihnen-30-ihres-bescheidenen-wohlstandes-dann-halt-er-sie-mit-einem-burgerdialog-zum-narr-en-olaf-scholz/

**: https://josopon.wordpress.com/2023/05/19/die-vasallisierung-europas/

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Jochen

Wie demokratisch sind die Grünen mit ihrem „Geheimdienst“?

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Amadeo_Antonio_StiftungDie Leiterin Kahane der Amadeu Antonio Stiftung hat da ihre einschlägigen Erfahrungen als führende StaSi-Mitarbeiterin schon bedenklich eingebracht, finanziert u.a. mit unseren Steuergeldern.
Sie koordiniert personelle Hetze gegen alle Personen, die dem grünen Narrativ ablehnend gegenüber stehen, nach dem alten Muster: Bei Wikipedia, Volksverpetzern oder Psiram anschwärzen, wo niemand wegen Lügen zur Rechenschaft gezogen wird; dann sich an die Arbeitgeber und die Leim-Medien wenden mit Verweis auf ebendiese Einträge bei Wikipedia: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie einen Nazi-Affinen beschäftigen“ und nebenbei auf Fratzbuch, Instagrimm oder Klatschapp Dreck schmeißen.
Damit kann schon so viel Angst erzeugt werden, dass Leute verstummen, die noch einen Arbeitsplatz zu verlieren haben.

dagmar henn

dagmar henn

Dagmar Henn hat in ihrem ausführlichen Artikel gute Beobachtungen gemacht und die richtigen Schlüsse daraus gezogen.
https://test.rtde.tech/meinung/171146-wie-demokratisch-sind-gruenen-mit/.
Auszüge:

Das Netzwerk zwischen „Faktencheckern“ und Organisationen wie der Amadeu Antonio Stiftung wird von Monat zu Monat aktiver, mit politischer Rückendeckung. Inzwischen betreiben sie längst geheimdienstliche Arbeit.
Mit einer demokratischen Gesellschaft ist das inkompatibel.

Wenn jemand im Westen Gruselgeschichten erzählen will, greift er gern zum KGB, weil dieser Dienst der Definition wie dem Wappen nach „Schild und Schwert der Partei“ war, weshalb angenommen wird, dass die Interessen der Partei Vorrang vor jenen des Staates hatten, und gesagt wird, dass die Verwendung eines Geheimdienstes zur Machtsicherung besonders verwerflich sei.

Darum wird auch immer wieder betont, dass die Nachrichtendienste in Deutschland unter parlamentarischer Kontrolle stehen und ihre Tätigkeit durch entsprechende Gesetze beschränkt ist. Nicht, dass die Darstellung des KGB vor Wahrheitsgehalt überschäumt – de facto gingen seine Befugnisse in manchen Punkten nicht einmal so weit wie die der heutigen deutschen Polizei.
Die Frage, was es bedeutet, wenn eine Partei einen nicht auf die eigenen Strukturen, sondern einen auf die Gesellschaft ausgerichteten Geheimdienst besitzt, stellt sich ganz aktuell – und zwar in Deutschland. Und die Partei, die sich solches leistet, ist Bündnis90/Die Grünen.

Zu diesem Schluss kommt man, wenn man genauer betrachtet, was das ganze Netzwerk aus „Faktencheckern“ und „zivilgesellschaftlichen Initiativen“ so treibt. Die Ereignisse im Ahrtal, die wir hier vor Kurzem behandelt haben, liefern ein Exempel dafür. Dort finanzierte eine Kölner Clubbesitzerin eine „Journalistin“, die sich bemühte, die im Ahrtal bereits tätigen Helfer alle als Rechtsradikale anzuschwärzen, damit besagte Clubbesitzerin den Landesauftrag für die Hilfe einheimsen konnte.

Das ist nicht nur ein Fall besonders bösartiger Korruption, Informationen über andere zu sammeln, um sie anzuschwärzen, es ist eine nachrichtendienstliche Tätigkeit.
Solange es dabei um wirkliche Nazis ging, wie das beispielsweise bei der bayrischen Initiative a.i.d.a. oder Jahrzehnte davor beim sozialdemokratisch betriebenen Pressedienst Demokratische Initiative (PDI) der Fall war, und diese Arbeit durch Untätigkeit der bayrischen Behörden in diesem Bereich ausgelöst wurde, bleibt das zwar als private Initiative rechtlich kritisch, ist aber legitim.
Die Wehrsportgruppe Hoffmann beispielsweise wurde vor dem Sprengstoffanschlag auf das Oktoberfest 1980 von staatlicher Seite in Bayern immer als harmlos dargestellt, es war vor allem der PDI, der sie beobachtete.

Anders sieht das aus, wenn solche Strukturen nicht nur Informationen sammeln, sondern sie anschließend manipulieren und im politischen Interesse der eigenen Seite einsetzen. Damit man nicht glaubt, das sei auf das Ahrtal beschränkt, betrachten wir doch einmal einen Artikel, der vor einiger Zeit in der Jungle World erschien, aber erst jetzt kostenlos gelesen werden kann.

Der Text bezieht sich auf die unseren Lesern gut bekannte humanitäre Organisation Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe e. V., die sich durch ihre Tätigkeit im Donbass unbeliebt gemacht hat, obwohl es sich um rein humanitäre Lieferungen handelte (das Finanzamt hatte die ganzen Jahre über jährlich die gesamte Buchhaltung geprüft, Beleg für Beleg, ohne jemals etwas zu finden, das nicht den Kriterien einer humanitären Lieferung entsprochen hätte).

Der Autor des Textes, Andrej Steinberg, ist selbst Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung und befasst sich mit „russischer Desinformation“. Er beruft sich auf Recherchen eines Portals namens The Insider, dessen IP-Adresse auf einen Bahnhof in San Francisco führt, und zu einer Person namens „Polly„, die sich auf ihrem Twitter-Account als besonders aktives Mitglied der weißrussischen Opposition darstellt, die ihre Tage damit verbringt, Material über Menschen zu sammeln, die nicht antirussisch genug sind.

Wie weit „Polly“ beziehungsweise die Personen, die sich als „Polly“ ausgeben, von Diensten finanziert werden, kann nicht ermittelt werden. Aber sowohl die Lokalisierung von The Insider als auch der Eifer, mit dem „Polly“ russische Telegram-Kanäle durchkämmt, deutet an, dass hier, wenn keine öffentliche, so doch eine private Finanzierung vorliegt. Und da mit Steinberg die Brücke zur Amadeu Antonio Stiftung geschlagen ist, ist deren Beteiligung nicht auszuschließen.

Die Vorhaltungen, die in dem Artikel gemacht werden, sind auf die inzwischen bekannte Art konstruiert – sie arbeiten mit Verkürzungen, Auslassungen und unbelegten Zuschreibungen. Wenn dort beispielsweise steht: „Das Foto eines Lastwagens, der mit dem hierzulande verbotenen Z-Symbol versehen war, bescherte der Friedensbrücke im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren wegen Billigung von Straftaten und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit„, dann wird dabei die Tatsache übergangen, dass der Lastwagen mit dem Z ein russischer Lastwagen in Russland war, wo ebendieses Symbol gar nicht verboten sein kann, und damit ein entsprechendes Strafverfahren in Deutschland auf äußerst wackligen Füßen steht.
Wie die letzten Monate gezeigt haben, ist das kein Schutz vor Strafverfolgung, aber es belegt, dass auch die Strafverfolgungsbehörden die Gesetze nur noch begrenzt respektieren.

Massiver ist dann dieser Vorwurf: „Im November hatten laut Insider an diesen Transporten beteiligte Lastwagen beispielsweise Maschinenöl für Kampffahrzeuge an Bord. Im Februar 2023 habe Kilincs Verein demnach die Lieferung einer Anti-Drohnen-Waffe und eines Drohnensystems an ein Regiment der Lugansker Volksrepublik bezahlt.“
Lastwagen, die an Transporten beteiligt sind, die der Verein Friedensbrücke zusammen mit Kooperationspartnern in Russland durchführt – das ist die bekannte Geschichte von der Kontaktschuld. Eine Strafbarkeit würde voraussetzen, dass der Verein selbst von seinen Spendengeldern militärische Güter erworben hätte.

Dem ist nicht so, das hätte bereits vor Jahren zu einem Verfahren geführt, und wie oben schon erwähnt, lagen alle Belege für die Verwendung der Mittel dem Finanzamt vor. Wenn ein russischer Verein, mit dem zusammen ein Transport organisiert wird, organisiert werden muss, weil man Fahrer, die in ein Kriegsgebiet fahren, nicht einfach bei einer Spedition buchen kann, dann andere Materialien liefern, ist das keine Verfehlung des deutschen Vereins.
In Russland ist es russischen Bürgern sehr wohl gestattet, Material an die russische Armee zu liefern. Dass die gleiche, im Internet zusammengerufene Gruppe Menschen die Waren aller beteiligten Organisationen in die Lkws verlädt, macht aus deutschen Inkontinenzwindeln noch keine Drohnen.

Aber spätestens seit dem „Querfront“-Vorwurf schlucken viele, die sich in Deutschland als Linke begreifen, allerlei Unterstellungen, wenn sich nur ein Foto finden lässt, auf dem zwei Personen nebeneinander stehen, auch wenn eine der Folgen des Internets ist, dass sich solche Fotos von Personen finden lassen, die nicht einmal ein Wort miteinander gewechselt haben.

Es gibt beispielsweise ein Foto von der Abfertigung eines Transports (für den, wie zuvor erwähnt, im Internet aufgerufen wurde, weil es schlicht Menschen benötigt, die Dinge tragen; Aufrufe, die mal sechs, mal sechzig Personen in Bewegung setzen, die mit dem ganzen Transport nicht mehr zu tun haben, als eben besagte Dinge zu tragen), auf dem das Logo von der Friedensbrücke zu sehen ist, und daneben steht ein Aktivist einer serbischen Bewegung. Besagter Aktivist soll im Jahr 2017 dem westlichen Helden Nawalny Farbe ins Gesicht gegossen haben und sei darum ein Rechtsextremist.

Also schon die Zuschreibung zu dieser Person beruht auf falschen Tatsachen. Zudem ist das Logo bei jedem Transport zu sehen, bei dem die Friedensbrücke etwas mitschickt, egal, ob Vertreter des Vereins dabei anwesend sind oder nicht (im gesamten Verlauf der vergangenen acht Jahre war dies mehrheitlich nicht der Fall). Jeder, der auch nur zwei Minuten darüber nachdenkt, würde begreifen, dass eine Überprüfung der gesamten politischen Vorgeschichte von Menschen, die nur Dinge in einen Lastwagen tragen, völlig absurd ist. Wer jemals Aussagen von Nawalny gelesen hat, begreift auch schnell, dass nicht derjenige der Nazi ist, der ihm Farbe ins Gesicht kippt. Aber fünf Jahre nach diesem Vorfall könnte eine Vertreterin des Vereins ihre politische Reinheit nur bewahren, wenn sie den serbischen Aktivisten daran gehindert hätte, Dinge in einen Lastwagen zu tragen.

Viele der Details sind schlecht recherchiert. So war der im Artikel erwähnte Alexander Miroschnitschenko zwar jahrelang wirklich Kämpfer der Donbassmilizen und hatte unter anderem viele humanitäre Transporte begleitet (was in Kriegsgebieten erforderlich ist, wenn Verteilstellen für Hilfsgüter im Sichtfeld von Scharfschützen und Artillerie liegen), aber er ist nicht im Kampf gefallen. Er war im Zivilberuf Bergsteiger und Fassadenkletterer, und stürzte tatsächlich bei Bauarbeiten zum Wiederaufbau Mariupols vor Ort von einem Baugerüst und verletzte sich so schwer, dass er das Bewusstsein nicht wiedererlangte. Seine Beerdigung war ein Großereignis mit mehreren Hundert Anwesenden – insofern ist auch die Aussage, dass zwei Personen beide auf dieser Beerdigung gewesen seien, eine Nullinformation.

So geht es weiter: Friedensbrücke-Mitbegründer Klaus Koch soll sich sehr über seine Beförderung zum General gefreut haben, hatte er es in der NVA doch so weit nicht mehr gebracht. Und die Bemühungen, ausgerechnet den OKV, das Ostdeutsche Kuratorium der Verbände, in dem sich alle Organisationen der ehemaligen DDR-Eliten finden, in die rechte Ecke schieben zu wollen, ist ein Akt, der völlig absurd ist. Damit diese Verrenkung auch nur gedanklich gelingt, muss man sich in obskuren anarchistischen Kreisen bewegen, die ihren Hass schon immer primär auf Kommunisten richteten.

Die Vorgehensweise ist also die übliche. Und es geht darum, politische Widersacher, die die Erzählung von der demokratischen Ukraine stören, so sehr mit Dreck zu bewerfen, dass sie ihre politische Wirkungsfähigkeit verlieren. Aber wirklich interessant ist hier, wer das tut.

Die Amadeu Antonio Stiftung ist gewissermaßen die Spinne im Netz all der Faktenchecker, „Corrective“ und „Pollys“. Was in den vergangenen Jahren aber vor lauter Getöse über Desinformation und Destabilisierung und so weiter unterging, ist, dass ihre Tätigkeit in weiten Teilen exakt das ist, was die Verfassungsschutzämter auch tun – allerdings ohne gesetzlichen Auftrag, ohne parlamentarische Kontrolle und in einem eindeutig orientierten Interesse, das, wie das Beispiel Ahrtal oder etwa die Reaktion des grünen Ministers Habeck belegt, nicht darauf beschränkt ist, humanitäre Hilfe im Donbass zu verunglimpfen.

Erstaunlicherweise haben die übrigen Parteien in Deutschland noch nicht bemerkt, was sie da herangezogen haben. Der große Zugriff in die öffentlichen Kassen eröffnete sich für diese Netzwerke während Corona. Da fand es vermutlich auch die politische Konkurrenz einfach bequem, Hilfstruppen zu haben, die immer lautstark erklärten, dass das, was die Regierung verkündete, die Wahrheit sei, und sich ansonsten darum bemühten, alle, die das nicht für Wahrheit hielten, zu Staatsfeinden zu erklären.
Dass die gesamten Netzwerke parteipolitisch eine, vorsichtig formuliert, sehr starke Neigung zu den Grünen haben, wurde dabei wohl in Kauf genommen, ebenso wie die zunehmende Orientierung hin auf Angriffe gegen Personen.

Wie man am obigen Beispiel sieht, ist die Tätigkeit dieser Strukturen mittlerweile bis zu einer Dopplung der Verfassungsschutzämter angewachsen, wobei nicht nur der eventuell legale Teil der Beobachtung betrieben wird, sondern zudem durch gezielte Manipulation der Informationen aktiv politische Debatten im parteilichen Interesse verzerrt werden.

Bündnis 90/Die Grünen sind gerade in Bezug auf die Ukraine am tiefsten involviert: Marie-Luise Beck, die entscheidend mit dafür verantwortlich ist, dass diese Partei so innige Beziehungen zu ukrainischen Nazis hegt, traf sich erst jüngst mit einer der Mörderinnen von Odessa. Das Foto dieser Begegnung erhielt leider nie die Aufmerksamkeit, die ihm angemessen ist, weil die Übergänge von den grünen Nachrichtendiensten in die Redaktionsstuben des Mainstreams fließend sind und daher die Verwendung solcher Informationen unterbleibt, selbst wenn diese – wie in diesem Fall frei von Manipulation – auf eine echte Nähe verweisen, weil sie in die falsche Richtung führen würde.

Diese grüne Positionierung jedenfalls erklärt, warum Kritiker der NATO-Position mit besonderem Eifer verfolgt werden.
Erstaunlich ist allerdings, dass die Spitzen von SPD, FDP und CDU offenkundig nicht erkennen, dass sie damit einen Apparat entstehen ließen, der sich genauso gut gegen sie wenden kann, mit denselben Methoden, und dass sie diesen Apparat mit Steuergeldern finanzieren. Man muss nur bedenken, wie eifrig Bundeswirtschaftsminister Habeck das Schema nutzt, dass alles, was seinen Vorstellungen widerspricht, russische Desinformation sei.
Der grüne Parteigeheimdienst steht auch bereit, aus der FDP eine Zentrale russischer Desinformation zu machen, wenn ihre Einwände gegen die Habeck-Heizgesetze zu erfolgreich werden sollten, oder aus der SPD, wenn diese eventuell aus Not ihre Haltung zur Kernkraft verändert.

Bei allem Geschrei, das zum Rollator-Putsch erhoben wurde, und allen Erklärungen, wie gefährlich die Desinformation sei, die aus Russland oder aus den Reihen heimischer Opposition stammt, wenn man eine wirkliche, reale Bedrohung für die deutsche Demokratie sucht, findet man sie beim mit Steuergeldern aufgepäppelten grünen Parteigeheimdienst.

Es hätte niemals erlaubt werden dürfen, dass privat kontrollierte Organisationen eine derartige Rolle übernehmen.
Schon die Funktion des Sammelns ist problematisch, die Funktion des Angriffs auf Personen und Organisationen jedoch ist aktive Geheimdiensttätigkeit. Das führt zur schlimmsten Verzerrung demokratischer Prozesse, die es je in der Bundesrepublik gegeben hat. Selbst die bizarre Ungleichheit zwischen den gehätschelten Klimaklebern und den verteufelten Friedensdemonstranten beruht im Kern auf dieser grünen Denunziationsmaschinerie, die jederzeit bereitsteht, einen lästigen Gegner einer „character assasination“, einer Zerstörung des Rufs zu unterziehen.
Eigentlich dürften die Konsequenzen aus diesen Strukturen nicht bei deren Auflösung enden.
Die Tatsache, solche Strukturen geschaffen zu haben, müsste zu einem Verbot der Grünen führen.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen, z.Zt. auf Langeoog DSC_5938_01

Die Vasallisierung Europas

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

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Europäische Denkfabrik konstatiert, die EU-Politik werde seit Beginn des Ukraine-Kriegs exklusiv von den USA dominiert, und warnt mit Blick auf künftige US-Prioritäten vor einer „Vasallisierung Europas“.

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9237

WASHINGTON/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Eine europäische Denkfabrik mit Hauptsitz in Berlin warnt mit Blick auf die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen vor einer „Vasallisierung Europas“.
Wie es in einer kürzlich publizierten Analyse aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR) heißt, habe der Ukraine-Krieg das Scheitern der vielgepriesenen EU-Bemühungen um „strategische Autonomie“ offen zutage treten lassen.
Seit Kriegsbeginn dominierten die USA die Politik in Europa nicht nur mit der Menge ihrer Rüstungslieferungen an Kiew, sondern auch, indem sie die gemeinsame Kriegsstrategie diktierten. Europa operiere in der zweiten Reihe – wie im Kalten Krieg.
Im Unterschied zu damals aber sei es für Washington heute nicht wichtig, die Länder Europas zu ökonomisch starken Frontstaaten zu formen. Vielmehr habe es für die USA heute Vorrang, ihre eigene Wirtschaft maximal gegen China zu stärken – dies auch auf Kosten von Europas Industrie, die für Washington allenfalls noch Hilfsfunktion besitze. Während Frankreichs Präsident Macron warnt, die EU dürfe nicht zum US-„Vasallen“ werden, sieht Bundeskanzler Scholz ihren Platz weiterhin eng an der Seite der USA.

Strategische Autonomie

Den Anspruch, die EU müsse als eigenständige Weltmacht operieren, hatten Politiker aus Berlin, Paris und Brüssel in den Jahren vor dem russischen Überfall auf die Ukraine immer wieder offen vertreten. Schon in der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU vom Juni 2016 hieß es, man müsse „europäische strategische Autonomie“ und ein militärisch „stärkeres Europa“ anstreben.[1] Anfang 2018 hatte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, die EU müsse eine eigenständige „Machtprojektion“ „in die Welt hinein“ entfalten.[2]
Anfang 2019 äußerte Gabriels Amtsnachfolger Heiko Maas, es gelte „ein starkes, handlungsfähiges Europa“ anzustreben, um nicht „in einer Welt der Großmachtkonkurrenz zerrieben zu werden“.[3]
Im August 2019 warnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die beiden Staaten, die gegenwärtig „das Sagen“ hätten, seien „die Vereinigten Staaten von Amerika und die Chinesen“; wolle die EU nicht „unbedeutende Verbündete des Einen oder des Anderen“ sein, müsse sie stärker werden.[4]
Im September 2019 kündigte die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ihr Amt am 1. Dezember 2019 antrat, ausdrücklich eine „geopolitische EU-Kommission“ an.[5] Regelmäßig war von einer Politik „auf Augenhöhe“ mit den Vereinigten Staaten die Rede.

Schwächer geworden

Wie der European Council on Foreign Relations (ECFR) in einer neuen Analyse konstatiert, hielten die tatsächlichen Leistungen der EU den protzig vorgetragenen Weltmachtansprüchen nicht stand; im Gegenteil: Die EU fiel in den vergangenen 15 Jahren gegenüber den USA in vielfacher Hinsicht zurück.[6]
Das gilt dem ECFR zufolge bereits ökonomisch: War die Wirtschaftsleistung der EU im Jahr 2008 mit 16,2 Billionen US-Dollar noch deutlich größer als diejenige der Vereinigten Staaten (14,7 Billionen US-Dollar), so kamen die USA im Jahr 2022 bereits auf mehr als 25 Billionen US-Dollar, die EU plus Großbritannien hingegen lediglich auf 19,8 Billionen US-Dollar.
Der Versuch, dem Euro zu einer Stellung zu verhelfen, die annähernd derjenigen des US-Dollar entspreche, sei gescheitert; das erlaube es den USA, ohne Rücksicht auf die europäischen Mächte Finanzsanktionen zu verhängen. Zugleich hätten die Vereinigten Staaten ihre Technologiedominanz ausbauen können; anders als China habe die EU es nicht geschafft, Rivalen zu Google, Amazon oder auch Apple zu entwickeln.
Militärisch sei die EU ebenfalls zurückgefallen. Hätten die USA ihren Militärhaushalt von 656 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008 auf 801 Milliarden US-Dollar 2021 gesteigert, erreichten die Streitkräftebudgets der EU und Großbritannien, die 2008 bei 303 Milliarden US-Dollar gelegen hätten, immer noch nur 325 Milliarden US-Dollar.

Zutiefst zerstritten

Habe die EU in den Jahren von 2008 bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs relativ zu den Vereinigten Staaten an Macht eingebüßt, heißt es in der ECFR-Analyse, so sei es gleichzeitig dem europäischen Staatenkartell nicht gelungen, weltpolitisch Schlagkraft zu entwickeln.[7]
Das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Jahr 2009 habe noch den Anschein erweckt, die EU werde nun eine gemeinsame Außenpolitik schmieden und „ihre verborgene Stärke“ zur Geltung kommen lassen. Dies sei nicht geschehen.
Stattdessen hätten die Eurokrise Nord und Süd, die Zuwanderung von Flüchtlingen Ost und West gegeneinander aufgebracht; der Austritt Großbritanniens wiederum habe die EU „ihrer zweitgrößten Wirtschaft und ihrer stärksten Militärmacht“ beraubt – „ein schwerer Schlag für das Ansehen der EU und für ihre Fähigkeit, geopolitischen Einfluss auszuüben“.
Zu den vom ECFR erwähnten Faktoren kommt zweierlei hinzu. Zum einen haben es Berlin und Paris bis heute nicht vermocht, ihre stark divergierenden strategischen Konzeptionen auf einen Nenner zu bringen; vielmehr hat die Bundesrepublik französische Vorstöße regelmäßig ausgebremst, Frankreich hat regelmäßig dagegen aufbegehrt.[8]
Zum anderen ist es den USA gelungen, mit Hilfe einiger Staaten insbesondere aus Osteuropa ein geschlossenes Vorgehen der EU zu torpedieren; vor allem Polen und die baltischen Staaten, immer wieder auch Tschechien und Rumänien treten als loyale Parteigänger Washingtons auf.[9]

Washington entscheidet

Wie der ECFR konstatiert, hat der Ukraine-Krieg die US-Dominanz gegenüber der EU schlagartig offen zutage treten lassen.[10] Tatsächlich geben die Vereinigten Staaten nicht bloß mit ihren Unterstützungsleistungen für die Ukraine den Ton vor. Alle „strategischen Entscheidungen“, so heißt es in der ECFR-Analyse, würden gleichfalls „in Washington getroffen“.
Die europäischen Verbündeten würden faktisch nur um ihr „stillschweigendes politisches Einverständnis“ sowie um „militärische und finanzielle Beiträge zu einer US-geführten Strategie gebeten“. Genaugenommen sei das westliche Bündnis in den Zustand zurückgesunken, in dem es sich in der Zeit des Kalten Kriegs befunden habe. Nicht nur militärisch, auch bei den Sanktionen falle die maßgebliche Rolle Washington zu: Die entscheidende Wirkung habe „der US-Dollar und die amerikanische Kontrolle über das internationale Finanzsystem“.
Für eine „strategische Autonomie“ der EU bleibe keinerlei Raum. Sogar die mit großem Aufwand betriebenen Bestrebungen, eine eigenständige rüstungsindustrielle Basis für die EU zu schaffen, seien gescheitert: Beschafft würden zur Zeit vor allem US-Rüstungsgüter, hält der ECFR fest. Dies gilt besonders auch für die deutschen Aufrüstungsvorhaben – german-foreign-policy.com berichtete [11].

Der Unterschied zum Kalten Krieg

In einem unterscheidet sich die aktuelle Lage allerdings dem ECFR zufolge stark von der Situation in der Zeit des Kalten Kriegs. Damals seien die USA bemüht gewesen, Westeuropa – und insbesondere die Bundesrepublik – zu starken Frontstaaten im Systemkonflikt mit den sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas zu formen, schreibt die Denkfabrik; daher hätten sie sich als Absatzmarkt für die westeuropäische Industrie zur Verfügung gestellt.[12] Dies ermöglichte in der Tat vor allem der Bundesrepublik den rasanten industriellen Aufstieg zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte weltweit.
Heute aber konzentrierten die USA sich auf den Machtkampf gegen China, fährt der ECFR fort; dafür sei kein wirtschaftsstarkes Europa vonnöten, sondern eine erfolgreiche US-Industrie. Dies sei der Grund, weshalb die Biden-Administration alle im Westen verfügbaren ökonomischen Kapazitäten in die USA zu ziehen suche [13] – auch auf Kosten Deutschlands und der EU; deren Rolle bestehe aus US-Sicht heute darin, die US-Industrie zu stärken und ihre Wirtschaftsbeziehungen nach China so umfassend wie möglich zu kappen.
Für Deutschland und die EU wäre das freilich mit einem dramatischen ökonomischen und politischen Abstieg verbunden.
Da sie militärisch von den USA abhängig seien, fehle ihnen das Potenzial, dies zu verhindern, sagt der ECFR voraus und diagnostiziert eine „Vasallisierung Europas“.[14]

Berlin gegen Paris

Wie darauf politisch zu reagieren sei, darüber wird in der EU längst gestritten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat vor kurzem explizit gewarnt, die EU-Staaten dürften nicht zu „Amerikas Gefolgsleuten“, zu „Vasallen“ herabsinken; sie müssten vielmehr „strategische Autonomie“ anstreben und versuchen, zu einer „dritten Supermacht“ zu werden.[15]
Kanzler Olaf Scholz hat dies am Dienstag vor dem Europaparlament in scharfem Ton abgelehnt und erklärt: „Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtphantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit.“[16] Es gelte stattdessen, eng an der Seite der Vereinigten Staaten zu bleiben.

[1] S. dazu Strategische Autonomie.

[2] S. dazu Die Machtprojektion der EU.

[3] S. dazu Europas „geopolitische Identität“.

[4] Emmanuel Macron bei der Botschafterkonferenz 2019. at.ambafrance.org 27.08.2019.

[5] The von der Leyen Commission: for a Union that strives for more. ec.europa.eu 10.09.2019.

[6], [7] Jeremy Shapiro, Jana Puglierin: The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations. European Council on Foreign Relations: Policy Brief. April 2023.

[8] S. dazu Die deutsch-französische „Freundschaft“.

[9] S. dazu Washingtons Prellbock (II) und Machtkämpfe hinter der Front.

[10] Jeremy Shapiro, Jana Puglierin: The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations. European Council on Foreign Relations: Policy Brief. April 2023.

[11] S. dazu Eine neue Epoche der Konfrontation.

[12] Jeremy Shapiro, Jana Puglierin: The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations. European Council on Foreign Relations: Policy Brief. April 2023.

[13] S. dazu Machtkämpfe hinter der Front (II).

[14] Jeremy Shapiro, Jana Puglierin: The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations. European Council on Foreign Relations: Policy Brief. April 2023.

[15] Jamil Anderlini, Clea Caulcutt: Europe must resist pressure to become ‘America’s followers,’ says Macron. politico.eu 09.04.2023.

[16] Thomas Gutschker: Grüne Gardinenpredigt für den Kanzler. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.05.2023.

Was man unter brownnosing versteht, wergibt sich wohl aus dem Kontext.

Passend dazu schon 2017  Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten:

Rüstung statt Abrüstung. Das deutsche Volk lässt sich mehrheitlich grandios verführen, ohne aufzumucken.

a mueller kAls im Jahre 1990 die Konfrontation zwischen West und Ost beendet war und man verabredet hatte, gemeinsam für Sicherheit zu sorgen, schrillten im NATO Hauptquartier in Brüssel alle Alarmglocken. Und bei der Rüstungswirtschaft auch. Dann hat man aber spätestens 1999 mit dem Jugoslawien Krieg neue Arbeit für die NATO gefunden und zugleich auch für die Bundeswehr.
Und jedes Mal, wenn einer der vom Westen geführten Kriege sich zu Ende neigte, machte man sich Sorgen um die weitere Beschäftigung von NATO und Rüstungswirtschaft. Jetzt ist der große Durchbruch erzielt. Ursula von der Leyen gibt Trump recht und fordert 2 % des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr – hier in der Tagesschau zum Beispiel. Mit einer Palette von Tricks wird uns das Fell über die Ohren gezogen.
Auf einige dieser Tricks möchte ich Sie aufmerksam machen. Sie werden in den nächsten Tagen aus Anlass der Münchner Sicherheitskonferenz, die man auch „Münchner Aufrüstungskonferenz im Interesse der Rüstungswirtschaft“ nennen könnte, weiteres zum Thema hören und sehen und Sie werden erleben, dass außer einer kleinen Minderheit von aufrechten Freunden der Demokratie und des Friedens ansonsten alles stumm bleibt: die Partei der Rüstungsministerin von der Leyen sinkt bei den Umfragen nicht in den Keller; Angela Merkel, die Chefin der militanten Verteidigungsministerin, erleidet keinen Imageeinbruch; die Mehrheit der Deutschen denkt, es geht uns gut, warum sollen wir dann über Rüstung meckern.

Ein Beleg dafür, dass manche Leute Angst vor dem Frieden haben:

Zur Einstimmung mache ich auf eine kleine Textpassage in einem FAZ Artikel vom 21.9.2013 aufmerksam. Dort heißt es unter der Überschrift „Zurück zu den Wurzeln. Die NATO denkt über ihre Zukunft nach dem Abzug aus Afghanistan nach“

„Die Nato sieht sich seit einiger Zeit mit einer Frage konfrontiert, die für ein Militärbündnis alles andere als belanglos ist: Was tun ohne Krieg? Ende nächsten Jahres will das Bündnis seine Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen haben, die Rückverlegung der Truppen ist in vollem Gang. Kommt es nicht zu einem neuen Großeinsatz, und das ist wegen der Kriegsmüdigkeit im Westen wahrscheinlich, dann wird die Allianz zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in einem bewaffneten Konflikt stehen. Vor allem den Militärs bereitet das Kopfzerbrechen. Wie soll man die Einsatzfähigkeit erhalten, wenn die Truppen wieder in den Kasernen zurück sind, fragen sich die führenden Offiziere. Eine erste, für Außenstehende vielleicht etwas überraschende Antwort lautet: indem man eine Schlacht gegen Russland übt.

Der letzte Satz ist von mir gefettet. Sie üben die „Schlacht gegen Russland“. Und das Volk schaut zu. Mehrheitlich jedenfalls.
Säbelrasseln wird nicht mehr bestraft. Auch die schlimmste Form nicht, auch die Planung von Atombewaffnung nicht.

Einige Tricks zur Beeinflussung, ehrlicher gesagt: zur Manipulation der Menschen:

Der erste Trick bestand darin, ein altes Feindbild neu aufzubauen und eine Bedrohung zu konstruieren.
Russland bot sich an. Schon alleine wegen der schon mehrmals erprobten Rolle, von den Nazis und dann nach dem Krieg vom konservativen Teil unserer Gesellschaft. Putin bot die Chance zur Personalisierung der Aggression.

Das ist nahezu komplett gelungen und wird ständig unterfüttert durch Behauptungen wie zum Beispiel jene über Hackerangriffe.
Ein ergänzender Trick bei diesem Feindbildaufbau ist es, die Staaten an der Grenze zu Russland, also die baltischen Staaten und Polen, die mit Recht oder Unrecht Rechnungen mit Russland offen haben, als Katalysatoren zu benutzen.

Der zweite Trick: Ein paar Bemerkungen des neuen Präsidenten der USA über die angebliche Überflüssigkeit der NATO (= obsolet) wurden penetrant so interpretiert, als wäre Europa damit der Schutz der USA gegen Russland entzogen.
Das ist eine grandiose Überinterpretation und Falschinterpretation, aber sie wurde von mehreren Stellen gleichlautend und penetrant in die Köpfe und Herzen der Menschen geklopft.

Dort blieb hängen: Mit Trump haben uns die USA verlassen, uns ihren militärischen und vor allem atomaren Schutz entzogen. Also müssen wir das selber machen. Also müssen wir massiv rüsten.
In der Wirklichkeit findet diese Erzählung keine reale Basis. Sie wird nur gebraucht und deshalb wird sie erzählt, um Geld für die Rüstung locker zu machen.

Der dritte Trick: Man sagt B und meint eigentlich A.
Am 29. Juli 2015 haben wir auf den NachDenkSeiten diese Methode beschrieben. Sie wird gerne angewandt, so wie jetzt auch hier: es wird eine Debatte um die deutsche Atombombe vom Zaun gebrochen. Diese läuft in der FAZ und dann bei Panorama und dann im Deutschlandfunk und dann auch in der Zeit.

Das Volk steht verwirrt beiseite, teilweise auch dagegen. Aber die eigentlich beabsichtigte Botschaft A: wir brauchen Militär und Rüstung gegen den neuen Feind, bleibt als berechtigt hängen.

Der vierte Trick wird uns gerade mit der Sicherheitskonferenz in München demonstriert: Rüstungpropaganda und Propaganda für militärische Einsätze unter einem falschen Label: Sicherheit. Und das auch noch auf unsere, der Steuerzahler Kosten.
Früher hieß die Münchner Sicherheitskonferenz „Wehrkundetagung“. Das war eine einigermaßen ehrliche Bezeichnung.

Dann wurde das Ding in Sicherheitskonferenz umbenannt. Und das ist dann keine ehrliche Bezeichnung mehr, jedenfalls für einen größeren Teil dessen, was dort in München passiert.
Ich erinnere an die gleichlautende Propaganda von Bundespräsident Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen. Sie forderten vor zwei Jahren unisono, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Da konnte man als verantwortungsbewusster Mensch ja noch mitfühlen. Aber gemeint und auch so insinuiert war damals schon Verantwortung durch militärische Einsätze.
Diese Propaganda wird zu einem beachtlichen Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert. Dabei handelt es sich nicht um eine öffentliche Konferenz und auch nicht um eine von einer öffentlichen Instanz ausgerichtete Konferenz. Die Rüstungswirtschaft lässt sich vom Steuerzahler ihre Lobbyarbeit auch noch bezahlen.

Mein Kommentar: Aus heutiger Sicht fügt sich ddas ein in eine effektive Vorbereitung des Ukraine-Krieges, der seit 2022 ausgebrochen ist.
Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Stammtisch der DFG-VK Nordschwaben am Dienstag 16.5.2023 in Nördlingen, dazu ein wichtiger Beitrag von Dr.Ingrid Pfanzelt, IPPNW, zur Geschichte, Spaltung und möglicher Versöhnung der Friedensbewegung

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Liebe Friedensfreunde,

unser nächstes Treffen findet statt
Dienstag 16.05.2023, 19.30 Uhr
Cafe Alexanderplatz im Keller
Polizeigasse 13, Nördlingen.
Eintritt frei.
Themenvorschlag ist der folgende, soeben auf den NachDenkSeiten erschienene Artikel – daher bitte lesen!
https://www.nachdenkseiten.de/?p=97631

Friedensbewegung #1, #2 & #3:
Der mühsame Weg in Richtung Frieden

Es ist kompliziert, sich für den Frieden zu engagieren. Heute gibt es nicht mehr eine Friedensbewegung, es sind inzwischen drei verschiedene: die Alte, die Neue und die ganz Neue.
Und leider gibt es zwischen den Gruppen wenig Eintracht, sodass die Kriegsbewegung – bestehend aus Politik, Rüstungsindustrie und tiefem Staat – leichtes Spiel hat, mehr und mehr Menschen auf Kriegskurs zu treiben bzw. zu halten. Analyse und Interview von Andrea Drescher.

#1

Die alte Friedensbewegung aufgrund des Vietnamkriegs wurde mitgetragen von den Protesten der 68er-Bewegung und ging Hand in Hand mit der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung der 70er- und 80er-Jahre auf die Straße. Die damaligen Aktivisten kamen zum großen Teil aus dem politisch linken Spektrum und waren mehrheitlich antifaschistisch, antiimperialistisch bzw. anti-amerikanisch. Ausnahmen wie Herbert Guhl bestätigen diese Regel. Man traf sich im Bonner Hofgarten, bei der Startbahn West oder in Wackersdorf, um nur einige Schauplätze der damaligen Zeit zu nennen.
Die Gründung der Grünen war eine Folge dieser Bewegungen, wobei ich mir sicher bin, dass sich die damaligen Urgesteine Petra Kelly und Gert Bastian von dem, was aus dieser Partei heute geworden ist, genauso scharf distanzieren würden, wie ich das tue.

Reste dieser alten Friedensbewegung sind noch in verschiedenen Bündnissen aktiv – die Anti-Siko in München ist ein Beispiel dafür. Auch eine „Antifa“ gibt es noch.
Erschreckend ist aber, wie sehr von vielen dieser Organisationen inzwischen das transatlantische Narrativ geteilt wird.
Von grundsätzlicher Systemkritik, wie ich sie aus meiner Jugend kannte, ist kaum mehr etwas zu spüren.

#2

2014 entstand die neue Friedensbewegung, initiiert von Lars Mährholz in Berlin als Mahnwachen für den Frieden, die regelmäßig jeden Montag auf der Straße zu finden war.
Auslöser war der sich abzeichnende Krieg in der Ukraine – der dann nach acht Jahren Dauerbeschuss des Donbass 2022 plötzlich und unerwartet ausgebrochen ist.
Aber auch andere Themen kamen aufs Tapet bzw. ans offene Mikro. Ob die Kriege in Syrien, Jemen und Israel, Umweltzerstörung durch Glyphosat und Regenwaldzerstörung, Freundschaft mit Russland oder das Finanz- und Wirtschaftssystem: Diese Friedensbewegung, die in ihrer besten Zeit in über 230 Städten im deutschsprachigen Raum stattfand, griff viele systemkritische Themen auf.

alles nazis ausser juttaInsbesondere die Kritik am Geldsystem führte dazu, dass man sie als antisemitisch erklärte, denn wer das Geldsystem kritisiert, war laut der „linken“ Ikone Jutta Ditfurth bereits ein struktureller Antisemit. Diese Tatsache und das – seltsamerweise medial forcierte – Aufkommen der PEGIDA-Bewegung, die mit den Mahnwachen in einen Topf geworfen wurde, führten sehr schnell dazu, dass alte und neue Friedensbewegung nicht zusammenkamen und die Mahnwachenbewegung an Schwung verlor.
Der „Zusammenhang“ zwischen Friedensbewegung und „Rechten“ – in späterer Folge dann Antisemitismus und Nationalsozialismus – war geschaffen. Systemkritiker standen im „rechten Eck“, was für viele, darunter auch mich, sehr überraschend kam.

#3

2020 entstand aufgrund der Grundrechtseinschränkungen durch die vermeintlichen Gefahren von Corona eine Freiheitsbewegung, die nach und nach unter einer Friedens- und Freiheitsbewegung firmierte bzw. zu dieser mutierte. Ein für mich erschreckend großer Anteil der Demonstranten hatte deutlich mehr als 50 Jahre auf dem Buckel, es gab Veranstaltungen, bei denen ich das Durchschnittsalter auf 60 geschätzt habe. Auf allen großen Demos habe ich Menschen mit Rollator oder Rollstuhl mitlaufen bzw. -rollen sehen.
Es waren sehr „bürgerliche“ Demos, es war ein sehr buntes Publikum, und bei vielen, die ich traf, stellte ich fest: „Wir hätten uns auch in Bonn, Wackersdorf oder auf der Startbahn West treffen können.“

Auch zahlreiche Aktive der Mahnwachenbewegung von 2014 waren dort zu finden, zumindest jene, die sich nicht vor der virtuellen – korrekt viralen – Gefahr fürchteten.
Als der Impfdruck zunahm, nahm auch der Anteil junger Menschen und Familien mit Kindern zu. Es waren – nach meiner Wahrnehmung – alle politischen Strömungen von „rechtsaußen“ bis „linksaußen“ vertreten. Die überwiegende Mehrheit bildete aber die bürgerliche Mitte – viele bis dato meist völlig unpolitische Menschen, die ihrem Recht auf körperliche Selbstbestimmung Ausdruck verleihen wollten. Das mediale Framing der zunächst nur maßnahmenkritischen Bewegung mit Begriffen wie „Corona-Leugner“, „Impfgegner“ und natürlich „Antisemiten“ und „Nazi“, wurde dann fast eins zu eins auch auf die Menschen übertragen, die – als der Maßnahmendruck zurückging, die Kriegsgefahr aber zunahm – weiter auf die Straße gingen.

Die perfekte Spaltung

Die „alte“ Friedensbewegung wollte bzw. will mit „den rechtsoffenen Demonstranten“ dieser Friedensbewegung #3 nichts zu tun haben.
Am 18. Februar gab es daher anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz gleich zwei Friedenskundgebungen und Demonstrationszüge.
Am Marienplatz traf sich die Anti-Siko der alten Friedensbewegung, zeitgleich mobilisierte „Macht Frieden“, ein Bündnis von Graswurzelbewegungen, dem auch „München steht auf“ angehört – also Vertreter der Friedensbewegung #3 – für eine Veranstaltung am Königsplatz.

Ähnliches wiederholte sich in München anlässlich des Ostermarsches. Das Orga-Team von „Macht Frieden“ respektierte den Zeitplan des traditionellen Ostermarsches und legte die eigene Veranstaltung auf den Nachmittag, sodass Teilnehmer der alten Friedensbewegung vom Marienplatz im Anschluss noch zur Kundgebung am Odeonsplatz kommen konnten.
Eine versöhnliche Geste, um Alt und Neu zusammenzubringen. Tatsächlich mischten sich dann einige der „Alten“ unter die „Neuen“, man kam in Kontakt, sprach miteinander und konnte vielleicht einige Vorurteile abbauen.

Ein weiterer Versuch, die Spaltung zu überwinden, war die Rede einer Friedensaktivistin aus dem traditionellen Lager auf der Kundgebung von „Macht Frieden“. Ich lernte sie auf dem Ostermarsch der neuen Friedensbewegung („FB“) kennen.
Dr. Ingrid Pfanzelt
war und ist in der alten Münchner Friedensbewegung #1 gut vernetzt. Jetzt engagiert sie sich zunehmend für die Friedensbewegung #3. Nur #2 hat sie ausgelassen, da sie 2014 und 2015 zu viel Zeit in der Flüchtlingshilfe verbracht hat. Ihr Anliegen ist es, mit dazu beizutragen, die Spaltung in der Friedensbewegung zu überwinden, wie sie mir im Interview erzählte.

Kannst Du Dich kurz persönlich vorstellen?

Gerne. Ich heiße Ingrid Pfanzelt, bin 1956 in der Nähe von München zur Welt gekommen, habe mein Medizinstudium in Italien begonnen und in München beendet.
Nach meiner Facharztausbildung in Psychosomatischer Medizin habe ich mich 1993 in einer Kassenpraxis als psychoanalytische Psychotherapeutin und Homöopathin niedergelassen, in der ich immer noch arbeite. Ich habe zwei erwachsene Söhne und lebe in München.

Friedenspolitisch ging es bei mir in den 80ern los. Es war damals im alternativen Milieu üblich, sich für den Frieden zu engagieren. Ich habe in einer Land-WG auf einem Bauernhof gelebt und war am Anfang bei den Grünen mit dabei. Die Friedensbewegung war ein Teil der Grünen, Gerd Bastian und Petra Kelly waren unsere Vorbilder. Das hat damals große Kraft entwickelt.
Diese politische Sozialisation war gepaart mit der Anti-AKW-Bewegung. Es war Teil unseres WG-Lebens, mit unserem klapprigen VW-Bus nach Wackersdorf zu fahren und uns mit Wasserwerfern von der Polizei von der Straße fegen zu lassen.

Diese frühe ökologische Bewegung, die auch Themen wie Naturheilkunde und Spiritualität einschloss, war geprägt durch einen sehr regierungskritischen Kurs, der aus der 68er-Bewegung entstanden war. Unsere Generation war noch geprägt von der Auseinandersetzung mit den Vätern, die sich im Nationalsozialismus schuldig gemacht hatten und nun wieder in hohen Ämtern waren.
Deshalb gehörte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Staat und den staatlichen Entscheidungen gegen den Willen der Bürger – Wiederaufarbeitungsanlage oder NATO-Doppelbeschluss – zu unserem aufklärerischen Selbstverständnis. Mehrere Hunderttausend Demonstranten im Bonner Hofgarten waren ein starkes Zeichen dieser kritischen Generation an die Politik.
Diese großen Demonstrationen waren ein Event, das viel Energie gab. Wir waren beseelt von dem gemeinsamen Friedenswillen und der Hoffnung, die Politik durch unseren mächtigen Straßenprotest beeinflussen zu können. Für den Frieden zu demonstrieren, gehört also seit gut 40 Jahren zu meinem Leben.

Du engagierst Dich aber jetzt nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch für die IPPNW. Wofür steht diese Organisation?

Die IPPNW, die „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“, ist eine ärztliche Friedensorganisation. Sie wurde 1980 als gemeinsame Friedensarbeit von einem US-amerikanischen und einem russischen Arzt gegründet und bekam 1986 den Friedensnobelpreis. Ihr wichtigstes Ziel war und ist es, die Menschen weltweit über die Risiken eines Atomkrieges und die medizinischen Folgen atomarer Katastrophen aufzuklären und sich für ein generelles Verbot von Atomwaffen einzusetzen.
Aus der IPPNW entstand die ICAN-KampagneInternational Campaign to abolish Nuclear Weapons – die 2021 eine Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags in der UN erreichte und die dafür ebenfalls 2017 den Friedensnobelpreis bekam.
Jetzt wäre ein weltweites Verbot von Atomwaffen jederzeit möglich, wenn die Staaten, die diese Waffen besitzen, auch Deutschland, diesen Vertrag ebenfalls unterzeichnen würden.

Seit einigen Jahren leite ich zusammen mit einem Kollegen die Regionalgruppe Oberbayern der IPPNW. Wir sind Partner des FRIBÜ München. Im Namen der IPPNW halte ich regelmäßig Reden zu den Hiroshima-Tagen in München, die vom FRIBÜ organisiert werden.

Was ist das Friedensbündnis München?

Das ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Friedensinitiativen in München, die u.a. seit vielen Jahren die Anti-Siko-Proteste veranstalten. Das Anti-Siko-Bündnis ist ja nur ein temporäres Bündnis, das sich im Herbst zusammenfindet, um die Proteste zur Sicherheitskonferenz im Februar zu organisieren, und sich anschließend wieder auflöst.
Die IPPNW war immer dabei – dieses Jahr gab es das erste Mal eine Schwierigkeit.

Von was für Schwierigkeiten sprichst Du?

Es gab einen Eklat mit den Leuten aus der Antifa, da bei Anti-Siko auch Vertreter der freien Linken mitmachen wollten. Da diese sich auch bei „München steht auf“ engagieren, kam der Vorwurf der Querfront hoch. Die Antifa bezeichnet nämlich alle, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, als rechtsoffen und AfD-nah.
Es begann eine massive Diffamierungskampagne gegen die freie Linke durch die Antifa.

In unserer IPPNW-Regionalgruppe gab es dann die Diskussion, ob wir das Anti-Siko-Bündnis verlassen sollen, nachdem die Antifa so aggressiv auftrat. Als Friedensorganisation können wir nicht in einem Bündnis mitwirken, das Diffamierung und Gewalt toleriert. Als sich das Bündnis dann aber auch deutlich gegen Extremismus von Links positionierte, sind wir als IPPNW dabeigeblieben.
Ob wir zukünftig weiter mitmachen, steht, ebenso wie unsere Rolle bei der zeitgleich zur Siko stattfindenden Friedenskonferenz in München, in den Sternen.

Wieso?

Die Spaltung betrifft jetzt auch die IPPNW-Regionalgruppe. Ich war als Regionalsprecherin dafür, mit der – wie Du sagst – ganz neuen Friedensbewegung zu kooperieren. Andere waren das nicht.

Wie stehst Du zu „München steht auf“ (MsA)?

Ich war anfänglich in der maßnahmenkritischen Bewegung nicht aktiv, wurde aber im Laufe der Zeit zunehmend kritischer gegenüber der Impfung und den Maßnahmen.
Ich fühlte mich eigentlich immer der linksgrünen Szene zugehörig und war früher bei den Grünen, bis sie begannen, gegen die Menschen zu hetzen, die sich nicht impfen lassen wollten. Das betraf mich auch. Als Katarina Schultze von den Grünen dann im Landtag forderte, dass Ungeimpfte nicht mehr in Supermärkte zum Einkaufen gehen dürften, bin ich endgültig ausgetreten.

Ich war einfach nur noch entsetzt und wollte etwas gegen diese unsägliche Politik tun. Darum bin ich dann auch mal mittwochs zu den Demos von MsA gegangen.
Ich vermisste in dem offiziellen Corona-Diskurs die kritischen Stimmen, die ich dort fand. Und diese Szene ist jung und dynamisch: Die Organisatoren von MsA kommen aus der Generation meiner Söhne. Ich war irritiert, wie wenig regierungskritisch sich gerade die linke Szene beim Corona-Thema verhielt. Das offizielle Narrativ wurde von ihr ebenso unreflektiert übernommen wie später das Ukraine-Kriegs-Narrativ. Eine regierungskritische Haltung nahmen nur die Corona-Proteste ein, sie ging nach Beginn des Ukraine-Krieges in eine Anti-Kriegs-Haltung über.
Das primäre Thema war dann die Forderung nach Frieden. Ich war sehr berührt, als nach dem Kriegsbeginn jeden Mittwoch bei den Umzügen von MsA der Ruf „Frieden schaffen ohne Waffen“ durch Münchens Straßen schallte. Das erinnerte mich an die Anfänge der FB.

Weil die Grundrechte-Bewegung schon seit drei Jahren den Straßenprotest organisiert, war es auch sie, die dann schnell einen Friedensprotest auf die Straße brachte – viel schneller als die Initiativen der alten Friedensbewegung. Deshalb habe ich versucht, Kooperationsmöglichkeiten zwischen alter und „neuer-neuer“ Friedensbewegung zu finden.
Es gab einige VertreterInnen des FRIBÜ, die kooperationsbereit waren. Mit ihnen veranstaltete die IPPNW-Regionalgruppe zusammen mit MsA und der „freien Linken“ eine Demo am 1. Oktober 2022, dem bundesweiten Aktionstag gegen den Ukraine-Krieg, auf der ich eine Rede hielt. Dabei kam es zu einem Eklat auf der Bühne. Ein Redner der Antifa beschimpfte die MsA-Teilnehmer der Demo als Nazis, mit denen man nicht auf einer Demo sein dürfe. Er übersah dabei, dass mindestens drei Viertel der Demonstranten Leute aus der Grundrechte-Bewegung waren.
Das zeigt recht gut die Realitätsverleugnung der Antifa.

Ich rief nach dieser Demo zu einer Dialoggruppe auf, die sich dann in regelmäßigen Abständen traf. Zwischen einzelnen Akteuren der alten und neuen FB entwickelte sich ein respektvoller und spannender Dialog, der allerdings nicht zu einer prinzipiellen Änderung der Haltung des FRIBÜ führte. Die Vorurteile sind leider nicht aufzubrechen. Es gibt zu große Widerstände vonseiten des FRIBÜ.
MsA als Vertreter der neuen FB ist kooperationsbereit, aber die Spaltung wurde von der Antifa forciert, und das Münchner Friedensbündnis konnte sich zu keiner eigenen friedensfähigen Position durchringen. Es wurde klar, dass sich in München zwei unterschiedliche Friedensbewegungen entwickelten.

Wie hast Du Deine Rolle als Brückenbauerin erlebt?

Einerseits als recht einsam, anstrengend und emotional verletzend, weil ich von meinen alten Weggefährten angegriffen und enttäuscht wurde.
Andererseits habe ich in der neuen Bewegung viele tolle jüngere Menschen kennengelernt, die einen offenen Geist und viel Mut haben, sich gegen den Strom zu stellen. Sie haben mich bei meinen Auftritten bei der neuen FB sehr unterstützt, denn mittlerweile werde auch ich von der SZ in die rechte Querdenker-Ecke gestellt. Das tut weh.

Mein sozialer Bezugsrahmen hat sich von Grund auf verändert. Frühere Freunde sind weggebrochen. Mit meinem Kollegen aus der IPPNW-Regionalgruppe hatte ich beispielsweise letzten Sommer vereinbart, dass wir beide versuchen möchten, Brücken zu bauen. Er ist auch Psychotherapeut, deshalb wollten wir den Dialog anstoßen.
Die erste Bewährungsprobe war dann die Vorbereitungsgruppe für die Friedenskonferenz, eine friedenspolitische Parallelveranstaltung zur Münchner Sicherheitskonferenz.

Die IPPNW ist seit einigen Jahren Mitveranstalter der FRIKO. Es kam die Idee auf, mit der Zivilgesellschaft mehr in Kontakt kommen, vielleicht eine Podiumsdiskussion mit Menschen zu führen, die sich noch nicht so lange für den Frieden engagieren. Mein Vorschlag, die Protagonisten von „München steht auf“ einzuladen, rief großen Widerstand und Ablehnung hervor. Es wurde unterstellt, dass das alles Rechte seien, obwohl niemand vom FRIKO-Team jemals mit den Leuten von MsA gesprochen hatte oder bei einer Demo gewesen war. Man folgte also nur den eigenen Vorurteilen.
Mein Kollege unterstützte mich leider nicht, sondern schloss sich den anderen an.

Ich habe mit vielen von „München steht auf“ gesprochen und kenne auch viele aus der Szene. Ich habe daher entsprechend dagegengehalten, da ich auf den Demos von MsA keine Rechten getroffen hatte, sondern nur Menschen begegnet war, die sich für Freiheit und Frieden engagieren. Aber meine ehemaligen politischen Weggefährten glaubten mir nicht, und mein Vorschlag wurde vom FRIKO-Team vehement zurückgewiesen. Als es dann noch um die Beurteilung einer Demonstration am 9. November ging, glaubte die FRIKO-Gruppe lieber der Süddeutschen Zeitung, die wieder einmal nur Nazis dort gesehen haben wollte, als mir, einer Augenzeugin, die vor Ort war.

Ich habe mich dann aus der Gruppe zurückgezogen, weil ich nicht mit Menschen zusammenarbeiten wollte, die selbst so wenig friedensfähig sind. Friedensfähigkeit bedeutet Gesprächsbereitschaft.
Eine Friedenskonferenz, auf der gefordert wird, dass Russland und die Ukraine sich zu Verhandlungen an einen Tisch setzen sollen, die aber selbst nicht zum Dialog bereit ist, verdient den Namen nicht. Diese Doppelmoral erleben wir zurzeit ständig in der Politik, da wollte ich nicht mitmachen. Es hat mich aber persönlich sehr getroffen, dass ich keine Unterstützung für meine Position von meinem Kollegen bekam. Unser gemeinsam abgesprochenes Brückenbau-Projekt war gescheitert. Nun musste ich allein weitermachen.
Ich empfand das so, als ob man mir in den Rücken fällt. Das hat sich dann später wiederholt.

Was ist denn passiert?

Einige Wochen später wurde ich von den Organisatoren der Anti-Siko-Demo des „Macht Frieden“-Bündnisses gefragt, ob ich auf ihrer Veranstaltung sprechen möchte. Der Vorstand von IPPNW verbot mir, dort in ihrem Namen zu sprechen, so wie ich das sonst immer tue. Die Begründung war: IPPNW dürfe nicht mit wissenschaftsfeindlichen, rechtsoffenen Corona-Leugnern in Verbindung gebracht werden.
So trat ich als Privatperson und nicht als Vertreterin der IPPNW auf. In einem Interview mit der SZ distanzierte sich dann der IPPNW-Vorsitzende von mir und behauptete, mein Auftritt sei nicht mit ihm abgesprochen gewesen, obwohl es natürlich abgesprochen war und das alles per Mail-Verkehr belegt ist.
Ich empfand das als sehr illoyal und persönlich verletzend. Es zeigt die tiefe Zerrissenheit in den herkömmlichen Friedensorganisationen. Wenn wir aber so miteinander umgehen, schwächen wir uns weiter systematisch selbst.

Wo siehst Du die größten Hindernisse einer Zusammenarbeit?

Die neue FB zeigte sich bisher sehr offen und kooperationsbereit. Vielleicht hat sie durch den medial angeheizten, scharfen Corona-Diskurs eine größere Dialogfähigkeit entwickelt als die traditionelle FB, die sich in den letzten Jahren des Friedens nicht mehr groß gesellschaftlich auseinandersetzen musste. Man hatte sich bequem in der Friedensnische eingerichtet.
Also liegen die größten Hindernisse meiner Erfahrung nach auf Seiten der alten FB. Das sind die unverrückbaren Bilder im Kopf, die Einordnung in ein politisches Raster mit links und rechts.

Die alten Aktivisten kommen aus der linken Szene und haben über die Jahre eine rigide linke Identität entwickelt, die nicht reflektiert werden kann.
Dann lässt man sich lieber von einer gewaltbereiten Antifa ein schlechtes Gewissen einreden, dass man nicht links genug sei und sich deshalb offensiv von allem distanzieren müsse, was die Antifa als Rechts definiert, statt sich eine neue, zeitgemäße Position zu erarbeiten.
Sie müsste sich allerdings fragen, was die hauptsächliche Aufgabe einer Friedensbewegung ist: Will sie einer radikalen linken Ideologie hundertprozentige Gefolgschaft leisten oder einen lagerübergreifenden Protest organisieren, um jetzt einen Krieg zu beenden?

Ein anderes Hindernis für eine Zusammenarbeit ist aber auch, dass sich die neue FB zu einem großen Teil aus der Grundrechtebewegung entwickelt, die während der Pandemie so diffamiert wurde.
Viele aus der alten FB waren mit den Corona-Maßnahmen konform und schlossen sich dem Vorurteil an, dass die Maßnahmenkritiker alle Corona leugnen und aus der rechten Ecke kommen würden.
Das zeigt ja auch die Reaktion des IPPNW-Vorstandes. Und plötzlich sollen diese „Aluhutträger“ ernst zu nehmende Friedensaktivisten sein? Das übersteigt die intellektuelle Flexibilität von altgedienten Friedensbewegten.
Da macht man es sich dann lieber einfach und stellt alle „Neuen“ unter den Verdacht, rechtsoffen zu sein.
In der Psychotherapie arbeite ich mit meinen Patienten immer daran, zu differenzieren. Wenn man in einem Gut-Böse-Schema stecken bleibt, gibt es keine psychische Entwicklung.
Diese Entwicklungsaufgabe müsste jetzt die alte FB leisten. Das Links-rechts-Schema taugt nichts mehr, wir müssen alle neu denken lernen.

Dazu gehört auch, einmal aus dem Kreislauf von Aktion und Reaktion herauszutreten und das gesellschaftspolitische Geschehen zu reflektieren. Als Psychoanalytikerin ist es mein tägliches Geschäft, die unbewusste Dynamik eines Verhaltens zu verstehen.
Warum tut sich also die alte FB so schwer, überhaupt einmal ins Gespräch zu kommen mit den Jungen? Ich glaube, da argumentiert die Antifa geschickt mit dem Vorwurf der Kontaktschuld.
Das heißt, man macht sich schuldig, wenn man Kontakt mit einem „Rechten“ hat. Sich schuldig zu machen, weil man die politische Gefahr von rechts nicht sehen könnte, die schon einmal Deutschland und die ganze Welt in den Abgrund gestürzt hat, davor fürchtet sich meine Generation, also die alte FB.
Ein Teil unserer politischen Identität wuchs aus der offensiven Abgrenzung gegen jegliche rechtsnationale Tendenz. Deshalb verfängt dieses Argument so gut. Dann wird kontraphobisch alles vermieden, was nur irgendwie in diese Richtung interpretiert werden könnte.

Schuldgefühle oder Angst zu erzeugen ist übrigens eine massenpsychologische Taktik. Mithilfe des sogenannten „Nudgings“ werden Affekte bewusst geschürt, um dann ein konformes Verhalten zu erzeugen, das den Akteuren im Hintergrund für ihre Zwecke dient.
In der Corona-Zeit war es die Angst vor Krankheit und Tod, jetzt ist es das Schuldgefühl, das die Agenda der Regierung stützt.
In beiden Fällen wird mit der Metapher von Ansteckung gearbeitet. Früher konnten wir uns mit einer Mikrobe anstecken, jetzt ist es das „Virus von rechts“. Und der Schutz vor Ansteckung ist in beiden Fällen die Vermeidung von menschlichem Kontakt.
Deshalb können rechtes und linkes Lager nicht zusammenkommen, solange diese irrationale Angst vor politischer Ansteckung herrscht.
Divide et impera
– die Spaltung der Gesellschaft dient den Mächtigen, um zu herrschen.

Wir brauchen wieder ein Zutrauen zu unserer gesunden Immunität – im physiologischen wie politischen Sinn. Dann können wir auch nicht von „rechts“ infiziert werden, selbst wenn wir mit Menschen in Kontakt kommen, deren politische Meinung in diese Richtung geht.

Was ist in deren Sinne denn „rechts“?

Das frage ich mich auch. Die alten politischen Koordinaten haben ja ausgedient, wenn die ehemals pazifistische Partei der Grünen für den Krieg wirbt und die AfD für Friedensverhandlungen.
Für eine friedensfähige Position ist es meiner Meinung nach auch nicht mehr so wichtig, aus welchem traditionellen politischen Lager man kommt.
Wenn man sich auf grundlegende Forderungen einigen kann, wie keine Waffen mehr zu liefern und Friedensverhandlungen aufzunehmen, ist das der kleinste gemeinsame Nenner, unter dem sich Menschen zusammentun können, die in anderen Punkten unterschiedlicher Meinung sein dürfen.

In der ganzen aufgeheizten Abgrenzungsdiskussion haben wir anscheinend vergessen, dass in einer parlamentarischen Demokratie die unterschiedlichen Parteien themenbezogen zusammenarbeiten.
Wenn ich auf einer Demo neben einem Mann gehe, der AfD wählt, aber jetzt für den Frieden demonstriert, ist er bei diesem Thema mein Mitstreiter. Deshalb muss ich nicht derselben Meinung wie er beim Thema Migration sein.
Und nur weil ich neben ihm gehe, bin ich nicht „rechts“. Dazu ist mein politisches Immunsystem zu stabil. Meine politischen Werte könnten sich aktuell eher an einer tiefen humanistischen und pazifistischen Haltung orientieren als an einem vereinfachten Links-rechts-Schema. Das wäre jetzt wichtig.
Wenn wir uns weiter in „links“ und „rechts“ spalten lassen, verrichten wir das Geschäft der Mächtigen selbst. Dann wird sich keine wirklich große neue FB entwickeln und die Kriegstreiber haben gewonnen.

Das mediale Framing funktioniert leider erstaunlich gut. Jeder Maßnahmenkritiker, jeder Impfskeptiker ist verdächtig, und dementsprechend werden „München steht auf“ und die Grundrechtebewegung als rechts wahrgenommen. Das gilt jetzt auch für alle, die für den Frieden auf die Straße gehen. Früher wurde man als „Corona-Leugner“, heute wird man als „Putinversteher“ beschimpft, wenn man nicht mit der Regierungspolitik einverstanden ist. Dabei muss Friedenspolitik doch immer Kritik an der Regierung sein, wenn diese einen Krieg unterstützt!

Wie meinst Du das?

Meine Entwicklung hin zu einer friedenspolitischen Position war, sich immer mit dem Regierungshandeln kritisch auseinanderzusetzen. Es ist logisch, dass die Maßnahmenkritiker auch kritisch beim Krieg sind, denn sie sind es, die der Regierung seit drei Jahren auf die Finger schauen. Aber ein kollektiver kritischer Geist, der in den 80er-Jahren etwas sehr Positives war, wird heute – insbesondere seit drei Jahren – negativ konnotiert. Dabei ist eine regierungskritische Haltung Grundvoraussetzung für die Friedensbewegung. Ich frage mich, warum nimmt die alte Friedensbewegung die regierungskritische Haltung der Grundrechtebewegung nicht als frischen Impuls für die eigene Mobilisierung auf?

Siehst Du eine Chance, die Gruppen zusammenzuführen?

Ich weiß es im Moment wirklich nicht. Die neue FB hat oft die Hand ausgesteckt, die von der alten nicht angenommen wurde, zumindest hier in München. Ich habe gehört, dass es in anderen Städten schon Annäherung gibt. Es wäre jetzt an den Alten, das Gespräch mit den Jungen zu suchen.
Es ist ja tatsächlich so, dass die Akteure der traditionellen FB alt sind. Wir sind nicht mehr viele und haben nicht mehr viel Kraft. Die Jungen können jetzt den Widerstand organisieren, sie haben Vitalität und Engagement und beherrschen die Klaviatur der sozialen Medien, um viele Menschen zu mobilisieren. Das wäre ein Booster für uns Alte!

Ich habe den Eindruck, die Widerstände gegen die Neuen werden gerade etwas geringer, weil man sieht, wie sich die Zahlen entwickeln. Am Königsplatz waren im Februar 20.000 Menschen, am Marienplatz nur 2.700. Bei der Osterkundgebung waren fünfmal so viel Leute bei „Macht Frieden“ wie beim traditionellen Ostermarsch.
Das Traurige ist aber, dass es insgesamt bei allen Kundgebungen viel zu wenige waren, wenn man sich die aktuelle Bedrohungslage ansieht. Vielleicht ist es gar nicht mehr so wichtig, dass die alte sich mit der neuen FB verbindet, denn die alte FB hat nicht mehr viel Gewicht. Die Neue muss ähnlich breit in der Gesellschaft aufgestellt werden wie damals in den 80ern.

Wo sind aber jetzt die Kirchen, die Gewerkschaften und die Klimabewegung? Die christliche Nächstenliebe ist doch eigentlich per se eine pazifistische Haltung, und gute Arbeitsbedingungen gibt es nur im Frieden. Wer sich für das Klima einsetzt, müsste sich auch für den Frieden engagieren, denn 5 Prozent der globalen CO2-Emissionen werden durch militärische Aktivitäten verursacht.
Durch den Ukraine-Krieg sind bisher 100 Mio. Tonnen CO2 zusätzlich in die Atmosphäre geschleudert worden. Die gigantische Zerstörung der Umwelt durch Krieg müsste doch alle Naturschützer zu Pazifisten machen. Der Krieg in der Ukraine ist nicht das notwendige Übel, um die Energiewende zu schaffen, wie uns einige erzählen wollen.
Der Krieg ist ein Teil der Klimakatastrophe. Deshalb müssten FFF und Letzte Generation sich der Friedensbewegung anschließen. IPPNW versucht schon seit Längerem, diese Gruppen für die Friedensarbeit zu gewinnen.

Wir dürfen nicht vergessen: Die Gefahr der nuklearen Eskalation wird immer größer. Wir waren noch nie so nahe an einem Atomkrieg wie aktuell. Deshalb wäre gerade jetzt die Stunde einer Friedensorganisation wie IPPNW, die seit 40 Jahren vor dem Atomkrieg warnt. Sie müsste sich mehr mit der neuen FB verbinden. Ein erster Schritt dazu wurde schon gemacht, als die IPPNW-Vorsitzende den Appell von Schwarzer / Wagenknecht unterzeichnete und deren Demo unterstützte. Die Berliner Demo war genauso lagerübergreifend wie die Münchner Anti-Siko-Demo am Königsplatz, deshalb ist es schwer verständlich, warum man sich von der Königsplatz-Demo eine Woche vorher noch so distanzierte. Aber vielleicht änderte sich in der Woche dazwischen etwas.
Jeder, der reinen Herzens für den Frieden ist, sollte in einer Friedensbewegung willkommen sein. Wir brauchen wieder eine starke Friedensbewegung wie in den 80ern, um diesen Krieg zu beenden, in dem jeden Tag tausend Menschen sterben, ein ganzes Land zerstört wird und die nukleare Katastrophe droht! Ich hoffe, dass wir das schaffen, bevor es zu spät ist.

Das hoffe ich auch. Einen 3. Weltkrieg braucht niemand. Danke für Dein Engagement! Wir sehen uns auf der Straße!

Unterstreichungen von mir.
Mit friedlichen Grüßen
Jochen, Sprecher der DFG-VK Nordschwaben, IPPNW

Erst klaut er ihnen 30% ihres bescheidenen Wohlstandes, dann hält er sie mit einem „Bürgerdialog“ zum Narren: Olaf Scholz

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Man hatte doch längst das Gefühl, es könne nicht schlimmer kommen –
aber was Boris Reitschuster da berichtet, übertrifft alles !

reitschuster logo

Und das alles veranstaltet von unseren Zwangsgebühren. Wo bleibt da die Aufsicht ?
Siehe hier:
https://reitschuster.de/post/war-der-angebliche-buergerdialog-des-kanzlers-eine-mogelpackung/
Auszüge:
Florian Post ist einer, der Klartext spricht. Was auch nach acht Jahren, die er für die SPD im Bundestag saß, zum Zerwürfnis mit seiner Partei führte. Im August 2022 trat er aus der SPD aus. Begründung: Sie sei „für Menschen mit gewöhnlichen Alltagssorgen“ nicht mehr wählbar (Details siehe hier). Ende 2022 trat er in die CSU ein.

Jetzt attackiert der Münchner seinen ehemaligen Genossen im Bundeskanzleramt. Auf Twitter teilt der Ex-Abgeordnete ein Video, das enthüllt, wie beim sogenannten „Bürgerdialog“ rote und grüne Parteimitglieder und Funktionäre unter dem Deckmantel, sie seien normale Bürger, Bundeskanzler Olaf Scholz befragten.
Der Kommentar dazu vom Ex-Genossen Post: „Besser bekamen sie es in der #ddr auch nicht hin. So geht #bürgerdialog“. Ansehen können Sie sich das beeindruckende Video hier.

Angebliche normale Bürger, die in dem 90-minütigen „Bürgerdialog“ in Bendorf am 1. Mai ihre Fragen stellen, sind unter anderem:

  • Klaus Dietrich, SPD-Ortsvorsitzender Meisenheim
  • Jutta Mannebach von den Grünen in Koblenz
  • Paul Freyt, Beisitzer im Vorstand der
    Jusos Mayen-Koblenz
  • Tino Dähler, Grünen-Kandidat für den
    Verbandsgemeinderat Maifeld
  • Kim Theissen von den Grünen in Koblenz

Aufgedeckt hat das der rührige Blogger „Dr. David Lütke“.

Hier liegt also der Verdacht nahe, dass unter dem Vorwand eines „Bürgerdialogs“ eine Inszenierung stattfindet.
Auch bei Angela Merkel war auffällig, dass ihre Gesprächspartner bei sogenannten „Bürgerdialogen“ zu einem großen Teil so wirkten, als seien sie sorgfältig vorab ausgesucht worden. Insofern hat Post durchaus Recht, wenn er sich an die DDR erinnert fühlt – so ein Scheindialog gehörte zu den Inszenierungen im Sozialismus. Die unter Angela Merkel in die Bundesrepublik überschwappten.

Laut dem öffentlich-rechtlichen Sender „Phoenix“, der solche Veranstaltungen gelegentlich überträgt, lief das Verfahren etwa beim vorherigen Bürgerdialog wie folgt ab: „90 Minuten lang stellt sich der Kanzler den Fragen der Bürgerinnen und Bürgern, die sich im Vorfeld für die Teilnahme bewerben mussten, die Plätze werden verlost.“
Diesmal hatten sich 500 Menschen bei der Rhein-Zeitung um einen der Plätze beworben.

Zum einen ist erstaunlich, dass ausgerechnet rote und grüne Parteimitglieder bzw. Funktionäre gleich doppelt Glück hatten – nicht nur beim Verlosen der Plätze, sondern auch, als es darum ging, wer das Wort erteilt bekommt.

Aber es gibt eben Zufälle im Leben

Schwerer wiegt: Würde es um einen offenen Bürgerdialog gehen, müsste das Kanzleramt einfach die Bewerber vorab nach Parteimitgliedschaften und vor allem Funktionen in Parteien befragen – wenn schon ein Bewerbungsverfahren stattfindet.
Und wenn man partout nicht auf Funktionäre und Genossen verzichten will, müsste man gegebenenfalls zumindest einblenden, wer sie sind, damit die Zuschauer nicht in die Irre geführt werden.

Da ohnehin die Namen der Fragesteller eingeblendet werden, wäre dies organisatorisch kein Problem. Dass es nicht gemacht wird, zeigt, dass es sich um eine Mogelpackung handelt.
Sogar um eine doppelte – an der das Kanzleramt und Scholz selbst ebenso beteiligt zu sein scheinen wie die Medien – in diesem Fall die Rhein-Zeitung, bei der man sich bewerben musste.

PS: Hier noch ein paar Kommentare von Twitter-Nutzern zu der Causa:

    • Bürgerverarschung von der ersten bis zur letzten Sendeminute.
      Wahrscheinlich gab es für die Moderation und Vorbereitung wieder einen fünfstelligen Scheck aus dem Bundeskanzleramt.
    • Wie immer Zufall
      Die halten die Menschen alle für Deppen.
    • Was denken sie sich dabei! Sie wissen doch genau 2 bis 3 Klicks, und zack wissen die Menschen, wer da angeblich Fragen stellt! Die sind derart dreist und borniert, kein Wunder, dass sie nun alles auf den Weg bringen wollen, die Bürger partout am Kritisieren zu hindern!
    • Bürgersowjet (in der Intonation von Adenauer)
    • Aus solchen Leuten werden dann auch die Bürgerräte gelost
    • Bestimmt nur ein blöder Zufall

Hier mein Video zu diesem Text:
https://youtu.be/uvLM5XRHEJQ
*)

Kritischer Journalismus ist wie ein Eisbrecher – er schlägt Schneisen in die Einheitsmeinung. Dafür muss man einiges aushalten.
Aber nur so bricht man das Eis. Langsam, aber sicher.

*: Das Video ist wirklich sehenswert!
Und bei der Formulierung „liegt der Verdacht nahe“ muss ich grinsen !
Auch andere Leute haben sich in Telegram-Kanälen gewundert, wo die Fragen zu Nordstream 2 und zur Cum-Ex-Affäre bleiben. Zur letzteren siehe z.B. hier:

„Olaf Scholz lügt!“ Fabio De Masi über dessen Cum-Ex-Affäre


Auf einen Warnhinweis bez. der Rechtslastigkeit von Reitschuster habe ich so geantwortet:
Ist mir bekannt, und ich teile nicht viel von ihm, aber z.B. den Nachruf auf den Waldbiologen Clemens Arvay, einiges zu den Coronalügen und dieses hier.

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Reitschusters Gütesiegel

Aufgefallen ist er mir als unerschrockener Demokrat mit stets störenden Nachfragen in der Bundespressekonferenz, weshalb er da ausgeschlossen wurde.
Siehe dazu:
https://josopon.wordpress.com/2021/05/05/zum-tag-der-pressefreiheit-russia-today-enthullt-liste-der-kukenpiepser-achtung-dateianhang-55kb/

Übrigens hat er das letzte Buch von Michail Gorbatschow übersetzt, mit dem er befreundet war, das ist auch sehr lesenswert.
Also schaue ich ab und zu mal über den Tellerrand.
Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Julian Assange schreibt an Charles III., den neu gekrönten König, einen untertänigen Brief

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Hier, kurz und mit tiefem Sarkasmus, kommt eine Einladung, das königliche Gefängnis Belmarsh doch einal zu besuchen, und eine Erinnerung daran, dass man die Humanität einer Gesellschaft daran messen kann, wie sie ihre Gefangenen behandelt. Dort, wo sogar das Schachspielen verboten ist.
https://declassifieduk.org/a-kingly-proposal-letter-from-julian-assange-to-king-charles-iii/

Der Text ist natürlich auf Englisch, freundlicherweise hat Uli Gellermann für Apolut eine deutsche Übersetzung besorgt.
Also hier der Text im Original:

To His Majesty King Charles III,

On the coronation of my liege, I thought it only fitting to extend a heartfelt invitation to you to commemorate this momentous occasion by visiting your very own kingdom within a kingdom: His Majesty’s Prison Belmarsh.

You will no doubt recall the wise words of a renowned playwright: “The quality of mercy is not strained. It droppeth as the gentle rain from heaven upon the place beneath.”

Ah, but what would that bard know of mercy faced with the reckoning at the dawn of your historic reign? After all, one can truly know the measure of a society by how it treats its prisoners, and your kingdom has surely excelled in that regard.

Belmarsh_prisonYour Majesty’s Prison Belmarsh is located at the prestigious address of One Western Way, London, just a short foxhunt from the Old Royal Naval College in Greenwich. How delightful it must be to have such an esteemed establishment bear your name.

It is here that 687 of your loyal subjects are held, supporting the United Kingdom’s record as the nation with the largest prison population in Western Europe. As your noble government has recently declared, your kingdom is currently undergoing “the biggest expansion of prison places in over a century”, with its ambitious projections showing an increase of the prison population from 82,000 to 106,000 within the next four years. Quite the legacy, indeed.

As a political prisoner, held at Your Majesty’s pleasure on behalf of an embarrassed foreign sovereign, I am honoured to reside within the walls of this world class institution. Truly, your kingdom knows no bounds.

During your visit, you will have the opportunity to feast upon the culinary delights prepared for your loyal subjects on a generous budget of two pounds per day. Savour the blended tuna heads and the ubiquitous reconstituted forms that are purportedly made from chicken. And worry not, for unlike lesser institutions such as Alcatraz or San Quentin, there is no communal dining in a mess hall. At Belmarsh, prisoners dine alone in their cells, ensuring the utmost intimacy with their meal.

Beyond the gustatory pleasures, I can assure you that Belmarsh provides ample educational opportunities for your subjects.
As Proverbs 22:6 has it: “Train up a child in the way he should go: and when he is old, he will not depart from it.”
Observe the shuffling queues at the medicine hatch, where inmates gather their prescriptions, not for daily use, but for the horizon-expanding experience of a “big day out”—all at once.

You will also have the opportunity to pay your respects to my late friend Manoel Santos, a gay man facing deportation to Bolsonaro’s Brazil, who took his own life just eight yards from my cell using a crude rope fashioned from his bedsheets.
His exquisite tenor voice now silenced forever.

Venture further into the depths of Belmarsh and you will find the most isolated place within its walls: Healthcare, or “Hellcare” as its inhabitants lovingly call it.
Here, you will marvel at sensible rules designed for everyone’s safety, such as the prohibition of chess, whilst permitting the far less dangerous game of checkers.

Deep within Hellcare lies the most gloriously uplifting place in all of Belmarsh, nay, the whole of the United Kingdom: the sublimely named Belmarsh End of Life Suite. Listen closely, and you may hear the prisoners’ cries of “Brother, I’m going to die in here”, a testament to the quality of both life and death within your prison.

But fear not, for there is beauty to be found within these walls. Feast your eyes upon the picturesque crows nesting in the razor wire and the hundreds of hungry rats that call Belmarsh home. And if you come in the spring, you may even catch a glimpse of the ducklings laid by wayward mallards within the prison grounds. But don’t delay, for the ravenous rats ensure their lives are fleeting.

I implore you, King Charles, to visit His Majesty’s Prison Belmarsh, for it is an honour befitting a king.
As you embark upon your reign, may you always remember the words of the King James Bible: “Blessed are the merciful, for they shall obtain mercy” (Matthew 5:7).
And may mercy be the guiding light of your kingdom, both within and without the walls of Belmarsh.

Your most devoted subject,

Julian Assange

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Übersetzung:

An Seine Majestät König Karl III.,
anlässlich der Krönung meines Lehnsherrn hielt ich es für angemessen, Sie herzlich einzuladen, diesen bedeutenden Anlass mit einem Besuch in Ihrem eigenen Königreich im Königreich zu begehen: dem Gefängnis Seiner Majestät in Belmarsh.
Sicherlich erinnern Sie sich an die weisen Worte eines berühmten Dramatikers: “Die Qualität der Barmherzigkeit ist nicht angestrengt. Sie tropft wie der sanfte Regen vom Himmel auf den Ort darunter.”
Aber was wüsste dieser Barde schon von Barmherzigkeit angesichts der Abrechnung zu Beginn Eurer historischen Herrschaft? Schließlich kann man das wahre Maß einer Gesellschaft daran erkennen, wie sie ihre Gefangenen behandelt, und Euer Königreich hat sich in dieser Hinsicht sicherlich hervorgetan.
Das Gefängnis Belmarsh Eurer Majestät befindet sich an der prestigeträchtigen Adresse One Western Way, London, nur eine kurze Fuchsjagd vom Old Royal Naval College in Greenwich entfernt. Wie reizvoll muss es sein, dass eine so angesehene Einrichtung Ihren Namen trägt.

Hier sind 687 Ihrer treuen Untertanen inhaftiert, was das Vereinigte Königreich zum Land mit der größten Gefängnispopulation in Westeuropa macht. Wie Ihre edle Regierung kürzlich erklärt hat, durchläuft Ihr Königreich derzeit “die größte Erweiterung der Gefängnisplätze seit über einem Jahrhundert”, wobei ihre ehrgeizigen Prognosen einen Anstieg der Gefängnispopulation von 82.000 auf 106.000 innerhalb der nächsten vier Jahre zeigen. Das ist in der Tat ein großes Erbe.

Als politischer Gefangener, der nach dem Willen Eurer Majestät im Auftrag eines beschämten ausländischen Herrschers festgehalten wird, ist es mir eine Ehre, in den Mauern dieser Weltklasseeinrichtung zu leben. Wahrlich, Euer Königreich kennt keine Grenzen.

Während Ihres Besuchs werden Sie Gelegenheit haben, sich an den kulinarischen Köstlichkeiten zu laben, die für Ihre treuen Untertanen mit einem großzügigen Budget von zwei Pfund pro Tag zubereitet werden. Genießen Sie die gemischten Thunfischköpfe und die allgegenwärtigen rekonstituierten Formen, die angeblich aus Huhn hergestellt werden. Und keine Sorge, anders als in weniger bedeutenden Anstalten wie Alcatraz oder San Quentin gibt es kein gemeinsames Essen in einer Kantine. In Belmarsh speisen die Gefangenen allein in ihren Zellen, was die größtmögliche Intimität der Mahlzeit gewährleistet.
Abgesehen von den geschmacklichen Genüssen kann ich Ihnen versichern, dass Belmarsh Ihren Untergebenen reichlich Gelegenheit zur Bildung bietet. In Sprüche 22:6 heißt es: “Erziehe ein Kind in dem Weg, den es gehen soll, und wenn es alt ist, wird es nicht davon abweichen.” Beobachten Sie die Warteschlangen an der Medikamentenausgabe, wo die Insassen ihre Rezepte nicht für den täglichen Gebrauch, sondern für die horizonterweiternde Erfahrung eines “großen Tages” abholen – und das alles auf einmal.
Sie werden auch die Gelegenheit haben, meinem verstorbenen Freund Manoel Santos die letzte Ehre zu erweisen, einem schwulen Mann, dem die Abschiebung nach Bolsonaros Brasilien drohte und der sich nur acht Meter von meiner Zelle entfernt mit einem kruden Seil aus seinem Bettlaken das Leben nahm. Seine exquisite Tenorstimme ist nun für immer verstummt. Mein verstorbener Freund Manoel Santos… hat sich nur acht Meter von meiner Zelle entfernt das Leben genommen.

Wenn man sich weiter in die Tiefen von Belmarsh vorwagt, findet man den isoliertesten Ort innerhalb seiner Mauern: Die Gesundheitsfürsorge, oder “Hellcare”, wie sie von ihren Bewohnern liebevoll genannt wird. Hier werden Sie sich über vernünftige Regeln wundern, die der Sicherheit aller dienen, wie z. B. das Verbot von Schach, während das weitaus weniger gefährliche Spiel Dame erlaubt ist.
Tief im Inneren von Hellcare befindet sich der herrlichste Ort in ganz Belmarsh, ja im ganzen Vereinigten Königreich: die Belmarsh End of Life Suite mit ihrem erhabenen Namen. Wenn Sie genau hinhören, werden Sie vielleicht die Schreie der Gefangenen hören: “Bruder, ich werde hier drin sterben”, ein Zeugnis für die Qualität des Lebens und des Todes in Ihrem Gefängnis.

Aber keine Angst, in diesen Mauern gibt es auch Schönes zu entdecken. Erfreuen Sie sich an den malerischen Krähen, die im Stacheldraht nisten, und an den Hunderten von hungrigen Ratten, die Belmarsh ihr Zuhause nennen. Und wenn Sie im Frühjahr kommen, können Sie vielleicht sogar einen Blick auf die Entenküken erhaschen, die von verirrten Stockenten auf dem Gelände des Gefängnisses abgelegt wurden. Aber zögern Sie nicht, denn die gefräßigen Ratten sorgen dafür, dass ihr Leben nur von kurzer Dauer ist.

Ich beschwöre Euch, König Charles, das Gefängnis seiner Majestät Belmarsh zu besuchen, denn es ist eine Ehre, die einem König gebührt. Möget Ihr Euch zu Beginn Eurer Regentschaft immer an die Worte der King James Bibel erinnern: “Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen” (Matthäus 5:7). Und möge die Barmherzigkeit die Richtschnur Deines Reiches sein, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern von Belmarsh.

Ihr ergebenster Untertan
Julian Assange

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Unterschriftensammlung „Gewerkschafter sagen: Nein zum Krieg – Nein zum Krieg gegen den Sozialstaat“

Kollwitz_KriegIch hoffe, dass sich noch viele Gewerkschafter und andere Friedensfreunde dazu entschließen, den Aufruf zu unterschreiben !

Eine Unterschriftenliste zum Ausdrucken kann hier herunter geladen werden: Unterschriftensammlung

Ausgefüllte Listen, auch wenn nur eine Unterschrift darauf ist, bitte entweder per Post senden an: Gotthard Krupp, Postfach 120 364, 10593 Berlin oder per FAX an 030 3131662 oder einscannen und als .jpg an GotthardKrupp@t-online.de senden !

 

Politische Arbeitskreise für unabhängige Arbeitnehmerpolitik - Berlin

„Wer soziale Gerechtigkeit will, muss den Frieden erkämpfen“

Seit einem Jahr tobt ein grausamer Krieg in der Ukraine. Weder den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine noch die kriegerische Eskalation durch die Nato, unter Führung der USA, haben die russischen, die ukrainischen, und auch nicht die deutschen Arbeitnehmer*innen entschieden. Mit den Lieferungen immer schwererer Waffen und massiver Kriegsaufrüstung durch die europäischen Regierungen und die USA droht die Gefahr weiterer Eskalation, bis hin zu einem neuen Weltkrieg.

Für das 100 Milliarden Euro Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung, inzwischen geht es um über 300 Milliarden Euro, und der Aufstockung der 2% des BIP des Rüstungshaushaltes auf 3% bis 2030 durch die Nato-Länder (für Deutschland ein zweistelliger Milliardenbetrag) soll die arbeitende Bevölkerung und Jugend einen hohen Preis bezahlen:

  • Mit einer neuen Offensive der Kaputtsparpolitik gegen die Krankenhäuser: Lauterbachs „Reform“ heißt das Aus für über 1.000 Kliniken.
  • Mit weiterem Reallohnverlust, so das „Angebot“ der öffentlichen Arbeitgeber, Regierungen…

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Europas Zukunft: Zehn Varianten des Abstiegs

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

dagmar henn

Ein intelligenter Kommentar von Dagmar Henn:
https://freeassange.rtde.live/meinung/168623-europas-zukunft-zehn-varianten-abstiegs/
Auszüge:

Es wird getan, als ginge es um die Ukraine; in Wirklichkeit geht es um eine Welt ohne Kolonialismus. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Europa könnte damit gut leben. Aber es fehlt die politische Kraft, um an die Stelle verbissener Verteidigung der alten Ordnung die neue zu setzen.

Überlegungen, wie die ganze gegenwärtige Krise – nicht nur in Bezug auf die ukrainische Front, sondern auf die globale Veränderung – für Europa enden könnte, beginnt man vielleicht am besten mit dem wünschenswerten Ergebnis. Für die weit überwiegende Mehrheit der europäischen Bevölkerungen wäre das eine Eingliederung in eine künftige Weltordnung souveräner Staaten mit gleichen Rechten.

In einer solchen Ordnung würden zwar die enormen Geldflüsse entfallen, die augenblicklich das Ergebnis der westlichen Macht sind, aber von diesen Geldflüssen profitiert nur eine verschwindende Minderheit. Für die allermeisten bieten die enormen, in wenigen Händen konzentrierten Geldbeträge nur Nachteile – um für all dieses Geld eine Verzinsung zu ermöglichen, steigen die Mieten und werden alle möglichen Lebensbereiche, wie das Gesundheitswesen, künstlich kommerzialisiert.

Nur als Beispiel dafür: In Deutschland besitzt gerade ein Prozent der Einwohner Wohnungen, in denen sie nicht selber leben. Darunter sind aber noch ein Menge Menschen, die etwa als Altersvorsorge genau eine Wohnung besitzen, die sie vermieten.
Nur dieses eine Prozent profitiert von den stetig steigenden Mieten. 99 Prozent haben davon einen Nachteil, denn selbst für die Eigentümer von selbstgenutztem Wohnraum wird der mögliche Vorteil eines steigenden Werts durch größere Probleme, dieses Eigentum überhaupt zu bilden, ausgeglichen.

Ein Verschwinden dieser Geldflüsse – was mit einem Bedeutungsverlust von Kolonialstrukturen wie IWF und Weltbank einhergeht – würde die Struktur des internationalen Handels verändern, der in vielen Bereichen heute von der Peripherie ins Zentrum fließt. An die Stelle des Abschöpfens müsste wieder ein Austausch von Gütern treten.
Dabei würde sich natürlich auch die Verteilung der Produktion ändern, weil eine Befreiung von kolonialen Lasten vielerorts eine nachholende Industrialisierung ermöglichen würde. Das heißt, die Rolle der jeweiligen Binnenmärkte würde in allen Ländern zunehmen.

Das klingt für deutsche Ohren, denen jahrzehntelang der Exportweltmeister als Ideal vorgesungen wurde, erst einmal irritierend, aber eine auf den Binnenmarkt konzentrierte Ökonomie ist für abhängig Beschäftigte ein Vorteil, weil die Löhne es ermöglichen müssen, die produzierten Waren auch zu erwerben.

Das wäre alles natürlich noch weit ausführlicher darzustellen; aber nehmen wir es einmal als gegeben an, dass eine Eingliederung auch der europäischen Länder in eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung möglich wäre.
Dennoch sind die politischen Machtverhältnisse augenblicklich derart von den Interessen maximal des obersten Promilles dominiert, das sich mit allen Kräften einer Veränderung der globalen Ordnung widersetzt. Um diese Zustände zu erhalten, wurden die demokratischen Mechanismen weitgehend außer Kraft gesetzt (die EU war dabei ein entscheidendes Mittel) und die öffentliche Meinung einer nie dagewesenen Kontrolle unterworfen. Wie also soll ein Weg von Zustand A in Zustand B möglich sein? Augenblicklich sind – trotz der massiven Proteste wie gerade in Frankreich – keine politischen Kräfte sichtbar, die im Stande wären, an den Machtverhältnissen im Innern des Westens etwas zu ändern.

Aber schließen wir die Möglichkeit nicht völlig aus; eine weitere Zuspitzung mag noch für Überraschungen sorgen.
Doch es gibt noch eine andere Variante, die aus einer westlichen Niederlage resultieren könnte, einen massiven wirtschaftlichen Zusammenbruch. Tatsächlich wäre dieser die zwangsläufige Konsequenz, wenn die erforderliche politische Anpassung an die geänderten globalen Verhältnisse nicht möglich ist.

Dabei sind folgende Punkte wichtig: Wirtschaftskrisen vom Kaliber 2008 oder 1929 sind chaotische Prozesse, und es hat zwar ab 2008 die Möglichkeit gegeben, die Folgen der Krise durch massive Geldschöpfung zu vertagen, aber weder war es möglich, ihre Entstehung zu verhindern, noch wurden die auslösenden Probleme auch nur ansatzweise gelöst.
Das heißt, wenn sich die verschiedenen Faktoren wie extreme Staatsverschuldung (insbesondere in den USA), massive Überbewertungen beispielsweise bei Immobilien und schwindender Einfluss des US-Dollars durch welchen Anstoß auch immer in eine große ökonomische Krise umsetzen, hat keine Regierung der Welt die Möglichkeit, das aufzuhalten.
Allerdings gibt es zwei Faktoren, die es möglich erscheinen lassen, dass diese Krise weitgehend auf den Westen beschränkt bleibt – je geringer der Einfluss des US-Dollars und je stärker die Abkopplung der ökonomischen Zonen, die der Westen mit seinen Sanktionen stetig weiter vorantreibt, desto besser die Chancen für den nichtwestlichen Teil der Welt, von dieser Krise nicht oder nur begrenzt betroffen zu werden.

Der ökonomische Zusammenbruch (denn darum würde es sich für den Westen handeln) ist gewissermaßen der Joker im Spiel, der zumindest partiell unabhängig von den militärischen und politischen Entwicklungen jederzeit auftauchen kann; einzig die Wahrscheinlichkeit des Eintritts steigt im Zeitverlauf beständig.
Dabei ist die wahrscheinlichste Variante eine Mischung aus der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. und der deutschen Inflation 1923, also 2008 auf Steroiden mit einer Hyperinflation als Dreingabe. Falls, oder eher, wenn diese ökonomische Krise zuschlägt, dann ist der globale Westen handlungsunfähig, außer in einem einzigen Punkt, der leider ein Problem bleiben wird, solange in den USA die Neocons das Sagen haben – er befindet sich immer noch im Besitz nuklearer Waffen.
Diesen Punkt zu diskutieren, ist allerdings unnütz, das Ergebnis steht fest.

Diese ökonomische Erschütterung wird zwangsläufig, über kurz oder lang, auch das politische Gefüge erschüttern; schlicht deshalb, weil innerhalb des Bestehenden kein Ausweg möglich ist. Das Vertagen der Krisenfolgen wie nach 2008 funktioniert nicht mehr; sollten zu diesem Zeitpunkt noch größere Reste der alten Position des US-Dollars übrig sein, dürften sie sich nach Einsetzen dieser Krise in unvorstellbarer Geschwindigkeit verflüchtigen, schon allein, weil jeder Staat außerhalb des westlichen Kerns bemüht sein wird, in diese Entwicklung nicht mit hineingezogen zu werden.

Wie tief der Absturz wird, und wie lange es zu einer Erholung brauchen wird, hängt nicht nur in diesem rein ökonomischen Szenario davon ab, ob sich ausreichend politische Kräfte finden, die eine Rekonstituierung demokratischer Prozesse tragen und eine ökonomische Anpassung im Interesse der Bevölkerung vorzunehmen im Stande und willens sind.
Die gegenwärtige politische Elite in den europäischen Ländern dürfte dafür vollständig untauglich sein. Wobei die ganzen gegenwärtigen Bemühungen, einen Dissens und die Bildung politischer Gegenkräfte mit allen Mitteln zu verhindern, letztlich absurd sind – weder die globale Veränderung noch die ökonomische Krise werden dadurch verhindert, was bedeutet, dass letztlich dadurch auch die Macht der gegenwärtigen Eliten nicht gesichert werden kann; aber die Entwicklung eines Europas, das der Welt nicht mehr als Kolonialherr gegenübertritt, und damit die Möglichkeit eines Auswegs aus der Krise werden sabotiert.

Legen wir den Joker beiseite und betrachten, welche Entwicklungen auf der politischen Ebene möglich sind – ohne zu vergessen, dass in den meisten Versionen der Joker früher oder später dennoch ins Spiel kommt.

Die erste Version wäre eine lineare Verlängerung der Gegenwart. Die gesamte EU bleibt den USA völlig hörig, die USA selbst setzen ihr „Solange es nötig ist“ auf stetig weiter schrumpfendem Gebiet fort und eröffnen zusätzlich eine zweite Front gegen China, in die sich die EU ebenfalls ziehen lässt. Wenn man die Aussagen beispielsweise des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell liest, ist diese Version durchaus möglich.
Während die Kämpfe in der oder vielmehr um die Ukraine aufrechterhalten werden und langsam Richtung polnischer Grenze geschoben werden, könnte eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China sehr schnell eskalieren, schlicht deshalb, weil in einem weitgehend maritimen Konflikt für China gar keine andere Möglichkeit bestünde, als die Flugzeugträgergruppen der USA anzugreifen. Freundliche Hilfe Russlands in der einen oder anderen Art, um auch mit den US-U-Booten umgehen zu können, kann man voraussetzen. Eine schnelle Eskalation hieße eine schnelle Niederlage der USA. Eine derart sichtbare, unverkennbare Niederlage, dass die ökonomische Krise vermutlich auf dem Fuß folgen würde.
Welche Folgen das in den gegenwärtig politisch tief gespaltenen USA hätte, ist schwer vorherzusagen, aber das wirksamste Mittel gegen ein Umschlagen in einen Bürgerkrieg könnte dann der Mangel an Munition sein.
Auf jeden Fall wäre das Resultat ein völliger Glaubwürdigkeitsverlust der einen Seite, und politische Instabilität. In vermindertem Maß gilt das auch für Europa, das zu diesem Zeitpunkt dank der mit Sicherheit eingeführten Sanktionen gegen China in einer Rezession steckt, selbst ohne Aktivierung der großen Krise. Das wäre dann ein langsamerer Abstieg, der aber, gerade weil langsamer, die Kontrolle durch die bestehende Macht verlängert und damit die Bildung politischer Gegenkräfte weiter verzögert.

Version zwei wäre ein mehr oder weniger schneller Rückzug der USA von der ukrainischen Front, um „die Hände frei“ für China zu haben, wie das jüngst der CDU-Verteidigungspolitiker in geradezu freudiger Erwartung formulierte, weil er eine „deutsche Führungsrolle“ in der Ukraine erhoffte. Das sind Untervarianten A und B –
A wäre eine Übernahme der Führung in der EU in Bezug auf die Ukraine durch Deutschland, was eine Verlangsamung zur Folge hätte (Russland hat es nicht eilig, und das deutsche Militär will sich auf keinen Fall in der Ukraine wiederfinden) und womöglich zu Versuchen von EU-Seite führt, das Ganze einschlafen zu lassen; eine realistischere Option, wenn die Grünen nicht länger Teil der Regierung wären. Es ist aber, dank der gründlichen Vorarbeit von Angela Merkel bei Minsk, nicht allzu wahrscheinlich, dass sich Russland auf deutsche Verhandlungspartner einlässt.
Schon der Versuch würde allerdings zu Problemen zumindest mit Polen und den Balten führen, die, gäbe es eine deutsche Regierung mit einem Ansatz von Rückgrat, durch Verweis auf die EU-Subventionen beherrschbar wären; allerdings auch nur, solange die EU als Rahmen existiert. Wenn allerdings die Mittel knapp werden, weil die EU in der Rezession versinkt, fehlt das Mittel, Polen zu kontrollieren, und ein abrupter Wechsel hin zu Untervariante B mit Billigung der USA ist nicht auszuschließen.
B: Das wäre die Eskalation durch den Einsatz polnischen Militärs, um den Krieg selbst dann fortzusetzen, wenn Kiew personell dazu nicht länger im Stande ist. Die bei weitem unberechenbarste Version, zum einen wegen der innigen Nähe der jetzigen polnischen Regierung zu den US-Neocons, zum anderen, weil die Reaktion der Bundesregierung auf polnische Reparationsforderungen, der nicht einmal ein Verweis auf Oberschlesien über die Lippen kam, fürchten lässt, dass sie in diesem Fall zwar zumindest eine Zeit lang das Mitmarschieren verweigern würde, aber nicht im Stande wäre, daraufhin auf Abstand zu gehen. In welchem Fall das Auftauchen des Jokers geradezu einer Erlösung aus einem langen Elend gleichkommen könnte. Außer, es fänden sich noch andere EU-Staaten, die das polnische Spiel nicht mitmachen wollten.

Vermutlich ebenfalls in Richtung der polnischen Variante dürfte es gehen, sollten in der Ukraine Armee und Staat plötzlich zusammenbrechen. Dann würde das Ganze wahrscheinlich mit einer humanitären Erzählung bekränzt, was dafür sorgt, dass Deutschland und Frankreich diesem Marsch in den Sumpf wenig entgegensetzen. Die EU-Spitze wäre ohnehin mit wehenden Fahnen mit dabei. Das Ergebnis wäre eine partielle Umkehrung der ersten polnischen Variante – erst die polnische Intervention, gefolgt vom Rückzug der USA, die sich dann darauf verlassen könnten, den Rest der EU in der Falle zu haben.
Das wäre der langsamste und schmerzhafteste Niedergang, enthielte aber bei einer entsprechenden russischen Reaktion und einem Durchmarsch bis weit in den Westen zumindest die Hoffnung, dass sich das Problem der gegenwärtigen politischen Eliten erledigt hat.

Das größte Risiko für das Bestehen der EU ist die Entwicklung in Frankreich. Dort dürften die Proteste zunehmen, wenn sich die wirtschaftliche Lage in der EU verschlechtert; aber für einen Sturz Macrons und ein Entrinnen aus der Umklammerung durch die EU dürften friedliche Proteste nicht genügen, auch dann nicht, wenn sie mit Generalstreiks kombiniert werden. Das haben die Auseinandersetzungen in der Euro-Krise in Griechenland und Portugal bewiesen. Nicht einmal 12 Prozent der Bevölkerung auf der Straße genügten 2013 in Portugal, auch nur die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.
Ein Ende der EU, das die Voraussetzung für eine Rückkehr zu demokratischen Zuständen wäre, würde erfordern, dass mindestens Frankreich oder Deutschland aussteigt; ein Austritt Ungarns würde nicht genügen. Dass der ökonomische Angriff der USA auf Europa Deutschland als erstes Ziel hatte, hat die Binnenverhältnisse sogar stabilisiert, weil die deutsche Dominanz in den letzten beiden Jahrzehnten die Hauptquelle für Unmut war.
Die jetzigen europäischen Politiker dürften eher an diesem Rahmen festhalten, um damit die Möglichkeit ihres Sturzes zu verringern, selbst wenn das ganze Staatenbündnis bis zum Hals im Wasser steht.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die polnische Variante fast vorteilhaft, weil sie die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zwangsrahmen zerbricht, etwas erhöht.

Gesetzt den Fall, der Krieg in der Ukraine schleppt sich ohne Ausweitung auf China hin bis zu den US-Wahlen, gäbe es noch die Variante, dass ein neu gewählter US-Präsident Donald Trump in Kiew anruft und trocken mitteilt, jetzt gäbe es nichts mehr, was das Problem Ukraine per Zusammenbruch lösen würde.
Die EU-Führung würde vermutlich einige Wochen brauchen, um sich von der Schockstarre zu erholen, aber eine kleinere Version des polnischen Szenarios ist dennoch nicht ausgeschlossen. Allerdings sind die US-Wahlen erst Ende 2024.

Gänzlich unwahrscheinlich ist leider die Version, dass die Führung der EU sich eines Besseren besinnt und sich von den USA abkoppelt. Das würde im Prinzip die weichste Landung ermöglichen – ein Ende der Unterstützung der Ukraine, eine geordnete Auflösung der EU und eine, wenn auch mühsame, Neuorientierung hin auf die multipolare Welt. Der beste Zeitpunkt dafür wäre der Moment, wenn die USA ihren Fokus auf China verschieben. Aber ein Blick auf das Brüsseler Personal genügt, um diese Version ins Reich der Märchen zu verweisen.

Eine wirklich optimistische Variante, nach der in ein, zwei, drei europäischen Ländern die vorhandenen Regierungen entmachtet und die NATO aus dem Land gekegelt wird, um anschließend unter zumindest möglicher Umgehung einer tiefen ökonomischen, politischen und sozialen Krise die Anpassung an die neuen Verhältnisse zu beginnen, ist derzeit nicht sichtbar.

Das ist die wirkliche Tragik der Entwicklung. Denn die europäische Geschichte ist nicht nur eine des jahrhundertelangen Raubes rund um die Welt, der von oben orchestriert wurde; sie ist auch eine Geschichte eines jahrhundertelangen Kampfes von unten um politische Rechte und die politische Macht; ein Kampf, ohne den weder die Idee von Menschenrechten noch von Demokratie noch die des Völkerrechts je geboren worden wäre.
Aber die Erinnerung an diesen Teil der Geschichte, mit seinen Siegen und Niederlagen, seinen Errungenschaften und Widersprüchen, wurde erfolgreich ausgelöscht.

Selbst die Franzosen scheinen vergessen zu haben, wie man die Bastille stürmt.

Mein Kommentar: Irgendwie habe ich hier nicht mitbekomen, wo die eine Version aufhört und die nächste anfängt. Nur den Schluss kann ich vollumfänglich teilen.
Über Eure Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.